Das Lawinenbulletin meldet erhebliche bis grosse Lawinengefahr. Gerade richtig, um einen Lawinenkurs abzuhalten. Draussen. Da, wo das Wetter stattfindet. © Annette Frommherz
Es ist unter Berglern ein alteingesessener Spruch: ‚Die Lawine weiss nicht, dass ein Bergführer dabei ist’. Was heissen mag, dass auch erfahrene und ausgewiesene Bergführer einem Restrisiko ausgesetzt sind. Die Natur ist unberechenbar. Der Mensch fühlt sich erhaben und geistreich und ist auf Mutter Erde ein doch gleichwohl unbedeutendes Wesen, das hier nur zu Gast ist und sich unterordnen muss. Ob ihm das passt oder nicht.
Die Hänge oberhalb Fideris im Prättigau sind unser Ziel. Fideris, schreibt mir gleichentags ein Kollege, kenne er nur vom Militärdienst. Sie hätten dort mit den grossen Kanonen herumgedonnert und die Kühe erschreckt, von den Gämsen ganz zu schweigen. Männer – nur so nebenbei – scheinen die Schweiz ortschaftsmässig oft nur vom Militärdienst her zu kennen. Wir Frauen sind da viel unbelasteter. In den Heubergen kennt sich unser Bergführer hingegen so gut aus wie in seiner Hosentasche, denn hier ist er gross geworden.
Die Hütten ob Fideris sind mit Schnee satt bepackt. Tags zuvor hat es nochmals vierzig Zentimeter Neuschnee hingeworfen. Der Wind hat ganze Arbeit geleistet: uns empfängt an manchen Stellen frischer Triebschnee. Unser Bergführer schaufelt tief in die weisse Masse, um die verschiedenen Schichten des Schnees zu erklären. Als die ersten begrabenen Alpenrosen zum Vorschein kommen, hoffe ich, er möge mit graben bald aufhören. Wir wollen doch die Murmeltiere in ihrem Winterschlaf nicht stören.
Es ist erstaunlich: als unerfahrene Mitläuferin sieht man die Gefahren kaum und verlässt sich vorerst auf das Wissen des erfahrenen Begleiters. Bald erkennt man, dass dies nicht genügt und Eigenverantwortung in den Bergen von grosser Bedeutung ist. Schaufel und Sonde im Rucksack und ein LVS am Leib sind noch keine Gewähr für richtiges Handeln. Gefahren abschätzen, Alarmzeichen erkennen und daraus richtig entscheiden können gehört genauso zur Notwendigkeit im Schnee wie das Material, das richtig eingesetzt werden will.
Ich habe einiges dazugelernt an diesem einen Tag. Fast hätten wir vergessen, etwas zu essen und zu trinken, so sehr waren wir beschäftigt mit Theorie und Tiefschnee. Heu habe ich auf den Heubergen keines gesehen, dafür jede Menge dieses weissen Pulvers, das mir je länger je lieber wird.