Wandern im Bikerparadies

Einmal wandern statt klettern in Finale Ligure. Lässt uns eine altbekannte Gegend mit neuen Augen sehen – und kritischem Blick.

Einst waren wir Kletterer unter uns, Finale Ligure war unser Mekka. Jahr für Jahr. Irgendwann hörten wir Lorenzo und Gallo diskutieren, von Biken war die Rede. Wir hörten nicht hin. Finale war klettern, punkt. Doch dann rollten sie an, vereinzelt, in Gruppen, in Massen. Nichts gegen Biker, sie sind Sportler wie wir, wir stören uns nicht. Ihnen gehören die Strassen, die Wege, Trails, uns die Wände. Man grüsst sich, man winkt sich zu. Es gibt Kollegen, die sind beides. Wenn’s regnet Biker, wenn die Sonne scheint Kletterer. Abends auf der Piazza Garibaldi in Finalborgo fahren sie ein mit ihren schmutzgepflasterten Bikes, die Downhiller mit Helmen und Knieschutz wie Figuren aus «Herr der Ringe». Inzwischen bringen die Biker das Geld in die Gegend, fast jedes Hotel ist auch ein Bikehotel, es gibt Bikeshuttles, die Herr und Herrin und Gefährt hinauf auf die Hügel fahren, dann geht es im Trail scharf bergab bis ans Meer.

Finale ist aber auch ein schönes Wandergebiet, das wir gegenwärtig erkunden. Das Wegnetz ist abwechslungsreich, gut markiert, mit der lokalen Wanderkarte verirren wir uns nur selten in den Tälern, im dichten Gebüsch, auf den Höhen. Oft sind die Wege auch Bikerouten, und das macht sie gelegentlich unwegsam. Zerfahren, zerfurcht, werden die Wege bei Regen zu Bächen, die Erosion wäscht sie aus, zurück bleibt eine Schuttrunse, da und dort gegen einen Meter tief und zwei Meter breit. Die Ränder sind steil, oft nackter Fels, so dass wir Wanderer buchstäblich an den Rand gedrängt werden, der auch kaum zu begehen ist. Manche Kurven sind so ausgefahren, dass sie kleinen Halfpipes gleichen. Sicher ist es ein megageiles Gefühl, so einen Steilhang hinabzukurven. Zum Glück sind in diesen Tagen nur wenige Biker unterwegs, sonst würde eine Begegnung zwischen uns und einem rasenden Downhiller geradezu lebensgefährlich.

Nicht nur prekäre Vegetation geht durch diese kahlen Schuttstreifen kaputt, auch alte mit Naturstein befestigte Wege lösen sich auf, an einer Stelle haben wir auch einen der so genannten «Rockpfade» gesehen, für den Breschen in alte Steinterrassen gerissen wurden. Klar, das jahrhundertealte Kulturgut der von Buschwerk überwachsenen Steinwege und Terrassen hat heute keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr wie einst, als es die Menschen hier ernährte. Trotzdem finden wir es respektlos gegenüber der alten Kultur und der Natur, wie für einen modischen Sport mit beidem umgegangen wird.

Vielleicht sind sich die schnellen Biker dessen gar nicht bewusst; ohne den Boden zu berühren flitzen sie durch die Landschaft mit andern Augen und Sinnen als wir bedächtigen Wanderer. Als Kletterer haben wir das Problem ja auch nicht bemerkt, auch unser Sport ist in Bezug auf die Umwelt nicht unproblematisch. Auch Wanderwege verursachen eine gewisse Erosion, das ist uns auch bewusst.

«Das 100 Kilometer lange Pfadnetz von Finale Ligure hat bereits Kultstatus» lese ich in einem Mountainbike Magazin. Biker aus aller Welt treffen sich hier. Ich glaube, dass in mehreren Ländern, aus denen sie anreisen, bei ähnlichen Umweltschäden längst Unweltverbände protestiert und Behörden Verbote erlassen hätten. Hier in Liguren ist man offensichtlich tolerant oder gewichtet den wirtschaftlichen Nutzen höher als die Schäden. Oder dann nimmt das Problem gar niemand wahr, ausser ein paar Wanderern.

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