«Auf der Alm, di gibts koa Sünd», lautet ein alter Spruch. Wie das gemeint ist, erzählt der Alpenpionier Johann Jakob Weilenmann anlässlich eines alpinen «Schäferstündchens» vor der Besteigung des Fluchthorns im Jahr 1861. Wie Sie zu diesem und andern pikanten und spannenden Geschichten aus den Bergen kommen, erfahren Sie von unserem Rezensenten.
„Die Sennerinnen ziehen Schuhe und Strümpfe aus und ohne weitere Toilette hüpfen sie angekleidet in zwei verwegenen Sätzen ins hohe Bett hinein. Seltsam aber! Warum lassen sie einen so weiten Raum zwischen sich? Hoffentlich soll doch keiner von uns etwa… Nein! Nur der Gedanke schon ist ja empörend! — Und doch! Kaum wagt meine zartfühlende Feder das Schreckliche zu berichten — scheint so was planirt zu sein. Wer ist wohl der Auserkorene, das Opfer? Am Ende gar ich? Bin mir gar nicht bewusst, so prima vista die Gunst der beiden Damen erobert zu haben — des veni, vidi, vici — traurig genug, ach du lieber Himmel! — kann sich so ein alter Knabe selten mehr rühmen. Rasch löste sich indes das Rätsel und kaum waren sie geborgen, die Beiden, als ohne dass ein Wort vorangegangen, hinein in ihre Mitte mit kühnem Sprung, der Schäfer sich schwung! Verdutzt, kaum meinen Augen trauend, staune ich das Manöver an. Da liegt er, der Hahn im Korb, bis an die Ohren unter der berghohen Federdecke begraben und hat sicherlich nicht über Kälte zu klagen, und mir, der alleine noch im finstern kalten Hüttenraume steht, bleibt wohl nichts anderes, als aufs eine Lager mich zu werfen und an des Kühers Rücken mich zu schmiegen. Er ist ein schmutziger, blödsinniger Tropf.“
Armer Johann Jakob Weilenmann an diesem Juliabend 1861 auf der Alp Larein in der östlichen Silvretta, unweit des heute berühmten Skigebietes Ischgl-Samnaun zwischen Österreich und der Schweiz. Wie es dem Schäfer zwischen den Sennerinnen unter der berghohen Bettdecke erging, schreibt Weilenmann, Mitbegründer der Sektion St. Gallen des Schweizer Alpen-Clubs, im Bericht „Ersteigung des Fluchthorns (3403 m)“ nicht – das überlässt er der Phantasie des Lesers. Seine Nacht hingegen thematisiert er: „Übrigens lag ich über Erwarten gut und warm neben meinem düngerduftenden Schlafgenossen. Je weniger Verstand, um so mehr animalische Wärme entwickelte er.“ Während bei anderen Alpinautoren nur Gipfel, Grate und Geologie zu Papier gebracht wurden, nahm sich Weilenmanns zartfühlende Feder sozusagen auch dem freibleibenden Raum zwischen den zu besteigenden Anhöhen an: den Einheimischen auf der Alp oben und im Dorf unten, besonders dem zarten Teil. Unvergesslich die Begegnung zwischen dem bärtigen St. Galler und einer hübschen Lötschentalerin – nachzulesen teilweise auf www.bergliteratur.ch vom 21. September 2012.
Die romantisch angehauchte und allein unternommene Fahrt ins Lötschental und die sehr abwechslungs- und hindernisreiche Erstbesteigung des Fluchthorns am 12. Juli 1861 zusammen mit seinem Leibführer Franz Pöll sind mit Genuss ganz zu lesen in Weilenmanns gesammelten Schriften „Aus der Firnenwelt“. Sie kamen von 1872 bis 1877 in drei Bänden heraus und 1924 nochmals in zwei Bänden. Nun kann man diesen Doppelband günstig erstehen an einem Bücherbazar des SAC.
Der Berg der Bergbücher wächst und wächst. Damit die neuen Bergbücher noch Platz finden in der SAC-Zentralbibliothek in Zürich, müssen die Doubletten weg. Dass es dort überhaupt doppelt und mehrfach vorhandene Werke gibt, liegt vor allem daran, dass die SAC-Zentralbibliothek vor einiger Zeit die grosse Bibliothek der Sektion Uto übernehmen durfte. Die rund 2000 ausgeschiedenen Doubletten werden nun zu einem bescheidenen Preis zum Kauf angeboten.
Der Bücherbazar findet statt am Freitag, 14. November 2014, 14-17 Uhr und am Samstag, 15. November 2014, 9-17 Uhr, und zwar im Seminarraum P01.10 (auch bekannt als Seminarraum C) der Zentralbibliothek Zürich, Zähringerplatz 6, 8001 Zürich.
Wer also Weilenmanns „Firnenwelt“, Band 8 der „Clubführer Bündner Alpen – Silvretta und Samnaun“ von 1934 mit ausführlichen Beschreibungen und zahlreichen Literaturangaben oder das „Itinerarium für die Silvretta- und Ofenpassgruppe oder die Gebirge des Unterengadins“ von Eduard Imhof aus dem Jahre 1898 der eigenen Büchersammlung einverleiben möchte, sollte an diesem Novemberwochende in die Zentralbibliothek nach Zürich wandern. Ebenfalls diejenigen, die mit Otto Zwahlen den „Kampf um die Eigernordwand“ miterleben, mit Günter Oskar Dyhrenfurth zum „dritten Pol“ vordringen oder mit „Zauberberg der Männer“ bzw. „Zürichs Zauberberg“ ganz unterschiedliche Anhöhen kennenlernen möchten. Ja überhaupt alle, die Bergbücher noch gerne als Rucksack-, Sofa oder Bettlektüre haben.