Welten aus Fels und Eis

Ein Pionierwerk der Alpinen Fotografie, mit hervorragenden Bilder und kleinen Unschärfen.

9783038234432

„Von halb eins an hatte ich noch 3 Stunden photographische Arbeit vor mir, und wollte doch Abends, wenn auch spät, zurück sein zu den Fleischtöpfen des Riffelhauses.“

Ende Juli 1867 bestieg der Strassburger Kaufmann Jules Beck (1825-1904) mit seinen zwei Führern vom Hotel Riffelberg aus den Monte Rosa. Rund 30 Meter unterhalb der Dufourspitze (4634 m), des höchsten Gipfels der Schweiz, stellten sie die Kamera auf, einen „Apparat von Koch (à Paris, rue St. Antoine, 8 impasse Guemened) à cone tournant pour demi plaque“. Beck listete im Artikel „Ueber Photographie in höheren Alpenregionen“, erschienen im vierten Jahrbuch des Schweizer Alpen-Club von 1867, das ganze Aufnahmematerial detailliert inklusive Bezugsquelle und Preis auf. Beck konnte aber nicht nur damit umgehen, sondern auch mit dem Stift. Das macht seine Berichte immer noch vorzüglich lesbar. Und war damals auch nötig: Seine Leser konnten nämlich die im Text beschriebenen Fotos nicht sehen, jedenfalls nicht dort, wo die Berichte über das Fotografieren in höheren Alpenregionen veröffentlicht wurden. Jules Beck, einer der ersten Fotografen, der die Kamera auf die Gipfel hinaufnahm, musste sozusagen so spannend „reden“ über seine neue Art, die Berge zu zeigen, dass die „Zuhörer“ sich hoffentlich aufrafften, seine Produkte an einem zentralen Ort wie das Clublokal einer Sektion anzusehen – und vielleicht auch zu erstehen. Zur Tourenplanung oder als Wandschmuck.

Soweit ein Blick zurück in die Anfänge der Bergfotografie. Wer sich dafür und für die Zeit zwischen Jules Beck und heute interessiert, sollte einen neu herausgekommenen Bildband ansehen – und vielleicht erstehen. Auf 348 Seiten präsentieren Paul Hugger und seine 15 Mitautoren die alpine Fotografie in der Schweiz aus geschichtlichen, regionalen und themenspezifischen Blickwinkeln. Rund 250 schwarzweisse und farbige Fotos von Michael Aschwanden bis Robert Würgler sind zu bewundern, viele unbekannte Fotografen zu entdecken. Ein gewichtiges Foto- und Geschichtsbuch zu den Schweizer Bergen. Allerdings hat es auch unübersehbare Unschärfen; Bilder von Robert Bösch und Thomas Ulrich, um die beiden bekanntesten heutigen Bergfotografen zu nennen, dürften in einem solchen Werk nicht fehlen. Zudem sind nicht alle Bildlegenden sorgfältig entwickelt worden: Die Foto auf S. 232 zeigt Bergführer Christian Almer und seine Frau Margrit „am 22. Juni 1896, dem Tag ihrer goldenen Hochzeit, auf der Spitze des Wetterhorns“. Tatsächlich feierten die beiden dort oben diesen ganz besonderen Tag; die Foto allerdings entstand im Studio, mit dem Wetterhorn als Kulisse. Auf diesem Berg oben hatte Jules Beck im Juli 1866 mit dem alpinen Fotografieren begonnen. In 45 Minuten machte er vier Aufnahmen, die sich jedoch als unbrauchbar erwiesen, weil er die Platten zu lange belichtet und das Stativ nicht wirklich standfest im Schnee verankert hatte. Heute sehen wir in Sekundenbruchteilen, ob die Foto brauchbar ist, und stecken die Digitalkamera anschliessend wieder in die Hosentasche.

Paul Hugger (Herausgeber): Welten aus Fels und Eis. Alpine Fotografie in der Schweiz – Geschichte und Gegenwart. NZZ Libro, Zürich 2009, Fr. 98.-

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