Schnee!

Der Winter zeigte sich letzte Woche auch in tieferen Lagen. Grund genug, auf Publikationen zum Schnee und auf eine elegante Ausstellung zum Wintersport hinzuweisen.

– Wir haben ein schönes Zimmer, wir haben gut gegessen und wir haben Skier unter den Füßen. Herz, was begehrst du mehr?
– Eine rasante Abfahrt!

Kurzer Dialog zwischen Tante Daisy und Onkel Gustav in «Spaß im Schnee» im Sonderband 30 von «Lustiges Taschenbuch» mit dem Titel «Frohes Fest in Entenhausen». Der Band enthält zehn Episoden, wovon fünf deutsche Erstveröffentlichungen zum Thema «Entenhausen im Schnee». Natürlich kann Donald Duck nicht zulassen, dass Gustav seiner Daisy genau dann den Hof macht, wie er seinen eingebundenen Fuss zu Hause kurieren muss. Aber von wegen! Er verfolgt die beiden auf besonderen Ski mit Steuerung, was nicht gut kommt, selbstverständlich nicht. Doch auch Daisy bekommt das Skifahren nicht wirklich. Die letzte Szene zeigt sie und Donald, wie sie vor einem Skigeschäft panisch Reissaus nehmen.

Dabei kann man auf Schnee und Ski so elegant und rasant unterwegs sein wie am vergangenen Donnerstag Abend nach dem heftigen Schneefall bis in die Niederungen. In der Berner Länggasse jedenfalls flitzten Langläufer skatend über die weissen Strassen. Dass der viele Schnee den öffentlichen und privaten Verkehr hingegen gehörig bremste, ist eine andere Geschichte.

Bremsen tut Clément Noël erst nach der Zieldurchfahrt. Und dort stellt der Franzose oft die Bestzeit auf. Der Slalom-Olympiasieger von Peking gewann die beiden ersten Slaloms der neuen Weltcup-Saison. Von Noël findet sich ein Porträt im fünften Band der Publikation «Ski français», die sich der «Compétition» widmet. Da geht es um berühmte und vergessene französische Skistars wie Jean-Claude Killy oder Carole Montillet, um Skirennen im Zeitalter des Klimawandels, um 100 Jahre Skilauf in Frankreich von Chamonix 1924 mit den ersten olympischen Winterspielen bis heute. Im Band 6, der im Januar 2025 erscheinen wird, komm die „Innovation“ zur Sprache. Wer sich für die früheren Ausgaben interessiert, wird hier fündig: https://bergliteratur.ch/vom-avant-ski-zum-apres-lift-neue-skibuecher-und-mehr/ und https://bergliteratur.ch/schneebuecher-zum-fruehlingsbeginn/.

Onkel Donald kennt man, seine Neffen Tick, Trick und Track ebenfalls. Auch von Pingu – freilich nicht im (Schnee-)Reich von Walt Disney angesiedelt – wird man schon gehört haben. Aber kaum von Pingo. Beide sind in der Kälte zuhause. Der erste ist der junge Pinguin Pingu in der gleichnamigen, schweizerisch-britischen Knetanimation-Trickfilmserie; oft spielt auch die kleine Schwester Pinga mit. Pingo ist ein im Permafrost entstandener Erdhügel; der Ibyuk Pingo in den kanadischen Northwest Territories misst 49 Meter in der Höhe. Er ist abgebildet in «Schnee und Eis. Eine Entdeckungsreise zu gefrorenen Welten» – nur eine der vielen Sehenswürdigkeiten im Sachbuch von Jürg Alean und Michael Hambrey. Sie führen uns in neun Kapiteln zu Reif und Hagel, Gletscher und Eisbergen, Eis auf Meeren und Flüssen, Permafrost und Eishöhlen (zum Beispiel im Jura). Immer anschaulich geordnet mit jeweils drei Verben, wie mit „erstarren, ausbreiten, verschwinden“ bei den Eiszeitgletschern. Immer illustriert mit aussagekräftigen Fotos und Illustrationen, unterstützt von genauen Legenden.

Meteorologisch beginnt der Winter am kommenden Sonntag. Noch bis zum Sonntag, 15. Dezember 2024, ist im Musée Bolle in Morges die Ausstellung «Sports d’hiver à la belle époque» von Carlo Pellegrini (1866–1937) zu sehen. Pellegrini stammt aus in Ablese in Norditalien. Er liess sich zum  Maler und Illustrator ausbilden und arbeitete ab 1900 als künstlerischer Berater im Genfer Verlagshaus Vouga & Co, einem der ersten grossen Postkartenverlage. Pellegrini seinerseits wurde durch Plakate und Postkarten bekannt, die Schweizer Landschaften sowie die winterlichen Aktivitäten der Urlauber zeigen. Anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1912 in Stockholm nahm Carlo Pellegrini am ersten Wettbewerb für Kunst und Literatur teil; er gewann die Goldmedaille in der Kategorie Malerei mit seinem Werk «Wintersport». Die Ausstellung in Morges zeigt zahlreiche Originalpostkarten, einige Aquarelle sowie als Wandbild die Vergrösserung eines faltbaren Tourismusprospektes, den Pellegrini für Adelboden schuf. Zudem wird kurz auf die Geschichte der Postkarte und ihre Blütezeit in den 1920er Jahren eingegangen, und als Leihgabe des Schweizer Skimuseums in Le Boéchet gibt es zahlreiche Gegenstände aus der damaligen Zeit wie Ski und Schlitten zu entdecken. Kurz, eine winterliche Reise nach Morges lohnt sich. Und wenn sich dann am Ufer des Léman das verschneite Panorama vom Moléson bis zu den Voirons entfaltet, mit dem Mont Blanc als Höhepunkt, wird einem warm ums Herz.

Ski français. Tome 5: Compétition; tome 6: Innovation. Éditions Glénat, Grenoble 2024/25. Je € 20,00.

Jürg Alean, Michael Hambrey: Schnee und Eis. Eine Entdeckungsreise zu gefrorenen Welten. Haupt Verlag, Bern 2024. Fr 44.-

Carlo Pellegrini: Sports d’hiver à la belle époque. Musée Bolle an der Rue Louis-de-Savoie 73-75 in Morges. Offen Mi bis So, 14 bis 17 Uhr. https://museebolle.ch/

Ankers Kataloge der Woche: Harteveld und John Mitchell

Zwei neue Kataloge mit kostbaren Bergüchern und -bildern.

«Aus grünen Wiesengründen schwingt es sich [das Wetterhorn] als gewaltiger, vielfach zerrissener Felscoloss in steilen Hängen zu bedeutender Höhe empor, um mit schimmernden Schneefeldern und glänzenden Firnkegeln sich zu überdachen. Zu welcher Tages- und Jahreszeit man es auch immer betrachten mag, stets bietet es eigenthümliche Schönheiten, ob in leisem Dufte bläulich verschwimmend, ob scharf in allen seinen Theilen ausgeprägt, und jede Beleuchtung, vom blendenden Strahle der Sonne bis zum blassen Lichte des Mondes, verleiht ihm einen besonderen Zauber.»

Das schreibt Christoph Aeby, Professor für Anatomie und Anthropologie in Bern, im Buch «Das Hochgebirge von Grindelwald. Naturbilder aus der Schweizerischen Alpenwelt». Es liest sich so frisch, als wäre es gestern erschienen und nicht 1865 im Verlag von Karl Baedeker in Koblenz. Als Verfasser des mit einem farbigen Panorama, neun Holzschnitten und mit einer topographischen, von Rudolf Leuzinger gestochenen 1:50‘000er Karte ausgestatteten Werkes zeichnen Aeby, Edmund von Fellenberg, Bergbauingenieur und SAC-Mitbegründer in Bern, sowie Rudolf Gerwer, Pfarrer in Grindelwald. Sieben der zehn Kapitel verfasste Aeby, so auch die Berichte über die Besteigung des Wetterhorns am 29. Juli 1863 und über die Umrundung der Wetterhörner vom 12. bis 15. August 1863.

Am 28. Juli reist Aeby von Bern nach Grindelwald und eilt mit den Führern Christian Gertsch und Hans Baumann der Gruppe nach, die vor ihm nach Gleckstein aufgebrochen ist. Ausführlich und mustergültig beschreibt er den Weg dorthin. In der Nacht kommen die drei Alpinisten zur Biwakhöhle von Gleckstein, wo sie Aeby’s Freund Gerwer, Karl Baedeker aus Koblenz und Theodor Beck, der Bruder des berühmtem Hochgebirgsfotografen Jules Beck, mit ihren Grindelwaldführern Christen Bohren, Christen und Peter Michel treffen. Am 29. Juli klettern die neun Alpinisten, schon bald einmal durchs Seil verbunden, über oft brüchige Felsen («rechts und links flogen die oft faustgrossen und noch grösseren Felsstücke an den Köpfen vorbei») in den Wettersattel hinauf, wo sie Rucksäcke deponieren; «nur eine kleine Flasche mit Rum hatte die Ehre uns zu begleiten» – und eine Fahne, um sie eine Stunde später in den Gipfelfirn zu setzen. Nochmals Aeby, als sie ganz oben sind: «Das erste Geschäft bestand darin, der übrigen Menschheit durch Aufziehen der mitgebrachten Fahne den glücklichen Ausgang unseres Unternehmens zu verkünden. Es war ein eigenes Gefühl, hier oben in der freien Luft zu sitzen. Wie auf hoher Thurmspitze schwebte man über dem Lande. Unter den Füssen hinweg schien die Schneefläche in’s Nichts zu zerfliessen und diese scheinbare Bewegung nach unten erhöhte den Eindruck, als schwebe man im weiten Aethermeer.»

Lesenswert, nicht wahr? Kaufenswert vielleicht auch. Gut, nicht ganz billig. Aber Weihnachten steht ja vor der Tür. Wer nun also ein besonderes Bergbuch erwerben oder schenken möchte, wird im neuen Katalog von Harteveld Rare Books von Fribourg sicher fündig, das nötige Klein- bzw. Grossgeld vorausgesetzt. Im Katalog Nr. 283 steht der erste Teil der grossartigen Sammlung von Peter Ernst Obergfell (1940 – 2023) zum Verkauf, knapp 300 kostbare, alte Bücher und Panoramen zur Schweiz, den Bergen, dem Bergsteigen, dem Badewesen, der Kunst. Unter 100 Franken gibt’s kaum etwas, über 1000 einiges. «Die Wanderungen in der Gletscher» (1843) von Georg Hoffmann kosten 350 Fr., das «Das Hochgebirge von Grindelwald» 550 Fr., «Poles and Tales; or English vagabondism in Switzerland, in the summer of 1854» 1500 Fr., was aber gar nicht soo teuer ist, weil bis jetzt nur dieses eine Exemplar bekannt ist. Und das macht die Kataloge von Harteveld studierenswert: Weil man da seltene Bergbücher findet. Wenn sie dann noch in der Nationalbibliothek in Bern oder in der Zentralbibliothek des Schweizer Alpen-Clubs stehen bzw. stehen werden, tant mieux.

Wenn von Katalogen die Rede ist, sei noch auf den neuesten, gestern verschickten von John Mitchel Fine Paintings hingewiesen. Er enthält die Yosemite-Gemälde von James Hart Dyke, die in den letzten beiden Jahren entstand sind. Einzigartig, dieses Tal in Kalifornien mit seinen beiden berühmtesten Gipfeln El Capitan und Half Dome. Nun kongenial festgehalten mit Ölfarbe. Hoffentlich malt James Hart Dyke auch mal das Wetterhorn.

Harteveld Rare Books: Catalogue 283 Peter Obergfell. https://www.harteveld.ch/Harteveld_cat283.pdf

John Mitchel Fine Paintings: Yosemite by James Hart Dyke. Die Ausstellung in London läuft noch bis zum 12. Dezember 2024. www.johnmitchell.net/catalogues-detail/8295

Charlotte Perriand. La Montagne inspirée

Eine reichhaltig illustrierte Biographie über eine französische Architektin und Möbeldesignerin, die Kraft und Kreation in den Bergen holte.

«J’aime la montagne profondément, je l’aime parce qu’elle m’est nécessaire. Elle a été de tout temps le baromètre de mon équilibre physique et morale.»

Sagt eine Frau, die lachend in die Kamera blickt. Braungebräuntes Gesicht (ist auch auf der schwarzweissen Foto sichtbar), die kurzen Haare mit einem Stirnband zusammengehalten, ein schwarzer, kurzgeschnittener Blouson, beige Knickerbockerhosen, darin die Hände stecken, wollene Socken, genagelte Schuhe. Sie steht auf einem Stein mitten in ein paar letzten Schneeflecken, von der Sonne beschienen. Ein glücklicher Moment in den Alpen, wahrscheinlich in den französischen. Denn da war diese junge Frau immer wieder, im Winter und im Sommer. Dort fand sie die Ruhe, dort fand sie aber auch die Inspiration für ihre Ideen, ihre Werke. Auf einem von ihnen haben wir wahrscheinlich schon mal geruht, und wenn nicht, wissen wir, wie es aussieht: die Chaise longue à position variable. Diese unten runde, oben geknickte Liege, die auf einem fixen Gestell ruht und hin und her geschoben werden kann. Charlotte Perriand entwarf sie 1928 zusammen mit Le Corbusier und Pierre Jeanneret, in deren Atelier sie arbeitete. «Ich stellte mir einen einfachen, müden Soldaten vor, der sich auf den Rücken legt, die Füsse hoch an einen Baum lehnt und den Rucksack unter den Kopf legt», sagte Charlotte Perriand rückblickend 1987 zur Entstehungsgeschichte der Liege. Vielleicht dachte sie auch an eine müde Alpinistin oder Skibergsteigerin.

Charlotte Perriand (1903–1999) also. Die Französin erfand eine neue Art des Wohnens: Formen, Möbel und Räume, die in der ganzen Welt gefeiert wurden und die sie im Atelier von Le Corbusier und Pierre Jeanneret und später allein, gegen alle Widerstände und bis nach Japan, entwarf. Ihre Inspiration fand die hochbegabte Designerin jedoch in der Natur und in den Bergen. Als Kind war sie fasziniert von den Gletschern am Horizont, als leidenschaftliche Skifahrerin und wagemutige Bergsteigerin suchte sie das Abenteuer und war gleichzeitig neugierig darauf, die Leute und deren Arbeit kennenzulernen, die in den Bergdörfern und auf den Alpen oben lebten. In den späten 1930er Jahren entwarf sie zwei geniale, ultraleichte Biwakschachteln aus Aluminium, das Refuge Bivouac und das Refuge Tonneau.

Die Journalistin und Buchautorin Pascale Nivelle hat aus der aussergewöhnlichen Fotosammlung der Architektin und Möbeldesignerin geschöpft, um in «Charlotte Perriand. La Montagne inspirée» das Leben einer engagierten Frau zu erzählen, für die die Berge eine ständige Neuschöpfung waren. Ein Bildband so schön und rund wie der  legendäre Hocker «Tabouret de berger».

Pascale Nivelle: Charlotte Perriand. La Montagne inspirée. Guérin éditions Paulsen, Chamonix 2024. € 42,00.

Aarehöger. Vom Aargrat zum Acheberg

Der neue Wanderführer von Daniel Anker stellt erstmals Gipfeltouren an der Aare vor, von der Quelle durch die Kantone Bern, Solothurn und Aargau bis zur Mündung in den Rhein.

«Beim Anstieg zum Acheberg dann die Idee: ein Buch über die Aaregipfel, vom Oberaarhorn bis zum Acheberg, inkl. Belpberg etc.»

Das notierte ich am 28. Dezember 2022 in mein 38. Tourenbuch. Jetzt liegt das Buch vor: «Aarehöger» heisst es. Am Donnerstag, 21. November 2024, findet die Vernissage statt, im Alpinen Museum ALPS in Bern.

Vor knapp zwei Jahren war ich von Tegerfelden über Petersbuck, Hörndli, Ämmeribuck und Acheberg nach Klingnau im untersten Aaretal gewandert. «Und was sehe ich beim Abstieg nach Klingnau: die Berner Alpen in der Ferne und doch ganz nah im Ausschnitt des Tafeljuras, den die Aare geschaffen hat. Überraschend und grossartig. Vielleicht gar kein Zufall…» Jedenfalls der Start zu einer Wandererkundungsreise entlang der Aare, von der Quelle am Oberaargletscher bis zur Mündung in den Rhein bei Koblenz. Wo die wasserreichere Aare ihren Namen verliert. 288 Flusskilometer, 200 wanderbare Gipfel: Es gibt im Durchschnitt rund alle anderthalb Kilometer einen Aareberg – eine verborgene Fluh, eine verratene Burg, einen vergessenen Grat, einen erschlossenen Gipfel, einen erfreulichen Hügel. Kurz: einen Aarehoger, der besucht werden kann.

«Breit und wasserreich strömt die grüne Aare einher.» Das notierte Kurt Marti 1990 in «Högerland. Ein Fußgängerbuch.» Natürlich ging ich auch immer wieder der schönen, grünen Aare nach. Aber mehr eben noch auf die Höger links und rechts von ihr. Mit dabei im so entstandenen Wanderbuch sind Klassiker wie der Niesen, der Belpberg natürlich und die Hasenmatt im Solothurner Jura, unbekannte Ziele wie der Vesuv ob Thun, der Eiau-Hoger am Wohlensee und der Scherzberg bei Habsburg. Insgesamt sind es 35 Gipfeltouren im Berner Oberland, 16 im Mittelland zwischen Thun und Aarau, 19 im Jura der Kantone Bern, Solothurn und Aargau. Mal ein Spazier- und mal ein luftiger Gang, mal ein Waldweg und mal ein Geröllfeld, oft auch im Winter und mal nur im Sommer. Aber immer mit Blick auf den Fluss, der gut zwei Fünftel der ganzen Schweiz entwässert. Einfach aareabwärts ein Höhepunkt nach dem anderen, präsentiert mit vielen Geschichten, farbigen Fotos und allen (wander-)touristischen Infos.

Nun wartet ein zusätzlicher Höhepunkt: die Buchvorstellung von «Aarehöger» im ALPS oberhalb der Aare in Bern. Nach der Vorstellung meines 50. Buches gibt es ein Apéro, mit Aarewasser-Käse, Dauerwurst, hausgemachtem Zopf und Cuvée «va bene» von der Rebbau Spiez Genossenschaft. Denn: «Nur aperölen ist schöner als wandern», so die Bildlegende auf Seite 231.

Daniel Anker: Aarehöger. Vom Aargrat zum Acheberg. 70 Gipfelwanderungen am grössten Fluss der Schweiz. AS Verlag, Zürich 2024. Fr. 42.80

Vernissage «Aarehöger», Donnerstag, 21. November 2024, im Alpinen Museum ALPS in Bern, 18 bis 20 Uhr; Türöffnung um 17.30. https://alps.museum/veranstaltungen/buchvernissage-aarehoger. Eintritt gratis, Anmeldung erwünscht: anker@sunrise.ch.

Einsame Bergspitze in Dortmund

Wintersport im Ruhrgebiet? Aber sicher! Mit einer Ausstellung zum Thema Après-Lift im berühmten Dortmunder U. Und mit der längsten Skihalle der Welt.

«Lost Ski Area Projects (LSAP) bezeichnen Forschungsprojekte, die sich mit stillgelegten und verlassenen Skigebieten befassen. Häufig bleiben in diesen Skigebieten die abgestellten Liftanlagen und geschlossenen Bergrestaurants für Jahre stehen. Dieser Anblick kann etwas Gespenstisches wie etwas wundersam Schönes an sich haben. Viele solcher Lost Places haben einen jahrzehntelangen Prozess durchlaufen: Sie sind mit großen Visionen geschaffen worden, oft sehr persönlichen Träumen entsprungen. Sie haben intensive Planungs- und Aufbauphasen, Krisen und Rettungsversuche hinter sich, bis schließlich die Entscheidung fiel, sie stillzulegen. Das gilt für verlassene Skigebiete in der Schweiz wie für Zechen und Stahlwerke im Ruhrgebiet.»

So begrüsste Dr. Nora Becker die Gäste an der Eröffnung der Ausstellung «Einsame Bergspitze. Lost Places in den Alpen und ihre Menschen» auf der Hochschuletage im Dortmunder U. Die gemeinsam mit Prof. Christoph Schuck vom Institut für Philosophie und Politikwissenschaft der Technischen Universität Dortmund kuratierte Ausstellung zeigt stillgelegte Skigebiete in der Schweiz und rückt dabei die vom Strukturwandel betroffenen Menschen in den Mittelpunkt.

Das Team von Schuck hat in einer Datenbank alle je dokumentierten Skigebiete und einzeln stehenden Tallifte in der Schweiz erfasst – über 40 Prozent sind mittlerweile verschwunden. Gründe dafür sind neben dem Klimawandel auch ein rückläufiger Wintersport-Trend und mangelnde Rentabilität. Wissenschaftlich begleitet wurde die Konzeption der Ausstellung durch das Seminar «Politik und öffentlicher Raum: Einsamkeit und Strukturwandel», in dem sich Studierende mit möglichen Darstellungsformen für das Thema Einsamkeit auseinandergesetzt haben. Zu sehen sind in der Ausstellung unter anderem auch Exponate des Alpinen Museums der Schweiz; ALPS zeigte im Winter 2022/23 «Après-Lift. Skiberge im Wandel». Jetzt sind die einsamen Skiberge also in der Metropole des Ruhrgebietes zu erleben, und das noch bis am Sonntag, 24. November 2024.

Was lesen wir auf der Reise nach Dortmund? Zwei Empfehlungen. Erstens «Das Erbe der Alpen. Was unsere Bergwelt bedroht und warum wir sie retten müssen» von Felix Neureuther. Skifahren konnte er wie kaum ein anderer deutschen Rennläufer. Nun kurvt er zusammen mit Michael Ruhland ebenso elegant und engagiert durch die schwierige und bedrohte Gegenwart der Alpen und zeigt, was besser werden könnte – ja muss. Dazu besuchte Neureuther viele Fachpersonen, um mit ihnen Gespräche zu führen, so beispielsweise zum Thema, ob es nachhaltiges Skifahren überhaupt geben kann. Ausschnitt: «Ich treffe mich Anfang Dezember mit Michael Pröttel am Hausberg in Garmisch-Partenkirchen. Pröttel ist Autor für verschiedene Bergmagazine, selbst leidenschaftlicher Skitourengeher und engagiert sich seit vielen Jahren für die Umweltschutzorganisation ‹Mountain Wilderness› Zuletzt mit einer Aktion an der Talstation des Hausbergliftes, wo er und seine Mitstreiter mit Lebensmittelfarbe in der Nacht ein Peacezeichen auf die Skipiste sprühten, um in den Zeiten der Energie- und Klimakrise ein Mahnmal gegen die Energieverschwendung durch Schneekanonen zu setzen Bis zu 40 Millionen Kilowatt stunden Strom könnten in einer Wintersaison eingespart wer den, wenn nur die bayerischen Skigebiete auf das Beschneien verzichteten Das entspricht in etwa dem Jahresverbrauch von 25 000 Bundesbürgern Als ich ihn auf die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Skisports für meine Heimatgemeinde anspreche, zieht er einen Vergleich, der noch lange in mir nachhallt. ‹Wie bei der Kohle in Nordrhein-Westfalen geht es in vielen Wintersportorten um einen tiefgreifenden Strukturwandel. Skifahren unterhalb von 1500 Metern hat auch mit Schneekanonen keine dauerhafte Chance›, sagt Pröttel und ich weiß, dass er einen wichtigen Punkt trifft.»

Und zweitens «Pouvoir et emprise du sport. Pour une histoire croisée du tourisme et du sport depuis le XIXe siècle». In diesem wissenschaftlichen Reader befassen sich 18 Beiträge zum Thema Macht und Einfluss des Sports. Von den englischen Pionieren des alpinen Skisports im Berner Oberland zu den avantgardistischen Touristen, die mit dem Fahrrad die Straßen Europas erkunden; von den ersten Seilbahnen auf den Gipfeln des Engadins zu den Anfängen der Politik der sportlichen Freizeitgestaltung und der Raumplanung zu touristischen Zwecken; von den Hügeln Québecs zu den Meeresküsten des Finistère: Zu Fuss, auf Ski, mit dem Fahrrad oder dem Auto ausgeübt, kreuzen und begegnen sich Sport und Tourismus im Laufe von zwei Jahrhunderten Geschichte. Caterina Franco erläutert die Pläne für Skistationen am Reissbrett in den französischen und italienischen Alpen in der Zwischenkriegszeit; Grégory Quin deckt auf, wie Milliardäre im Oberengadin Skipisten bezahlten. Claude Hauser zeigt, wie schweizerische Skispuren bis in die Laurentian Mountains reichen. Dagegen nimmt sich die Skigeschichte im Ruhrgebiet bescheiden aus. Immerhin: An der Halde Prosperstrasse in Bottrop wurde die längste Skihalle der Welt gebaut. Die gedeckte Kunstschneepiste ist gut 600 Meter lang und knapp 100 Meter hoch – da lässt sich bei -4° bestens carven. Alles Weitere hier: www.alpincenter.com/bottrop/de/skihalle.

Die Ausstellung «Einsame Bergspitze – Lost Places in den Alpen und ihre Menschen» ist bis zum 24. November auf der Hochschuletage im Dortmunder U zu sehen. Die Ausstellung kann zu den Öffnungszeiten des Dortmunder U besichtigt werden; Montags geschlossen. Der Eintritt ist frei. https://dortmunder-u.de/event/einsame-bergspitze-lost-places-in-den-alpen-und-ihre-menschen/

Felix Neureuther: Das Erbe der Alpen. Was unsere Bergwelt bedroht und warum wir sie retten müssen. Gräfe und Unzer Verlag, München 2023. Fr. 35.90.

Claude Hauser, Gil Mayencourt, Sébastien Cala, Anna Amacher Hoppler (Ed.): Pouvoir et emprise du sport. Pour une histoire croisée du tourisme et du sport depuis le XIXe siècle. Editions Alphil, Neuchâtel 2024. Fr. 39.-

Bündner Mordslandschaften

Eine verdammt kluges und spannendes Buch über die Bündner Krimis – und darüber hinaus zu den boomenden Regional- und Destinationskrimis von Algarve bis Zürich.

«Sie fuhren zur Schatzalp hinauf, setzten sich in die Sonne und genossen zu einem würzigen Kaffee die noch viel würzigere Alpenluft und die Sonne, die mild und warm erstrahlte, als ob es dem Frühling und nicht dem Weihnachtsfest entgegen ginge.
Ein paar Schritte führten sie zur Strelaalp hinauf – und unterwegs begegneten sie dem Skisport in fröhlicher Betätigung. Der Skilift zog die Skifahrer einzeln und in Paaren den steilen Hang empor, bis sie auf der Höhe den Blicken entschwanden. Von der Alp herunter aber kamen sie in elegantem Schuß, sodaß der Schnee in zischenden Wolken zerstob. So sausten sie der Anfangsstation des Skiliftes entgegen…»

Zum Auftakt der Skisportsaison (in Sölden) und zum Wechsel auf die Winterzeit ein sonnig passendes Zitat aus einem Roman, von dessen Existenz ich bis vor ein paar Wochen leider nichts wusste. Nun ergänzt das im Antiquariat Buchfink gefundene Exemplar meine Sammlungen von Skiromanen und Bergkrimis aufs Schönste. «Diamanten auf Parsenn» von Paul Altheer (1887-1959) erschien 1942 im Aehren Verlag in Zürich. Altheer war zuerst Journalist, von 1924 bis 1926 Programmleiter und Sprecher bei Radio Zürich. Dann freier Schriftsteller in Davos, später in Zürich. Seine Komödien und Schwänke in Hochdeutsch und Mundart, seine Gedichtsammlungen, Romane und Krimis behandeln, so das «Historische Lexikon der Schweiz», meist humoristisch oder satirisch das politische und gesellschaftliche Leben der Zeit. In «Diamanten auf Parsenn» suchen Privatdetektiv Bob Scholl und sein jugendlicher Helfer Erich nach sieben dieser kostbaren Edelsteinen, wovon mindestens einer in einer Jacke zwischen dem Weissfluhjoch und dem Strelapass verloren ging – und zufällig entdeckt wurde. Allerdings wollen noch andere Leute die Diamanten mit allen Mitteln finden bzw. wieder haben. Und so geht es hin und her zwischen Davos, Zürich und London. Natürlich spielen auch Frauen mit, was wäre schliesslich ein Skiroman ohne Liebesgeschichte? Zumal sich ja gerade die Skiliftbügel zum Anbandeln bestens eignen. Dumm ist nur, dass Bob zuerst überhaupt lernen muss, auf den Ski zu stehen und nicht gleich umzufallen. Doch die Aussicht auf einen gemeinsamen Cocktail in einer Bar an der Sonne entschädigt für alle Mühen, dito die Aussicht auf die weisse Wunderlandschaft von Davos. Und wir Leserinnen und Leser wären gerne mit dabei. Der Krimi als «heimlicher Fremdenführer».

Diese Charakterisierung fand ich in einem druckfrischen Buch, dessen Lektüre um Seiten spannender ist als so mancher Titel in der heutigen Krimiflut: «Mordslandschaften. Der Krimi in Graubünden» von Thomas Barfuss, Senior Researcher am Institut für Kulturforschung Graubünden. Den Anfang macht ein illustrierter Führer durch acht Bündner Krimiregionen, wobei insbesondere auch romanische Krimis vorgestellt werden; diese kennen wir leider nicht – und können sie ja auch nur lesen, wenn sie übersetzt werden. Bei diesem Gang durch die bündnerische Krimilandschaft begegnete ich den «Diamanten auf Parsenn». Teil zwei von «Mordslandschaften» beschreibt hundert Jahre Krimigeschichte, vom frühen Detektivroman in den mondänen Kurorten bis zu den heute boomenden Regionalkrimis. Dazu diese Zahl: Von 2010 bis 2023 wurden rund 90 Krimis mit Bündner Hintergrund publiziert. Man denke nur an all die Titel von Philipp Gurt; mit der ob Pontresina lebenden Bäuerin und Polizistin Corina Costa hat er eine Ermittlerin geschaffen, die halbelegant zwischen Idylle und Hölle pendelt, zum ersten Mal 2023 in «Mord im Bernina Express», in diesem Jahr mit «Die Tote im St. Moritzersee». Wir dürfen gespannt sein, in welcher berühmten touristischen Bündner Destination Corina im dritten Fall landet. Im dritten Teil seines Buches schaut Barfuss hinter die Kulissen des Regionalkrimis, wo sich Detektiv und Tourist als überraschend nahe Verwandte entpuppen. Kurz: «Mordslandschaften» ist eine Fundgrube und ein findiger Forschungsbeitrag zu einem der beliebtesten literarischen Genres. Man muss Graubünden ja nur mit Provence oder Bretagne austauschen…

Wer neben Krimis auch gerne Publikationen über Krimis liest, sollte zudem zum Herbstheft von «L’Alpe» greifen. Die beste alpine Kulturzeitschrift befasst sich mit «crimes et châtiments», also mit Verbrechen und Strafen. Kapitel widmen sich Ötzi, dem «premier cold case alpin», der Hexenjagd gerade in den Alpen, dem Schmuggel natürlich sowie Bergfilmen mit kriminalistischer Handlung. Eine verdammt spannende Ausgabe.

Spannung versprechen auch die Burgdorfer Krimitage vom 1. bis 10. November 2024: www.krimitage.ch/programm-2024/.

Thomas Barfuss: Mordslandschaften. Der Krimi in Graubünden. Chronos Verlag, Zürich 2024. Fr. 29.-

Am Montag, 28.10.2024, 18 bis 19 Uhr, findet in der Kantonsbibliothek Graubünden in Chur folgende Veranstaltung statt: «Diamanten auf Parsenn». Die frühen Jahre des Bündner Krimis. https://www.myswitzerland.com/de-de/erlebnisse/veranstaltungen/diamanten-auf-parsenn-die-fruehen-jahre-des-buendner-krimis/ Eintritt frei. Anmeldung erforderlich: info@kbg.gr.ch.

Crimes et châtiments. L’Alpe, N° 106, automne 2024. Éditions Glénat Grenoble. Fr. 26.-

Val Verzasca

Ein Buch, ein Projekt und eine Ausstellung zur verlorenen Berglandwirtschaft in einem der stotzigsten Täler des Tessins.

«Itinerario affascinante, ma per esperti; piuttosto imboschito nella parte inferiore. Si studi bene il percorso anche dal basso.»

Noch viel wichtiger ist es allerdings, die Wegbeschreibung genau zu lesen und auch die Fotos anzuschauen, wenn wir von Brione Verzasca aus das verlassene Rustico von Gasg schier senkrecht über dem Dorf besuchen wollen. Ein Ort am Ende der Welt, obwohl mitten in diesem berühmten Tal des Tessins gelegen, das im Sommer von Touristen geflutet wird. Doch wird sich wohl kaum jemand dort hinauf verirren; auf der Karte ist ja auch kein Weg eingezeichnet. Deshalb: Genau den Wegverlauf studieren und sicher sein, dass man die Wanderschwierigkeit T5 meistern wird. Aber keine Angst: Es gibt noch viele andere unvergessliche Alptouren im Val Verzasca, leichtere – und schwierigere.

Chiara und Giuseppe Brenna beschreiben sie im dicken Buch „Alpi di Val Verzasca“: insgesamt 157 Routen zu 247 Alpsiedlungen, mit 39 Karten und 738 Fotos. Eine unglaubliche Arbeit, um all diese mutigen Wege und architektonischen Bauten zu dokumentieren, diese so eindrücklichen Zeugen einer verlorenen Agrarwirtschaft. Der Band zu den Alpen im Verzascatal ist der achte in der Reihe „Sui sentieri dei padri“; eine ganz verdienstvolle Reihe, die uns ein Ticino näher bringt, das sich meilenweit vom Lido von Ascona versteckt.

Das Ehepaar Brenna ist nicht allein bei der Erforschung der ehemaligen Berglandwirtschaft im Val Verzasca. Das macht ebenfalls Christian Besimo, der vor 45 Jahren die Initiative Verzasca Etnografica gegründet hat. „Das Ziel von Verzasca Etnografica ist eine möglichst umfassende Bestandesaufnahme noch vorhandener Strukturen der halbnomadischen Vielstufenwirtschaft im Verzascatal. Die dafür aufgebaute Datenbank wird der Forschung und Wirtschaft sowie einem nachhaltigen Tourismus zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise soll der bedrohten Kulturlandschaft ihre Stimme zurückgegeben und Anreize für Projekte geschaffen werden, diese lebendig zu erhalten.“ Das lesen wir hier: www.syntopia-alpina.ch/beitraege/von-alten-wegen-weiden-und-siedlungen-ethnographische-forschung-im-verzascatal. Einen Einblick in die ethnographische Forschung gibt zudem die Ausstellung «Osservare per caprire» im Museo di Val Verzasca in Sonogno. Sie ist noch bis zum 27. Oktober offen, von Dienstag bis Sonntag, 11 bis 16 Uhr. Und dann wieder im Frühling 2025; www.museovalverzasca.ch. April dürfte eine gute Zeit sein, um von Brione Verzasca über Gasg hinauf nach Tenc di Fuori zu gehen bzw. zu kraxeln; einfach bevor die Vegetation überhand nimmt.

Chiara e Giuseppe Brenna: Alpi di Val Verzasca. Collana “Sui sentieri dei padri”, vol. 8. Salvioni Edizioni, Bellinzona 2024, Fr. 45.-

Auf nach der Lenk!

Klein und chic: das Literaturfestival an der Lenk im Simmental. Wir packen den Rucksack mit alter und neuer Bergliteratur.

«Am andern Morgen – leider nicht ganz so früh, wie ich mir’s vorgenommen – ging ich über den Paß der Hahnenmöser nach der Lenk. In der Bundesstadt soll an jenem Julitag und auch noch an den folgenden, wie mir Briefe meldeten, die Hitze beinahe unerträglich gewesen sein. Selbst in dieser Höhe wurde sie mir, besonders später beim Abstieg, ziemlich beschwerlich. Der Aufstieg aber geht, namentlich am Anfang, längere Zeit durch schöne Tannenwaldungen. Und eines auch ist dem führerlosen Wanderer höchst angenehm: wie alle Wege um Adelboden herum ist auch dieser mit Farbe markiert; die farbigen Striche sind bald an Wettertannen, bald an den die Viehweiden absperrenden Zauntürchen oder endlich auf großen Steinen so ausgiebig angebracht, daß es, bei Tageslicht wenigstens, eine Kunst wäre, sich zu verlaufen.»

Wir werden also den Weg in die Lenk finden, am verlängerten Wochenende vom 11. bis 13. Oktober, und unter zu heissen Temperaturen wie einst Joseph Viktor Widmann (1842–1911) werden wir kaum leiden. Seine Wanderung über den Hahnenmoospass ist enthalten im Buch «Du schöne Welt! Neue Fahrten und Wanderungen in der Schweiz und in Italien» (1907). Den Widmann werde ich mitnehmen an meine Eröffnungslesung «Der Wildstrubel ruft» von «LiteratureLenk. Der Röstigraben n’existe pas». Am bilingualen Literaturfestival im Hotel Kreuz an der Lenk im Simmental werden unter anderen ebenfalls auftreten: Angelika Waldis mit «Berghau» (mehr dazu hier: https://bergliteratur.ch/vom-alten-chalet-zum-berghau/) und Fanny Desarzens mit «Galel» (https://bergliteratur.ch/bergromane-von-ruhigen-maennern-und-regen-frauen/).

Im Folgenden vier neue Bergromane, die wir auf der Fahrt an die Lenk lesen könnten. Im ersten fragt die Tochter Suki ihren Vater Norman während des Skiurlaubs im berühmten Hotel Schatzalp oberhalb von Davos beim Après-Ski:

«Also, ich will das jetzt wissen: Was schreibst du gerade für ein Buch? Erzähl ein bisschen.»
«Eins ohne Drogen», antwortete ich spontan. «Oder so gut wie ohne.»
«Um was geht’s dann?», hakte sie nach.
«Darum, wie Thomas Mann seinen Davos-Aufenthalt von der Steuer abgesetzt hat.»
«Häh?», entgegnete sie. «Versteh ich nicht.»
«Um das Ende der Moderne geht’s. Den Abschluss einer Ära. Also unserer gegenwärtigen Lebensweise.»
«Fühl ich nicht so. Kommen wieder Nazis drin vor?»
«Ja», sagte ich.
«Dann verkauft sich’s», sagte Suki. «Heidi oder Nazi, das geht immer.»

Starker Dialog in Norman Ohlers «Der Zauberberg, die ganze Geschichte». Der halbfiktionale Bericht über eine knappe Familienskiwoche in Davos, die der Vater dazu benutzt, um die Tourismus-, Wirtschafts- und Literaturgeschichte des einst unbekannten Ortes in den Bündner Alpen zu recherchieren, insbesondere natürlich diejenigen der Tuberkulose, des berühmtesten Romans, der Erschiessung des Obernazis Gustloff, des WEF und nicht zuletzt des Skifahrens, also des Sportes, dem langsam die Grundlage wegschmilzt. All das ist ja nicht ganz neu, doch elegant formuliert und noch eleganter in den eigenen Urlaub mit Tochter und Freunden eingewoben, dargelegt in sieben Kapiteln und unterlegt mit 14 zeitgenössischen SW-Fotos, Bibliografie und Anmerkungen. Nur im letzten Kapitel, nicht zufällig mit «Schnee» überschrieben wie das tiefgründige «Schnee»-Kapitel in Thomas Manns «Zauberberg», überzeugt das Sich-Fortbewegen nicht Schritt für Schritt – absichtlich vielleicht: Dort ist es die Skitour, die man sich, wie von Mann beschrieben, nicht recht vorstellen kann (aber der Autor stand ja auch nie auf Skis), hier sind es der Steinschlag und das Murmeltier am verschneiten Aufstieg von der Schatzalp zum Strela-Gipfel. Trotzdem: Wer durch den «Zauberberg» von 1924 gestiegen ist, wird denjenigen von 2024 locker mitnehmen; wer nicht, erst recht.

Wir wechseln von einem berühmten Ort zum andern. Dort steht auch ein Zauberberg, vielleicht gar derjenige mit den meisten Klicks überhaupt:

«Die Bahn schlängelte sich durch verschneite Landschaften nach oben und jedes Mal, wenn das Matterhorn ins Blickfeld geriet, wurden Kameras und Handys gezückt. Woran lag es, dass der Berg eine solche Anziehung ausübte, eine Faszination, der auch ich mich nicht entziehen konnte? War es die markante Pyramidenform? Die Unverkennbarkeit?»

Erst recht nicht Oliver, ein junger US-Amerikaner, der im Roman «Wendeschleife» von Regula Portillo mit einem Interrail-Ticket in Europa unterwegs ist. In Bern übernachtet er bei Anna, die in einem Alterspflegeheim arbeitet, gerne reist und Reisenden regelmässig ihr Sofa als Übernachtungsgelegenheit zur Verfügung stellt. Oliver und Anna verstehen sich auf Anhieb gut, doch dann kehrt er von einem Ausflug nach Zermatt nicht mehr zurück. Die Tage verstreichen ohne eine erlösende Nachricht und Annas Sorge um ihn wächst. Was ist geschehen? Anna entschliesst sich dazu, Oliver bei der Polizei als vermisst zu melden. Wir nehmen an der Suche teil, wissen aber eigentlich schon bald, dass er nicht mehr auftauchen wird. Aber war Oliver überhaupt in Zermatt. Um nicht die ganze Geschichte erzählen zu wollen: Er war auf dem Weg zum Matterhorn, mit einer Karte im Massstab 1:300 000. Da kann man sich schon verlaufen. Aber möglichweise wollte er sich auch verschlaufen. Anna kommt Oliver immer näher, zum Glück ebenfalls Samuel.

Was wäre ein Bergroman ohne Liebesgeschichte? Das gilt auch für folgendes Werk. Doch bevor sie passiert, sagt einer der vier Alpinisten, die erstmals die 4000 Meter hohe Wand eines Achttausenders durchsteigen wollten:

«Der Berg mag uns wirklich nicht!»

Es wäre durchaus möglich gewesen, dass keiner von ihnen diesen Satz nach dem Rückzug aus der Wand noch hätte aussprechen können. Gregor war es so ergangen, an einem anderen Gipfel im Himalaya, An einem Höhenödem starb er, im Zelt neben Karl, der Hauptfigur in «Karls Wiederkehr. Ein Bergroman» von Rudolf Alexander Mayr. Ein «poetischer Thriller», wie der Klappentext wegweist, ist das Werk nicht. Doch eine durchaus spannende Story eines Extrembergsteigers (aus dem Tirol), der mit Gebirgswänden und Gegenwind besser zurechtkommt als mit Gefühlen und Geknicktwerden. Kann die Flucht in die Vertikale andauernd die Lösung sein? Theresa hätte eine Wendeschleife sein können. Wenn Karl den Knoten geöffnet bzw. das Öffnen zugelassen hätte.

Oder, um ein anderes Bild aufzunehmen: Sie hätte ihm den Weg über den Berg wohl gewiesen. Hinab ins Tal. «Giú nelle valle» heisst der neue Roman des italienischen alpinen Starautors Paolo Cognetti; vor drei Wochen ist er auch auf Deutsch erschienen. «Unten im Tal» also: In die Lenk steigen wir vom Hahnenmoospass ab, zusammen mit Joseph Viktor:

«Die Aussicht auf das obere Simmental und vor allem auf Weißhorn, Räzligletscher und noch viele andere Berggipfel war überwältigend schön. Dazu der unbeschreiblich reiche Frühlingsblumenflor der Bergwiesen! Nur die Erwägung, beim Hinabsteigen an der glühend heißen, weil der Nachmittagssonne zugewandten Bergfläche würden diese Blumenkinder doch bald verschmachten, hielt mich zurück, ganze Sträuße zu pflücken. Auch von Alpenrosen breche ich nie mehr als eine für den Hut und eine ins Knopfloch, gleichsam die Bescheinigung, ich sei ‹droben› gewesen.»

Josef Viktor Widmann: Du schöne Welt! Wanderungen und Reisen in Italien und der Schweiz. Huber Verlag, Frauenfeld 1907. Neu herausgegeben von René P. Moor. Edition Wanderwerk, Burgistein 2017. Fr. 26.–. Erhältlich bei www.wanderwerk.ch.

Norman Ohler: Der Zauberberg, die ganze Geschichte. Diogenes Verlag, Zürich 2024. Fr. 34.-
Regula Portillo: Wendeschleife. Edition Bücherlese, Luzern 2024. Fr. 28.-
Rudolf Alexander Mayr: Karls Wiederkehr. Ein Bergroman. Tyrolia Verlag, Innsbruck 2024. € 24,00.
Paolo Cognetti: Unten im Tal. Penguin Verlag, München 2024. € 24,00.

LiteratureLenk. Der Röstigraben n’existe pas. 11.-13. Oktober 2024. «Der Wildstrubel ruft»: Daniel Anker liest aus Werken von Peter Bratschi, Helene Eichler, Christoph Frommerz, Thomas M. Hinchliff, Rudolf Jakob Humm, Susy Maync, natürlich Widmann und anderen am Freitag, 11. Oktober, um 16 Uhr im Hotel Kreuz. www.kulturlenk.ch/de/literaturlenk/programm

Albert Mountain Award

Auszeichnung für eine Spitzenalpinistin und Kletterpädagogin, einen Kulturwissenschaftler sowie für Afrikas führende Nichtregierungsorganisation für Berggebiete. Zum dritten Mal findet die öffentliche Verleihung des Albert Mountain Award im ALPS, dem Alpinen Museum der Schweiz, in Bern statt. Passend dazu ist das Buch der King Albert I Memorial Foundation aktualisiert und in neuem Kleid erschienen.

«En revenant d’Italie, je passerai à St-Moritz vers le 30 juin, juillet, et j’espère beaucoup vous revoir à cette occasion. Peut-être aurais-je le temps de faire une course.»

Das schrieb der belgische König Albert I. am 10. Juni 1931 in einem Brief an Walter Amstutz. Die beiden hatten sich im Januar 1929 bei einem Skirennen in Mürren kennengelernt und angefreundet. Von 1929 bis 1938 war Amstutz Kurdirektor von St. Moritz. Im Engadin hatte der 1875 geborene Albert der Erste 1905 zum Bergsteigen und Klettern gefunden, eine Passion, die ihm das Leben kostete. Der König stürzte am 17. Februar 1934 in Marche-les-Dames bei Namur (Belgien) ab. Walter Amstutz seinerseits gründete 1993 die King Albert I Memorial Foundation zu Ehren seines ehemaligen Tourengefährten. Die in Zürich eingetragene Stiftung zeichnet Personen oder Institutionen aus, die sich durch ihre Leistungen in einem Bereich, der mit den Bergen im Zusammenhang steht, herausragende und nachhaltige Verdienste erworben haben. Der Albert Mountain Award wird alle zwei Jahre vergeben. Nun ist es wieder soweit.

Der Albert Mountain Award 2024 geht an die Bündner Spitzenkletterin Nina Caprez, die mit ihrem sozialen Projekt «Andrea» Sport und Unterstützung in ärmste Regionen der Welt bringt, an Werner Bellwald, Schweizer Historiker und Ethnologe, der sich auf die alpine Kulturlandschaft spezialisiert hat und im Lötschental das Sperrmüllmuseum betreibt, sowie an die Nichtregierungsorganisation ARCOS, die den Naturschutz und nachhaltige Entwicklung in der Albertine Rift Region, einer Gebirgsregion Zentralafrikas, fördert.

Am Donnerstag 26. September 2024, ist Nina Caprez für einen Filmabend zu Gast im Alpinen Museum in Bern. 2020 gründete sie mit ihrem Partner, dem Fotografen Jérémy Bernard, das Projekt «Andrea»: Mit einer mobilen Kletterwand reisen die beiden in Lager für Geflüchtete und andere benachteiligte Gebiete und wollen Menschen die Möglichkeit geben Sport zu erleben. Ihr gemeinsamer Film «Andrea. Abenteuer ins Ungewisse» ist eine Art Roadmovie und führt uns in entlegene Bergregionen Marokkos. Der Film zeigt die junge Familie voller Abenteuerdrang und Begeisterung fürs Klettern, offenbart aber auch Ängste, Zweifel und ungeahnte Herausforderungen. Am Freitag stellen die drei PreisträgerInnen ihre Arbeit und Projekte im ALPS vor, gefolgt von der Preisverleihung. Die beiden Veranstaltungen sind öffentlich.

Ein volles Programm also. Das hatte auch le Roi alpiniste im Sommer 1931. Am 24. Juni  hatte der König Brüssel verlassen, um mit Xavier de Hemricourt de Grunne, Generalsekretär des Belgischen Alpenvereins von 1928 bis 1938, unter der Leitung des Bergführers Angelo Dimai in den Dolomiten zu klettern. Die vierte Klettertour war die Roda di Vaèl am 30. Juni. Am 1. Juli kamen Albert I. und de Grunne in St. Moritz an. Am 2. Juli stiegen sie mit Walter Amstutz und Pierre von Schumacher von Maloja zur Capanna del Forno, am nächsten Tag auf die Cima del Largo (3187 m) in den Bergeller Alpen.

Klettern und Engagement: Film und Gespräch mit Nina Caprez im Yehudi Menuhin Forum vis-à-vis ALPS. Do, 26.09.2024, 18.30 Uhr. Eintritt Fr. 20.- https://alps.museum/veranstaltungen/andrea-ein-abenteuer-ins-ungewisse

Verleihung des Albert Mountain Award:  ALPS, Freitag, 27.9.2024. 14 – 16 Uhr: Die PreisträgerInnen 2024 im Gespräch; 16 – 17 Uhr: Apéro mit Spezialitäten aus den Ländern der Award Winners; 17.30 – 18.30: Albert Mountain Award Ceremony. Die Veranstaltung ist gratis. https://alps.museum/veranstaltungen/albert-mountain-award

Weitere Informationen auf www.alps.museum und alle bisherigen PreisträgerInnen auf www.king-albert.ch.

King Albert I Memorial Foundation: 136 seitige, reichhaltig illustrierte Publikation zum belgischen Kletterer und König Albert Ier mit allen Gewinnern des Albert Mountain Award seit 1994. Erhältlich im ALPS für Fr. 20.- (plus Porto) bei raphaela.bigler@alps.museum.

Alle «Bücher der Woche» unter: www.bergliteratur.ch

Mit Sojer am Berg

Am 17. September feierte Reinhold Messner seinen 80. Geburtstag. Natürlich taucht er auch auf im jüngsten Werk des alpinen Starcartoonisten Georg Sojer.

«Die äußerst leistungsfähige und höhenangepasste Gattung des ‹Homo everestus uelimoro extremis› stammt in direkter Linie vom ‹Klassischen Everestbezwinger› (lat. homo everestus hillaris edmundus) ab, wobei die entscheidenden evolutionären Impulse die O2-tolerante Zwischengattung ‹Homo everestus reinholdis› setzte.»

So die Beschreibung des «Extremen Höhenbergsteiger» auf einer der Roten Listen, die der bekannteste deutsche alpine Cartoonist Georg Sojer in «Auf den Berg gekommen!» zwischen seine Zeichnungen gesetzt hat. Andere Listen mit gefährdeten Arten betreffen die Bergsteiger-Kniebundhose (lat. lodera bunderus alpina), die Hüttengaudi oder die Höhlenfledermaus, deren Weiterbestand durch Drytooler gefährdet ist; immer mit Beschreibung und Vorkommen, wie ein Lexikoneintrag sein muss, illustriert selbstverständlich mit einer der charakteristischen Zeichnungen von Schorsch.

Man kennt ihn, den Sojer. Sein Markenzeichen sind die grossen Nasen, «mit ihnen ist er zu einer Institution in der Kletter- und Bergsteigerszene geworden», wie es im Vorwort zu seinem jüngsten Werk heisst. Seine Cartoons finden sich regelmässig in alpinen Zeitschriften wie in Lehrbüchern zu Ausbildung, Bergrettung und Alpinpolizei. Weil es seine Zeichnungen immer auf den Punkt bringen, um was es ging, geht oder gehen sollte, mal nett, mal böse, aber halt treffend, erst recht in unserer Zeit, wo der Bergsport boomt, draussen und drinnen, am Laptop so heftig wie an glatter Wand. Am Schluss des Buches hockt ein cooler Typ am Pult, die eine Hand voll Chips, die rechte am Glas Vino rosso, eine Kippe im Mundwinkel und ein Ohrring mit einem Felshaken, in der Sprechblase die Erkenntnis: «Also diese Tourenplanung am PC ist schone eine praktische Sache: Nach all den Jutiub-Videos, den Gugelmäps-Infos, Wand- und Zustiegsfotos, Erlebnisberichten, Forumsbeiträgen und Echtzeitflügen durch die 3D-Landkarten kenn‘ ich die Tour schon in- und auswendig… da brauch ich überhaupt nicht mehr raus und kann gemütlich ausschlafen!»

Schöne Aussichten, nicht wahr? Für den «Homo everestus uelimoro extremis» sieht es hingegen etwas düster aus, wie Georg Sojer meint: «Er wird sich wohl auf abgelegene Gebiete zurückziehen und, ähnlich dem ‹Yeti› (lat. ursus fatamorganis messneri), nur noch sehr selten zu beobachten sein.»

Georg Sojer: Auf den Berg gekommen! tmms-Verlag, Hergensweiler 2024. Fr. 21.- Erhältlich bei www.pizbube.ch und hier: https://tmms-shop.de/kletterfuehrer/1884-auf-den-berg-gekommen-9783945271865.html