Wanderhöhepunkte in Deutschland: nix wie hoch! Entweder in alle 16 Bundesländer – oder „nur“ auf die Schwäbische Alb. Runterkommen tun wir immer.
«In diesem Moment ging der Regen in Schneeregen über, und nach etwa anderthalb Kilometern durch den dichten Laubwald hatten wir den Gipfel des Dollbergs erreicht. Schon aus der Entfernung konnten wir sehen, dass ein großer Baum im Sturm der letzten Stunden umgeknickt und mit seiner Baumkrone mitten hinein in das braune Gipfelschild des Dollbergs gestürzt war. Manuel Andrack war genauso baff wie ich und begann zu spekulieren: ‹Ich glaube›, sagte er, ‹es ist ein Hinweis, sich zu verpissen, bevor der Sturm kommt.›
Ich hatte mir von Anfang an das Ziel gesetzt, an jedem der sechzehn Gipfel eine kleine Flasche Schnaps zu verstecken oder zu vergraben, entweder als Anreiz für mich, irgendwann zurückzukehren und diesen Schatz zu heben, oder als kleine Belohnung für aufmerksame Erstleser dieses Buches.»
Das Buch heisst „Unter den Wolken. Meine Deutschlandreise auf die höchsten Berge aller 16 Bundesländer“, der Schnapsverstecker ist Achim „Sechzig“ Bogdahn, Radiomoderator, Schauspieler und Fussballfan aus München. Sein Begleiter auf dem Dollberg (695,4 m), Top of Saarland, war an jenem stürmischen 14. März 2019 Manuel Andrack, früher Harald Schmidts Late-Night-Assistent, heute Wanderguru. Begonnen hatte Achims Bergreise in die sechzehn Bundesländer am 21. November 2018 mit dem Brocken (1141,2 m), dem höchsten Gipfel von Sachsen-Anhalt, zu Ende ging sie am 10. Juli 2021 logischerweise mit dem höchsten von Bayern und ganz Deutschland, mit der Zugspitze (2962 m), in Begleitung der Skilegende Felix Neureuther. Dazwischen vierzehn andere höchste Berge, wobei die Erhebung (32,5 m) im Friedehorstpark von Bremen nicht wirklich als Berg bezeichnet werden kann. Und der Kutschenberg (200,7 m) ist zwar der höchste Berg von Brandenburg, aber nicht der höchste Punkt; das ist die Heidehöhe (201,4 m) am Gipfel Heideberg, der aber schon in Sachsen liegt.
Solche topografischen Unebenheiten kennen wir auch von andern Gebieten: Das Nordend (4609 m) ist der höchste Gipfel des Piemonts, der Grenzgipfel (4617 m) am Kamm zur Dufourspitze aber der höchste Punkt. Fast ähnlich die Lage im Kanton Aargau: Der höchste Punkt (908 m) befindet sich am Nordostrücken der kantonsfernen Geissflue, der höchste aargauische Gipfel ist die Wasserflue (866 m) oder der Strihe (866 m); die Landeskarte gibt keine Dezimeter an.
Doch zurück zu Gipfelstürmer Achim und sein Land unter den Wolken. Das Besondere an seinen Besteigungen waren die BegleiterInnen: immer eine Persönlichkeit aus dem entsprechenden Bundesland. Im Friedehorstpark Bremens Altbürgermeister Henning Scherf, beim Wurmberg/Niedersachsen (971,2 m) die Ex-Bischöfin Margot Käßmann, am Feldberg/Baden-Württemberg (1493 m) der Ex-Fussballer Mehmet Scholl (er schaffte es nicht auf den Gipfel, weil er keine Windjacke dabei hatte…). Die Begleitung ermöglichte interessante Gespräche und Begegnungen; gerade auch letzteres, denn die VIP’s wurden oft erkannt. Und, noch eine Besonderheit: Achim Bogdahn unternahm die Reisen immer per Bahn und Bus. All das beschreibt er nun griffig, abwechslungsreich, humorvoll, manchmal auch etwas böse. Wir lernen ein neues, anderes Deutschland kennen, nicht nur gipfelmässig. Doch auch die Höhepunkte dürften unbekanntes Land sein; ausser Zugspitze, Feldberg und Brocken hatten wir von den andern Bergen kaum je etwas gehört, wenn wir überhaupt im Stande waren, die sechzehn Bundesländer aufzuzählen… „Unter den Wolken“ ist ein sehr unterhaltsames Lese(wander)buch; schade nur, dass pro Berg nicht noch kurz stichwortartig steht, wie man am besten hin-, hoch- und runterkommt.
Solche Angaben machen ein normales Wanderbuch bekanntlich aus. Das folgende habe ich aus zwei Gründen gekauft. Erstens gefielen mir Haupttitel sowie die Titel der 21 vorgestellten Touren. Und zweitens waren wir früher dort oft wandern, joggen, spazieren. Denn meine Schwiegermutter Heidi Feller-Albus kommt aus Bad Beuren südlich von Stuttgart. Ihre Mutter Hilde Albus besuchten wir immer wieder, solange sie lebte; der Beurener Fels (730 m) oberhalb der Weinberge und der Hohenneuffen (743 m) mit seiner riesigen Burgruine waren sozusagen meine Hausberge. Sie liegen beide im Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Autor Dieter Buck preist die Wanderungen auf die beiden Gipfel so an: hochgehlegen, hochgehfestigt, hochgehkeltert. Der Führer selbst heisst: »Hochgehberge« zum Runterkommen.
Das machen wir, beides. Am Beurener Fels so gut wie am Dollberg.
Achim Bogdahn: Unter den Wolken. Meine Deutschlandreise auf die höchsten Berge aller 16 Bundesländer. Wilhelm Heyne Verlag, München 2022. € 22,00.
Dieter Buck: »Hochgehberge« zum Runterkommen. Wandern im und um das Biosphärengebiet Schwäbische Alb. J. Berg Verlag, München 2021. € 16,00.