Von Flüssen, Frauen und Refugien

Bergthemen werden natürlich auch in Zeitschriften aufgenommen. Ein Blick auf fünf besondere Hefte.

«J’ai fait avec le général Vial des courses charmantes aux environs de Berne; l’Arno entoure la ville; il anime et embellit tout le paysage, et chaque pas conduit à des sites qu’il faut admirer. Berne a une cathédrale et deux hospices qui méritent d’être visités par les voyageurs. La ville est bâtie sur la hauteur; on trouverait difficilement un point de vue aussi beau que celui qu’on découvre de la plateforme de Berne.»

Ein schöner Verschreiber der berühmten französischen Porträt- und Landschaftsmalerin Élisabeth Vigée Le Brun (1755–1842) in ihrem ersten Brief an Madame la Comtesse Vincent Potocke, née Masalka, geschrieben während ihren Besuchen der Schweiz in den Jahren 1807 und 1808. Natürlich kannte die Kunstmalerin, die auf der Flucht vor den Wirren der Französischen Revolution zwölf Jahre lang durch Europa reiste, die Namen der Stadtflüsse von Florenz und Bern. Aber vom Arno zur Aare ist man beim Schreiben halt rasch geschwommen…

Den Namen Élisabeth Vigée Le Brun sagte mir – es sei zähneknirschend zugegeben – nichts. Hingegen kam mir ihr berühmtes Gemälde von Germaine de Staël, der einflussreichen Schriftstellerin aus Genf, bekannt vor, auch dasjenige vom Unspunnenfest bei Interlaken im Jahre 1808. Nun konnte ich die Bildungslücke schliessen, mit dem Beitrag „Auf Grand Tour mit Louise Élisabeth Vigée Le Brun“ in „Wege und Geschichte“, der Zeitschrift von ViaStoria, Stiftung für Verkehrsgeschichte. Das Heft vom Dezember 2021 befasst sich mit „Frauen unterwegs“. Auf dem Cover das Werbeplakat des französischen Malers Henry Ganier für den Besuch der Jungfrauregion, mit einer eleganten Touristin hoch zu Ross, die von einer einheimischen Frau in Tracht ein Glas frische Milch erhält. Très chic! Und perfekt passend zum Beitrag „Frauen in der Verkehrswerbung der Zwischenkriegszeit“. Überhaupt ein ganz tolles, von A bis Z lesenswertes Heft.

Das lässt sich auch vom Juni-Heft 22 sagen, das sich den „Wasserwegen“ widmet. Über die nicht ganz durchgehende Verbindung von der Rhone zum Rhein durch das schweizerische Mittelland, mit dem gebauten Canal d’Entreroches bei La Sarraz, konnte man schon ein paar Mal lesen; aber daran erinnert werden – noch besser: durch diesen eindrücklichen Kanal im Mormont-Hügel zu wandern –, gibt eine Vorstellung, wie wichtig Wasserwege waren und sind. Auch Pietro Caminadas Kanalprojekt über den Splügenpass und die Ableitung der Kander in der Thunersee sind nicht ganz unbekannt. Spannend und für mich neu der Beitrag, wie die Wasserwege für die Entwicklung der Glarner Textilindustrie mitentscheidend waren. Auch das für den Dezember 2022 geplante Heft von Wege und Geschichte zu den Polenwegen wird ein hochinteressantes Kapitel der jüngeren Schweizer Berggeschichte beleuchten.

Und wenn wir schon fast von der Rhone zum Rhein gepaddelt sind. Die Sommer-Ausgabe der Zeitschrift „L’Alpe“ befasst sich mit „Le Rhône – Une civilisation fleuve“. Über den wasserreichsten Strom Frankreichs, der zuerst auf 264 Kilometern durch die Schweiz raucht, liesse sich wohl eine halbe Bibliothek füllen. Acht Beiträge zeigen besondere Aspekte dieses Alpenflusses, der den Jura durchquert und dann entlang dem Massif central Richtung Mittelmeer fliesst. Besonders sehenswert das Portfolio „Rhodanie“ von Bertrand Stofleth, der mit acht Fotos Bedeutung und Vielfältigkeit der Rhone aufschlägt. Ebenfalls von besonderem Interesse, gerade heute mit der befürchteten Energieknappheit: die Talsperre Génissiat, welche die Rhone bei Injoux-Génissiat, etwa 40 km unterhalb des Lac Léman, zu einem schmalen See von ca. 20 km Länge aufstaut. Bei ihrer Fertigstellung 1948 war Génissiat die grösste Wasserkraftanlage Europas.

Restons en France! Aber nicht im Tal, sondern in der Höhe. In einer Hütte, in einem Refuge oder einer Cabane. Die Zeitschrift „Montagnes Magazine“ hat in der Mai-Nummer einen „Guide des Refuges“ zusammengestellt, mit 30 Hütten, die unter zwei Stunden, zwischen zwei und drei Stunden oder in mehr als drei Stunden erreichbar sind. Ein paar Namen dürften vielleicht bekannt sein, wie das Refuge des Cosmiques zwischen Aiguille du Midi und Mont Blanc de Tacul. Oder das Refuge des Merveilles im Mercantour, wunderbar am Fuss des Mont Bégo gelegen, der für seine prähistorischen Felszeichnungen bekannt ist. Aber das Refuge de la Cougourde oder das Refuge du Chatelleret? Aucune idée, wo die liegen. Sind eine Wanderreise wert. Das Heft beschäftigt sich zudem mit allgemeinen Themen zu Hütten, zum Beispiel über die unstabile Zukunft, wenn der Gletscher weggeschmolzen ist und seine Seitenränder nun zusammenfallen. Oder zur Geschichte der Errichtung von Hütten für die Touristen, mit oder ohne Gipfelambitionen.

Apropos Tourismus: Das November-Heft 2021 von „informationen“, der Wissenschaftlichen Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945, befasst sich mit „Tourismus & Nationalsozialismus“. Auf dem Cover ist das Chalet von Adolf Hitler in seiner Wahlheimat Obersalzberg oberhalb von Berchtesgaden in den Bayerischen Alpen abgebildet, aber nicht das gebaute, sondern als Spardose, inkl. Hakenkreuzfahne. Nach der Machtübernahme Hitlers pilgerten seine Anhänger und Neugierige, so lesen wir im Beitrag „Täterort und Tourismus“, in grosser Zahl auf den Obersalzberg. Und noch immer wird dieser verfluchte Ort von Tausenden von Leute aufgesucht, die seit über zwanzig Jahren aber von einem Dokumentationszentrum empfangen und begleitet werden, was dazu beiträgt, „Mystifizierung, Legendenbildung und Überhöhung eines verschämt im Wald versteckten Unortes zu verhindern“. Joachim Schindler, die Eminenz der Klettergeschichte in der Sächsischen Schweiz, schreibt seinerseits über „Seilschaften auf dem Weg in die Katastrophe.“ Und streift kurz das Schicksal der jungen jüdischen Dresdner Bergsteigerin Ilse Fleischmann, die bis zu ihrer Inhaftierung durch die Gestapo am 1. Juni 1944 trotz Einschränkungen aller Art immer wieder zu klettern wagte. Mehr zu dieser aussergewöhnlichen Frau (1922–2009) in Schindlers Buch „Rote Bergsteiger. Ihre Spuren in der Sächsischen Schweiz und im Osterzgebirge“.

Frauen unterwegs. Wege und Geschichte. Zeitschrift von Via Storia, Stiftung für Verkehrsgeschichte, Heft 2/2021. Werd & Weber Verlag Thun/Gwatt. Fr. 18.-

Wasserwege. Wege und Geschichte. Zeitschrift von Via Storia, Stiftung für Verkehrsgeschichte, Heft 1/2022. Werd & Weber Verlag Thun/Gwatt. Fr. 18.-

Le Rhône – Une civilisation fleuve. L’Alpe, N° 97, été 2022. Éditions Glénat Grenoble. Fr. 26.-

Guide des refuges. Montagnes Magazine, N° 503, mai 2022. Nivéales Médias Grenoble. € 6,90.

Tourismus & Nationalsozialismus. informationen. Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945, Nr. 94, November 2021. Frankfurt/Main. € 6,50. www.widerstand-1933-1945.de

Élisabeth Vigée Le Brun: Souvenirs 1755–1842. Texte établi, présenté et annoté par Geneviève Haroche-Bouzinac. Honoré Champion Éditeur, Paris 2008.

Joachim Schindler: Rote Bergsteiger. Ihre Spuren in der Sächsischen Schweiz und im Osterzgebirge. Alternatives Kultur- und Bildungszentrum, Pirna 2021.

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