Winter Wonderland

Die Kamera ist seine Waffe. Der Tiroler Lois Hechenblaikner ist ein Widerstandskämpfer gegen die gnadenlose Wintertourismusindustrie. Im Alpinen Museum Bern und einem neuen Buch zeigt er die Alpen auf «Intensivstation»: Fotos, Videos und Müllobjekte. Have fun!

„Ein ‚Widerstandskämpfer‘ von besonderer Ausdauer und mit eindrucksvollen Erfolgen ist der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner. In seiner Arbeit ergründet er seine Heimat auf eine noch nie dagewesene Weise, schafft es also, mit Bildern aufzuwarten, die oft nur aufgrund einer ganz ungewöhnlichen Hartnäckigkeit – und emotionalen Beteiligung – möglich wurden. Nachdem er schon als Kind und Jugendlicher die ersten Fremdenverkehrswellen erlebt hatte, die ab den 1950er Jahren über die Alpentäler hereinbrachen, wurde ihm spätestens seit Mitte der 1990er Jahre schmerzhaft bewusst, welche Dimensionen der zu einer Unterhaltungs- und Sinnstiftungsindustrie angewachsene Tourismus mittlerweile erreicht hat und zu was für Deformationen der Menschen und Landschaften er führen kann. Diese Erfahrung lieβ ihn fortan nicht mehr los, und seither dokumentiert er mit unermüdlicher Akribie die Zumutungen und Zurichtungen, denen seine Heimat ausgesetzt ist.“

Schreibt Wolfgang Ullrich, Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, im Nachwort zur jüngsten Publikation von Lois Hechenblaikner, die den verheissungsvollen Titel „Winter Wonderland“ hat. Aber was der einheimische Widerstandkämpfer da zeigt, ist genau die Kehrseite hinter all den Versprechungen, Veranstaltungen und Vermarktungen, welche die Tourismusindustrie ohne Rücksicht auf Verluste vorantreibt. Aber ebenso hartnäckig bleibt Lois Hechenblaikner dran, vor dem Skifahren, nachher, während des ganzen Rummels. Und unterhalb davon auch gleich noch, wenn er die Leitungen im Keller fotografiert, durch welche der Jagatee und der Glühwein fliesst.

Und wie Hechenblaikner dieses ganze gnadenlose Wintertourismusindustrie mit der Kamera festhält: dokumentarisch und künstlerisch zugleich. Das sind wunderbar gestaltete Fotos, wodurch die Wunden, welche der Natur und Kultur da im Namen des Profits und der Profilierung anhaltend zugefügt werden, noch besser zur Geltung kommen, sich noch besser bei den Betrachtern einhaken. Wir sehen Massen in grellen Anoraks vor Liftanlagen; eine fauchende Dampflokomotive, ein roter Porsche mitten auf der Piste, wie bestellt und nicht abgeholt; leere Bars im scheusslichen Après-Ski-Dekor; Flaschenhalden am Ende eines Skitages (oder auch Anfang, wer weiss das denn schon); Kunststoffabdeckungen, welche das Abschmelzen der Gletscher verhindern sollen, wie Leichentücher; Grubenlandschaften, die mehr an den Mars als an Tirol erinnern.

Lois Hechenblaikner zeigt, wie die Kommerzkultur die Berge in Besitz genommen hat, wie sie die Natur zerfurcht, mit technischer Infrastruktur überzieht und dabei Traditionen bis zur Unkenntlichkeit pervertiert. Am 1. September 2012 hat Hechenblaikner im Segantini-Museum in St. Moritz den goldenen King Albert Mountain Award für sein Werk erhalten, weil er, wie die King Albert I Memorial Foundation schreibt, „mit seinen Fotos den alpinen Tourismus wie kein zweiter auslotet und so den Wandel der Gesellschaft und Landschaft in einem wichtigen Teil der Alpen auf einen schmerzenden und goldrichtigen Punkt bringt“.

51 grossformatige, ganzseitige Fotos zeigt der sorgfältig inszenierte Band „Winter Wonderland“; den Auftakt macht eine kleine Foto mit einer gelben Hinweistafel im Schnee: „HAVE FUN“. Das haben wir. Auch wenn das Lachen im Hals stecken bleibt. Erst recht ab nächsten Freitag, 28. September 2012: Dann startet die grosse Ausstellung im Alpinen Museum der Schweiz in Bern (bis 24. März 2013).
Titel dieser fulminanten, unbedingt sehenswerten Präsentation mit Fotografien, Videoarbeiten und Müllobjekten: „Intensivstationen. Alpenansichten von Lois Hechenblaikner“. Die Vernissage findet am Donnerstag, 27. September statt: um 18.30 Uhr im Progr, dem Zentrum für Kulturproduktion in Bern, mit Ansprachen und Sound; ab ca. 20 Uhr im ALPS. Und am Samstag, 29. September um 15.00 Uhr, führt der Künstler persönlich durchs Museum. Nicht verpassen!

Lois Hechenblaikner: Winter Wonderland, Steidl Verlag, Göttingen 2012, Fr. 47.90.

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