Wandern über Hängebrücken

Zwei neue Führer über Hängebrücken in der Schweiz, die allerdings teilweise zu fest durchhängen.

«An einer der wildesten Stellen liegt auf einigen mächtigen Felsblöcken, die der Wuth des schäumenden Stromes Trotz bieten, ein schwankender Steg, der von dieser Seite den einzigen Zugang zu dem jenseitigen Dörflein Wyler darbietet. An einer andern Stelle bilden ein Paar quer über den Strom hingestürzte Tannen eine natürliche Brücke, über welche aber die durcheinander gewirrt emporstehenden Aeste den Uebergang verwehren.»

Ausschnitt aus „Reise durch das Berner Oberland nach Unterwalden: für die Jugend beschrieben, von Fr. Meisner, Professor der Natur-Geschichte in Bern“, dem zweiten Band seiner vierbändigen Reihe „Kleine Reisen in der Schweiz, für die Jugend beschrieben“, erschienen von 1820 bis 1825 bei J. J. Burgdorfer in Bern, jeweils mit Frontispiz und Titelvignette geschmückt, 200 bis 250 Seiten dick und 11 x 16,5 cm gross. Ein Exemplar hätte also gut im Rucksack Platz, bloss sind die Bändchen etwas gar kostbar. Die Lektüre empfiehlt sich also zu Hause in der Stube, oder dann online. Wer mehr zum Autor Friedrich Meisner (1765–1825) wissen will, findet einen ausführlichen Beitrag auf Wikipedia.

Die Titelvignette zeigt einen wie im Ausschnitt erwähnten schwankenden Steg. Ob es allerdings derjenige von Gsteigwiler ist – der Ort bei Wilderswil hiess früher nur Wiler –, bleibt etwas unsicher, denn am Bildrand oben ist das Wetterhorn sichtbar. Und von Gsteigwiler sieht man den Hausberg von Grindelwald nicht. Der Steg seinerseits macht einen ziemlich wackeligen Eindruck, doch sieben Jugendliche balancieren locker darüber.

Genau das wollen wir auch erleben. Das spezielle Gefühl, auf einer eher schmalen, sich leicht bewegenden Brücke einen Abgrund, eine Schlucht oder ein Wildwasser zu überqueren. Der Schritt weg vom sicheren Ufer – und die mehr oder wenig stark erhoffte Rückkehr dorthin. Unvergesslich! Zum Beispiel der Gang über die Charles-Kuonen-Hängebrücke oberhalb von Randa, mit 494 Metern die längste Fussgängerhängebrücke der Alpen; bis 2021 war sie gar die längste in Europa, aber die im April 2021 eröffnete Arouca-Brücke in Portugal verschafft noch 22 Meter mehr Adrenalinschübe. Der Führer „Wandern über Hängebrücken“ stellt 72 Touren in der ganz Schweiz vor, meistens mit nur einem schwankenden Steg, da und dort aber mit mehreren (wie am Bisse du Torrent Neuf im Unterwallis), und einmal gar mit keinem (in der Cholerenschlucht bei Adelboden). Die Wanderinfos sind teils etwas gar mager (so grad am Torrent Neuf, wo sich mit Postautos eine feine Rundreise machen liesse), vor allem aber fehlen bei den Hängebrücken manchmal die Angaben zu Länge und Höhe über dem tiefsten Punkt.

Der Führer „Randos passerelles. Itinéraires en Suisse romande“ verursacht hingegen Schwindelgefühle. Die Angaben zu den Hängebrücken sind zwar genau, dafür fehlen diese auf den Kartenskizzen. Richtig ins Schwanken kommt die handliche Publikation mit der Auswahl. Neun der 25 Brückentouren liegen gar nicht in der Romandie, sondern im Oberwallis. Dass es im Waadtland und im Canton de Fribourg mehr als die drei vorgestellten Passerelles gibt, entging dem Autor. Und dass die Kantone Genève, Neuchâtel und Jura ebenfalls zur Suisse romande gehören – und auch Erlebnisse auf schwankenden Stegen bieten, wie die Passerelle de Clairbief über den Doubs: Das fiel irgendwie zwischen die Holzbretter, mit denen diese Hängebrücke aufwartet. Tant pis!

Wandern über Hängebrücken. Reihe Erlebnis Schweiz. Hallwag Kümmerly+Frey, Schönbühl 2022. Fr. 27.- www.swisstravelcenter.ch

Gilbert A. Rouvinez: Randos passerelles. Itinéraires en Suisse romande. 180° éditions, 2022. Fr. 25.- www.rando-en-boucle.ch

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