Weiss wie Schnee

Meisterwerke der Fotografie von zwei Meistern, Landschaften meist in schwarzweiss und meist menschenleer. Visionen? Zeitbilder? Politische Statements? Oder einfach Kunst im Trend? Mal wuchtig, mal zart – grossartig anders.

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„Ich wusste vor allem, was ich nicht wollte: Ich wollte mit meinen Bildern weder das Bündnerland repräsentativ wiedergeben noch die Schönheit der Bündner Berge aufzeigen. Ich war nur auf der Suche nach Bildern, die ich nicht kannte, nicht erwartete und die ich nicht bereits im Kopf hatte. Ich suchte unbekannte Bilder in der mir bestens bekannten Bündner Landschaft. Ich lernte einen neuen Zugang zum Gebirge kennen – als Bergsteiger und als Fotograf. Ich begann zu begreifen, dass ich mich von Gewohnheiten und Vorstellungen lösen musste – Prognose, Wetter, Licht, Landschaft, Zeitplan: Ich musste einfach in dieser Landschaft unterwegs sein. Als Jäger, auf der Suche nach einem Tier, von dem ich nicht wusste, wie es aussah. Gefunden habe ich Bilder, welche die Kraft und die Vielfalt dieser Landschaft wiedergeben.“

Schreibt der Zürcher Fotograf Robert Bösch im Vorwort zu seinem neuen Buch. Wenn ich richtig gezählt habe: seinem fünfzehnten Buch seit 1988, in dem er der alleinige Fotograf ist. „Aus den Bündner Bergen“ heisst sein vor ein paar Tagen erschienenes Werk ganz einfach und etwas brav vielleicht; die Titel früherer reiner Fotobände lauten „Lightmare“ und „Moments“. Aber man lasse sich eben nicht täuschen von einem geografischen Begriff, und schon gar nicht von Vorstellungen, da werde einem die schönsten Seiten der Ferienecke der Schweiz gezeigt. Von wegen. Was Röbi Bösch da zwischen Rätikon und Bergell mit seiner Nikon gefunden hat, ist grossartig – und grossartig anders. Mal wuchtig, mal zart, meistens schwarz-weiss, da und dort farbig, wenn die Farbe genau zum Bild passte. Menschenleere Landschaft, nur ganz selten ein Weg, eine Passstrasse, eine Trockensteinmauer, eine Alphütte, ein Weiler, eine (vergängliche) Skispur. Mitten im Bild: Fels und Gras, Schnee und Eis, Wolken und Wasser, ein paar Bäume. Ja, viel Schnee, weil dieses flüchtige Material das scheinbar ewig Felsigfeste noch kräftiger akzentuiert, den Charakter einer Landschaft noch besser hervorhebt. Wenn sie denn zum richtigen Zeitpunkt, mit dem richtigen Licht abgebildet wird. Die Cima dal Largh im Bergell, fotografiert am 17. Februar 2015 um 16.10 Uhr: Was für ein Bild, was für ein (Bündner) Berg! Oder der Vadret da Roseg, aus der Luft aufgenommen an einem Mittag im August: eine eisige Haut voller Risse, eine sterbende Lebendigkeit. Verewigt nun auf einer doppelseitigen Aufnahme in einem dicken, grossen und schweren Buch mit 208 Seiten und 100 Fotografien. Wunderbar stark.

Und wenn wir schon fotografisch in den Bergen unterwegs sind. Von einem anderen Schweizer Fotografen ist ebenfalls ein sehr gediegenes Werk erschienen, sein erstes, wenn ich es richtig sehe. „Silent“ des Bündners Stefan Schlumpf. Stille schwarz-weisse und farbige Fotos, meistens von Bergen, Gletschern und Steinbrüchen, aber auch von Menschen, die sich darin mit einem grossen Spiegel verdoppeln, ein paar Porträts da und dort eingebunden. 74 teils ausklappbare Seiten mit Fotografien, 16 Seiten Text, mit Leinen kaschiertes Titelbild, Knotenfadenbindung. Am eindrücklichsten finde ich die Aufnahmen von „Hidden Landscape“, wofür Schlumpf in diesem Jahr beim Sony World Photography Awards mit dem dritten Platz ausgezeichnet wurde. Bilder mit Abdeckfolien auf dem Eis: mit der Kamera festgehaltene Momente der Versuche, mit Textilien das durch die Klimaerwärmung bedingte Abschmelzen der Gletscher aufzuhalten. Da sind neue gebirgige Landschaften entstanden, die wir, fasziniert und fröstelnd zugleich, in der warmen Stube anschauen. Sackstark.

Kurz: Zwei Meister ihres Fachs, zwei Generationen (Jahrgang 1954 der eine, 1975 der andere). Die Covers ihrer jüngsten Werke sind beide – weiss, schlicht weiss.

Robert Bösch: Aus den Bündner Bergen. Fotografien. NZZ Libro, Zürich 2016, Fr. 138.- Erhältlich im Buchhandel oder www.robertboesch.ch

Stefan Schlumpf: Silent. Eigenverlag, Chur 2016, Fr. 58.- Bestellungen direkt per Mail: photo@stefanschlumpf.com.

Ausstellungseröffnung und Buchvernissage von Robert Böschs „Aus den Bündner Bergen“ am Donnerstag, 17. November 2016, von 18 bis 21 Uhr in der Galerie Bildhalle am Stauffacherquai 56 in 8004 Zürich. Die Ausstellung dauert bis 14. Januar 2017; www.bildhalle.ch.

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