Belchenflue

Jura, warum nicht mal? Wandern ist angesagt, schönes Wetter auch, fast zu heiss eigentlich. Und literarische Spuren gibt’s auch noch.

Der Kaffee im Avec am Bahnhof in Sissach ist, na ja…, wir haben ihn getrunken. Das Maisbrötli «frisch von gestern» gegessen. Den Weg zum Aufstieg auf den Zunzgerberg gefunden. Im Wald ist’s kühl, lauschig. Später dann dehnen sich auf der Höhe Getreidefelder, Kirschplantagen, sogar mit Früchten, also offenbar vom grossen Frost verschont. Bei einem Bauernhof kaufen wir ein Gläschen Jurahonig, werfen die Münzen ins Kässeli. Der Wanderführer, in dem wir die Route gefunden haben, warnt vor ein paar Hundert Metern Asphalt, eine «Durststrecke» – die asphaltierten Zufahrten zu den Höfen verschweigt er. Wir wandern dann halt manchmal im Gras neben der Strasse, ein scheues Pferd weicht uns aus. Und dann kommt auch wieder Wald, Schatten. Schliesslich entscheiden wir uns für das Bergrestaurant Oberbölchen, lassen den Gratweg rechts liegen, da der Durst inzwischen recht plagt und der Proviantmeister den Kalorienbedarf für 20 Kilometer Strecke und 1000 Meter Aufstieg irgendwie falsch berechnet hat. Dass das Haus am Berg aber auch Rastplatz für Töfffahrer und motorisierte Rentner und Familien ist, haben wir im Führerbuch und auf der Landkarte nicht so genau mitbekommen. Immerhin, der Kellner ist freundlich, der Nussgipfel klein aber nicht unfein. Also weiter, steil hoch, im Sound der kurvigen Passstrasse.

Die Belchenflue, wir wissen es, war der erste Gipfel des berühmten Bergsteigers und Kommunisten Lorenz Saladin, der uns zeitweise doch ziemlich beschäftigt hat. Wir wandern also auf seinen Spuren. Ausführlich schildert seine Biografin Annemarie Schwarzenbach, wie Lenz als kleiner Bub mit seinem älteren Bruder Sepp aufbrach, um die «Böchefuä» zu besteigen. Hunger litten sie und Durst nach dem langen Marsch durchs Waldenburgertal hinauf. Das Angebot eines Bauern, sie könnten bei ihm übernachten und Milch bekommen, lehnten sie ab, marschierten unentwegt weiter. Annemarie Schwarzenbach schreibt:

«Es war stockfinster, als sie schliesslich auf dem Gipfel ihres grossen Berges anlangten. Lenz klagte ein bisschen, er war durstig und hungrig, die Nacht kalt und einsam. Den beiden todmüden Buben sank der Mut. Dem Älteren, selber den Tränen nahe, fiel ein, zu sagen: ‹Aber du darfst nicht heulen, Lenz›, und der Kleine antwortete verständig: ‹Nein, sonst sagt der Bauer wieder, wir seien Knöpfe!› Dann legten sie sich auf dem Waldboden nieder, Sepp nahm den jüngeren Bruder in den Arm, sie deckten sich mit dem Kittel zu, und als sie erwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Lenz stellte es sofort fest: ‹Jetzt ist die Sonne früher als wir aufgestanden!› Einen Augenblick schien es ihnen, sie seien um den eigentlichen Sieg und Höhepunkt des grossen Abenteuers betrogen. Aber sie standen auf dem Gipfel, unter ihnen verzog sich der Nebel, weithin konnten sie Täler, Felder, Wiesen, Dörfer und einen Flusslauf überschauen, die Sonne wärmte ihre steifen Glieder – und sie hatten den grossen Berg bestiegen! Später meldete sich der Hunger; ein bisschen besorgt, aber noch lange nicht entmutigt, machten sie sich auf den Heimweg.»

Die Belchenflue war Lenz Saladins erster «grosser Berg», viele weiter folgten bis zum letzten, dem Khan Tengri, nach dessen Besteigung er an Erfrierungen starb und 1936 am Fuss des Iniltschek-Gletschers sein Grab fand, das lange Jahre verschollen blieb.

So denken ich also auf der felsigen Spitze dieser Fluh an den vor 81 Jahren Verstorbenen, für und über den ich zwei Bücher herausgegeben habe: Die Neuauflage der Biografie von Schwarzenbach und ein Fotobuch mit Texten und Recherchen, zusammen mit Robert Steiner. Ein feiner Wind weht auf dem Gipfel, die Schweizerfahne flattert. Auf dem Alpenzeiger orten wir weit im Osten im Dunst den Säntis und stellen uns vor, Tausende von Kilometern weiter in jener Richtung rage der Siebentausender Khan Tengri in den blauen Himmel Kirgistans und neben ihm eine Schneekuppe, die den Namen Pik Saladin trägt.

Der Abstieg durchs heisse Dürsteltal hinab nach Langenbruck dehnt sich qualvoll. Wir meiden den Wanderweg an der prallen Sonne, wandern lieber auf der Asphaltstrasse, die zum Teil im Schatten liegt. Langenbruck macht uns dann einen eher zwiespältigen Eindruck, etwas heruntergekommene Häuser an der Hauptstrasse, ein seltsames Militärmuseum, eine staubige Baustelle. Wir sitzen in einem kleinen Park, holen im Coop eine Flasche Schorle, pflegen unsere wunden Füsse.

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