Hans Roelli – Auf eigener Spur

Eine neue Biografie zum Dichter, Sänger und Skilehrer Hans Roelli, der als erster Kurdirektor von Arosa Spuren hinterliess. Und eine Tagung zur Alpenliteratur insbesondere von Graubünden.

Tief wogt der Sommer an dem Korn.
Die Gärten sind mit dunklen Rosen
beschenkt. Schon reifen Aprikosen.
Im fernen rollt Gewitterzorn.

Zweite Strophe im Gedicht «Die Jahreszeiten» von Hans Roelli (1889–1962), abgedruckt mit neun andern Gedichten als «Verse» im 20. Jahrgang von «Ski», dem Jahrbuch des Schweizerischen Ski-Verbandes vor nun genau 100 Jahren. Mehrheitlich sind es natürlich Winter- und Schneeverse – aber wir wollen die kalte Jahreszeit nicht zurück, oh nein, jetzt wo sich ein kräftiges Hochdruckgebiet aufgebaut hat.

Sommer- und Wintertourismus weiter ausbauen: Diese Aufgabe oblag Hans Roelli seit dem 21. Oktober 1920 als frischgewählter Kurdirektor von Arosa. Andere Bündner Kurorte hatten ebenfalls um den schweizweit bekannten Dichter und Lautensänger, Skilehrer und Conférencier gebuhlt. Zehn Jahre hält der immer braungebrannte Roelli das Amt inne, im Demissionsschreiben vom 18. Januar 1930 hält er fest: «Ich darf den Anspruch erheben – nicht zuletzt dank meiner Kunst, die Arosa genützt und nicht geschadet hat – ein persönlicher und geachteter Kurdirektor gewesen zu sein.» Ein paar Verse mehr zum dichtenden Oberskilehrer hier: https://bergliteratur.ch/alles-fahrt-schi/. Und am 12. Mai 2025 wurde im Kulturhaus Helferei in Zürich die neue Biografie von Bernhard Ruetz vorgestellt: «Auf eigener Spur. Hans Roelli. Dichter, Sänger, Liedermacher».

Auf 128 Seiten stellt Ruetz den umtriebigen, ruhelosen, scheinbar dauerfröhlichen Roelli vor, schildert seinen Werdegang aus dem braven Willisau ins quirlige Arosa und darüber hinaus. Nicht alle konnten ihm folgen, die beiden ersten Ehefrauen jedenfalls nicht. Und manchmal schien Hans selber aus der eigenen Spur zu fallen. Aber er schaffte immer wieder den Rank – und ganz bestimmt noch einen stimmigen Vers, ein neues Lied, ein weiteren Gedichtband. Illustriert ist das Buch mit stimmigen Fotos, auf denen neben Skis oft ein Musikgerät zu sehen ist: die Gitarre. Selbstverständlich sind auch Gedichte eingestreut. Zum Beispiel «Das Neue Wiegenlied» aus dem «ungewöhnlich düsteren» (so Ruetz) Gedichtband «Gegenwartslieder und Zeitgedichte» von 1937:

Schlafe Kind, schlafe ein:
draussen ist es wieder Krieg;
Vater ist in Flamm und Not,
Vater ist vielleicht schon tot –
schlafe Kind, schlafe ein.

Schlafe Kind, schlafe ein:
draussen ist es wieder Nacht;
Mutter irrt nach Milch und Brot,
Mutter ist vielleicht schon tot –
schlafe Kind, schlafe ein.

Schlafe Kind, schlafe ein:
wir zertrümmern Sonn und Stern
und die Liebe ging verloren,
warum wurdest du geboren? –
schlafe Kind, schlafe ein.

Schlafe Kind, schlafe ein:
vielleicht bist du das neue Licht,
das in unser Dunkel fällt
und aufgeht in der ganzen Welt –
schlafe Kind, schlafe ein.

Ein Wiegenlied von beängstigender Aktualität, das der alpine Verseschmied da gehämmert hat. Ums Schreiben im Alpenraum geht es am 12. und 13. Juni 2025 in Bern: «Alpen im Wandel – Literaturen zwischen 1945-1990». Diese öffentliche, literaturwissenschaftliche Tagung zur deutschen, italienischen und rätoromanischen Literatur Graubündens findet im Schweizerischen Literaturarchiv der Schweizerischen Nationalbibliothek statt. Und so liest sich der Auftritt: «Der kulturelle Wandel nach 1945 war im mehrsprachigen alpinen Raum Graubündens wie auch in den angrenzenden Regionen enorm: Eine in weiten Teilen bäuerlich geprägte Gesellschaft erfuhr grundlegende gesellschaftliche, technische, ökonomische und kulturelle Umwälzungen. Zugleich überformte die fortschreitende Touristifizierung dörfliche Strukturen sowie ganze Talschaften und damit das Bild, das sich Ortsansässige, Zugezogene und Reisende davon machten.» Mehr noch: Am Donnerstag, 12.Juni, gibt es von 19.30 bis 21.00 im Saal Friedrich Dürrenmatt eine Soirée littéraire mit den AutorInnen Flurina Badel, Romana Ganzoni und Andrea Paganini zum Thema «Scriver en Grischun – Letterature in dialogo» statt. Nicht verpassen!

Bernhard Ruetz: Auf eigener Spur. Hans Roelli. Dichter, Sänger, Liedermacher. Verlag Ars Biographica, Andelfingen 2025. Fr. 30.- www.arsbiographica.ch/buecher/auf-eigener-spur/

«Alpen im Wandel – Literaturen zwischen 1945-1990». Tagung am 12. und 13. Juni 2025 in der Schweizerischen Nationalbibliothek an der Hallwylstrasse 15 in Bern. www.nb.admin.ch/snl/de/home/ausstellungen-va/veranstaltungen-past/va2025/alpenimwandel.html Die Teilnahme an der Tagung inklusive Verpflegung ist kostenlos. Um Anmeldung wird gebeten: claudia.cathomas@nb.admin.ch.

Von der Bürglen auf den Gipfel der Welt

Sieben Krimis, in denen Berge eine Rolle spielen, manchmal nur nebenbei, aber immerhin. Vom Gäntu über Capri zu den Northwest Arctic Mountains. Sommerlektüre für Gipfelstürmerinnen und Beachboys.

«Jetzt wird’s kompliziert», sagte Müller, der nach wie vor kein Navigationsgerät im Auto besaß. «Die Quartierwege sind nach Bergen benannt, Stockhorn, Eiger, Jungfrau, Nünenen, Gantrisch, Niesen, Chutzen. Wir suchen die Bürglenstrasse.»
«Auch ein Berg?», fragte Bauer, der sich in der Berner Geografie nicht so gut auskannte.
«Ja, liegt zwischen Gantrisch und Ochsen im Alpenvorland. Habe ich in jüngeren Jahren mehrfach bestiegen. Tolle Aussicht.»

Stimmt! In jeder Hinsicht. Die Bürglen in der nördlichsten Kette der Berner Alpen bietet wirklich eine tolle Aussicht, gerade weil sie sich am Rande erhebt und so auch einen weiten Blick auf Mittelland und Jura ermöglicht. Auf der Sonnenseite reicht er vom Vrenelisgärtli über Monte Rosa bis Mont Blanc. Und: Auch ich habe die Bürglen mehrfach bestiegen, das erste Mal im Herbst 1962, mit acht Jahren. Gibt Jahrgang 1954. Privatdetektiv Heinrich Müller, die Hauptfigur in den Krimis von Paul Lascaux, hat Jahrgang 1955. Wie der Autor selbst auch. Und jetzt will Müller nach dem 17. Fall, der «Berner Revolte», die Detektei, die er zusammen mit Nicole Himmel führte, schliessen. Einen Nachfolger für Ermittlungen scheint er aber gefunden haben: den Reporter Simon Bauer. Zu ihm sagt der Bürglen-Besteiger: «Wir gehen morgen auf eine kleine Wanderung, und dann reden wir an einem ruhigen Ort darüber, wo uns keiner stört.» Machen wir auch: eine kleine Tour d’Horizon von Gipfel zu Gipfel, von Krimi zu Krimi, darin diese eine Rolle spielen.

«Le soleil couchant enflamme à nouveau les dents du Midi, le spectacle est toujours aussi beau quand les nuages laissent le couchant œuvrer. Mais curieusement nous constantons que l’une des dents reste sombre ! Quel drôle de phénomène ? Serait-ce dû à un nuage facétieux ou un autre message ? Tout le monde est pantois ; chacun rentre chez soi perplexe. Les anciens n’on jamais vu un tel phénomène.»

Die Dents du Midi, dieser gezackte Gipfelkamm hinter dem Lac Léman, mit dem Château de Chillon im Vordergrund links: ein ikonisches Bild der Schweiz, auf Gemälden, Plakaten und Fotos. Was für ein Anblick aber, wenn die untergehende Sonne einen der sieben Gipfel nicht beleuchtet. Ein schlimmes Zeichen? Mais bien-sûr, in einem roman policier. Philippe Tauveron hat seine «Meurtres en Suisse. Mystère à Champéry» wie ein Tagebuch über eine Skiwoche in Champéry und im grenzüberscheitenden Gebiet Portes du Soleil verfasst, mit Angaben zu den Pisten und Beizen. Aber wenn die Schatten über den Mittagszähnen immer auffälliger mit fatalen Geschehnissen übereinstimmen, wer steckt dann dahinter? Einheimische, Touristen? Mon Dieu, so ist Skifahren kein Plaisir mehr!

«Diesmal schien es ewig zu dauern, gleichwohl keine außerplanmäßigen Pausen eintraten und er die Bequemlichkeit der Polsterbank zu schätzen wusste. Er rumpelte durch den Zwischenhalt und war hingerissen vom Rundumblick, als die Blase zur Bergspitze aufstieg.
Soweit er in jede Richtung schauen konnte, gleißten die gebieterischsten schartigen Gipfel in der Sonne. Er versucht auszuknobeln, welcher der Mont Blanc war, welcher Mont Vélan, der Grand Combin, die Grandes Jorasses: die höchsten Berge Frankreichs, Italiens und der Schweiz. Der viele Neuschnee die Tage war bis hinunter auf die Talsohlen gefallen, und alles lag unter einem weißen Teppich begraben. Es war ein grenzenloses Wunderland.»

Fast grenzenlos verwunderlich ist auch dieser Ausschnitt. Nicht mal das mit den höchsten Bergen der Schweiz. Diese liegen bei Zermatt und nicht im Dreiländergebiet, in dem «Höhenangst. Der Hotelinspektor in den Alpen» von Henry Sutton spielt. Aber das Rumpeln durch den Zwischenhalt in einer Blase! Blasen mögen in Champagnerkelchen aufsteigen, aber nicht zu einer Bergspitze. Eine Luftseilbahn, bei der mehrere Kabinen an ein ständig umlaufendes Seil geklemmt sind, tut das hingegen schon, und wenn man in einer Gondel durch die Zwischenstation fährt, rumpelt es . Wenn jedoch die Gondelbahn zuweilen gar zum Skilift wird, darf die Frage gestellt werden, ob sich der Schneesturm, der das fiktive, exklusive Skiresort im Schnittpunkt der drei Alpenländer heimsucht, nicht auch auf die Übersetzung aus dem Englischen ausgewirkt hat…

«La pointe de Montagny ne présentait pas de difficulté particulière. D’abord un long zigzag jusqu’à une clairière avant de contourner la forêt pour trouver l’alpage de Rosset. La poudreuse était légère. Des plumes de duvet s’envolaient sous les bâtons, si légers qu’ils se posaient sans bruit. Seules les fixations émettaient un chuintement régulier, envoûtant. Pied gauche, pied droit, la régularité de métronome laissait l’esprit vagabonder. Avec la chute de neige de la nuit, il serait seul dans le vallon de Trécol, son jardin secret.»

Ist er leider nicht, der sympathische Laurent Bincaz. Er widersetzt sich mit Freunden einer immer beängstigenderen Inbesitznahme einer Gemeinde durch einen russischen Oligarchen, der sich einen Gipfel gekauft hat und diesen in einen luxuriösen Skitempel umgebaut hat. Denn ein Scherge von Oleg Aksakov’s Gnaden fellt auf einer andern Seite auf die Pointe de Montagny, und dann – schlimm endet die Begegnung der beiden Skitourengeher, obwohl in dieser Szene im ersten Krimi von Jacques Leleu der Schnee nicht rot wird. Die Pointe de Montagny in «Neige Rouge» ist fiktiv, das Vallon de Trécol in den savoyischen Alpen gibt es wohl, und Leichen beim Kampf um Macht und Geld leider auch. Aber warum nur lässt sich Vera, die im roten Rock aus dem Gipfelpalast flieht und sich in ein Pistenfahrzeug retten kann, in die Machenschaften einkleiden?

«Als sie den ersten Tunnel erreichten, ging der Doktor zu Boden und blieb minutenlang sitzen, während Charlotte ihm Wasser einflößte und Marlène die Wunde an seinem Kopf versorgte. Es war der Doktor selbst, der zum Aufbruch mahnte. Er hatte Schmerzen und war angeschlagen, quälte sich aber tapfer durch die drei Tunnel bis zum Point Sublime, wo Marlène den Notruf wählte. 30 Minuten später jagte ein Rettungswagen die Serpentinen herunter.»

Der Point Sublime ist kein eigentlicher Gipfel, aber ein bekannter Aussichtspunkt an der Gorges du Verdon, dieser 21 km langen und bis zu 700 Meter tiefen Schlucht in der Provence, Mekka der Kletterer, aber auch der Canyonisten und Wanderer. Im Grand Canyon du Verdon startet und schliesst Georg Heinzen seinen Côte d’Azur-Krimi «Ich schenk dir einen Mord», jeweils mit Rettungsaktionen bei gefährlichem Wetter. Zu Beginn mit David, am Schluss mit Marlène. Die Hauptfiguren sind bzw. waren ein Paar, er wird im Verlauf der Lektüre immer unsympathischer, sie nicht. Ein Ferienkrimi, den man auch im Sense-Canyon lesen darf, besser bei azurblauem Himmel als bei schwarzen Wolken.

«Die Böschung linker Hand schien streckenweise zum Greifen nahe und bestand aus dornigem Gestrüpp, während rechter Hand Anacapri zu sehen war, kleine weiße Häuser, wie über die Anhöhen gewürfelt. Dahinter schimmerte das Meer in leuchtenden Blautönen, und mittendrin thronte Ischia, die grüne Insel. All das hatte der unbekannte Mann, Alessandro, Stammgast der seggiovia, auf seiner Fahrt auf den Monte Solaro vor nicht mal einer Stunde auch gesehen, bevor er plötzlich gestorben war. Ob er gespürt hatte, dass der Tod nahe war?»

Der Monte Solaro (589 m), Top of Capri, locker erreichbar mit dem Einersessellift. Wenn man unterwegs nicht erledigt wird. Leichen auf und in Liften, eine beliebte Krimiszene (wie zum Beispiel in «Höhenangst»). Aber dass jemand sein Leben in einem schwebenden Einersessel lässt, ist doch ungewöhnlich. Luca Ventura spielt in «Grünes Gold», seinem sechsten Capri-Krimi um die Inselpolizisten Enrico Rizzi und Antonia Cirillo, erneut mit den Sehenswürdigkeiten der weltberühmten und entsprechend überlaufenen Insel im Golfo di Napoli. Doch auf ausgesetzten Pfaden sind Kriminelle und Touristen alleine unterwegs – und begegnen sich nur auf den Buchseiten. Apropos Buch: Auf der Übersichtskarte zu Capri hätte man den Monte Solaro schon einzeichnen können.

«Sie standen auf dem Gipfel der Welt. Zur Rechten der Miklluni Peak, zur Linken der Mount Kanuyaq, zu ihren Füßen das ‹Kind› und in ehrfurchtsvollem Abstand vor der stolzen Majestät des Angiaak versammelt der Rest der schroffen Zinnen. Von unten gesehen achtungsgebietend, wirkten sie aus der Höhe beinahe unterwürfig. Kates Blicke wanderten von ihnen zum Mond und den Stern noch über ihnen, und zum ersten Mal begriff Kate den wahren Reiz des Bergsteigens.»

Eine neue Region auf der Krimi-Landkarte: Alaska. Wenigstens auf Deutsch. Denn Dana Stabenow, 1952 in Anchorage geboren, schreibt schon seit einigen Jahren Krimis. Die 1992 gestartete Kate-Shugak-Reihe umfasst 23 Bände; die Übersicht findet sich hier: https://www.bookseriesinorder.com/dana-stabenow/. Natürlich musste für die deutschen Ausgaben der Ort des Geschehens auf den Titel: nach «In der Kälte Alaskas» erschien in diesem Frühling «Weit draußen in Alaska». Im Original heisst der zweite Band «A Fatal Thaw» – übersetzt «Tödliches Tauwetter». Hoffentlich passiert uns das weder auf der Bürglen (2165 m) noch auf der Haute Cime (3257 m) der Dents du Midi oder auf dem Angiaak Peak (2041 m) in den Northwest Arctic Mountains. Und wenn – dann nur auf Papier.

Paul Lascaux: Berner Revolte. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2025. € 16,00.

Philippe Tauveron: Meurtres en Suisse. Mystère à Champéry. Moissons Noires, La Crèche 2024. € 7,90.

Henry Sutton: Höhenangst. Der Hotelinspektor in den Alpen. Band 3 der Hotelinspektor- Reihe. Kampa Verlag, Zürich 2025. Fr. 24.90.

Jacques Leleu: Neige rouge. Guérin/éditions Paulsen, Paris 2025. € 18,00.

Georg Heinzen: Ich schenk dir einen Mord. Côte d’Azur-Krimi. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2025. € 14,00.

Luca Ventura: Grünes Gold. Der Capri-Krimi. Diogenes Verlag, Zürich 2025. € 18,00.

Dana Stabenow: Weit draußen in Alaska. Ein Fall für Kate Shugak. Kampa Verlag, Zürich 2025. Fr. 26.90.

Bergende Berge

Schweizer Literatur vor Ort erleben und oft im Berginnern: Zwei Werke ermöglichen Lesepfade, die freilich mehr Kopf- als Fussarbeit verlangen.

«Arbeit, täglich, an den Bunkern. Ich gehöre zum Gärtnertrupp. Pflanzen, Giessen. (…) Ich requiriere 3 Gartenschläuche, der Mechaniker setzt sie zusammen, ich spritze den ganzen Morgen lang die braunen Bunkerhügel, damit die angesähten Heublumen rascher spriessen.»

Das notierte Max Frisch im unveröffentlichten Notizheft 115 am 15. Mai 1940. Im Zweiten Weltkrieg leistete der Schweizer Schriftsteller und Architekt als Kanonier von 1939 bis 1945 insgesamt 650 Aktivdiensttage, wobei er auch Baupläne für einzelne Bunker entwarf. Seine Notizen aus dem Aktivdienst erschienen im Dezember 1939 unter dem Titel «Aus dem Tagebuch eines Soldaten» in der Zeitschrift «Atlantis» und 1940 als Buch unter dem Titel «Blätter aus dem Brotsack». Daraus nochmals ein Zitat zu einem dieser Bunker, die als wichtiger Teil des Reduit in den Schweizer Alpen erstellt wurden:

«Natürlich ist es nicht möglich, dass man ihn mit dem Pinsel zum Verschwinden bringt. Er steht auch unter dem Netz seiner Tarnfarben, die aus Schwarz und Grün und Ocker bestehen, noch immer klotzig genug. Immerhin, es lassen sie die harten Geraden, die verräterischen Umrisse verwirren, fürs Auge zerstücken und zerbrechen, die harte Fremde eines solchen Menschenwerkes, das inmitten natürlichen Gewächses steht, mindestens verunklären. Das ist der mögliche Zweck der Tarnung.»

Die beiden kurzen Bunkertexte finden sich in der 309-seitigen Schrift «Bergende Berge. Reduitfantasien in der Literatur», die Andreas Bäumler als Dissertation im Rahmen des SNF-Forschungsprojekts «Gebirgskrieg und Reduit in der Literatur – Prekäre Alpen in national-imperialer Verschränkung (2019–2023)» an der Universität Luzern verfasst hat. Die Titel zeigen sofort, dass da gehörig mit intellektueller Kelle angerichtet wird. Wer wie ich bei den helvetischen Epistemen des Kalten Kriegs (Seite 34) nicht gleich warm wird, auf der intradiegetischen Ebene (166) ins Trudeln kommt, die Zwischentitel Digression statt Dissuasion (171) und ontologische Instabilität des Bunkers (179) nicht locker mitnimmt und spätestens im Kapitel Rückzugsfantasien im Modus der Dystopie (189) leicht angestrengt auf die Zeilen starrt, muss die Lektüre halt kurz unterbrechen und dort weiterfahren, wo die (Lese-)Arbeit mit Schlauch und Pinsel spriesst. Und man darf sich auch nicht davon verwirren lassen, dass es im dritten Hauptkapitel zweimal das Unterkapitel 3.1.1 gibt, einmal als Die Reinheit der Erzählung: Geschichtspolitik in der Nachkriegszeit und zehn Seiten weiter hinten als «Ich sehe nichts»: Dokumentation der Ereignislosigkeit im Abschnitt zu Max Frisch.

Denn: Die gebirgige Lektüre der Reduit-Literatur lohnt sich allemal, zuerst mal die Einleitung. Darin geht es nicht nur um das Reduit, um dieses System aus militärischen Verteidigungsanlagen in den Schweizer Alpen, die insbesondere im Zweiten Weltkrieg erbaut wurden, wie eben die von Max Frisch erwähnten Bunker. Sondern überhaupt um das Verhältnis der Eidgenossen(schaft) zu ihren Bergen, zur beliebten Durchlöcherung derselben, immer belegt durch zahlreiche Literaturhinweise. Und dann eben die tiefbohrende Untersuchung literarischer Texte, die das Reduit und so den Rückzug ins alpine Refugium erweitern: Texte von Graf Frédéric Gonzague de Reynold de Cressier, Max Eduard Liehburg und Felix Moeschlin, von Max Frisch, Otto F. Walter, Hermann Burger und Jürg Acklin, von Getrud Wilker, Friedrich Dürrenmatt, Claude Delarue und Christian Kracht. Nicht alle Texte scheinen per se lesenswert, Reynold und Liehburg schon gar nicht; aber wie Andreas Bäumler diese zerstückt und zerbricht, ist schon faszinierend, auch wenn man nicht sofort (oder überhaupt) jedes Wort versteht.

Weniger Kopf-, dafür mehr Fussarbeit verursacht «WanderOrte. Literarische Werke und ihre Schauplätze». Cyrill Stieger besucht mit 17 Autorinnen und Autoren 18 Orte, wo sie gelebt und/oder die sie in ihre Werke aufgenommen haben; Friedrich Glauser begleitet uns zweimal, in Münsingen sowie zwischen Heiden und Grub in Appenzell-Ausserrhoden. Mit Hermann Burger lernen wir das Ruedertal und mit Otto F. Walter das Maderanertal kennen, mit Dürrenmatt tauchen wir ein in die Twannbachschlucht – um die drei Schriftsteller zu nennen, die ebenfalls im Reduit-Buch auftauchen. Im Tessin begegnen wir Erich Maria Remarque und Aline Valangin, im Wallis Rainer Maria Rilke, Corinne Bille und Charles Ferdinand Ramuz. Dies aber fast mehr im Buch als vor Ort, weil die (wander-)touristischen Infos eher karg daherkommen. Illustriert ist es mit ganzseitigen aktuellen Farbfotos, auf denen nichts mehr angesäht werden muss.

Andreas Bäumler: Bergende Berge. Reduitfantasien in der Literatur. Signaturen der Moderne, Bd. 7. Schwabe Verlag, Basel 2025. Fr. 64.- https://schwabe.ch/Andreas-Baeumler-Bergende-Berge-978-3-7965-5180-2

Cyrill Stieger: WanderOrte. Literarische Werke und ihre Schauplätze. Mit einem Nachwort von Urs Faes. Orte Verlag, Schwellbrunn 2025.

Côte Bleue

Nur wandern ist schöner als lesen oder fahren. Zum Beispiel an der blauen Küste westlich von Marseille. Vier unvergessliche Tage an einer der schönsten Eisenbahnstrecken von Frankreich.

«Je découvris, à la nuit tombante, au bas d’un mauvais chemin en à-pic et très cassegueule avec ses pierres roulantes, la Calanque de La Redonne, encombrée de barques tirées sur les galets et sa placette rocailleuse.»

Diesen schlechten, steilen und mit seinen rollenden Steinen halsbrecherischen Weg findet sich in der Calanque de La Redonne nicht mehr. Die Zufahrtsträsschen sind geteert, und der Sentier des Douaniers, der so nah als möglich dem Mittelmeer entlang verläuft, ist dort breit ausgebaut. Aber andernorts an der felsigen Küste westlich von Marseille, zum Beispiel beim Aufstieg vom Plage de Figuerolles, ist der Weg genau so, wie Blaise Cendras den Abstieg nach La Redonne beschrieben hat. Mehr noch: Kurz nach dem erwähnten Aufstieg vom Figuerolles-Strand kommt man zu einer Passage, wo ein Fixseil über einen mitten auf dem Küstenpfad liegenden Felsblock hinweghilft. Und dann sind es nur noch zwanzig Minuten bis zum ersten Etappenort Niolon. Bienvenue sur la Côte Bleue!

Die Blaue Küste ist ein kleiner Abschnitt der französischen Mittelmeerküste. Sie erstreckt sich westlich von Marseille über 25 Kilometer bis zur Mündung des Canal de Caronte ins Meer, wobei an den Eckpunkten Hafen- und Industrieanlagen liegen. Wunder- und wanderbar gibt sie sich von Resquiadou bei L’Estaque bis zur Anse de Laurons (eine gute Wanderstunde südlich des Bahnhofs Martiques). Ein Sentier du Littoral erschliesst die Küste; im östlichen, wilden Abschnitt heisst er Zöllnerpfad; dort verläuft er teilweise direkt ober- oder unterhalb der Eisenbahnstrecke. Es sind dies die beiden einzigen Routen an dieser felsigen, mit Pinien bestückten Steilküste.

Die Ligne de la Côte Bleue zählt zu den schönsten Bahnstrecken Frankreichs, mit zahlreichen Viadukten, die die Küsteneinschnitte elegant überbrücken, während die Wanderer ab- und gleich wieder aufsteigen dürfen – bzw. müssen, wenn Beine und Rucksack schwer geworden sind. Christophe Pons stellt in den im Februar 2025 erschienenen «Balades curieuses sur la Côte Bleue» Abschnitte des Küstenweges vor, wenn dieser in die Rundtouren (von Bahnstationen aus) einbezogen wird. Insgesamt sind es elf Wanderungen und fünf Schwimmstrecken; dazu 26 Hintergrundgeschichten, wie eben zu Blaise Cendrars, der in «L’homme foudroyé» (Die Signatur des Feuers) seinen Aufenthalt in La Redonne festgehalten hat. Es ist dies einer der ganz seltenen (Wander-)Führer zur Côte Bleue. Zu den berühmten Calanques (östlich) von Marseille hingegen: zig Publikationen. Deshalb, meine Leute: Allons-y sur la Côte Bleue!

Hier nun ein Vorschlag für vier Wandertage an der blauen Küste.

1. Tag: L’Estaque – Niolon. Per Bahn nach Marseille St-Charles und weiter in wenigen Minuten nach L’Estaque. Runter zum Meer, nach rechts. Nun stundenlang links la Mer Méditerranée, rechts die Chaîne de l’Estaque. Kurz nach Resquiadou beginnt der malerische, schmale, oft ausgesetzte und meistens markierte Sentier du Littoral bzw. Sentier des Douaniers. Zeit: 2 h 20; Schwierigkeit: T3 mit Stellen T4. Nur wenige Unterkünfte in Niolon; empfehlenswert, auch nur zum Petit Déjeuner, das Bahnhöfli https://train-inc-cafe.com. Abendessen: Restaurant La Pergola.

2. Tag: Niolon – Carry-le-Rouet. Bis in die Calanque de Grand Méjean nochmals in jeder Hinsicht atemberaubend, bis La Redonne etwas ruhiger vom Untergrund, und dann eine Mischung aus Wegen, Strässchen und Treppen. Zeit: 4 h 10; Schwierigkeit: T3 (bis Grand Méjean), dann T2 und T1. Unterkunft in Carry-le-Rouet: sehr gediegen im Bleu Hôtel & Spa am Hafen. Abendessen: viele Restaurants am Hafenquai. Morgenessen: In der Boulangerie am Beginn der Avenue de Calanque.

3. Tag: Carry-le-Rouet – La Couronne-Carro. Auf gepflegten Wegen, auch auf Strassen, immer der nun eher flachen Küste entlang. Zeit: 3 h 45; Schwierigkeit: T2 und T1. Unterkunft: in La Couronne die Bastide des Joncas (Typ Maison de vacances). Abendessen: rund um den Hafen von Carro. Morgenessen: in einer der Strandkneipen an der Anse du Verdon.

4. Tag: La Couronne-Carro – Martigues-Lavéra: Bis zur Anse de Laurons auf Strassen und Wegen entlang der nun wirklich flachen Côte Bleue. Schwierigkeit: T1. Zeit: 1 h 30 bis in diese letzte Badebucht, dann eine gute Stunde meist auf Strassen, nach Unterquerung des Viaduc du Verdon immer östlich der Eisenbahn, zum Bahnhof von Martigues (im Ortsteil Lavéra). Es fährt auch ein Bus. Dann mit der blauen Bahn in einer knappen Stunde entlang der blauen Küste zurück nach Marseilles, und in gut sechs Stunden zurück nach Bern. Empfehlenswerte Lektüre: «Gefährliche Côte Bleue. Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc» von Cay Rademacher. Zitat aus dem Start: «Als Calanques wurde die zerklüftete Felsenküste östlich und westlich von Marseille bezeichnet. Blanc hatte schon vom karibischen Wasser und von harzigen Pinien gehört, von halsbrecherischen Pfaden zwischen mürbem Gestein.» Bonne balade!

Christophe Pons: Balades curieuses sur la Côte Bleue. L’éco-guide. Éditions Glénat, Grenoble 2025. € 13,90.

François Meienberg: Zu Fuß durch die Provence. Weitwandern zwischen Mont Ventoux, Verdonschlucht und Saint-Tropez. Rotpunktverlag 2019. Die Côte Bleue als Dreitagestour beschrieben, mit einer zu langen ersten Etappe (von L’Estaque bis Carry-le-Rouet) und zuletzt mit dem Marsch ins Zentrum von Martigues und nicht zum Bahnhof (so verpasst man die Rückfahrt mit der Ligne de la Côte Bleue).

Blaise Cendras: L’homme foudroyé, 1945. Die Signatur des Feuers. Lenos Verlag 2000.

Cay Rademacher: Gefährliche Côte Bleue. Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc.  Band 4. Dumont Verlag 2017.

Vitesse

Die dritte Ausgabe von «Les Sports Modernes» gibt Vollgas. Bitte anschnallen und Helm aufsetzen. Die Lesebrille ebenfalls.

«Genau ab der Türe dieses Hauses [‹Restaurant du Théâtre› beim Zytglogge in Bern] fuhren wir damals jeweils am Samstag, wenn es die Schneeverhältnisse erlaubten, mit Pierres rassigem Bignan-Sportwagen, durch ein Bergseil verbunden, im Höllentempo über die Kirchenfeldbrücke, so dass der Streusand Funken sprühte, dem Wochenende in Grindelwald oder Lauterbrunnen entgegen.»

An diese auffallende Verbindung von zwei schnellen sportlichen Fortbewegungsmitteln erinnerte sich Walter Amstutz im Kapitel «Die Skiwelt von gestern» im Jubiläumsjahrbuch «Der Schneehase» des Schweizerischen Akademischen Ski-Clubs von 1974. Im «Du Théâtre» hatte der aus Mürren stammende Amstutz zusammen mit zwei Freunden am 26. November 1924 den SAS gegründet. Fünf Jahre später wurde er zum ersten Kurdirektor von St. Moritz gewählt. Im Sommer 1929 fand die erste Internationale St. Moritzer Automobilwoche statt; ein Höhepunkt dabei war das Kilomètre lancé am 29. August 1929, ein Geschwindigkeitsrennen auf der schnurgeraden «Shellstrasse» zwischen Samedan und Prontresina. Bereits im Herbst dieses Jahres lancierte Amstutz die Arbeiten für eine steile Piste, die von der Bergstation der Corviglia-Standseilbahn ins Val Saluver hinabzieht. Dort fand am 14. Januar 1930 das erste Kilomètre lancé auf Ski statt. Der Innsbrucker Gustav Lantschner siegte mit 105,675 km/h und stellte damit den ersten Geschwindigkeitsrekord auf. «Eine phantastische Geschwindigkeit!» So das Jahrbuch des Schweizerischen Skiverbandes von 1930: «Wird sie noch überboten werden? Schon möglich. Tempo, Tempo, Tempo! Ist nicht so das Charakteristikum unserer Zeit?»

Was für eine Frage vor knapp hundert Jahren! Dem Tempo ist die dritte Ausgabe der sporthistorischen Publikation «Les Sport Modernes» gewidmet, nach den Bergen (mit Amstutz auf dem Cover) und der sportlichen Führungskraft. Die Geschwindigkeit ist, so schreiben Christophe Jaccoud und Laurent Tissot im Editorial, «ein zentraler Begriff, ja sogar mehr noch, ein Begriff, der im Herzen des Sports und der sportlichen Praxis selbst verankert ist. In einem ersten Sinne ist sie das absolute, unbestreitbare Kriterium für Leistung, und zwar in allen Sportarten. Eine prosaische Selbstverständlichkeit, die auf eine dem Sport eigene Form der Gerechtigkeit hinweist, die sich in der Formel verkörpert: Der oder die Schnellste gewinnt.» Doch die Geschwindigkeit geht darüber hinaus. Nochmals die beiden Herren, nochmals in Übersetzung: «In einem zweiten Sinne und in Sportarten, in denen die Zeiterfassung nicht das absolute Kriterium für die Leistung ist, stellt die Geschwindigkeit, gekoppelt mit der Präzision, den grundlegenden Parameter für eine gute sportliche Geste und ihre Wirksamkeit dar. Schliesslich wurzelt die eigentliche Logik der sportlichen Praxis in den hyperbolischen Werten der Selbst- und vor allem der Fremdüberwindung; die Sportkultur zahlt gewissermassen ihre Schuld an die Welt, in der sie entstanden ist: die Welt des Kapitalismus, der Produktivität und des allgemeinen Wettbewerbs.»

Alles klar? Nun aber mit Vollgas zu den 32 Beiträgen, darin sich acht dem Automobil(rennsport) widmen. Zum Beispiel der italienisch-schweizerischen Pilotin Luisa Rezzonico, die am 1. Oktober 1954 mit 21 Jahren während des ersten Autogiro d‘Italia auf der dritten Etappe von Napoli nach Bari mit 130 km/h an einer Mauer verstarb. Oder dem Verbot von Autorundstreckenrennen in der Schweiz. Der Skisport kurvt im Buch natürlich rassig mit. Grégory Quin bespielt die beiden Kilomètre lancé von St. Moritz und verknotet sie mit der Geschichte der Erstdurchsteigung der Eigernordwand (wenn Heckmair und Vörg nicht die langsameren Harrer und Kasparek im Schlepptau hätten mitnehmen müssen, wären sie vielleicht noch vor dem Wetterumschlag ausgestiegen). Ein Artikel beleuchtet «vitesse et ski dans le cinéma en Suisse, 1900–1965», ein zweiter den Skilift-Pionier Ernst Constam, einen «Ingenieur der Geschwindigkeit (und des Rhythmus)». Susanne Stacher untersucht, wie Architektur in den Bergen «mit dazu beitragen kann, Geschwindigkeit zu steigern, indem sie den Körper beschleunigt»; das gilt für die Seilbahnstation Cima di Furggen zwischen Breuil-Cervinia und Zermatt oder die Bergisel-Sprungschanze in Innsbruck. Im Beitrag «Pferdestärken» dreht sich alles um die Paliorennen der italienischen Renaissance und das Erlebnis von Tempo. Laurent Tissot zeigt anhand von Tagebucheinträgen und Fotografien auf, wie der Neuenburger Himalaya-Pionier Jules Jacot-Guillarmod um 1900 mit Velo und Auto neue Geschwindigkeiten erfuhr. Beim Sprint im Bahnradsport kann auch die Person gewinnen, die am längsten still zu stehen vermag; Stehversuch, englisch standstill, heisst dieses taktische Manöver mit möglichst Null Fahrtwind.

Mitten in der 250seitigen Publikation «Vitesse» findet sich ein aufschlussreiches Gespräch mit Vincent Kaufmann, professeur de sociologie urbaine et d’analyse des mobilités à l’Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL). Darin geht es ganz allgemein um Geschwindigkeit, Beschleunigung und Mobilität, um ihre soziologischen, wirtschaftlichen und philosophischen Aspekte. Nur ein kurzes Zitat: «On est de plus en plus rapide, c’est à dire que le lent d’il y a trente ans est beaucoup plus lent que le lent aujourd’hui.»

Langsam käme sich sicher auch Gustav Lantschner vor. Der Geschwindigkeitsrekord auf Ski liegt heute bei 255,500 km/h (Männer) und 247,083 km/h (Frauen). Der Franzose Johan Clarey raste 2003 mit 161,9 km/h durch den Hanegg-Schuss – das höchste je gemessene Tempo in einem Abfahrtsrennen. Die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit erreichte 1993 Armin Assinger mit 112,37 km/h in der Abfahrt in der Sierra Nevada. Und wenn vom Durchschnitt die Rede ist: Albert Guyot gewann 1921 auf einem Bignan 3,0 l den Grossen Preis von Korsika über 443 km, mit einem Schnitt von 72,420 km/h. Skijöring mit diesem Tempo auf der Kirchenfeldbrücke – wirklich höllisch!

Christophe Jaccoud, Grégory Quin (Hrsg.): Vitesse. Compétition, performance et accélération dans le sport. Les Sports Modernes n°3, Société, Culture, Temporalité, Territoire. Éditions Alphil-Presses universitaires suisses, Neuchâtel 2025. Fr. 35.- https://www.alphil.com/livres/1424-1768-les-sports-modernes-numero-3-2025.html#/1-format-livre_papier. Für Mitglieder der Association pour la valorisation des archives et de l’Histoire des sports (AvaHs) ist die Publikation im Jahresbeitrag von Fr. 60.- inbegriffen.

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Gischterwäng

Humorvolle Bergbücher lassen sich an zwei Kletterhänden abzählen. Am Weltbuchtag greifen wir lachend zum jüngsten.

«Wenn ich darunter leide, in der Gesellschaft zu wenig Ansehen zu geniessen, besteige ich den Mount Everest und schreibe anschliessend ein Buch darüber. Das haben schon viele getan. Auf einen Schlag werden mich alle bewundern. Das Buch wird vielleicht niemand lesen, aber alle denken sich: Wow, der hats weit gebracht und hat auch noch ein Buch darüber geschrieben!»

So steil steigt der Kletterführer «Gischterwäng» von Tinu Schwarz und Röfe Maler ein. Mit ihnen und ihrem Werk feiern wir heute den Welttag des Buches und des Urheberrechts. Seit 1995 ist der 23. April «ein von der UNESCO weltweit eingerichteter Aktionstag für das Lesen, für Bücher, für die Kultur des geschriebenen Wortes und auch für die Rechte ihrer Autoren», heisst es auf Wikipedia. «Das Datum des 23. April geht zurück auf den Georgstag. Es bezieht sich auf die katalanische Tradition, zum Namenstag des Volksheiligen St. Georg Rosen und Bücher zu verschenken.» Wir bleiben auf Empfang und klettern weiter durchs Vorwort:

«Wir jedoch haben kein Geld, um den Everest zu besteigen, also suchen wir etwas anderes. Warum nicht etwas Grosses im Sportklettern vollbringen? Aber was? Eine Erstbegehung in der Eigernordwand? Geht nicht, das Routennetz ist leider bereits zu dicht und alle anderen berühmten Wände sind erschlossen. Dann aber entdecken wir eines schönen Herbsttages die grosse Felsenfluh Gischterwäng! Noch kein Kletterer hat hier je geklettert. Die einsamen Felsen warten darauf, von uns erschlossen zu werden. Ein Traum wird wahr! Eroberungsgefühle steigen auf, Erstbegehungsfieber liegt in der Luft. In Gedanken reihen wir uns bereits in die Liste der grossen Kletterpioniere ein. Jetzt haben wir ein grosses Ziel: Wir wollen die Kletterwelt zum Staunen bringen! Wollen die schönsten aller Routen erstbegehen. Wollen ein Buch darüber schreiben und in die Klettergeschichte eingehen.»

Das ist den beiden Bernern und Neo-Autoren gelungen. Wie sie übrigens wirklich heissen, kennt nur eine Handvoll Leute. Wichtiger ist, dass ihr Buch in die Geschichte der Bergliteratur eingehen wird. Denn humorvolle Bergbücher lassen sich an zwei Kletterhänden abzählen. Bereits beim Lesen der Legende zum Cover der erste Lacher: «Tinu S. im erfolglosen dreiundvierzigsten Versuch der Route ‹Pech und Penis› 8c+.» Erst recht dann beim Aufklappen der Übersichtskarte, die einem Ausschnitt der Landeskarte täuschend ähnlich ist. Aber diese Namen im Ängistirntal und Schluckhalstal! Härdöpfelstock, Eierstock und Schlagstock, Schnuddersee, Eiterbibeli und Hosebislerquell lassen nur bedingt Vorfreude aufkommen, die «über 90 Top-Routen im bestem Sediment-Polyporphyr» auch wirklich zu klettern. Leider bzw. zum Glück gibt es die Anstiege «No es Löffeli Adrenalin füre Moudi», «Das ist mir Schuppe» und «Fliegenlandeplatz» wohl nur in diesem Kletterführer. Darin wird wirklich alles – vom Naturschutz und Geologie über Unterkünfte und Fahrplan bis zu Routeninfos, Fotos und Reklamen – höchst amüsant und ziemlich schräg behandelt und beschrieben, und das Seite für Seite, Satz für Satz und Bild für Bild. Ein Meisterwerk, fürs Klettervolk sicher noch um eine Seillänge mehr, aber gerade das Kapitel zur Alpingeschichte des Ängistirntals wird auch Flachwanderer und Hochlandtouristinnen begeistern. Wer schon etwas schnuppern will, gibt www.gischterwaeng.ch oder auch https://egopoint.ch/ ein. Aber vorher klettern wir noch zum Ausstieg der Einleitung:

«Unsere Gischterwäng ist unser kleiner Everest. Und wenn wir nicht unverzüglich mit der Erschliessung beginnen, kommen andere und schnappen uns alles weg. So konzentrierten wir unser gesamtes Engagement in den letzten Jahren auf die Gischterwäng. Und nun ist alles fertig. Wir haben es geschafft. Stolz präsentieren wir hier unseren Kletterführer!»

Tinu Schwarz, Röfe Maler: Gischterwäng. Kletterführer. Topo.Verlag, Frenkendorf 2024. Fr 27.-

Auf ins Tessin!

An Ostern in den Süden, auch wenn der Wetterbericht für Ascona nicht unbedingt sonnig ist? Gehört offenbar alljährlich dazu, muss aber nicht unbedingt sein. Wer trotzdem Tessinluft schnuppern möchte: Hier vier neue, ganz unterschiedliche Bücher zum Ticino.

«Die heutige Etappe hält ein Schlemmermenü bereit: sieben aneinandergereihte Dreitausender, die man grösstenteils über Grate erreicht. Diese und die gestrige Teilstrecke der Via Crio bilden das Herzstück der Route, von hier aus zieht sie sich nach Süden und nach Norden. Zusammen mit der neuen Verbindung von der Capanna Adula zum Rifugio Scaradra sind das die wichtigsten neuen Möglichkeiten, die das Trekking bietet.
Auch ihren Namen hat die Via Alta Crio von hier: crio kommt von griechisch kyros, ‹Kälte, Frost, Eis›. Auf Eis werden wir auf der heutigen Etappe stossen, ohne es begehen zu müssen, während je nach Fortschreiten der Jahreszeit noch Schnee liegen könnte.»

Auf dem jüngsten und höchsten Tessiner Höhenweg liegt an Ostern natürlich noch viel zu viel Schnee, an Pfingsten wohl immer noch. Doch mit dem grossartigen Bildbandführer «Via Alta Crio. Sfiorando i ghiacci a fil di cresta/Auf Graten und in eisigen Höhen» von Marco Volken (Foto) und Cindy Fogliani (Text) können wir schon mal diese neue Herausforderung für Alpinwanderer auf der Alpensüdseite hautnah erleben. Insbesondere die 250 Farbfotos zeigen uns, wie schön und streng das Trekking von der Capanna Brogoldone hoch oberhalb Bellinzona bis zum Lukmanierpass sein wird. Die in mehrjähriger Arbeit erstellte und im Herbst 2023  eröffnete Via Alta Crio geht über den schier unbegehbaren Rücken zwischen Riviera und Valle di Blenio im Westen und Val Calanca im Osten: gut 100 km, zahlreiche Pässe und dreizehn Gipfel – der höchste ist der Puntone dei Fraciòn (3202 m), zehn Hütten, wobei das Bivacco Piano delle Parete extra für die neue Via altissima erstellt wurde. Die Hütte ziert auch das Cover des 270seitigen Buches, das zum Mitnehmen zu schwer und gross ist. Die technischen Infos und die Kartenausschnitte finden sich ebenfalls hier: www.viacrio.ch.

Auf der fünften Etappe der Via Alta Crio kommt man beim Abstieg zur Capanna Adula UTOE am Laghetto dei Cadabi vorbei, auf der neunten beim Abstieg zur Capanna Bovarina am Lago Retico. Beide Bergseen hat Daniele Maini in seinen Führer «Meraviglie d’acqua tra le vette. Escursioni tra i laghetti alpini del Ticino» aufgenommen. Er beschreibt 29 Wanderungen zu Bergseen im nördlichen Tessin. Viele schöne Fotos machen gluschtig auf die Seetouren – bloss fehlt eine vom Baden! So bietet zum Beispiel der Lago d’Alzasca mit der gleichnamigen Hütte in der Nähe ein wein-see-liges Erlebnis par excellence. Und: Die Navigation im Buch fällt so leicht wie das Gehen auf überwucherten Tessiner Pfaden. Zudem ist die Luftbildkarte gewöhnungsbedürftig, die touristischen Angaben zu Anreise und Unterkunft sind etwas mager. Aber auf www.capanneti.ch/de findet man ja die nötigen Angaben. Zum Beispiel zur Capanna Pian di Crest am Südfuss des Basòdino; am 6. Juli 2025 findet das Fest zum 40. Jahrestag dieser Hütte der Società Alpinistica Valmaggese statt.

Wer dort mehr als feiern und baden (in den beiden Laghetti d’Antabia) möchte, schlägt «Tessin Rock» von Egon Bernasconi auf: «Piano delle Creste ist definitiv einer der faszinierendsten Orte in den Tessiner Bergen.» Der Autor stellt in seinem Führer insgesamt 98 Klettergärten im Tessin vor, insbesondere im Locarnese und im Valle Maggia (inklusive den Seitentälern), aber auch im Raum Bellinzona sowie im Sottoceneri. Also eher kurze Routen und nicht die hohen Kletterwände wie am Poncione d’Alnasca im Val Verzasca. In der ersten Auflage von 2021 waren es noch 69 Klettergärten gewesen. Die Zunahme zeigt einmal mehr, dass das Tessin definitiv viel mehr zu bieten hat als lauschige Grotti rund um den Lago di Lugano, als die überfüllte Promenade von Ascona oder den Ponte dei Salti in Lavertezzo.

Und was machen wir, wenn die Verhältnisse nicht zum Wandern, Klettern und Baden einladen, weder in der sogenannten Sonnenstube noch zuhause? Ganz einfach: Wir lesen in der Stube ein Buch – zum Tessin selbstverständlich. Mein Vorschlag: Die Erzählungen von Christian E. Besimo in «Das schweigende Tal. Eine Spurensuche». Der erste Teil ist mit «Suchen» überschrieben, der zweite mit «Finden». Mit dem Tal ist das Val Verzasca gemeint, die Hauptfigur heisst Matteo. Die Erzählung «Fährtensuche» beginnt so:

«Matteo hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die verbliebenen Spuren der grossartigen alpinen Kulturlandschaft im südlichen Tal zu dokumentieren und so vor der Vergessenheit zu bewahren. Mit dem Verfall der Maien- und Alpsiedlungen verschwanden auch die Saumwege. Die Wälder eroberten sehr rasch zurück, was sich die Menschen über Jahrhunderte mühevoll und unter Einsatz ihres Lebens erkämpft hatten. Es war ein Wettlauf mit der Zeit

Marco Volken (Foto), Cindy Fogliani (Text): Via Alta Crio. Sfiorando i ghiacci a fil di cresta/Auf Graten und in eisigen Höhen. Salvioni Edizioni, Bellinzona 2024. Fr. 50.-

Daniele Maini: Meraviglie d’acqua tra le vette. Escursioni tra i laghetti alpini del Ticino. Fontana Edizioni, Pregassona 2025. Fr. 39.-

Egon Bernasconi: Tessin Rock. Klettergärten. Locarnese, Valle Maggia, Bellinzona, Moesano, Riviera mit Val di Blenio, Sottoceneri, Leventina. Versante Sud Edizioni, Milano 2024. € 38,00.

Christian E. Besimo: Das schweigende Tal. Eine Spurensuche. Erzählungen. Verlag edition bücherlese, Luzern 2025. Fr. 30.-

Vollständige Beschreibung des Schweizerlandes

Ein ziemlich verkanntes und verblüffendes Lexikon aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

«Eiger, der äussere und innere, zwei hohe Felskolosse im A. Interlachen des K. Bern. Der erste, oder der eigentliche Eiger, von dem sich nordwestl. die Wengeren-Scheideck herabsenkt, ragt 12,220 F. ü .M. empor. Der zweite, oder der Mönch, steht südl. hinter ihm, auf der Grenzscheide von Bern und Wallis. Er ist 12,000 F. ü. M. (…) Beide Eiger können erstiegen werden.»

Was für eine kühne Aussage im letzten Satz! Wären diese Besteigungen wirklich durchgeführt worden, müsste die (alpinistische) Geschichte der beiden berühmten Berner Oberländer Gipfel umgeschrieben werden. Der bemerkenswerte Eintrag zu Eiger und Mönch findet sich in diesem Werk mit dem etwas langen Titel: «Vollständige Beschreibung des Schweizerlandes. Oder geographisch-statistisches Hand-Lexikon über alle in gesammter Eidsgenossenschaft befindlichen Kantone, Bezirke, Kreise, Aemter, sowie aller Städte, Flecken, Dörfer, Schlösser, Klöster, auch aller Berge, Thäler, Seen, Flüsse, Bäche und Heilquellen, nach alphabetischer Ordnung.» Und weiter steht da: «Herausgegeben im Verein mit Vaterlandsfreunden von Markus Lutz, Pfarrer in Läufelfingen, im Kanton Basel». Vor mir liegt die «zweite, durchaus umgearbeitete und viel vermehrte Auflage». Sie erschien in fünf Bänden bei Heinrich Remigius Sauerländer in Aarau von 1827 bis 1835; die erste Auflage datiert von 1822.

Die drei ersten Bände (mit 480, 503 und 536 Seiten) umfassen die lexikalischen Einträge von A wie «Aa, die, heißen eine Menge Bäche und ansehnliche Bergwasser in der Schweiz» bis Z wie «Zynikon, kl. Ort in der Pfarre Elgg, im zürch. A. Winterthur». Am Schluss der Bände stehen je ein paar Seiten mit Nachträgen, Verbesserungen und Zusätzen. Solche enthält ebenfalls Band 4 (mit 304 Seiten); zudem steht dort ein «topographisch-statistischer Abriß des Herzogthums Savoyen» sowie ein «neuer und vollständiger Wegweiser durch die schweizerische Eidsgenossenschaft und die benachbarten Länder». Da erfährt man zum Beispiel, wie weit der Weg von Aarau nach Aarburg ist, nämlich 3 Stunden und 5/12 Minunten (das sind, laut Erklärung, 25 Min.), und zwar auf der großen Strasse über Olten; eine Abkürzung wird erwähnt: «Der Fußweg von der Kapelle bei Starrkirch ist 10 Minuten näher, als die Straße über Olten.» Band 5 (mit 475 Seiten) ist der Supplement-Band mit neuen, ergänzten und korrigierten Einträgen von A wie Aare bis Z wie Zyfen, inkl. zwölf Seiten Nachtrag.

Ein Wort zum Autor: Markus Lutz (1772–1835) war ein reformierter Schweizer Theologe, Historiker und Schriftsteller. Von 1798 bis zu seinem Tod 1835 wirkte er als Pfarrer in Läufelfingen. Er war Gründungsmitglied der Schweizerischen Geschichtsforschenden Gesellschaft, Mitglied der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft und Inspektor der Schule Rothenfluh. Neben historisch-geografischen Werken wie «Basel und seine Umgebungen neu beschrieben, um Eingeborene und Fremde zu orientieren» (1814) oder eben «Geographisch-Statistisches Hand-Lexikon der Schweiz» verfasste er Schulbücher. Das Erstaunliche ist, dass gerade sein Hand-Lexikon mit vielen Einträgen zu Bergen in der alten Führerliteratur nicht Eingang fand. Der zweite Band des «Hochgebirgsführer durch die Berner Alpen» von Coolidge/Dübi glänzt mit gut sechs Seiten Bibliographie inkl. Rebmann von 1620, Gruner von 1760 und Coxe von 1789, aber den Lutz sucht man vergeblich. Wenn ich selbst seine «Vollständige Beschreibung des Schweizerlandes» früher gekannt hätte, wäre in meine Bücher und Artikel sicher das eine oder andere Lutz’sche Zitat eingeflossen. Dass es dank Peter und Eva vom Schlossberg in Thun nun Teil meiner Bibliothek wurde, davon konnte ich ja nicht träumen, da ich von ihm schlicht nichts wusste.

Nach dieser etwas langen Einleitung noch kurz ein paar besondere Einträge. Zum Beispiel zum «Abendberg, der, ein bewohnter Berg über der Lütschenenfluh, oben am Thunersee im berner A. Interlachen. Auf seinem Gipfel, das Schiffli genannt, der ohne alle Gefahr erstiegen werden kann, hat man eine sehr reizende Aussicht.» Oder zur Blümlisalp: «…ist noch niemals erstiegen worden, obgleich der Zugang eben nicht besonders gefahrdrohend ist.» Das Matterhorn bzw. der Mont Cervin wird nur nebenbei erwähnt im Zusammenhang mit dem Matterjoch und seinen grossen Eisfeldern, über «die ein im Sommer selbst für die Maulthiere und Pferde gangbarer Pfad von Zermatt nach Breuil in 10 St.» führt. Der Moléson hingegen wird mit 21 Zeilen beschrieben, der Niesen mit 14 – wie die beiden Eiger. In Band 5 erfahren wir dann die nötige Korrektur: «Es ist nicht gewiß, daß die beiden Eiger erstiegen werden können, wenigstens hat sie, so viel bekannt ist, noch nie jemand erstiegen.» Und zum Niesen noch diesen Zusatz: «Die höchste Kuppe des Niesen ist sehr spitzzulaufend, so daß kaum 6 oder 7 Personen dicht zusammen gedrängt darauf stehen können.»

Hier können die Werke von Markus Lutz heruntergeladen werden: www.e-rara.ch/search/quick?query=markus+lutz

Alle «Bücher der Woche» unter: www.bergliteratur.ch

Darum Berge

Ein starkes Ausstellungsbuch und zwei besondere Ausstellungen in München. Dazu ein Berggeschichtsfestival in Grenoble. On se voit, an der Isère oder Isar.

«Sich auspowern» oder «sich spüren» – Körperlichkeit gilt mittlerweile als ein zentrales Element des Bergsportes. Die Erfahrung des eigenen Körpers kann intensiv und vielseitig sein und verschiedenste Formen annehmen: das Spüren von Wind, Wärme oder Kälte; das Ausstoßen von Glücksgefühlen, wenn die Anspannung nachlässt; der äußerste Kraftaufwand, um über eine Kletterstelle zu kommen; die letzten Meter vor dem Ziel (und der damit verbundenen Ruhepause); oder eben auch der gleichmäßige Rhythmus der Bewegungen, sei es beim Biken, Wandern, Klettern oder Skifahren – am intensivsten, wenn sich der sogenannte Flow einstellt und wir nur im «Hier und Jetzt» sind. Zusammengefasst etwas, was gesucht wird und meist etwas Außeralltägliches bietet.

So der Einstieg von Max Wagner, Ausstellungsmacher und Sammlungsleiter im Alpinen Museum in München, ins Kapitel «Körper» des neuen Begleitbuches zur Dauerausstellung «Darum Berge». Diese ausgezeichnete Publikation behandelt mit klugen Beiträgen und erfrischenden Illustrationen die Themen Abenteuer, Körper, Leistung, Natur und Gemeinschaft. Und ebenso tiefsinnig wie überraschend ist die am 7. März 2024 eröffnete Dauerausstellung im gediegen renovierten Alpinen Museum auf der Isarinsel. Sie stellt nicht nur Kostbarkeiten von legendären Alpinisten und Touren aus, sondern zeigt auch fein nebenbei und umfassend, was Bergsport ausmacht und ausmachen kann. Das Begleitbuch kostet nur 16 Euro; ich kenne kein anderes Bergbuch, das für so wenig Geld so viel bietet.

Am besten kauft man „Darum Berge“ im Museum des Deutschen Alpenvereins. Und zwar möglichst noch bis Anfang Juni 2025. Warum?
– Erstens ist München immer eine Reise wert; der direkte SBB-Zug von Zürich braucht nur dreieinhalb Stunden.
– Zweitens ist das Alpine Museum an der Isar mit seiner Dauerausstellung wirklich sehr besuchenswert; ein sonniges Café gibt‘s auch.
– Drittens ist noch bis zum 30. August 2026 die Sonderausstellung «Zukunft Alpen. Die Klimaerwärmung» zu sehen. Auch wenn man einige Fakten der menschgemachten Veränderungen in den Alpen sicher kennt: Wenn man die Folgen unseres Tun so geballt und so clever aufbereitet präsentiert bekommt, wird man das eigene bergsportliche Tun bestimmt kritisch betrachten und vielleicht bzw. hoffentlich überdenken und anpassen.
– Viertens zeigt das Italienische Kulturinstitut München bis Anfang Juni 2025 die Ausstellung «Va‘ Sentiero – Ein Blick über 8000 km». Sie bietet eine neue Perspektive auf die italienischen Gebirge und dokumentiert die dreijährige Expedition auf dem Sentiero Italia, dem längsten Wanderweg der Welt. Zwischen 2019 und 2021 hat das Team von Va’ Sentiero den gesamten Sentiero Italia erwandert – ein rotes Band durch ganz Italien. Von Friaul-Julisch Venetien durch den Alpenbogen nach Ligurien, durch den Apennin hinab nach Kalabrien, hinüber nach Sizilien und zuletzt noch durch Sardinien. Ein ständiges Auf und Ab über genau 7887 Kilometer.

– Und fünftens wechseln wir von einer Alpenstadt in eine andere, und zwar in die grösste mitten in den Alpen: Grenoble. Warum gerade jetzt? Vom 11. bis 13. April 25 findet dort das «1er festival d’histoire de la montagne» statt. Ein reichhaltiges Programm zum Thema «Expériences». Wir sehen uns, an der Isar oder Isère! Beide Alpenflüsse sind übrigens fast gleich lang: 292 km der deutsche, 286 km der französische.

Friederike Kaiser, Max Wagner (Red.): Darum Berge. Begleitbuch zur Dauerausstellung. Herausgegeben vom Alpinen Museum des Deutschen Alpenvereins. München 2024. € 16,00.

Alpines Museum München. Dauerausstellung «Darum Berge». Viele Veranstaltungen, so am 9. April 2025 Krimilesung mit Nicola Förgs „Verdammte Weiber» (mehr dazu hier: https://bergliteratur.ch/skiende/). Die Sonderausstellung «Zukunft Alpen. Die Klimaerwärmung» läuft noch bis zum 30. August 2026. www.alpenverein.de/museum

Das Istituto Italiano di Cultura di Monaco di Baviera zeigt bis zum 6. Juni 2025 die Ausstellung «Va‘ Sentiero – Ein Blick über 8000 km». Vernissage am 3. April um 19 Uhr. https://iicmonaco.esteri.it/de/gli_eventi/calendario/va-sentiero-ein-blick-ueber-8-000-km/

Alles zum «1er festival d’histoire de la montagne» vom 11. bis 13. April 2025 in Grenoble hier: www.auvergnerhonealpes-tourisme.com/fiches/1er-festival-dhistoire-de-la-montagne-experiences/

Skiende

Zum Abschluss der Skisaison mit alpinem Weltcup in Sun Valley und Freestyle-WM in St. Moritz ein skihistorisches Werk und ein Krimi, darin der Skisport kurz mitspielt.

«Könnte man nicht auf das Skifahren verzichten?», meinte Luise. «Auf das Beschneien? Diesen ganzen Kram? Man kann ja trotzdem nett im Winter urlauben.»
Cocis Blick besagte, dass man eher auf Essen, Trinken oder Sex verzichten konnte. «Schneeschuhwandern ist ja nett. Winterwandern auch, aber das rockt nicht! Es geht nicht zuletzt darum, junge Menschen an diesen Sport zu binden. Er bietet frische Luft, Bewegungskoordination, aber auch Spaß und eine gewisse Geschwindigkeit, ein Team in einem Skiclub und erfordert die Disziplin, auch mal früh aufzustehen – all das vereint der Skisport.»

Engagierte Diskussion um den Skisport unter grossen und kleinen Anhängern, an einem gemütlichen Abend in einer Stube im Allgäu. Mit dabei die frisch pensionierte Kommissarin Irmi Mangold, ihr Noch-Freund Fridtjof, die Nachbarin Luise und das spätere Opfer eines Einbruchs in den nicht genügend zugefrorenen Grüntensee. Die Zukunft des Skisports ist ein Nebenthema unter anderen im 16. Irmi-Mangold-Krimi von Nicola Förg. Der Titel «Verdammte Weiber» spielt nicht nur auf die ski-enthusiastische Journalistin Coci an, sondern auch auf die deutsche Fotografin und Autorin Ilse Schneider-Lengyel; in ihrem Haus am Bannwaldsee im Allgäu fand im September 1947 das Gründungstreffen der Gruppe 47 statt. Viel Sport und Kultur also im neuen Mangold-Förg-Krimi. Aber keine Angst: Ermittelt wird auch.

Gross recherchiert wurde ebenfalls in diesem Buch: «Shared tracks. Skiing in Austria and Switzerland in culture and society». Österreich und die Schweiz verstehen sich als «Skinationen». Die beiden Nachbarländer teilen sich die Alpen als Erlebnis- und Kulturraum, der bestimmte Identitäten und Bedeutungen schafft. Aus kultur- und sozialgeschichtlicher Sicht haben viele Entwicklungen im Skisport parallel stattgefunden. Die wissenschaftliche Forschung und die breite Öffentlichkeit wissen jedoch nur wenig über die andere Seite. Der von Thomas Busset und Andreas Praher herausgegebene Band will und wird dies ändern. Vorwort, Einführung und die zwölf Kapitel (alles in englischer Sprache!) beleuchten die politischen und sozialen Rahmenbedingungen des Skisports in beiden Ländern und zeichnen die historischen Beziehungen zwischen ihnen über die Grenzen hinweg nach. Die Geschichte des Skisports in Österreich und der Schweiz ist in vielen Fällen eine Geschichte von «shared tracks».

Aber auch von Spuren gegeneinander. Denken wir nur an die Weltcup-Rennen im alpinen Skilauf. Im Winter 2024/25, der Ende März im us-amerikanischen Sun Valley zu Ende geht, waren die Männer ganz klar die Schnelleren. Bei den Frauen war die Dominanz nicht so markant. Am besten fuhren die Italienerinnen. Mehr über den italienischen und natürlich französischen Skisport und die Geschichte dazu hoffentlich im nächsten Winter.  

Nico Förg: Verdammte Weiber. Ein Irmi-Mangold-Krimi. Piper Verlag, München 2025. € 17,00.

Thomas Busset, Andreas Praher (eds.): Shared tracks. Skiing in Austria and Switzerland in culture and society. With a Preface by Jon Mathieu. Éditions CIES, Collection Réflexions sportives. Neuchâtel 2025. Fr. 30.- https://shop.cies.ch/ch/fr/accueil/60-shared-tracks-skiing-in-austria-and-switzerland-in-culture-and-society.html