Potztausend, zweitausend Höhenmeter sind kein Pappenstiel! Doch wollen wir ehrlich sein: Sie gingen bergab. © Annette Frommherz
Seit ich von meinen Freunden zum runden Geburtstag ein nigelnagelneues Bike geschenkt bekam, sind wir ein unzertrennliches Paar. Ich kann von Glück reden, neigt mein Liebster nicht zur Eifersucht. Weil im Unterland die Temperaturen gar steil in die Höhe kurven, suchen wir uns ein mässiger heisses Plätzchen in höheren Lagen.
Wer im Gasthof Landhaus in Davos Frauenkirch nächtigt, wird herzlich empfangen und übersieht deshalb gerne die biederen und etwas in die Jahre gekommenen Zimmer. Das Drei-Frauen-Team hält die Fäden in der Hand, das Haus im Schuss und ihre Gäste bei Laune. Mein Liebster und ich hatten uns eine sanfte Bike-Tour zurechtgelegt: Von Davos aus durch das Flüelatal auf den Tschuggenberg, entlang dem Grat übers Hüreli und zurück ins flachdach-schändliche Davos. Die Chefin des Landhauses aber zieht uns in den Bann und schwärmt vom Alps Trail Davos, welcher im vergangenen Jahr in den erlauchten Kreis der besten Mountainbike-Trails der Welt aufgenommen und ausgezeichnet worden ist. Als längster Trail der Schweiz führt die Strecke vom Jakobshorn fast vierzig Kilometer bis hinunter nach Filisur. Sechshundert Höhenmeter hinauf, zweitausend Höhenmeter hinab. „Aber sagt meinem Vater nichts, der ist Wildhüter!“ trichtert uns die Wirtin ein. Wir nicken brav und ändern unsere Pläne. Um diese zu besiegeln, drückt uns die Chefin Gästekarten in die Hände, mit denen wir kostenlos die Bahnen benutzen können.
Inkognito steigen wir am nächsten Morgen samt unseren Bikes in die Gondel, die uns hinauf zum Jakobshorn bringen soll, und wir fragen uns ernsthaft, ob sich unsere Einstellung zu den Bergen verschoben hat. Helm festzurren, Sonnenbrille auf, Rucksack auf den Rücken schwingen. Neben uns montieren Downhiller Ellenbogen-, Waden- und Knieschoner, als würden sie gleich ins Tor des HC Davos schreiten. Wir lassen die Wilden vor uns hinabdonnern. Die Abfahrt ins Sertigtal verlangt volle Konzentration. Nicht umsonst ist sie auf der Bike-Karte schwarz gepunktet eingezeichnet. Bald folgt der erste Boxenhalt – ein „Schlangenbiss“ im Schlauch. Nachfolgende Biker nehmen eine Vollbremsung in Kauf, um uns mit einer Pumpe auszuhelfen; die unsrige liegt untätig zu Hause. Auf der anderen Seite des Tales gestaltet sich der Aufstieg Richtung Äbibrügg anstrengend, weil entweder Biker entgegenkommen oder unbescholtene Wanderer ihren Platz beanspruchen. Schlechtes Gewissen macht sich in uns breit. Was haben wir hier verloren?
Ab dem Rinerhorn beruhigt sich alles. Nur wenigen Wanderern kommen wir noch in die Quere. Im Vorbeibrausen enthaupte ich ein paar Stängel von wildem Rittersporn; ausweichen ist mit dem breiten Lenker unmöglich. Nicht unweit davon erhasche ich einen Blick auf Männertreu nur, indem ich ein brüskes Bremsmanöver wage. Über Steine und Wurzeln preschen wir, schieben an unmöglich steilen oder verwurzelten Stellen unsere Bikes, vorbei an Wacholder, Alpenthymian und Habichtskraut, ohne dass wir sie richtig sehen. Ich fürchte mich vor wenig, schon gar nicht vor neuen Erkenntnissen. Irgendwann zwischen Monstein und dem zweiten Schlauchwechsel wird uns klar: Wir sind hier im falschen Film.
Ein paar Staubwolken und ein verschrammter Ellenbogen später gelangen wir auf direkterem Trail zur Schlussstrecke in die Zügenschlucht und entlang dem Fluss Landwasser. Endlich drosseln wir unweigerlich das Tempo, schauen nach dem entschleunigten Wasser in der Schlucht, bestaunen das Viadukt hoch über uns. Diese wunderschöne Strecke auf der alten Zügenstrasse, wo bis 1974 noch Autos fuhren, versöhnt uns mit dem vorangegangenen schnellen Routenverlauf. Beim Bärentritt wage ich gar einen Blick in die Tiefe. Entlang dem Wiesener Viadukt – die Bike-Route führt über ein Metallgitter neben den Gleisen – gelangen wir hinab nach Filisur. Magerwiesen voller Margeriten säumen das Strässchen.
Verstaubt, wie wir am Bahnhof absteigen, sind wir uns einig: Wir sind nicht zum Downhiller geboren. Unsere Berge besteigen wir am liebsten aus eigener Kraft und lassen uns Zeit, andächtig und der Pracht der Natur ergeben. Am meisten wundert mich ja, dass mich nichts mehr wundert.
www.landhuus-frauenkirch.ch