Was Steine und Sterne erzählen

Zwei Bücher, mit denen sich die (geologische) Welt der Berge besser verstehen lässt. An ganz unterschiedlichen Orten in Europa.

10. Juni 2023

«Wir verabreden uns für einen Augustabend in den Cevennen, einer der schönsten Regionen Frankreichs, um nächtliche Panoramen zu betrachten. Carol Reboul und ihr Lebensgefährte haben mich dazu eingeladen, in der Abenddämmerung den 1421 Meter hohen Mont Bougès zu besteigen. Wir treffen uns auf dem Col du Sapet und wandern los, als die Sonne bereits tief am Himmel steht. Wir folgen Granitpfaden, die von krummen Buchen gesäumt sind, und unterhalten uns dabei über die Nacht. Im Vergleich zur Gâtine, wo ich herkomme, gibt es hier Chirons oder Granitblöcke im Überfluss. Die Gegend muss reich an Geschichten sein.»

Ist sie. Und ziemlich unbekannt. Das kleine Gebirgsmassiv des Bougès, auch Montagne du Bougès genannt, wird im Norden vom Massiv des Mont Lozère, im Südwesten vom Massiv des Mont Aigoual und im Westen von der Causse de Sauveterre eingerahmt. Der höchste Gipfel ist das Signal du Bougès. Die Gâtine Poitevine, wo die Autorin Blandine Pluchet herkommt, kennt man hierzulande auch nicht unbedingt. Doch auch dort warten spannende Geschichten, mit dem Felsenmeer bei Largeasse und offenbar dem Nabel der Welt – Orte, die auf der Übersichtskarte im Sachbuch der französischen Physikerin zu finden sind, wie das Schneefernerhaus an der Zugspitze oder das Jungfraujoch. Das Buch heisst „Die Vermessung der Berge. Eine Wanderung zur Entdeckung der Weltgesetze“, der Originaltitel lautet nur leicht bescheidener „Le grand récit des montagnes. Une randonnée scientifique à la découverte des lois du monde“. Die wissenschaftliche Wanderung findet, mit Ausnahme der nächtlichen Tour aufs Signal du Bougès, mehr symbolisch statt. Blandine Pluchet begibt sich an unterschiedlichen Stationen und mit verschiedenen Experten auf Spurensuche in Europa, wo zu verschiedenen Themen wie Geologie, Meteorologie, Glaziologie, Ozeanologie, Astrologie etc. auf höchstem Niveau geforscht wird, im Zeitalter der menschgemachten Klimaerwärmung aktueller denn je.

Darüber berichtet Blandine Pluchet, spannend und einfühlsam, manchmal auch geschwätzig, zuweilen für Laien knapp verständlich, ab uns zu auch banal. Den Ausflug aufs Signal du Bougès schliesst sie mit diesem Satz ab: „Die Dunkelheit ist voller Leben.“ Stimmt natürlich. Andere Aussagen sind leider zu revidieren: So ist der Strahler Jacques Balmat nicht „der erste französische Alpinst überhaupt“. Erstens stand er am 8. August 1786 nicht alleine auf dem Mont Blanc, sondern zusammen mit Michel-Gabriel Paccard (er bleibt freilich unerwähnt), und zweitens bestiegen Jean-Marie Couttet und François Guidet bereits am 17. September 1784 den Dôme du Goûter (4304 m) – die erste Besteigung eines Viertausenders überhaupt. Und noch eine Kritik: Die in Magenta gehaltenen Illustrationen von Laëtitia Locteau sorgen zwar für eine schöne Einheitlichkeit im Buch, strahlen teils aber eine gewisse Beiläufigkeit aus. Im Nachkapitel mit dem Signal du Bougès sieht man ein paar Baumsilhouetten und ein paar Sterne am Himmel, im Text nebenan ist von der Scheibe von Nebra die Rede, der ältesten bisher bekannten Darstellung des Himmelsgewölbes. Wie die wohl aussieht? Zum Glück gibt es Wikipedia.

Genug gelästert. Ihr habt bestimmt gemerkt, dass mich die „Wanderung zur Entdeckung der Weltgesetze“ nicht vom Sofa gerissen hat. Das tut die „Geologische Wanderung vom Gornergrat zum Riffelberg“ schon eher. Der Titel dieses rucksacktauglichen Führers ohnehin: „Zermatt: Safari im Meer“. Diese Wanderung habe ich schon ein paar Mal gemacht, doch nun muss ich sie wiederholen, Schritt für Schritt und Stein für Stein, weil die Geologen Michel Marthaler und Micha Schlup in Zusammenarbeit mit Nicolas Kramar mit vielen Fotos, Tabellen, Plänen und Karten erzählen, wie die Alpen entstanden sind, wo der Meeresboden wie gefaltet wurde, warum die Felsen so verschieden farbig leuchten. Selbstverständlich wird auch das Matterhorn, dieser Fixpunkt beim Bergabgehen zum Riffelberg, Schicht um Schicht analysiert. Der Cervino ist der stärkte Kontrast zum Signal du Bougès: hoch und spitzig der eine Gipfel, tief und rund der andere.

Blandine Pluchet: Die Vermessung der Berge. Eine Wanderung zur Entdeckung der Weltgesetze. Bergwelten Verlag, Wals bei Salzburg 2023. € 28,00.

Michel Marthaler, Micha Schlup: Zermatt: Safari im Meer. Geologische Wanderung vom Gornergrat zum Riffelberg. Éditions Loisirs et Pédagogie, Le Mont-sur-Lausanne 2023. Fr. 18.-

Vom alten Chalet zum Berghau

Die Schweiz ohne Chalets – undenkbar. Sehnsucht und Refugium in den Bergen und Köpfen. Auf nach Bern, mit aktueller Lektüre.

1. Mai 2023

Là-haut sur la montagne, croula le vieux chalet.
La neige et les rochers
s’étaient unis pour l’arracher.
Là-haut sur la montagne, croula le vieux chalet.

Mitgesungen beim Lesen? Hoffentlich! „Le Vieux Chalet“ ist eines der bekanntesten Schweizer Volkslieder, 1911 geschrieben von Abbé Joseph Bovet, übersetzt in 17 Sprachen, darunter Chinesisch und Japanisch. Vier Strophen über einen Haustyp, den die Schweiz, ja die halbe Welt so liebt. Hier die zweite, in der das Berghaus von Schneedruck und Steinschlag zerstört wird. Aber der Hirte Jean baut es wieder auf, schöner als zuvor: „Là-haut sur la montagne, l’est un nouveau chalet.“

Wer mehr zum Chalet wissen will, muss nicht auf den Berg dort oben steigen, sondern aufs Feld dort drüben gehen, in die Schweizerische Nationalbibliothek (NB). Bis am 30. Juni 2023 ist die Ausstellung „Chalet. Sehnsucht, Kitsch und Baukultur“ zu besuchen. Sie gibt Antwort auf die Frage, was eigentlich ein Chalet ist. Ist es mehr als ein „altes Hüttlein“, wie „Le Vieux Chalet“ auf Deutsch tönt? Gibt es Eigenschaften, die ein Holzhaus zu einem Chalet machen? Oder ist ein solches Haus mit einem überstehenden Dach und mit ein paar Geranien auf dem Laubsägeli-Balkon einfach ein Sinnbild der Sehnsucht nach alpiner Natur, die allerdings auch zerstörerisch sein kann? Das erfahren wir auf dem Kirchenfeld in Bern, „augenzwinkernd, informativ und unterhaltsam“, wie die NB schreibt. Im vergangenen Winter war die Ausstellung im Gelben Haus in Flims zu sehen. An beiden Orten lag bzw. liegt ein A3 grosser Papierbogen auf, mit dem man sich sein eigenes Chalet basteln kann. Viel Fingerfertigkeit!

Wer jetzt noch einen ganz besonderen Chalet-Roman lesen möchte, sollte zu „Berghau“ von Angelika Waldis greifen. Berghau – da fehlt doch das S? Genau. Und das kam so: „Zwei Jahre hatte Sepp jetzt den Berghau. Eigentlich wollte er Berghaus Sepp über die Tür malen, aber dann stießen zwei Ziegen die Farbdose um. Dann halt Berghau.“ Passt. Denn dem Berggasthaus irgendwo oben in den Schweizer Alpen, nur zu Fuss erreichbar, kommt eines Tages noch mehr abhanden als ein Buchstabe. Der Klimawandel haut den Berg sozusagen entzwei, auf dem es steht, und damit auch das halbe Haus. Aber es steht noch und wird zum Refugium für zehn Leute, die vom Bergsturz überrascht wurden. Ein Abstieg ins Dorf ist nicht mehr möglich, die Seilbahn in der Nähe läuft nimmer, die drahtlose Verbindung ist gekappt. Zehn ganz unterschiedliche Personen eingeschlossen in einem halb kaputten Haus, zwei Tage und zwei Nächte, bis endlich der rettende Hubschrauber kommt. Wie im Permafrost tauen Schichten und Sachverhalte auf, verschieben sich Gefühle und Gewissheiten, nicht unbedingt zum Besseren. Ein atmosphärisch und sprachlich dichter (Berg-)Roman. Der Berg ruft nicht nur, er kommt auch, immer mehr sogar, und mit ihm die Chalets, ob alt oder neu.

Chalet. Sehnsucht, Kitsch und Baukultur. Ausstellung in der Schweizerischen Nationalbibliothek, Bern; 10.3. – 30.6.2023, Montag – Freitag 9 – 18 Uhr, Eintritt frei. Kuratorenführung am 2.5., 17.30 Uhr. www.nationalbibliothek.ch Mehr zum alpinen Blockbau: https://kleinmeister.ch/de/chalets-auf-allen-bildern

Angelika Waldis: Berghau. Roman. Atlantis Verlag, Zürich 2023. Fr. 30.- Lesung in der Kellerbühne St. Gallen, Montag, 22. Mai, 20 Uhr; www.kellerbuehne.ch/sites/details.php?detail=2023-05-22

Klettern in Bern, Iran und anderswo

Klettergeschichte(n), in Führern, einem Film und im Gespräch. Letzteres gerade auch für Nicht-Kletterer zum empfehlen.

24. April 2023

Nasim Eshqi, willkommen in der Schweiz, wir haben viele tolle Berge hier, wie Sie wissen. Das muss eine einzige grosse Spielwiese für Sie sein.
Ja, Länder mit vielen Bergen sind die besten. Ich war schon auf einigen Klettertouren in der Schweiz, ich erhielt in den vergangenen Jahren im Sommer jeweils ein Visum für drei Monate nach Europa, um zu klettern – unter anderem in Chamonix oder am Furkapass.

So beginnt das Samstaginterview vom 22. April in der Berner Tageszeitung „Der Bund“, das Chefredaktorin Isabelle Jacobi mit der iranischen Profikletterin Nasim Eshqi führte. Titel des hochspannenden Gesprächs zwischen Sport und Politik: „Ich verstand erst später, wie unterdrückt ich war.“ Eshqi, 41 Jahre alt und die bekannteste Kletterin des Irans, ist zu einer wichtigen Stimme des Protests gegen das Regime in Teheran geworden. Im letzten Herbst kehrte sie nach einer dreimonatigen Kletterreise in Europa nicht nach Iran zurück und hat nun in Italien Asyl erhalten. Ihre Antwort auf die letzte Frage, ob sie glaube, je in ihre Heimat zurückkehren zu können: „Ich bin optimistisch. Ich denke, wir werden uns im Iran mehr Freiheit erkämpfen können. Aber das jetzige Regime klammert sich mit aller Kraft an die Macht, denn sie können nirgendwohin gehen. Sie sagen: Wir werden alles in Schutt und Asche legen. Es wird schlimmer werden, bevor es besser wird.“

Klettern kann mehr sein als die Suche nach dem nächsten Griff, dem nächsten Tritt. Ein kleines Beispiel nur, nicht vergleichbar mit den lebensgefährlichen Taten und Äusserungen von Nasim Eshqi abseits der Vertikalen. Mit „Kanal im Rücken“ eröffnete Wolfgang Güllich 1983 im Altmühltal die zum damaligen Zeitpunkt schwerste Sportkletterroute der Welt. Der Routenname bezieht sich nicht auf eine Verengung des Wirbelkanals, sondern auf den Rhein-Main-Donau-Kanal, eine Grossschifffahrtsstrasse, die von 1960 bis 1992 gebaut wurde und umweltpolitisch höchst umstritten war. In seinem südöstlichen Teil führt der Kanal durch das Altmühltal, das für seine Kletterfelsen weltberühmt ist. Und so wird „Kanal im Rücken“ im neuen Panico-Kletterführer „Bayerischer Jura“ präzis beschrieben: „Weltweit erste Route im Grad 8b/10. Hart 9 im ersten Teil, dann Crux mit ultraweitem Blockierer in schmächtiges Fingerloch. Der Rest spielt sich im unteren 8. Grad ab. So einfach ist der 10. Grad. Route mit absolutem Kultstatus!“

Noch ein Wort zum Titel des Kletterführers. Bayerischer Jura?! Der Jura krümmt sich doch entlang von Frankreich und der Schweiz. Meinte ich jedenfalls. Achim Pasold, Gründer und Direktor des Panico Alpinverlages, vermutete in einem Mail an mich „ein Fall von Schweizer Binnensicht“ und holte dann zu einer geografischen Erklärung aus: „Nach unserer Vorstellung zieht sich der Jurabogen vom Basler Jura weiter über die Schwäbische Alb bis zum Nördlichen Frankenjura. ‚Bayerischer Jura‘ ist aber in der Tat ein selten benutzter Begriff, in der Vorauflagen hieß dieser Kletterführer noch ‚Südlicher Frankenjura‘.“ Da nun aber in der Neuausgabe alle vorgestellten Klettergebiete, mit dem Altmühltal als Herzstück, im Freistaat Bayern liegen, drängte sich der neue Name geradezu auf.

Apropos Namen: Dieses Mineralwasser habt Ihr bestimmt schon mal getrunken – San Pellegrino. Ich wusste, dass es in Italien abgefüllt wird (und nicht in Vevey, weil zum Nestlé-Konzern gehörend…). Nun stolperte ich im Kletterführer „Valli Bergamasche“ über den Ort San Pellegrino Terme, der sich im Val Brembana in der Provinz Bergamo befindet. Die bergsportlichen Vorzüge lesen sich so: „Bequemer Klettergarten, wo das ganz Jahr über, je nach Uhrzeit, Klima und Ausrichtung, geklettert werden kann. Der Sektor San Pellegrino Nuovo liegt kurz oberhalb des Sektors Storico. Die Kletterei ist meist sehr fingerlastig, auf Leisten mit dem einen oder anderen Loch in vertikalen oder leicht überhängenden Platten.“ Also kein Ort für Warmduscher und Stilles-Wasser-Trinker! Die Routen heissen „Stop and go“ oder „Mi scusi signora“; beide sind „molto bella“. Nichts wie hin! Aber vorher noch ins Alpine Museum in Bern, zum Film und Gespräch mit der Neo-Italienerin Nasim Eshqi.

Eberhard Zieglmeier: Kletterführer Bayerischer Jura. Altmühltal, Donaudurchbruch & Donautal, Labertal, Naabtal und Seitentäler. Panico Alpinverlag, Köngen 2022. € 44,80.

Yuri Parimbelli: Valli Bergamasche. Val Seriana, Val Brembana, Val di Scalve, Lago d’Iseo. Falesie/Klettergärten. Edizioni Versante Sud, Milano 2022. € 35,00.

«Climbing Iran» – mit Nasim Eshqi. Alpines Museum Bern, Freitag, 28. April 2023, 17.30 Uhr. Im Anschluss an den Film ist die Kletterin im Gespräch mit der Journalistin Isabelle Jacobi (Chefredaktorin «Der Bund»). Anmeldung unter booking@alpinesmuseum.ch.
Das „Bund“-Gespräch mit Nasim Eshqi ist hier zu lesen: https://epaper.derbund.ch/article/46/46/2023-04-22/2/131407652
Am Dienstag, 25. April 2023, wird der Film auch in Lausanne gezeigt, am Sitz der SAC-Sektion Les Diablerets; https://cas-diablerets.ch/soiree-nasim-eshqi/

Eine neue Zeitschrift, mit einem neuen Gipfelverzeichnis

Ein Muss für alle Gipfelstürmerinnen, Engadinliebhaber und Sporttreibenden: die erste Ausgabe der druckfrischen Zeitschrift „Les Sports Modernes“.

20. April 2023

«Eine besondere Kategorie bilden diejenigen Erstbesteiger, die den von ihnen eroberten Gipfel einem weiblichen Familienmitglied widmeten, wie bei der Punta Alessandra (3268 m) zu Ehren von Alexandrine von Rydzewsky-von Nordmann (1847–1924). Eine weitere vorher namenlose Spitze benannte Umberto Balestreri (1889–1933), ein bekannter italienischer Alpinist (er starb in einer Spalte des Morteratschgletschers) und Jurist (er verweigerte die Mitgliedschaft im Partito Nazionale Fascista), nach seiner Tochter; die Punta Maria Luisa (ca. 3317 m) liegt im Grenzkamm zwischen dem Mont Vélan und der Dent d’Hérens. Der Schweizer Führerautor Marcel Kurz (1887–1967) war damit nicht zufrieden: «Malgré toute la sympathie de l’auteur pour le cher disparu et sa petite fille, il est impossible d’admettre de nouveaux noms personnels sur notre frontière.» Er schlug den Namen Petit Epicoune vor. Maurice Brandt (1927–1999), Nachfolger von Kurz für die SAC-Führer zu den Walliser Alpen, bekräftigte das Urteil im Führer von 1987; in der Auflage von 1999 fehlt es. Dass sowohl Marcel Kurz wie Brandt heute «ihre» Gipfel erhalten haben, steht auf einem separaten Blatt… In der aktuellen, von anderen Autoren verfassten Ausgabe von 2014 stehen die Namen Petit Epicoune und Punta Maria Luisa gleichberechtigt nebeneinander. Nun fehlt nur noch die Aufnahme auf die Landeskarte, wenigstens mit einer Kote.»

Die Punta Maria Luisa ist einer der 200 helvetischen Personenbergen, die erstmals erfasst und zusammengestellt wurden, von der Punta Adami, einem Fast-Dreitausender im Rheinwald, bis zur Zumsteinspitze, dem dritthöchsten Gipfel der Schweiz. Es sind oft ziemlich unbekannte Gipfel, die auf der Landeskarte verzeichnet sind oder auch nicht. Wer versteckt sich hinter der Pointe Morin (die Geschwister Micheline und Jean-Antoine), der Punta Carducci (italienischer Literaturnobelpreisträger) und dem Paulcketurm (Skipionier und Nazi)? Unter den personifizierten Gipfeln hat es starke (Pointe Marie-Christine) und brüchige (Agassizhorn), bescheidene (Dunantspitze) und brave (Eduardsruh), heilige (Cima Mosé) und profane (Punta Michele).

Italien hat mit 34 Personengipfeln auf der Grenze (17%) den grössten Anteil an den 200 gefundenen Gipfeln. Diese Vorrangstellung hat drei Gründe. Erstens ist die Grenze der Schweiz zu Italien mit 800 Kilometern nicht nur die längste, sondern auch noch fast ausschliesslich gebirgig; entsprechend viele Gipfel konnten und mussten da einen Namen erhalten. Zweitens benennt man in Italien Gipfel und Hütten gerne mit Namen von Personen. Und drittens ist das Grenzgebirge in mehreren schweizerischen und italienischen Führerwerken bestens dokumentiert, wodurch die Personengipfel eine Legitimation erhalten, auch wenn der Name auf der schweizerischen Landeskarte (noch) fehlt, wie die Punta Maria Luisa.

Das metergenaue Verzeichnis aller Personenberge der Schweiz (inkl. Quellenangaben) ermöglicht einen neuen Blick auf das helvetische Gipfelterritorium und die Toponomastik des Landes. Die von mir zusammengestellte und kommentierte Liste findet sich in der ersten Ausgabe der neuen, mehrsprachigen Zeitschrift „Les Sports Modernes“, die dem Thema „La montagne: territoire du moderne?“ gewidmet ist.

Das Fragezeichen steht nicht zufällig. Denn: Sind die Berge modern? Oder sind sie veraltet? Wenn man in die Geschichte eintaucht, erhält man kontrastreiche Antworten. Auf der einen Seite gilt das Gebirge als Ort der Isolation, des Rückzugs, ja der der Rückständigkeit und des Konservatismus. Andererseits erweisen sich die Berge aufgrund ihrer Enge und eigenen Ressourcen als Vorreiterin, insbesondere bei der Erprobung und Umsetzung von Formen der Demokratie. Und das Aufkommen des Tourismus, der Sanatorien und des Wintersports entspricht ebenfalls, wie ein Echo, dieser Aufwertung der Berggebiete und der neuen Blicke auf diese steile Welt.

Grosse Beiträge in der Nr. 1 der sporthistorischen Zeitschrift behandeln Wanderlust und Wilderness, die Gründung des Alpine Club of Canada, das Sportklettern und den Everest. Geografischer Schwerpunkt ist das auch auf dem Cover verankerte Engadin. Dazu gibt es auf den 244 Seiten spannende Seitenpfade und Gespräche, Institutionen und Bücher zu entdecken. Die einmal jährlich erscheinende Revue „Les Sports Modernes“ wird von der Association pour la valorisation des archives et de l’histoire des sports publiziert.

Die Vernissage findet am Donnerstag, 20. April 2023, in der IDHEAP-Aula der Université de Lausanne statt. Das Gebäude liegt nördlich der Colline de Dorigny (410 m). Auf diesem Hügel befindet sich ein drei Meter hoher Obelisk zu Ehren von Albrecht von Haller und seinem Sohn Rudolf Emanuel. Warum heisst in den Schweizer Alpen eigentlich kein Gipfel nach Albrecht, dem heiligen Vater der Begeisterung für die (Schweizer) Alpen und des Alpentourismus? Der Hallerbärg (570 m) ob dem schaffhausischen Schleitheim kann es ja nicht sein.

Christophe Jaccoud, Grégory Quin (Hrsg.): La montagne: territoire du moderne ? Les Sports Modernes n°1, Société, Culture, Temporalité, Territoire. Éditions Alphil-Presses universitaires suisses, Neuchâtel 2023. Fr. 35.- www.alphil.com/livres/1296-1547-les-sports-modernes-numero-1-2023.html#/1-format-livre_papier

PS: Die Colline de Dorigny ist zur Zeit, wie am 20. April 23 spätnachmittags festgestellt wurde, eine Baustelle, wegen der Erweiterung der Bibliothèque de l’UNIL am Südfuss des Hügels. Der Obelisk ist deshalb nicht zugänglich, wohl aber der Gipfel von Osten.

Heilige und geheimnisvolle Berge

Zwei Bücher zu besonderen Bergen: ein Geschichtsbuch zu heiligen, ein Atlas zu geheimnisvollen. Teilweise sind es die gleichen Gipfel.

13. April 2023

«Am meisten heilige Berge gibt es im Tibet. Schriftliche Quellen machen deutlich, dass Eremiten und Asketen dort auf das Hochland zogen. Sie beteten Berge an und meditierten vor ihnen. Sie erzählten, dass auf ihnen Götter wohnen. Aus diesen Geschichten entstanden spirituelle Reiseführer, die Wallfahrten und Rituale im Angesicht eines Bergs auslösten. So erfolgte die religiöse Aufladung eines Bergs, die eine Community von Gläubigen unter sich teilte.»

Ausschnitt aus dem Interview mit Jon Mathieu zu seinem neuen Buch „Mount Sacred. Eine kurze Globalgeschichte der heiligen Berge seit 1500“. Das Gespräch mit dem Zitattitel „Für die Kirche war die Anbetung von Bergen eine Sünde“ erschien am 24. Januar 2023 in der Berner Tageszeitung „Der Bund“, illustriert mit einem Sonnenaufgangsfoto des Gipfelkreuzes auf dem Bietenhorn ob Mürren. Nochmals ein Zitat von Mathieu, emeritierter Titularprofessor für Geschichte mit Schwerpunkt Neuzeit an der Universität Luzern und bekannt als Gebirgsforscher und Historiker der Alpen: „Im katholischen Kanton Freiburg wimmelt es von Gipfelkreuzen. Einige stehen aber auch auf Berner Bergen.“ Heilig sind die meisten von diesen Gipfeln nicht. Anders in Italien. Im Jubiläumsjahr 1900 rief Papst Leo XIII. dazu auf, auf 19 Gipfeln in Italien, vom Monviso im Piemont bis zum Monte San Giuliano in Sizilien, ein grosses Kreuz zu erstellen – für jedes Jahrhundert seit der Geburt von Jesus ein Kreuz. Es kamen zahlreiche weitere dazu, wie dasjenige auf dem Cervino.

Natürlich steht nicht auf jedem heiligen Berg ein Kreuz. Aber heilige Berge stehen überall auf der Welt: der Mount Kailash in Asien, die Black Hills mit den Präsidentenköpfen in Nordamerika, der Uluru in Australien oder der hierzulande nicht so bekannte Ol Doinyo Lengai in Tansania. Ihnen wurde und wird Heiligkeit zugesprochen, was sich in Gebeten, Meditationen und Wallfahrten äussert, wobei letztere heute oft mehr touristischen als religiösen Charakter haben. Wie es dazu kam, dass Berge heilig gesprochen wurden, enthüllt Jon Mathieu eindringlich und einfühlsam in „Mount Sacred“. Diesen Berg gibt es so nicht in der Natur und auf keiner Landkarte; er ist ein virtueller Berg, ein Buchberg. Und passt irgendwie zum Hügel, der am 8. Juni 1794 auf dem Pariser Marsfeld (vor dem heutigen Eiffelturm) aufgeschüttet wurde, zur Feier des „höchsten Wesens“. Nur ein Jahr später, nach einer blutigen Hinrichtungswelle, wurde dieser künstliche Berg als „Monument des Terrors“ bezeichnet – und eingeebnet. Andere künstliche Berge, wie zum Beispiel die Schlackenhügel im Ruhrgebiet, blieben erhalten – und werden kaum als heilig bezeichnet. Und doch: Auf der Knappenhalde (101 m) in Oberhausen, auch Monte Schlacko genannt, findet immer an Auffahrt ein Gottesdienst statt.

In drei grossen Schritten nimmt uns Jon Mathieu, der in Burgdorf an der Alpenstrasse wohnt, auf die Reise zu heiligen Bergen mit. Nach der Anreise in zwei Etappen macht er Halt an wichtigen Stationen, wie am Tai Shan, dem kaiserlichen Ostberg in China, oder dem Paektusan in Nordkorea, und fragt zuletzt nach der Zukunft für heilige Berge, gerade heute in der Zeit von Kolonialismus und Antikolonialismus, von Umwelt- und Klimaschutz. Eine faszinierende, tief schürfende, bestens dokumentierte Lektüre zu den wichtigen Gipfeln der Heiligkeit. Am besten zu lesen selbstverständlich auf einer sakralen Erhebung, zum Beispiel auf dem Michaelskreuz mit der Gipfelkapelle (795 m). Oder auf Masada, einem Gipfelplateau am Rand der Judäischen Wüste, mit der Palastfestung von Herodes, 43 m.ü.M, aber 473 Meter über dem Toten Meer.

Der Masada-Gipfel ist der erste Berg im „Atlante dei monti arcani. Storie e miti del mondo verticale”. Albano Marcarini stellt 88 mysteriöse, geheimnisvolle Berge vor, immer auf einer Doppelseite Text/topografische Karte sowie zusätzlich mit ein paar touristischen Infos im Anhang. Italien ist mit 28 Gipfeln, wovon drei an der Grenze zur Schweiz (Badile, Cervino, Monte Rosa) stehen, mit Abstand am besten vertreten. Verständlich, weil sich der Atlas vor allem an die italienische Kundschaft richtet. Für GipfelstürmerInnen aus der Schweiz hat das aber den grossen Vorteil, dass diese bequemer erreichbar sind als zum Beispiel der heilige Berg der Massai, der Ol Doinyo Lengai (2878 m), der Sri Pada (2243 m) auf Sri Lanka oder der Kalkajaka (465 m) in Australien; zu letzterem lesen wir: „L’acesso è vietato.“ Deshalb als nächste oder übernächste Ziele folgende besonderen Berge im Nachbarsland anpeilen: 2. Monte Nuovo (133 m), 8. Rocca di Cerbaia (367 m), 9. Monte Calamita (413 m), 11. Monte delle Formiche (638 m), 13. Monte Soratte (691 m), 19. Monte Pirchiriano (962 m), 21. Pietra di Bismantova (1047 m). Den Namen der Nummer 21 kannte ich, und oben stand ich auch schon. Viel Freude und Ehrfurcht beim Besteigen. Und beim Lesen.

Jon Mathieu: Mount Sacred. Eine kurze Globalgeschichte der heiligen Berge seit 1500. Böhlau Verlag, Wien 2023. € 35,00.

Albano Marcarini: Atlante dei monti arcani. Storie e miti del mondo verticale. Ulrico Hoepli Editore, Milano 2022. € 24,90.

Berner Oberland – Schlösser, Seen & Seelen

Die Wiege der Alpentourismus wird immer wieder neu ausstaffiert. Drei überraschende Publikationen schaukeln mit.

3. April 2023

«Wer kennt den rund zehn Meter hohen, senkrechten Felsabsturz im Rustwald. Er war ein idealer Schutz gegen Norden für die am leicht geneigten Südhang gelegene prähistorische Siedlung. Wenn wir davon ausgehen, dass in der Gegend von Lattigen bei Spiez in früherer Zeit etliche kleinere und grössere Seen existierten, kann es nicht verwundern, wenn frühzeitliche Menschen an diesem Ort ihre Wohnhütten bauten.»

Durch den Rustwald bin ich schon gewandert, über seine Anhöhen hinweg. Aber den Felsabsturz nahm ich nicht wahr, und von einer prähistorischen Siedlung wusste ich gar nichts. Sieht man nicht nur, was man weiss? Dank zwei neuen Büchern weiss ich nun mehr, und wenn ich in Zukunft von Spiez mit der Bahn an den beiden Spiezer Stauweihern linkerhand und an den waldigen Hügeln ob Lattigen rechterhand Richtung Wimmis und Simmental fahre, werde ich an beides denken.

Die „befestigte Höhensiedlung verschiedener Zeitstellungen in Lattigen“ schildert der Wimmiser Architekt Erich Liechti in „Burgen, Schlösser und Ruinen im Simmental“. Der Bildband weist gleich drei Untertitel auf: „Von den befestigten Siedlungsplätzen der Bronzezeit zu den mittelalterlichen Ritterburgen. Wie diese vielleicht einmal aussahen und was man heute noch sieht. Eine nicht wissenschaftliche Zeitreise ins Simmental, auf den Spuren unserer Vorfahren.“ Liechti stellt 35 Objekte im Simmental von Wimmis bis Lenk vor sowie 12 im Vorland zum Thunersee mit Lattigen und Einigen, Spiez und Faulensee. Das mit kurzen Texten und oft mit Grundrissen, vor allem aber mit Zeichnungen, wie die Steinbauten ausgesehen haben mögen. Und wer wie ich noch immer gerne Burgen aufsucht, sollte mit dem Buch ins Simmental reisen. Die Festiburg ob der Bahnhaltestelle Enge im Simmental sieht atemberaubend aus, der Zugang auch. Noch schlimmer ist derjenige zum Turm Gaffertschinggen in der Latterbachfluh – nur für klettertüchtige Knappen und Burgfräuleins zu empfehlen. Ein Tipp noch: Bei den im Buch je fünfstellig angegebenen Koordinaten muss man jeweils noch eine Null anhängen, also 597530, 166420, damit man die Burgen auf https://map.geo.admin.ch gäbig findet.

Im gewichtigen Wanderführer „An stillen Wassern im Berner Oberland. Natur erleben an mehr als 100 Seen und Seelein“ sind die Koordinaten korrekt angegeben. Robert Schneiter, der 35 Jahre lang als Pfarrer im Berner Oberland tätig war, stellt mit Wort und Bild, mit Kurzstichworten zu den stillen Gewässern und oft mit Kartenausschnitten inkl. Wanderroute, die ganze Oberländerseenwelt vor: vom Ägelsee über das Burgseeli und den Tümpel an der Sunnig Aar bis zum Wyssensee im Freilichtmuseum Ballenberg. Dass es dort einen See gibt, wusste ich gar nicht. Ein Buch, das mir aus der Seele spricht: Von 1986 bis 1989 beschrieb ich in der Freizeitbeilage der „Berner Zeitung“ zehn Wanderungen zu Bergseen im Berner Oberland. Noch nicht aufsuchen können hätte ich damals den Triftsee in einem Seitental des Gadmertales, weil es ihn noch gar nicht gab, da der Triftgletscher noch in den 1990er Jahren bis in die Triftschlucht hinunterreichte. Heute ist der See 2,83 ha gross – und er soll, mit einer 177 Meter hohen Bogenstaumauer gestaut, noch viel grösser werden. Auf zum Gletschersee und zu seiner Hängebrücke, bevor die Bohrmaschinen und Kräne loslegen.

Die Trifttour ist ebenfalls enthalten im rucksacktauglichen, hübsch illustrierten Führer „Berner Oberland. Wandern für die Seele. 20 Wohlfühlwege“ von Sabine Reber, Schriftstellerin und Pflanzenexpertin, und Pascal Stern, Geograf, Wanderleiter und Hüttenwart. Die Wanderungen sind aufgeteilt in Auszeit- (5, mit Trift), Panorama- (4), Verwöhn- (3), Entschleunigungs- (3) und Erfrischungstouren (5, mit dem Lauenensee als letzte Wanderung). Dazu passt perfekt ein Lied, ja das Bergseelied schlechthin:

I weiss no guet wo’n i ar Sunne bi gsässe
Wit awäg vom Lärm vo der Stadt
I weiss no guet wie’n i ha chönne vergässe
Dert hinger bim Louenesee.

S’het mi packt i ha gspührt dass i gah mues
Eifach furt i d’Rueh vor Natur
Ganz allei mit em Chopf vou Gedanke
Dert hinger bim Louenesee.

Immer wenn i wieder dra dänke
A das Gfüeuh dert am Ufer vom See
De merk i wie guet dass’s mer ta het
I gloube i gange no meh
A Louenesee.

Gründungsmitglied, Gitarrist und Sänger Georges «Schöre» Müller erinnert sich auf seiner Website www.schoere.ch: „Das Lied ist 1981 entstanden, der Text und die Musik stammen von mir, umgesetzt und aufgenommen haben wir es mit der Berner Mundartrockband der ersten Stunde Span.“ Der grösste Hit von Span, ein Evergreen, der an jedem Konzert gespielt wird, gespielt werden muss.

Wort und Musik für einen Bergsee: Am kommenden Mittwoch, 5. April 2023 um 19 Uhr, wird im Alpinen Museum in Bern die Trift-Suite uraufgeführt: „Die Ermutigung der Wasseramsel – eine Suite zur Trift im Berner Oberland“. Mit der Kapelle „Alpenglühn“ und Texten von Köbi Gantenbein. Anschliessend findet ein Gespräch pro und kontra den Bau eines neuen Stausees in der Trift statt. www.alpinesmuseum.ch/de/veranstaltungen/tipps?article=musik-und-gespraechsabend-trift-stausee-oder-trift-wildnis.

Erich Liechti: Burgen, Schlösser und Ruinen im Simmental. Weber Verlag, Thun/Gwatt 2021. Fr. 39.-

Robert Schneiter: An stillen Wassern im Berner Oberland. Natur erleben an mehr als 100 Seen und Seelein. Verlag Müller Medien, Gstaad 2022. Fr. 46.50

Sabine Reber, Pascal Stern: Berner Oberland. Wandern für die Seele. 20 Wohlfühlwege. Droste Verlag, Düsseldorf 2023. € 18,00.

La montagna scritta

Ein unverzichtbares Werk für LiebhaberInnen von Bergbüchern und Bibliotheken. Ein paar Wörter Italienisch helfen beim Anschauen und Lesen. Aber zuerst muss es überhaupt gefunden werden.

31. März 2023

«Man kann sich denken, wie wohlwollend der Alpinist aufgenommen wurde, als er einen Stuhl heranrückte, um an einer Ecke des Kamins eine lehrreiche Unterhaltung anzuknüpfen. Oben von den beiden Säulenfiguren herab traf ihn auf einmal einer jener kalten Luftzüge, die er so sehr scheute; er stand auf, schritt durch den Saal, eben sowohl um sich etwas Haltung zu geben, als um sich zu erwärmen, und öffnete darauf die Tür zum Nebensaal. Einige englische Romane lagen umher, da und dort auch eine schwere Bibel und einzelne Bände vom Jahrbuch des Schweizer Alpen-Clubs; er nahm einen derselben an sich, in der Absicht, ihn im Bette zu lesen, musste ihn aber an der Türe zurücklassen, da die Hausordnung es nicht gestattete, Bücher aus der Bibliothek auf die Zimmer zu tragen.»

Mehrfaches Pech für den Alpinisten im Hotel Rigi-Kulm! Eine lebhafte Diskussion im Salon wird mit missbilligenden Blicken ebenso verhindert wie die Mitnahme eines Bergbuches aus der Bibliothek ins Zimmer. Dass es draussen noch wie aus Kübeln regnet, wird die Stimmung von Tartarin nicht gehoben haben. Tartarin also, der Held in drei Romanen von Alphonse Daudet. Im zweiten schickt er die Hauptfigur von den nach Lavendel duftenden Hügeln zwischen Avignon und Arles in die schnee- und sturmgepeitschte Gipfelwelt der Schweizer Alpen. Mit der Besteigung eines stolzen Alpengipfels (die Rigi wählt er nur zum Training aus) kann Tartarin seine Wiederwahl als P.C.A, als Präsident des Club des Alpines in Tarascon, sichern. Das ist nötig geworden, weil ein Klubkamerad ihm diese Stellung streitig macht. „Tartarin sur les Alpes“ erschien 1885. Das Cover der Erstausgabe ist die allerletzte Illustration in einem reich illustrierten, zweibändigen und in einem Schuber steckenden Werk, darin es um Bergbücher und Bibliotheken geht: „La montagna scritta.Viaggio alla scoperta della Biblioteca Nazionale del Club Alpino Italiano.”

„Der geschriebene Berg. Reise zur Entdeckung der Nationalbibliothek des italienischen Alpenvereins“ gibt einen umfassenden Überblick über das aussergewöhnliche bibliothekarische Erbe, das die Bibliothek in den 160 Jahren ihres Bestehens gesammelt hat. Im ersten Band finden sich ein reichhaltiger und reich dokumentierter Essay über die altehrwürdige Bibliothek sowie Kapitel, die die Beziehung zum Circolo Geografico Italiano beleuchten, die Korrespondenzen von Guido Rey/Émile Gaillard und Giovanni Bobba/Casimiro Thérisod analysieren und bisher unveröffentlichte Fakten und Dokumente über die Erstbesteigung des Mont Blanc enthüllen. Es folgen Aufsätze über die Bergliteratur für Kinder, das Bergsteigen im Gran Sasso, den Frauenalpinismus, das aussereuropäische Bergsteigen, den Chorgesang und die Literaturgeschichte des Skisports. Im zweiten Band folgt ein Rundgang durch die wichtigsten europäischen Bergbibliotheken, darunter die Zentralbibliothek des Schweizer Alpen-Clubs in der ZB Zürich. Im Weiteren gibt es Aufsätze zur Bergmedizin, Glaziologie, Geologie, Botanik, Meteorologie sowie zum Ursprung des Bergsteigens in der europäischen Kulturgeschichte. Am Schluss der beiden Bände werden auf Farbtafeln jeweils bedeutende Werke der Biblioteca Nazionale del Club Alpino Italiano gezeigt, mit dem unverwüstlichen Tartarin als Schlusspunkt.

So schwierig, wie es für den Alpinisten aus Tarascon war, sich im Hotel Rigi-Kulm passend zu benehmen, so schwierig war es für mich, „La montagna scritta“ in einer Buchhandlung in Italien zu finden. In der Libreria Buona Stampa in Courmayeur wurde ich im März 2023 fündig. Also in diesem Dorf auf der italienischen Seite des Monte Bianco, in das sich Tartarin nach seinem vermeintlich tödlichen Absturz am Gipfelgrat des höchsten Gipfels der Alpen retten konnte. „In dem Hotel, in welchem er Unterkunft fand, war von nichts anderem die Rede als von einer fürchterlichen Katastrophe auf dem Mont Blanc, die ganz und gar an das Unglück auf dem Matterhorn erinnerte. Wieder ein Alpinist, der infolge Durchschneidens des Seiles in den Abgrund gestürzt war.“

PS: Die Zeitschrift des Club Alpino Italiano hat seit März 2023 ein neues Format und einen neuen Namen, die an frühere Ausgaben anknüpfen: „La Rivista del Club Alpino Italiano“. Die n° 1 widmet sich „L’altra neve“, mit Artikeln wie „Il gioco dell’inverno. Dalla corsa agli ski al cambiamento climatico.“

La montagna scritta. Viaggio alla scoperta della Biblioteca Nazionale del Club Alpino Italiano. A cura di Gianluigi Montresor e Alessandra Ravelli. CAI, Milano – Torino 2021. € 35,00. https://store.cai.it/varia/368-la-montagna-scritta.html

Die Biblioteca Nazionale del Club Alpino Italiano ist im Museo Nazionale della Montagna “Duca degli Abruzzi“ in Torino untergebracht: https://www.museomontagna.org/area-documentazione/biblioteca-nazionale-cai/

Alphonse Daudet: Tartarin in den Alpen. Die Besteigung der Jungfrau und andere Heldentaten. AS Verlag, Zürich 2011, Fr. 29.80.

Billi Bierling in Bern, Kathmandu und am Everest

Ein 8000er-Buch mit einem atemberaubenden Titel: Ich hab ein Rad in Kathmandu. Viel Spass beim Mitradeln!

22. März 2023

«An diesen Moment erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Es war wohl im Januar, vor ziemlich genau 20 Jahren. Ein Föhntag, blauer Himmel, einzelne Linsenwolken. Die Stadt Bern leuchtete. Ich hatte es in meiner Wohnung in der Wyttenbachstrasse nicht mehr ausgehalten und war zu einem Spaziergang aufgebrochen, was auf den Krücken anstrengend war und lange dauerte. Vom Breitenrain humpelte ich am Kursaal vorbei in Richtung Aare. Als ich über die Kornhausbrücke den Fluss überquerte, standen sie direkt vor mir: Eiger, Mönch und Jungfrau, das Dreigestirn der Berner Alpen. Auf ihre Gipfel hatte ich es noch nicht geschafft, obwohl ich in den beiden vergangenen Jahren, seit ich als Journalistin in der Schweiz arbeitete, einige große Bergtouren unternommen hatte mit den vielen netten Menschen, die ich in dieser Zeit kennengelernt hatte.»

Was für ein Auftakt einer Biografie, die uns von der Kornhausbrücke in Bern über zahlreiche Abgründe und Höhepunkte hinweg bis auf den Everest und darüber hinaus mitnimmt. Mit „Ganz unten und ganz oben“ ist das erste Kapitel treffend überschrieben im Buch „Ich hab ein Rad in Kathmandu. Mein Leben mit den Achttausendern“, verfasst von Billi Bierling zusammen mit Karin Steinbach. Beide Frauen wurden vor gut fünfzig Jahren in Bayern geboren, beide haben heute ebenfalls den Schweizer Pass, und beide arbeiten (auch) als Alpinjournalistinnen. Ein Dreamteam also, das hier den Lebenslauf dieser Barbara Susanne Bierling erzählt, der damals, als sie über die Kornhausbrücke humpelte, ein für alle Mal klar wurde, „dass es mich in die Berge zog“.

Seit 2004 arbeitet Billi Bierling für die von der legendären Elizabeth Hawley gegründeten Himalayan Database in Kathmandu, sammelt Details zu Besteigungen von Expeditionen aus allen Ländern der Erde und trifft dafür alle, die Rang und Namen haben. Billi Bierling gilt als die Expertin für das Höhenbergsteigen im Himalaya; in der Database sind heute 469 Gipfel zwischen 6500 und 8848 Metern klassifiziert. So nebenbei hat sie selbst sechs der 14 Achttausender bestiegen, so am 21. Mai 2009 den Everest über die Südroute von nepalesischer Seite. Die erste Deutsche auf dem höchsten Gipfel der Welt, Hannelose Schmatz, hatte 1979 den Aufstieg über diese Route geschafft, kam aber beim Abstieg ums Leben.

Zugleich ist Billi Bierling aber ebenfalls für die Humanitäre Hilfe der Schweiz weltweit unterwegs an den globalen Krisenherden, begegnet dort Menschen und ihren Erfahrungen, Erfolgen und Schicksalen – ganz aktuell auch in der Ukraine, insbesondere in Kyiv. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer bevorzugen diese Schreibweise für die Hauptstadt, weil sich „Kiew“ vom Russischen ableitet. Verdienstvoll also, wenn Bergbücher nicht nur vom freiwilligen Überleben in menschenfeindlichen Gebirgen und Felsen berichten, sondern auch vom täglichen Überleben in Umständen, die Menschen mit Gewalt oder Geringschätzung verursacht haben.

Anschaulich und vielschichtig, wie Billi (mit Karin) von Extremalpinisten und Flüchtlingen, von der Arbeit beim Swiss Radio International in Bern und von derjenigen mit der Himalayan Database erzählt, vom Einsatz für Menschen in Kriegs- und Katastrophengebieten, vom Leben in Nepal und der sich wandelnden Bedeutung der Sherpas. Und sie blickt hinter die Kulissen des Höhenbergsteigens, beispielweise mit dem italienischen Höhenbergsteiger und Helikopterpiloten Simone Moro bei einem Kaffee im Marriott Hotel in Kathmandu im Frühling 2022: „Stell dir vor, manche Leute waren bereits im Everest-Basislager und merkten erst da, dass sie keine oder nicht die richtigen Expeditionsbergschuhe dabeihatten. Ich besorgte verschiedene Modelle und Größen und flog sie ins Basislager. Dort wurde anprobiert, ich kassierte und flog wieder zurück.“ Einmal brachte er mit seinem Heli gar zwölf Pizzas von Kathmandu ins Basislager. Billi Bierling holt sich die Pizzas selbst, mit dem Rad. Und wenn es sein muss(te), auch mit Krücken.

Billi Bierling mit Karin Steinbach: Ich hab ein Rad in Kathmandu. Mein Leben mit den Achttausendern. Mit einem Vorwort von Gerlinde Kaltenbrunner. Tyrolia Verlag, Innsbruck 2023. € 28,00.

Vortrag und Buchpräsentation mit den beiden Autorinnen am Freitag, 31. März 2023, 18.30 Uhr, im Alpinen Museum der Schweiz in Bern. Eintritt Fr. 15.-; Tickets können direkt an der Abendkasse bezogen werden, kein Vorverkauf.

Gabriel Loppé im Forte di Bard

Gemalte Berge eröffnen neue Perspektiven – zu erleben mit Gabriel Loppé im Forte di Bard in der Valle d’Aosta und mit dem aktuellen Katalog „Peaks & Glaciers“.

15. März 2023

«Mein lieber Loppé,
es ist nun einundzwanzig Jahre her, daß wir zusammen den Sonnenuntergang vom Gipfel des Montblancs genossen. Vor nicht ganz einem Jahr erlebten wir dieses Schauspiel am Fuße des Berges. (…) Ihnen widme ich die Neuausgabe meines alten Buches, das die Freuden des Alpenwanderns schildert. (…)
Immer ihr
Leslie Stephen»

Der Titel dieses alten Buches war sozusagen Programm für das goldene Zeitalter des Alpinismus im 19. Jahrhundert, ja ist es überhaupt für den Bergsport in den Alpen und anderswo: „The Playground of Europe“. Die Originalausgabe erschien 1871, die zweite, leicht veränderte und mit der Widmung an Gabriel Loppé versehene Ausgabe 1894. Sie ist auch in der ersten deutschen Ausgabe „Der Tummelplatz Europas“ von 1936 zu finden.

Am 4. September 1871 standen der Franzose Loppé und der Engländer Stephen als erste auf dem Mont Mallet (3989 m), einem etwas übersehehen Gipfel zwischen der Dent Géant und den Grandes Jorasses. Mit dabei bei der Erstbesteigung waren Stephens Landsmann Frederick Anthony Wallroth sowie die Führer Melchior Anderegg aus Meiringen, François Cachat und Alexandre Tournier aus Chamonix. Ein erster Versuch hatte am 2. September stattgefunden. Zwei Tage später fand Anderegg die richtige Route, nach der Erkundigung kam er zurück mit dieser Ankündigung: „lt will be very difficult, but go we must“. So Stephen im Artikel „Round Mont Blanc“ im „Alpine Journal“ vom Februar 1872.

Gehen müssen wir bis Mitte Januar 2024 ins Forte di Bard, in dieses grossmächtige Festungswerk im unteren Aostatal, das zu einem verwinkelten Museum zu verschiedenen Themen umgebaut wurde. Feste Hauptausstellung ist das alpine Museum, das alleine einen Besuch lohnt, neben der ganzen Festung. Nun aber hat im Forte di Bard der Galerist und Alpinist William Mitchell zusammen mit seiner Kollegin Anne Friang von den Amis de Gabriel Loppé die bisher grösste Ausstellung über das Leben und das Werk von Loppé unter dem Titel „artista, alpinista und viaggiatore“ zusammengestellt. Gezeigt werden über 100 Gemälde, Zeichnungen, Fotografien und zum ersten Mal Loppés Kletterausrüstung. Zur Ausstellung ist ein 210-seitiger, vollständig illustrierter Ausstellungskatalog auf Italienisch, Französisch und Englisch erschienen. Mehr zu Loppé als Künstler, Bergsteiger und Fotograf hier: https://bergliteratur.ch/gabriel-loppe-peintre-alpiniste/.

Sofort anschauen müssen wir zudem den aktuellen Katalog „Peak & Glaciers 2023“ von William Mitchell. Erstens erzählt er darin von seinen Touren und von der Loppé-Ausstellung. Zweitens werden darin zahlreiche hochkarätige Berggemälde vorgestellt und zum Kauf angeboten, darunter auch eines von Loppé. Wer noch kein Matterhorn-Gemälde aufgehängt hat, hat die Qual der Wahl zwischen Ansichten von Zermatt bzw. von Breuil. Das Wetterhorn ist dreimal abgebildet, am besten gefällt mir „The Wetterhorn in winter“ von Charles-Henri Contencin, mit einer Skispur im Vordergrund.

Das Matterhorn ist neben dem Mont Blanc der Star der Ausstellung im Forte di Bard. Grossartig das Winterbild, das Loppé 1887 von unterhalb Zermatt gemalt hat, mit dem ersten Anblick des Horu, wenn man sich dem Dorf nähert. Eiskalter Vordergrund mit der Vispa, sonnenbestrahlte Schneehänge hinten. Grad umgekehrt die Aufteilung von Sonne und Schatten im Gemälde vom 13. Februar 1889 mit dem falschen Titel „La cimetière d’Engelberg, en hiver, Oberland Bernois“. Es zeigt verschneite Grabkreuze im Vordergrund, im Hintergrund den Unteren Grindelwaldgletscher und die Abstürze des Eigerhörnlis.

Anne Friang, William Mitchell: Gabriel Loppé – artista, alpinista e viaggiatore. Forte di Bard editore, Bard Aosta 2022, € 29,00.

Gabriel Loppé – artista, alpinista e viaggiatore. Ausstellung im Museo delle Alpi des Forte de Bard im Valle d’Aosta, bis am 14. Januar 2024. www.fortedibard.it/mostre/gabriel-loppe-artista-alpinista-e-viaggiatore

Bis am 10. April 2023 ist im Forte di Bard noch folgende, ebenfalls sehr empfehlenswerte Ausstellung zu sehen: Il déco in Italia. L’eleganza della modernità.

Peaks & Glaciers 2023. 22nd February – 31st March 2023. John Mitchell Fine Paintings, 17 Avery Row, Brook Street, London. Monday – Friday 10.00-17.00. Der Weg zum Katalog:
https://mcusercontent.com/5bbd4a870af518e7b20caea38/files/0452b5ac-2d5e-60a0-10bb-042f961265d1/Peaks_Glaciers_2023_catalogue.pdf

Matterzorn und andere Bergkrimis

Tod in Bergen: Das passiert leider. Manchmal auch mit Absicht. Aufpassen also, im Chalet am Gletscher so gut wie im Berggasthaus.

10. März 2023

»Das ist nichts für mich. Die Anstrengung, diese Gletscherspalten«, seufzte Spyros und kramte im Rucksack nach einem Schokoriegel.
»Jetzt hör auf damit, dir dauernd etwas in den Mund zu stopfen. Schau dir diese dunklen Wolken hinter dem Matterhorn an. Wenn die uns erreichen, sind wir geliefert«, mahnte Hendrik und setzte einen vorsichtigen Schritt auf die Eisbrücke.
»Welches Matterhorn?«, fragte Spyros und sah sich ahnungslos um.

Fragt sich bloss, ob Spyros, Koch und Influencer auf einer Finca in Mallorca, das Matterhorn einfach nicht kannte – oder nicht mehr sah, weil es die heranstürmende Schlechtwetterfront bereits verschluckt hat? Ob er und Hendrik, ebenfalls Influencer, aber nicht als Koch-, sondern als Lebenskünstler rund um den Globus, das nigelnagelneue Chalet überhaupt erreichen werden, quer über den mit eiskalten, abgründigen Spalten aufwartenden Gornergletscher hinweg? Über dieses Domizil sollen die beiden Männer zusammen mit den Influencerinnen Anni, Alex und Tucker verlockende Beiträge auf Instagram hochladen. Als Belohnung winken 100‘000 Dollar – unter zwei Bedingungen: Niemand darf das Messner-Chalet verlassen, und es darf nur positiv berichtet werden. Ob das gut geht? Nein, natürlich nicht! Was wär das sonst für ein Psychothriller?

»Wir werden es gemeinsam rausschaffen«, erwiderte Valeria. »Mach dir keine Sorgen.«
Maria sagte nichts, aber nur zwanzig Minuten später, als sie durch eine Schneedecke stapften, die ihnen bis über die Knie reichte, hörte Valeria ihr Keuchen und sah ihr schmerzverzerrtes Gesicht.
»Komm schon«, sagte sie. »Nur noch ein bisschen weiter.«
»Es ist … so verflucht kalt. Und anstrengend.«

Ob die Ermittlerin Valeria Ravelli und die Angestellte Maria die Flucht aus dem Anwesen eines schwerreichen Geschäftsmannes schaffen werden? Oder holen die bewaffneten Schergen auf ihren Schneemobils die beiden Frauen noch ein? Und geht damit das Wintersterben rund um das nicht lokalisierbare Dorf Steinberg irgendwo in den Walliser Alpen weiter? Wie das Abhauen ausgeht, erfahren die KrimileserInnen ab Seite 352, wenn sie bis dort durchgehalten haben.

»Fahren wir jetzt weiter? Ich habe schon einen ganz kalten Hintern.«
»Ja, aber fahr mir nicht wieder davon, wir müssen immer in Blickkontakt bleiben. Weißt du, was das heißt?«
Lisa nickte. »Aber wie soll das gehen, bei dem vielen Schnee?«

Das fragen sich nicht nur der abgehalfterte Polizist Massimo Capaul und seine Ziehtochter, sondern wohl bald auch die Liftangestellten, die Verwandten und später die Polizei. Denn Massimo und Lisa finden nicht zurück auf die Piste und ins Tal, dafür eine abgelegene Jagdhütte in einem Seitental des Engadins, die sich zum Glück öffnen lässt. Weniger glücklich ist der Fund einer abgeschlagenen Hand, wenigstens für Massimo. Doch er wird, mit tatkräftiger Hilfe von Lisa, auch seinen sechsten Fall lösen, eigentlich fast so nebenbei, denn wenn es schneit und schneit, ist man plötzlich auf sich allein gestellt, in einer Hütte oder dann in einem verdammt abgelegenen Bauernhof. Ob sich dort gar der Mörder versteckt? Selber lesen. Zum Beispiel im Hotel Blatterhof am Fusse des Matterhorns.

»Übergibst du mir morgen die Fotos? Ja oder nein?«
»Hör jetzt auf mit dieser Fragerei. Was ist mir dir los?«
»Ich muss wissen, ob du ein falsches Spiel treibst.«
Elmar trat bedrohlich nah an Klaus ran. Platz zum Ausweichen gab es keinen.
»Es ist mir nicht zum Spaßen. Wie schnell passieren Unfälle in den Bergen. Das möchtest du doch nicht, oder?«

Ob der Abstieg vom Gipfel des Matterhorn, den die Jugendfreunde und Geschäftspartner Elmer und Klaus kurz nach diesem Disput antreten, in Minne oder Zorn ausgeht? Auch diese Frage sei hier nicht beantwortet. Aber sie spielt eine Rolle im Zermatter Kriminalroman um die neue Hotelangestellte Laura Pfeiffer und um alte Dorfseilschaften, bei denen einige Einheimische ein ziemlich falsches Spiel treiben. Am besten zu lesen ebenfalls im Hotel Blatterhof, in einem Engadiner Hexenhäuschen, in der Pension in Steinberg oder natürlich im Chalet Messner am Gornergletscher. Buchen über www.mountainlodge.ch.

André Gebel: Eiskalter Abgrund. Psychothriller. Piper, München 2022. € 20,00.

Martin Krüger: Wintersterben. Thriller. HarperCollins, Hamburg 2022. € 15,00.

Gian Maria Calonder: Engadiner Knochenbruch. Ein Mord für Massimo Capaul. Kampa, Zürich 2022. Fr. 19.90.

Christine Bonvin: Matterzorn. Kriminalroman. Gmeiner, Meßkirch 2023. € 18,00.

PS: Massimo und Lisa verpassen oberhalb Sils im Engadin nicht nur die letzte Bergfahrt, sondern auch die Talfahrt. Nicht verpassen sollte man aber am Donnerstag, 16. März 2023 um 18 Uhr, im Alpinen Museum in Bern den Vortrag „Lost Ski Area Projects“ von Christoph Schuck. Der Professor für Politikwissenschaften und Autor von «Letzte Bergfahrt» verbindet in der Führung durch die Ausstellung „Après-Lift. Skiberge im Wandel“ wissenschaftliche Erkenntnisse mit emotionalen Eindrücken. Anmeldung unter booking@alpinesmuseum.ch oder 031 350 04 42. Kosten: Fr. 15.– inkl. Ausstellungseintritt und Feierabendbier.