Der Berg ruft, heisst ein Gemeinplatz. Geht’s um den Weissenstein, so ruft der Berg nach Bahn. Dabei gibt’s ja auch schöne Wanderwege hinauf und jetzt, wo der Weissenstein wirklich weiss ist, geht’s auch mit Ski und Fellen. Das vorgestellte Buch wendet sich jedoch definitiv nicht an die Selbstbeweger, sondern an jene, die gerne schweben oder sässelen oder sich schleppen lassen. Und davon gibt’s bekanntlich mehr als genug.
“Die Alpenansicht vom Weissenstein ist namentlich im Winter unvergleichlich; während ein unendliches Nebelmeer über Tälern und Hügeln wogt, leuchtet oben die strahlende Sonne und spendet gesunde Wärme bis zu 32° Celsius; dazu grüsst aus dem Süden der glitzernde Kranz der Alpen vom Säntis bis zum Mont Blanc, und im Norden erheben sich, Inseln gleich, die Erhöhungen der Vogesen und des Schwarzwaldes aus dem grauen Meer. Der Weissenstein bietet vor allem ein vorzügliches Skiterrain, namentlich für Anfänger; ein zum Kurhaus gehöriges Gebiet von über 100 Hektar, in dem Sprunghügel errichtet sind, ist für ausgiebiges Training ganz besonders geeignet.“
Diese Aussichten auf Berge und Bewegung oberhalb der „reizenden mittelalterlichen“ Stadt Solothurn verspricht der 1912 in zweiter Auflage erschienene Führer „Winter in der Schweiz: Wintersport und Winterkuren“ von Adolf Eichenberger und seinen Mitarbeitern wie Alt-Nationalrat Dr. Albert Gobat, Jacob Christoph Heer, Pfarrer Camill Hoffmann und Gustav Hügel. So möchte ich auch zum Nachnamen heissen, um über Wintersport zu schreiben: Hügel. Allerdings schrieb der Gustav kaum übers Skifahren, wie mich Wikipedia belehrte: Der Österreicher wurde 1887, 1889 und 1900 Weltmeister im Eiskunstlauf.
Doch zurück auf den Weissenstein, den Solothurner Hausberg mit dem Kurhaus auf 1284 Meter über dem Mittelmeer. Der Führer von 1912 empfahl den Aufstieg mit Wagen von Gänsbrunnen, mit dem Schlitten von Oberdorf – und natürlich zu Fuss von Solothurn aus. Dabei wäre es damals schon möglich gewesen, mit einer Drahtseilbahn an die winterliche Wärme zu rattern – wenn sie denn gebaut worden wäre. Die Konzession für ein solothurnisches Projekt lag am 21. Dezember 1904 vor und wurde gar bis zum 1. Januar 1915 verlängert. Nur eben, in die Tat und Juralandschaft wurde es nicht umgesetzt, sowenig wie eine Zahnrad- und eine Luftseilbahn, deren Projekte ebenfalls in jenen Jahren eingereicht wurden. Und auch der Personen- und Güteraufzug „Porta Jura“, der aus dem Weissensteintunnel der Solothurn-Moutier-Bahn in einem 500 Meter tiefen Vertikalschacht auf die sonnige Matte geführt hätte, blieb spätestens im Oktober 1935 im Dunklen, als das Projekt zurückgezogen wurde. Die Idee der „Porta Alpina“ im Gotthard-Basistunnel war also nicht so revolutionär, wie man vielfach glaubte.
Doch nach dem Zweiten Weltkrieg war es endlich möglich, mit der Bahn zum Kurhaus zu fahren: mit der von-Roll’schen Sesselbahn des Typs VR 101. Quer zur Fahrtrichtung sitzend, Wind und Wetter ausgesetzt, schwebten die Besucher vom 29. Dezember 1950 bis zum 1. November 2009 in die unvergleichliche Höhe und wieder hinab. Die Sesselbahn am Weissenstein war die zehnte ihrer Art in der Schweiz. Total wurden schweizweit 13 VR-101-Bahnen (ohne temporäre Anlagen) gebaut: 12 Sessel- und 1 Gondelbahn. Die erste Anlage dieser ersten kuppelbaren 2er-Sesselbahn der Welt entstand 1945 in Flims. Das System war ein Verkaufsschlager. So waren an der Weltausstellung in New York 1964/65 gleich zwei VR 101 mit Frischluft-Kabinen à vier Personen in Betrieb – der Swiss Sky Ride.
Die Bergbahngeschichte am weissen Solothurner Hügel von den Anfängen bis zur neuen Gondelbahn, mit Schwerpunkt auf der altehrwürdigen Sesselbahn, um deren Erhalt jahrelang gekämpft und gestritten wurde: Das schildert ein sehr schön gemachtes Buch, mit vielen spannenden Themen nicht nur für Bahntechnik-Freaks, mit tollen Fotos von der nun abgebrochenen Sässelibahn, mit einer Übersicht über alle VR-101-Bahnen in der Schweiz und mit einem Film (in der beigelegten DVD).
Wie seilbahn-weissenstein.ch zu entnehmen ist, sind heute die Schlittelwege Nord und Süd offen. Am 21./22. Februar 2015 finden zudem die 1. Schneesporttage auf dem Weissenstein statt, mit Langlaufen, Biathlon, Schneeschuh- und Winterwandern, Schlitteln, Raclette-Hüsli, Schneebar und Après-Ski. Skifahren? Das war gestern. Zum Beispiel am 8. Februar 1908, beim ersten Skirennen auf dem Weissenstein. Die Abfahrtsstrecke, so heisst es im Buch „Der Weissenstein bei Solothurn. Natur und Geschichte unseres Juraberges“ von 1952, „erstreckte sich vom Weissensteinsignal oberhalb des Kurhauses in gerader nordwestlicher Richtung ein Stück den Schitterwald hinunter. Dann stapften die jungen Fahrer unter den blitzenden Kristallgirlanden des schweigenden Forstes hinauf über die schneeige Weite bis zur Röti und glitten stolz zum Kurhaus zurück.“
Die Sesselbahn am Weissenstein 1950–2009. Bergbahngeschichte von 1904-2014. Dokumentiert von Christian Schneider, Benjamin Forter, Wolfgang Wagmann, Katharina Arni-Howald, Toni Kaiser und Peter-Lukas Meier. Rothus Verlag, Solothurn 2014, Fr. 48.-