Von der Bürglen auf den Gipfel der Welt

Sieben Krimis, in denen Berge eine Rolle spielen, manchmal nur nebenbei, aber immerhin. Vom Gäntu über Capri zu den Northwest Arctic Mountains. Sommerlektüre für Gipfelstürmerinnen und Beachboys.

«Jetzt wird’s kompliziert», sagte Müller, der nach wie vor kein Navigationsgerät im Auto besaß. «Die Quartierwege sind nach Bergen benannt, Stockhorn, Eiger, Jungfrau, Nünenen, Gantrisch, Niesen, Chutzen. Wir suchen die Bürglenstrasse.»
«Auch ein Berg?», fragte Bauer, der sich in der Berner Geografie nicht so gut auskannte.
«Ja, liegt zwischen Gantrisch und Ochsen im Alpenvorland. Habe ich in jüngeren Jahren mehrfach bestiegen. Tolle Aussicht.»

Stimmt! In jeder Hinsicht. Die Bürglen in der nördlichsten Kette der Berner Alpen bietet wirklich eine tolle Aussicht, gerade weil sie sich am Rande erhebt und so auch einen weiten Blick auf Mittelland und Jura ermöglicht. Auf der Sonnenseite reicht er vom Vrenelisgärtli über Monte Rosa bis Mont Blanc. Und: Auch ich habe die Bürglen mehrfach bestiegen, das erste Mal im Herbst 1962, mit acht Jahren. Gibt Jahrgang 1954. Privatdetektiv Heinrich Müller, die Hauptfigur in den Krimis von Paul Lascaux, hat Jahrgang 1955. Wie der Autor selbst auch. Und jetzt will Müller nach dem 17. Fall, der «Berner Revolte», die Detektei, die er zusammen mit Nicole Himmel führte, schliessen. Einen Nachfolger für Ermittlungen scheint er aber gefunden haben: den Reporter Simon Bauer. Zu ihm sagt der Bürglen-Besteiger: «Wir gehen morgen auf eine kleine Wanderung, und dann reden wir an einem ruhigen Ort darüber, wo uns keiner stört.» Machen wir auch: eine kleine Tour d’Horizon von Gipfel zu Gipfel, von Krimi zu Krimi, darin diese eine Rolle spielen.

«Le soleil couchant enflamme à nouveau les dents du Midi, le spectacle est toujours aussi beau quand les nuages laissent le couchant œuvrer. Mais curieusement nous constantons que l’une des dents reste sombre ! Quel drôle de phénomène ? Serait-ce dû à un nuage facétieux ou un autre message ? Tout le monde est pantois ; chacun rentre chez soi perplexe. Les anciens n’on jamais vu un tel phénomène.»

Die Dents du Midi, dieser gezackte Gipfelkamm hinter dem Lac Léman, mit dem Château de Chillon im Vordergrund links: ein ikonisches Bild der Schweiz, auf Gemälden, Plakaten und Fotos. Was für ein Anblick aber, wenn die untergehende Sonne einen der sieben Gipfel nicht beleuchtet. Ein schlimmes Zeichen? Mais bien-sûr, in einem roman policier. Philippe Tauveron hat seine «Meurtres en Suisse. Mystère à Champéry» wie ein Tagebuch über eine Skiwoche in Champéry und im grenzüberscheitenden Gebiet Portes du Soleil verfasst, mit Angaben zu den Pisten und Beizen. Aber wenn die Schatten über den Mittagszähnen immer auffälliger mit fatalen Geschehnissen übereinstimmen, wer steckt dann dahinter? Einheimische, Touristen? Mon Dieu, so ist Skifahren kein Plaisir mehr!

«Diesmal schien es ewig zu dauern, gleichwohl keine außerplanmäßigen Pausen eintraten und er die Bequemlichkeit der Polsterbank zu schätzen wusste. Er rumpelte durch den Zwischenhalt und war hingerissen vom Rundumblick, als die Blase zur Bergspitze aufstieg.
Soweit er in jede Richtung schauen konnte, gleißten die gebieterischsten schartigen Gipfel in der Sonne. Er versucht auszuknobeln, welcher der Mont Blanc war, welcher Mont Vélan, der Grand Combin, die Grandes Jorasses: die höchsten Berge Frankreichs, Italiens und der Schweiz. Der viele Neuschnee die Tage war bis hinunter auf die Talsohlen gefallen, und alles lag unter einem weißen Teppich begraben. Es war ein grenzenloses Wunderland.»

Fast grenzenlos verwunderlich ist auch dieser Ausschnitt. Nicht mal das mit den höchsten Bergen der Schweiz. Diese liegen bei Zermatt und nicht im Dreiländergebiet, in dem «Höhenangst. Der Hotelinspektor in den Alpen» von Henry Sutton spielt. Aber das Rumpeln durch den Zwischenhalt in einer Blase! Blasen mögen in Champagnerkelchen aufsteigen, aber nicht zu einer Bergspitze. Eine Luftseilbahn, bei der mehrere Kabinen an ein ständig umlaufendes Seil geklemmt sind, tut das hingegen schon, und wenn man in einer Gondel durch die Zwischenstation fährt, rumpelt es . Wenn jedoch die Gondelbahn zuweilen gar zum Skilift wird, darf die Frage gestellt werden, ob sich der Schneesturm, der das fiktive, exklusive Skiresort im Schnittpunkt der drei Alpenländer heimsucht, nicht auch auf die Übersetzung aus dem Englischen ausgewirkt hat…

«La pointe de Montagny ne présentait pas de difficulté particulière. D’abord un long zigzag jusqu’à une clairière avant de contourner la forêt pour trouver l’alpage de Rosset. La poudreuse était légère. Des plumes de duvet s’envolaient sous les bâtons, si légers qu’ils se posaient sans bruit. Seules les fixations émettaient un chuintement régulier, envoûtant. Pied gauche, pied droit, la régularité de métronome laissait l’esprit vagabonder. Avec la chute de neige de la nuit, il serait seul dans le vallon de Trécol, son jardin secret.»

Ist er leider nicht, der sympathische Laurent Bincaz. Er widersetzt sich mit Freunden einer immer beängstigenderen Inbesitznahme einer Gemeinde durch einen russischen Oligarchen, der sich einen Gipfel gekauft hat und diesen in einen luxuriösen Skitempel umgebaut hat. Denn ein Scherge von Oleg Aksakov’s Gnaden fellt auf einer andern Seite auf die Pointe de Montagny, und dann – schlimm endet die Begegnung der beiden Skitourengeher, obwohl in dieser Szene im ersten Krimi von Jacques Leleu der Schnee nicht rot wird. Die Pointe de Montagny in «Neige Rouge» ist fiktiv, das Vallon de Trécol in den savoyischen Alpen gibt es wohl, und Leichen beim Kampf um Macht und Geld leider auch. Aber warum nur lässt sich Vera, die im roten Rock aus dem Gipfelpalast flieht und sich in ein Pistenfahrzeug retten kann, in die Machenschaften einkleiden?

«Als sie den ersten Tunnel erreichten, ging der Doktor zu Boden und blieb minutenlang sitzen, während Charlotte ihm Wasser einflößte und Marlène die Wunde an seinem Kopf versorgte. Es war der Doktor selbst, der zum Aufbruch mahnte. Er hatte Schmerzen und war angeschlagen, quälte sich aber tapfer durch die drei Tunnel bis zum Point Sublime, wo Marlène den Notruf wählte. 30 Minuten später jagte ein Rettungswagen die Serpentinen herunter.»

Der Point Sublime ist kein eigentlicher Gipfel, aber ein bekannter Aussichtspunkt an der Gorges du Verdon, dieser 21 km langen und bis zu 700 Meter tiefen Schlucht in der Provence, Mekka der Kletterer, aber auch der Canyonisten und Wanderer. Im Grand Canyon du Verdon startet und schliesst Georg Heinzen seinen Côte d’Azur-Krimi «Ich schenk dir einen Mord», jeweils mit Rettungsaktionen bei gefährlichem Wetter. Zu Beginn mit David, am Schluss mit Marlène. Die Hauptfiguren sind bzw. waren ein Paar, er wird im Verlauf der Lektüre immer unsympathischer, sie nicht. Ein Ferienkrimi, den man auch im Sense-Canyon lesen darf, besser bei azurblauem Himmel als bei schwarzen Wolken.

«Die Böschung linker Hand schien streckenweise zum Greifen nahe und bestand aus dornigem Gestrüpp, während rechter Hand Anacapri zu sehen war, kleine weiße Häuser, wie über die Anhöhen gewürfelt. Dahinter schimmerte das Meer in leuchtenden Blautönen, und mittendrin thronte Ischia, die grüne Insel. All das hatte der unbekannte Mann, Alessandro, Stammgast der seggiovia, auf seiner Fahrt auf den Monte Solaro vor nicht mal einer Stunde auch gesehen, bevor er plötzlich gestorben war. Ob er gespürt hatte, dass der Tod nahe war?»

Der Monte Solaro (589 m), Top of Capri, locker erreichbar mit dem Einersessellift. Wenn man unterwegs nicht erledigt wird. Leichen auf und in Liften, eine beliebte Krimiszene (wie zum Beispiel in «Höhenangst»). Aber dass jemand sein Leben in einem schwebenden Einersessel lässt, ist doch ungewöhnlich. Luca Ventura spielt in «Grünes Gold», seinem sechsten Capri-Krimi um die Inselpolizisten Enrico Rizzi und Antonia Cirillo, erneut mit den Sehenswürdigkeiten der weltberühmten und entsprechend überlaufenen Insel im Golfo di Napoli. Doch auf ausgesetzten Pfaden sind Kriminelle und Touristen alleine unterwegs – und begegnen sich nur auf den Buchseiten. Apropos Buch: Auf der Übersichtskarte zu Capri hätte man den Monte Solaro schon einzeichnen können.

«Sie standen auf dem Gipfel der Welt. Zur Rechten der Miklluni Peak, zur Linken der Mount Kanuyaq, zu ihren Füßen das ‹Kind› und in ehrfurchtsvollem Abstand vor der stolzen Majestät des Angiaak versammelt der Rest der schroffen Zinnen. Von unten gesehen achtungsgebietend, wirkten sie aus der Höhe beinahe unterwürfig. Kates Blicke wanderten von ihnen zum Mond und den Stern noch über ihnen, und zum ersten Mal begriff Kate den wahren Reiz des Bergsteigens.»

Eine neue Region auf der Krimi-Landkarte: Alaska. Wenigstens auf Deutsch. Denn Dana Stabenow, 1952 in Anchorage geboren, schreibt schon seit einigen Jahren Krimis. Die 1992 gestartete Kate-Shugak-Reihe umfasst 23 Bände; die Übersicht findet sich hier: https://www.bookseriesinorder.com/dana-stabenow/. Natürlich musste für die deutschen Ausgaben der Ort des Geschehens auf den Titel: nach «In der Kälte Alaskas» erschien in diesem Frühling «Weit draußen in Alaska». Im Original heisst der zweite Band «A Fatal Thaw» – übersetzt «Tödliches Tauwetter». Hoffentlich passiert uns das weder auf der Bürglen (2165 m) noch auf der Haute Cime (3257 m) der Dents du Midi oder auf dem Angiaak Peak (2041 m) in den Northwest Arctic Mountains. Und wenn – dann nur auf Papier.

Paul Lascaux: Berner Revolte. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2025. € 16,00.

Philippe Tauveron: Meurtres en Suisse. Mystère à Champéry. Moissons Noires, La Crèche 2024. € 7,90.

Henry Sutton: Höhenangst. Der Hotelinspektor in den Alpen. Band 3 der Hotelinspektor- Reihe. Kampa Verlag, Zürich 2025. Fr. 24.90.

Jacques Leleu: Neige rouge. Guérin/éditions Paulsen, Paris 2025. € 18,00.

Georg Heinzen: Ich schenk dir einen Mord. Côte d’Azur-Krimi. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2025. € 14,00.

Luca Ventura: Grünes Gold. Der Capri-Krimi. Diogenes Verlag, Zürich 2025. € 18,00.

Dana Stabenow: Weit draußen in Alaska. Ein Fall für Kate Shugak. Kampa Verlag, Zürich 2025. Fr. 26.90.

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