Eine literarische und entymologische Spurensuche am höchsten Berg des Kantons Zürich
Herden von Wanderern und von Kühen belagern den höchsten Berg des Kantons Zürich, der eigentlich eher ein Hügel ist – das Schnebelhorn (1292 m). Wir verzichten also aufs Gipfelglück, ziehen weiter über den Grat gegen Schindelberg und Dägelsberg, immer wieder Kuhfladen ausweichend, von denen Wolken von Fliegen aufschwärmen. Als Kinder nannten wir den Hoger ob Stralegg «Schnäbelihorn» – hi, hi – ohne zu wissen, dass wir damit die Bedeutung des Begriffs fast trafen. Jeden Herbst drohte damals das Schnäbelihorn als mögliches Ziel einer Schulreise, also Schweiss und Blasen an den Füssen und Aufsatz. Zum Glück entschieden sich die Lehrkräfte, wie man Lehrer und Lehrerinnen heute nennt, für den Rheinfall oder den Zürcher Zoo. Damals lag da und dort in einem Haus das Buch «Menschen am Schnebelhorn» herum, eines der meistverkauften Werke der Heimatliteratur, habe ich neulich erfahren. Der Autor Otto Schaufelberger war in den 1920er Jahren Lehrer auf Stralegg und schrieb literarisch gestaltet den genannten Bestseller. Manchmal unterrichtete er sogar auf dem Gipfel des Schnebelhorns seine paar Berglerkinder im Zeichnen und überhaupt war er ein Schöngeist und noch dazu ein Linker und kam doch gut aus mit den Stralegglern, was ja nicht so selbstverständlich ist. Darf ich wohl sagen, ich bin in der Gemeinde aufgewachsen besuchte zusammen mit jenen vom Berg die Sek in Steg. Unser Sekundarlehrer fand zwar Schaufelbergers Buch nicht so gut, er empfahl uns ein anderes Schnebelhornbuch, «Der wunderliche Berg Höchst» von Alfred Huggenberger, der in Nazideutschland mit seinen Werken gross Karriere gemacht und Preise bekommen hatte. Der Thurgauer Huggenberger war aber auch ein passionierter Schnebelhornwanderer, traf auch mit Schaufelberger zusammen und politisierte mit ihm im «Alpenrösli». Nun, ich habe letzthin beide Werke gelesen und muss sagen, die «Menschen am Schnebelhorn» mit Genuss, ein Zeitbild der Zwanzigerjahre im Zürcher Oberland und ein Charakterbild eines jungen Lehrers aus der Stadt, der ein Romantiker ist und sich auch ständig verliebt, sei es nun in eine schöne Tochter vom Berg oder eine Touristin aus der Stadt. Auf Stralegg wird schon seit etwa 200 Jahren Schule gehalten und diesen Sommer ist nun endgültig Schluss. Die kleine feine Gesamtschule wird still und leise geschlossen. Der letzte Lehrer Werner Zollinger geht nach 40 Jahren in Pension.
Schnebelhorn ist ein seltsames Wort, hat weder mit Schnee noch mit Nebel zu tun sondern wie ich von einem Ortsnamenforscher erfahre, eher mit Schnabel – und da ist unser kindlich kicheriges Schnäbeli ja nicht weit daneben. Jedenfalls meint dieses Schnebel etwas, was sich in zwei Teile verzweigt, denn Schnebel bedeutet auch eine Haarkrankheit «bei der sich die Haare zuäusserst gabelförmig spalten». Offenbar vor allem bei Frauen. Schaut man vom Gipfel gegen Norden, so spaltet sich der Grat tatsächlich in zwei Teile, einer gegen die Hulftegg, der andere gegen Mosnang, also wie ein Haar oder ein aufgesperrter Schnabel. Ich habe das auf der Karte nachgeschaut, denn wir sind ja nicht auf den Gipfel gestiegen, wegen der Wanderer und der Kühe.