Die Welt in der Schweiz finden. Zwei Publikationen weisen den Weg.
«A mile further, at a waters-meet, stands Sonogno, a deserted savage-looking cluster of dingy stone houses, which, but for the whitewashed church, might be in Ossetia.»
Diesen überraschenden Vergleich zwischen Sonogno hinten im Val Verzasca und einem Dorf in Ossetien, einem gebirgigen Gebiet im zentralen Kaukasus, zieht Douglas William Freshfield in „Italian Alps. Sketches in the mountains of Ticino, Lombardy, the Trentino, and Venetia“; das Buch erschien erstmals 1875. Nicht der einzige Vergleich übrigens: Beim flachen Basodinogletscher kommt dem Autor die ägyptische Ebene in den Sinn. Ein in der Vallemaggia angetroffener Hirte, der ihm Kaffee serviert, gleicht einem orientalischen Scheich. Und der Tiefblick auf Geröllhalden zwischen den erwähnten Tälern erinnere an denjenigen von syrischen Hügeln auf Städteruinen – wenigstens für diejenigen, die diese Aussicht mal erlebt hätten. Freshfield hat sie – of course; der Präsident des Alpine Club und der Royal Geographic Society kannte sich aus im ganzen Alpenraum, auf Korsika, in den Pyrenäen, im Kaukasus, im Morgenland, in Kanada, im Himalaja, in Japan und in Afrika, ja einfach auf der halben Welt. In der Schweiz stand er als Erster zum Beispiel auf folgenden Gipfeln: Tinzenhorn, Pizzo Cengalo, Cima di Castello, Piz Varuna, Piz dal Teo.
Dass Freshfield Orte in der Schweiz mit solchen auf der Welt verglich, war ungewöhnlich. Das Gegenteil ist nämlich der Fall. In seiner Studie „Transferprozesse der Moderne. Die Nachbenennungen Alpen und Schweiz im 18. bis 20. Jahrhundert“ (Peter Lang Verlag, 2017) zählt Philippe Frei insgesamt 540 Schweiz-Nachbenennungen auf, von Little Switzerland in South Carolina bis zur Suíça Brasileira; die meisten finden sich in Deutschland, von der Altenburger bis zur Zeitzer Schweiz (je in Sachsen-Anhalt). Dazu kommen die rund 250 Matterhörner, die sich auf der ganzen Welt erheben.
In diesem Jahr aber findet der Weltenbummel der Schweizer coronabedingt im eigenen Land statt. Von der Copacabana bis Grönland, von den Dolomiten bis zu den Everglades, von den Malediven bis Neuschwanstein: Gibt es alles vor der Haustüre. Wozu also tagelang und teuer reisen – und dann eventuell noch in der Quarantäne landen bei der Rückkehr nach Helvetien? Plage des Eaux-Vives in Genève oder Château Gütsch ob Luzern sind in ein paar Stunden erreichbar. Fjorde erstrecken sich auch hier Kilometer lang und hoch. In Lenk im Simmental erwartet uns die Iguazù-Fälle bei den Sieben Brünnen sowie die Kraterlandschaft von La Soufrière auf Basse-Terre, einer der beiden Hauptinseln von Guadeloupe, auf dem Betelberg oben, gäbig erwanderbar dank der Gondelbahn. Und der Panamakanal verbindet doch den Murtensee mit dem Lac de Neuchâtel, mais bien-sûr!
Gleich zwei neue Publikationen schlagen eine Weltreise durch die Schweiz vor. Genau unter diesem Titel stellt Arthur Kilian Vogel 60 Locations vor, jeweils mit einem möglichst passenden Foto und einem kurzen Text. Nicht immer klappt der Aha-Effekt so gut wie bei Solothurn als Vilnius oder Celerina als Banff. Beim Bachalpsee will sich ein Irlandgefühl kaum einstellen, zu wuchtig und bekannt markieren Wetter-, Schreck- und Finsteraarhorn den Horizont der Berner Alpen.
Die Reisekulturzeitschrift „Transhelvetica“ verblüfft im Juni-Juli-Heft mit der Geschichte „In 80 Seiten um die Welt“. Ralf Schlatter (alias Phileas Fogg) entführt uns mit seiner Partnerin Ruth Grünenfelder (alias Passepartout) an 25 Orte hierzulande, von Hawaii über Gibraltar bis Japan, mit starken Fotos, witzigen Texten, erhellenden Vergleichen (der Christo von Pfäfers contra denjenigen von Rio), mit Vorschlägen und Tipps, was sich an einem dieser besonderen Weltorte machen, lesen, hören und essen lässt. Und, ganz fein: An jedem Ort lässt sich der Besuch mit einem Stempel bestätigen. Das Heft wird so zu einem helvetischen Weltpass. Jules Verne wäre très enchanté, Douglas William Freshfield very pleased.
Arthur Kilian Vogel: Eine Weltreise durch die Schweiz vor. Sieh, das Gute liegt so nah. Wörterseh Verlag, Lachen 2020, Fr. 34.90.
Transhelvetica, # 59, Juni-Juli 2020: In 80 Seiten um die Welt. Fr. 10.-