Wintersperre

Das perfekte Werk, auch für den düsteren Frühlingsanfang 2020. Ein neuer Meilenstein von Marco Volken.

«Der Fotograf wird zum Expeditionsreisenden, der sich persönlich einer schwierigen Umgebung aussetzt und keine Gewissheit hat, ob die Reise gelingt oder abgebrochen werden muss. Eine Art Polarforscher unweit der Haustür. Polar waren manchmal auch die Wetterverhältnisse.»

Resümiert Marco Volken seine ganz besonderen Reisen auf Ski, manchmal auch auf Schneeschuhen, in den Wintern 2016/17 und 2017/18. Ganz alleine überquerte er, immer an einem Tag und bei unterschiedlichen Wetter- und Schneeverhältnissen, zahlreiche gesperrte Pässe in der Schweizer Alpen und selten auch im Jura. Dabei hielt er sich konsequent an die angelegten Strassen, was manchmal ziemlich (lawinen)gefährlich war. „Die Bildserien, die so entstanden sind, zeigen die Passübergänge im Zustand ihrer faktischen Nichtexistenz. Als Landschaften in der Schweiz, real und imaginär zugleich.“ So schliesst der Fotograf das Vorwort seines querformatigen Fotobandes mit dem dreisprachigen Titel „Wintersperre – Trève hivernale – Passi solitari“. Ein Meilenstein.

Das sind die neun Pässe, denen Marco Volken ein einmaliges fotografisches Denkmal gesetzt hat: Klausenpass, Grimselpass, Col du Chasseral, Nufenenpass, Forcola di Livigno, Col de la Croix, Col du Grand-Saint-Bernard, Passo del San Gottardo, Passo del San Bernardino. Einmalig aus mehr als einem Grund. Da wird uns eine von Menschen mitgeformte Landschaft gezeigt, die wir sonst kaum, ja nie sehen. Und wie wir sie sehen in diesen Fotos: ein Weiss so farbig wie die Palette; eine Poesie, die ins Dramatische kippen kann; ein Lachen, das im nächsten Bild einfriert. Da gibt es immer wieder Bilder, die sagen mehr als tausend Wort: zum Beispiel die breite Passstrasse am Gotthard, mit den Verankerungen am Strassenrand für die über den Winter abgeschraubten Leitplanken – allein das ein eindrückliches Foto; aber auf einer der Verankerungen hockt ein Bergfink und schaut ins weisse Nichts hinaus.

Anders gesagt: eine geniale Idee, Pässe mit Wintersperre zu fotografieren. Und mit brillanten Fotos heimzukommen. Doch dann ist daraus noch ein grossartiges Buch entstanden. Immer eine rote Doppelseite mit dem Verlauf der Passstrasse, dann eine Seite mit Start, Höhe des Passes und Ziel sowie mit dem Datum der Begehung, mehr nicht. Reduce to the max. Und das Maximum sind eben die Fotos. Dazu, dreisprachig je, das Vorwort von Marco Volken. Und das wirklich sehr lesenswerte und aufschlussreiche Nachwort des Alpenkultur-Wissenschaftlers Martin Scharfe zur Winterreise und zum historischen Wandel der Passüberschreitung: Es gab Jahrhunderte ohne Wintersperre.

Heute, 20. März 2020, ist der kalendarische Frühlingsanfang. Marco Volkens Meisterwerk beginnt mit einer doppelseitigen Foto der Schliessung des Albulapasses am 1. Dezember und endet mit der Schneeräumung des Sustenpasses am 15. Mai.

Marco Volken: Wintersperre – Trève hivernale – Passi solitari. Mit einem Nachwort von Martin Scharfe. AS Verlag, Zürich 2020, Fr. 48.-

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