Wäre ja gelacht, wenn ich mich wegen meinem lädierten Magen von unserem Vorhaben abbringen lassen würde. Winter ists noch immer und die weissen Hänge rufen. © Annette Frommherz
Mir ist schlecht. Sich unter der Decke verkriechen und die Skitour absagen? Das kann ich meinem Liebsten nicht antun. Er, der sich im Winter von der Vorfreude ernährt und Skitouren mit einer Gier konsumiert wie unsereins Pommes Chips. Schnee, ist er der Meinung, sei für den raschen Gebrauch bestimmt. Denn im Juli muss ich, sagt er, auch nicht mehr Schnee pflügen. Wo er Recht hat, hat er Recht. Also nicht nur schnell, sondern auch oft auf Skitouren; das ist sein Leitsatz, und an diesen hält er sich strikte.
Seit vier Uhr liege ich wach und bin unentschlossen, ob ich mir das gestrige Nachtessen nochmals durch den Kopf gehen lassen soll. Der Wecker schrillt um viertel nach fünf. Geht es, werde ich gefragt. Ich zucke mit den Schultern und nicke mit dem Kopf. Das geht noch. Also beschliesse ich, die gemietete Skitourenausrüstung nicht ungebraucht zu retournieren, und stehe auf. Frische Luft und etwas Bewegung kann nicht schaden, rede ich mir ein und hoffe ich. Mein Magen ist empört. Ich versuche, ihn zu ignorieren und esse als Kampfansage ein Stück Brot.
Später, die Sonne steht schön ausgestellt am Himmel, ziehen wir im Glarnerland dem Obersee entlang. Tief durchatmen, mahnt meine innere Stimme, aber die elend unzähligen Kurven hier hinauf haben meinen Zustand wenig gebessert. Zum Glück ist das erste Wegstück eben. Eigentlich wollten wir auf den Rautispitz, aber die tausenddreihundert Höhenmeter sind für mich definitiv ein Ding der Unmöglichkeit. Der Lachengrat ist die Variante. Ich bin froh, denn inzwischen sind wir schon im fortgeschrittenen Vormittag angelangt. Mein Gang fühlt sich so schleppend an, als müsste ich aufs Schafott.
Wir fellen den Nordhang hinauf, als sich gegenüber am Redertengrat Wächten lösen und weiter unten liegende Schneemassen mitreissen; bis keine zweihundert Meter vor uns. Vielleicht sind es auch einige Meter mehr, aber es mutet so nahe an, dass es meinen Puls höher schlagen lässt. Keine vier Wochen ist es her, seit ein Kollege meines Liebsten den Weissen Tod gestorben ist. Ein überaus vorsichtiger Bergführer sei er gewesen, lasse ich mir sagen. Nun stiebt der Schnee, vermischt sich mit braunem, erdigem Gestein und bahnt sich wie in Zeitlupe den Weg nach unten, bis die Masse zum Stillstand kommt.
Ganz hinauf auf den Grat habe ich es nicht geschafft. Mein Magen aber hielt durch, ich im mässigen Tempo auch. Schliesslich wollte ich die weissen Hänge nicht unnötig verunsäubern. Und draussen waren wir, draussen. So wie Mutter es früher befohlen hat.
Einer meiner Lieblingsblogs. Vielen Dank Annette Frommherz für die vielen Blogeinträge, die ich so geniesse zu lesen. Frisch, frech, Frommherz.