Drei Bücher, die sich mit ganz unterschiedlichen Grenzen befassen. Quer durch Köpfe, Körper und Kooperationen. Vom Fextal via Disentis, Gotthard und Kandersteg bis zur Eisernen Hand bei Basel.
Madrisa schütz mit Deinen Scharen Dies Haus vor Unbill und Gefahren Lenk weise der Lawinen Weg Und schirm des Thales Flur und Steg
Rot bemalter Hausspruch im Ortsteil Klosters-Platz aus dem späten 19. Jahrhundert, abgebildet im Buch «Grenzgänge – Religion und die Alpen», und zwar im Kapitel «Die wilde Bergfee im Freizeitparadies. Inszenierungen von Madrisa im Wandel der Zeit», das Mitherausgeberin Anna-Katharina Höpflinger verfasst hat. Eines der 19 Kapitel in einem rundum faszinierenden und überzeugenden Buch, das viel weiter und tiefer geht, als der Untertitel vermuten lässt. Klar, da befassen sich die Autoren und Autorinnen mit Gipfelkreuzen, mit Glockengeläut gegen Unwettergefahren und mit drei sakralen Bauten in der Val Lavizzara, mit der Geopolitik der Religion im Alpenraum im 16. bis 19. Jahrhundert, ja mit der buddhistischen Gemeinschaft im italienischen Bergdorf Bordo. Aber auch die Religion des Tunnels wird ausgeleuchtet, die Alpenromane von Charles-Ferdinand Ramuz wie «Derborence» und das epochale Epos «Die Alpen» von Albrecht von Haller werden neu beleuchtet, die Belle Epoque Woche in Kandersteg und die Passionsspiele im Oberammergau stehen im Scheinwerferlicht.
Das Buch «Grenzgänge – Religion und die Alpen», Resultat eines inter- und transdisziplinären Forschungsprojekt, besticht durch ein frisches Wechselspiel zwischen dichten Texten, den starken Fotos von Marco Volken und – dank QR-Codes zugänglichen – Musikkompositionen von Darija Andovska und Matthias Arter, gespielt vom Ensemble pre-art soloists. Kurz: Da werden die unterschiedlichsten Grenzen gezogen und überschritten, nachvollziehbar nicht zuletzt dank der aufklappbaren Übersicht, darin die Verbindungen zwischen den Themen und zwischen Grenoble und Salzburg sichtbar werden.
Das Thema Grenze an einem genau bestimmten Gebiet und von ganz spezieller Art im 550seitigen Buch «Grenz-Erfahrungen. Schmuggel und Flüchtlingsbewegungen im Fextal und Bergell 1930-1948». Die Staatsgrenze Schweiz-Italien war das Terrain, das es damals zu kontrollieren, zu verteidigen, zu überwinden galt, oft unter Todesgefahr, aus verschiedenen Lebensnotwendigkeiten. Wir hoffen und leiden mit den Grenzwächtern, Schmugglern und Flüchtenden, mit der lokalen Grenzbevölkerung ebenfalls. Mit Zeitzeugenberichten, bisher unbekannten Grenzwachtdokumenten und vielen Fotos sowie Kartenausschnitten veranschaulichen die Kultur- und Literaturwissenschaftler Mirella Carbone und Joachim Jung eindrücklich die Ambivalenzen, die Grenzen innenwohnen. Ein wichtiges Buch aus den Bergen.
Die Grenze an Ort und Stelle markieren und festlegen: Dafür sorgen Grenzsteine seit jeher. Sie bestimmen aber nicht nur den Verlauf, sondern erzählen auch Geschichte(n) mit den Wappen, den Jahreszahlen, ja den Nummern. Der Ingenieur und Historiker Olivier Cavaleri kennt sich mit den Grenzmarkierungen zwischen der Schweiz und ihren Nachbarsländern bestens aus. Auf bergliteratur.ch wurden seine Publikationen immer wieder vorgestellt, zuletzt «Histoire de bornes. La frontière entre le canton du Jura et la France. Balades – découvertes – histoire». Nun ist der Band zu einer eher kurzen Grenze erschienen, nämlich zu derjenigen zwischen Basel-Stadt und Deutschland. «Grenzsteine. Die Grenze zwischen Basel und Deutschland. Wanderungen – Geschichte» stellt mit viel Hintergrund fünf Wanderrouten zwischen Kleinhünigen und Grenzach vor. Besonders interessant ist dabei die Eiserne Hand, ein 1,7 Kilometer langes und maximal 300 Meter breites Landstück der Schweiz, das seit fast 500 Jahren nach Deutschland hineinreicht. Die Grüne Grenze an der Eisernen Hand war in der Vergangenheit Schauplatz vieler Flüchtlings- und Schmuggelvorkommnisse, wie auch während der Corona-Pandemie. Kurz vor der mit mehreren Grenzsteinen markierten Spitze der Eisernen Hand entdeckt man an einer Buche ein halb im Stamm verschlungenes Schild:
ALT GRENZE bertritt
Anna-Katharina Höpflinger, Daria Pezzoli-Olgiati, Boris Previšić, Marco Volken (Hg.): Grenzgänge – Religion und die Alpen. Theologischer Verlag Zürich, 2024. Fr. 28.80. www.kulturen-der-alpen.ch
Mirella Carbone, Joachim Jung: Grenz-Erfahrungen. Schmuggel und Flüchtlingsbewegungen im Fextal und Bergell 1930-1948. Institut für Kulturforschung Graubünden, Hier und Jetzt Verlag, Zürich 2024. Fr. 49.-
Olivier Cavaleri: Grenzsteine. Die Grenze zwischen Basel und Deutschland. Wanderungen – Geschichte. BoD, Norderstedt 2024. € 36,00. info@grenzsteine.ch
Frauenalpinismus: ein Buch, ein Film und eine Ausstellung.
«En 1992, à 49 ans, Wanda Rutkiewicz est au pied du Kangchenjunga, son neuvième 8000, avec le Mexicain Carlos Carsolio. Les deux alpinistes partent à 3 h 30 du matin. Carlos Carsolio se hisse à la cime après douze heures de combat dans une neige profonde. En descendant, il retrouve Wanda, qui s’abrite dans une grotte, à environ 8200 mètres d’altitude, et discute avec elle sur son intention de bivouaquer et de tenter le sommet le lendemain. Il racontera plus tard: ‹Je ne pouvais pas lui dire de ne pas y aller. Je lui ai suggéré Wanda, il fait trop froid, l’ascension est encore longue, le mauvais temps arrive, sans pour autant lui déclarer Wanda, arrête, descends avec moi. Je n’ai pas eu le courage de mettre fin à son rêve. Elle risquait sa vie, c’était sa décision.› Elle ne reviendra jamais au camp de base.»
Das ist DIE Frage. Blieb die polnische Topalpinistin Wanda Rutkiewicz am 12. Mai 1992 irgendwo an ihrem neunten Achttausender oben, nachdem Carlos Carsolio alleine seinen Abstieg vom Kangchendzönga (8586 m), dem dritthöchsten Berg der Welt, fortsetzte und zuerst in einem Höhenlager auf sie wartete, später dann im Basislager? Oder gelang ihr irgendwie und unerkannt auch der Abstieg aus der tödlichen Höhe? In einem Tamedia-Interview von letzter Woche sagt die polnische Regisseurin Eliza Kubarska der eben angelaufenen, schweizerisch-polnischen Co-Produktion «The Last Expedition» zur immer wieder geäusserten Vermutung, dass sich Wanda Rutkiewicz in einem buddhistischen Frauenkloster verstecke: «Wandas Mutter glaubte bis zum Tod daran, dass ihre Tochter lebt. Und es gab immer mehr Hinweise. Zum Beispiel sahen zwei Touristen in einem buddhistischen Kloster eine Frau, die wie Wanda aussah. Und als sie nach ihr fragten, wurden sie von der Lama gebeten, das Kloster zu verlassen.»
Das Schicksal der ehemals besten und bekanntesten Höhenalpinistin beschäftigt bis heute. In ihrem druckfrischen Buch «Une histoire de l’alpinisme au féminin» widmen Stéphanie & Blaise Agresti dem «spoutnik nommé Wanda» eine Doppelseite. Die Publikation ist der vierzehnte, wie immer fein illustrierte Band in der Glénat-Reihe «Une histoire de…»; bergliteratur.ch hat ein paar vorgestellt, zuletzt den Band zu den Berghütten. Natürlich erschien auch schon «Une histoire de l’alpinisme», darin die Frauen ihren Platz am Seitenrand und auf gerade mal acht Fotos gefunden haben. Doch nun stehen sie im Zentrum. Die Mutter von Blaise, Isabelle Agresti, war in den 1960er Jahren eine der wenigen Frauen, die auf über 7000 Metern gestanden hatten. Mit ihrem Mann Henri unternahm sie Expeditionen auf der ganzen Welt, und in den Alpen kletterte die Seilschaft Isabelle & Henri schwierigste Routen wie Frêney-Pfeiler am Montblanc oder Directe Americaine an den Drus. Auf dem Cover des Buches ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter ist Isabelle unterwegs am Kohe Setara (6050 m) in Afghanistan. Une affaire de famille der schönen Art.
Gibt es überhaupt einen weiblichen Alpinismus? Um das herauszufinden, klettern Stéphanie & Blaise Agresti zurück in die Geschichte des Alpinismus, zu den Pionierinnen, die sich nicht scheuten, in diesem männerdominierten Sport mitzumachen, und das unter unter grossen Schwierigkeiten. Eine der Frauen, die sogar vorangingen, war Elizabeth Main, auch bekannt als Mrs. Fred Burnaby, Mrs. John F. Main und Mrs. Aubrey Le Blond. Denn Elizabeth, geborene Hawkins-Whitshed, war dreimal verheiratet. Die verschiedenen Namen sind mit ein Grund, warum ihre Vorreiterrolle am Berg und als Autorin nicht immer wirklich gross gewürdigt wird, auch im Agresti-Buch nicht. Denn wenn Alpinistinnen schon rar waren, wie sind es denn erst recht Frauen, die über das Bergsteigen geschrieben haben. Die Zeiten haben sich geändert, und Stéphanie & Blaise Agresti zeigen im letzten Kapitel «Et demain: liberté, egalité, sororité?», wohin schwesterliche Bergtouren gehen. Da sind zum Beispiel die Cholitas Escaladores in Bolivien, eine 2015 in Bolivien gegründete Gruppe von einheimischen Frauen, die in traditioneller Kleidung die hohen Berge dort besteigen. Da ist die Iranerin Nasim Eshqi, die sich für die Frauen und für Freiheit in ihrem Land einsetzt. Da ist die französische Topalpinistin Lise Billon, die als erst zweite Frau einen Piolet d’Or (höchste Auszeichnung für Bergsteigende) erhalten hat: «J’ai envie d’être vue comme une alpiniste, pas comme une femme alpiniste. Tant qu’on me pose la question, c’est que je continue d’être vue comme une femme alpiniste.»
Frauenalpinismus: ein Buch, ein Film. Und eine Ausstellung: «Starke Frauen am Seil. Die Geschichte des Rendez-vous Hautes Montagnes» im Tal Museum Engelberg. Natürlich in Engelberg: Denn das erste Treffen von Alpinistinnen aus West und Ost wurde auf Initiative der in Engelberg wohnhaften Baronin Felicitas von Reznicek organisiert und am 16. Mai 1968 mit einer Flasche Champagner auf dem Gipfel des Titlis begossen. 70 Frauen nahmen an diesem ersten Rendez-vous Hautes Montagnes teil. Die Mitgliedschaft im RGM steht allen Frauen verschiedener Nationalitäten offen, die den Schwierigkeitsgrad V als Seilerste beherrschen und ihre Touren selbständig durchführen können. Auch heute noch treffen sich jedes Jahr Alpinistinnen aus aller Welt, um gemeinsam Berge zu erklettern. Die Ausstellung in Engelberg erzählt die Geschichte der Vereinigung, deren Gründerin und lässt Frauen und Männer zu Wort kommen. Mit dabei bei der Gründung war auch Loulou Boulaz gewesen, die erste Frau in den Nordwänden von Eiger und Grandes Jorasses. Vier Seiten widmen Stéphanie & Blaise Agresti der Genferin, die «parmi cette petite élite des très grands alpinistes du XXe siècle» gehört.
Stéphanie & Blaise Agresti: Une histoire de l’alpinisme au féminin. Éditions Glénat, Grenoble 2024. € 25,95.
The Last Expedition. The Mystery of Wanda Rutkiewicz. A film by Eliza Kubarska. Läuft in verschiedenen Kinos in der Schweiz. Zum Beispiel im Kino Rex in Bern, www.rexbern.ch/filme/the-last-expedition.
Starke Frauen am Seil. Die Geschichte des Rendez-vous Hautes Montagnes. Ausstellung im Tal Museum Engelberg. Bis 21. April 2025. Öffnungszeiten Mittwoch bis Sonntag, 14-17 Uhr. Erzählcafé am Sonntag, 9. Februar 2025, 14-16 Uhr. Workshop: Was braucht Frau am Berg? am 23. März 2025, 14-15.30 Uhr. www.talmuseum.ch; www.rhm-climbing.net
Zwei neue, reicht bebilderte Bände vertiefen sich im helvetischen Untergrund.
«Während der Zeit, in welcher ich bei der Schweizerischen Geotechnischen Kommission SGTK für die historischen Rohstoffe der Schweiz zuständig war, befuhr ich zahlreiche Bergwerke und hatte dabei noch das Glück, Menschen kennenzulernen, die früher selber in diesen Bergwerken gearbeitet hatten. Ich erfuhr von den Schicksalen dieser Bergleute, erlebte, in welch unwegsamem Gelände sich die Bergwerke befanden und welche Strapazen die Menschen auf sich nahmen, um an die damals noch begehrten, oder einfach nur benötigen Rohstoffe zu gelangen.»
Mit diesem Absatz leitet Roger Widmer seinen prächtigen Bildband zur Geschichte und Aktualität des Bergbaus hierzulande ein. In «Bergwerke. Schweizer Bergbau. Die Geschichte von Glücksrittern» begegnet man der steinreichen Schweiz einmal ganz anders: Asphalt, Kupfer, Gold, Eisen, Kohle, Schiefer, Gips, Salz, Blei, Erdöl, Ölschiefer, Kobalt und Quarzsand. All das wurde hierzulande abgebaut. Manchmal mit Erfolg: Mit dem Asphalt aus dem Val de Travers wurden die Champs-Élysées überzogen, der Quarzsand aus Buchs fand für die bekannten grünen Bülacher Einmachgläser Verwendung. Andere Minen lohnten kaum den Aufwand der Bohr- und Locharbeiten. In letzter Zeit interessieren sich die Menschen immer mehr für den Bergbau in der Schweiz. Es entstehen Bergmannsvereine, und verfallene Stollen werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Höchste Zeit für ein entsprechendes Buch. Nach einer Einleitung zu Rohstoffen, Lagerstätten und Abbautechnik stellt Roger Widmer 22 Bergwerke aus dem ganzen Land näher vor, mit historischen Fotos und Plänen, eigenen Farbfotos von heute sowie mit Infos, wie und wann die Bergwerke besucht werden können (oder auch nicht). All das weckt Lust und Neugierde, die unterirdische Schweiz noch näher kennenzulernen; sicherer ist‘s jedoch, sich nicht auf eigene Faust in die Stollen vorzuwagen.
Das gilt auch für die Bergbaustätten im Kanton Neuenburg, die Maurice Grünig im Bildband «L’extraction minière en terre neuchâteloise. Une histoire méconnue» vorstellt. An der Oberfläche wurden die Zeichen dieser industriellen Vergangenheit durch nachwachsenden Wald vielerorts ausgelöscht. Von den zahlreichen und imposanten Gebäuden sind oft nur noch einige moosbewachsene Ruinen übrig geblieben; im Untergrund sind die verlassenen Stollen teils durch Einstürze verfallen. Aber sie sind noch sichtbar und werden nun auf Papier zu neuem Leben erweckt. Der erste Teil des reich illustrierten Werkes befasst sich mit der Geologie und der Entstehung des Jura, der die für die Zement- oder Asphaltproduktion günstigen Gesteine nahe an die Oberfläche brachte, sodass sie Millionen von Jahren später abgebaut werden konnten. Weiter geht es mit den ehemals in der Schweiz abgebauten Rohstoffen, dann mit der Neuenburger Bergbaugeschichte im 18. Jahrhundert aus wirtschaftlicher und politischer Sicht. Der zweite Teil beschreibt die Neuenburger Bergbaustätten nach den abgebauten Gesteinen und ihrer Verwertung. Am bekanntesten ist die Asphaltmine La Presta im Val de Travers, seit 1987 ein Besucherbergwerk. Im gleichen Tal, am oberen Eingang in die Areuse-Schlucht, versteckt sich die Kalkmine Furcil mit einer Stollenanlage von rund 11 km Länge auf drei Sohlen; die überirdischen Gebäude stehen noch, die Stollen sind teilweise eingestürzt, und gleich oberhalb der 1935 eingestellten Mine verläuft die Via ferrata du Tichodrome. Ebenfalls im Val de Travers befinden sich die Kalkbergwerke von St-Sulpice. Dort transportierte anfangs des 20. Jahrhunderts eine Seilbahn das aus dem Berg geholte Material direkt zur Verarbeitung in der Zementfabrik im Tal – eine der ersten Luftseilbahnen im sowohl stein- wie seilbahnreichen Land.
Roger Widmer: Bergwerke. Schweizer Bergbau. Die Geschichte von Glücksrittern. AS Verlag, Zürich 2024. Fr. 49.80. Die französische Ausgabe, ebenfalls im AS Verlag: Mines. L’industrie minière en Suisse. Une histoire d’aventuriers.
Maurice Grünig: L’extraction minière en terre neuchâteloise. Une histoire méconnue. Cahiers de l’Institut neuchâtelois, nouvelle serie, cahier 39. Éditions Livreo-Alphil, Neuchâtel 2024. Fr. 65.-
Drei Hinweise für interessierte Bergbau-Leute. Erstens die Schweizerische Gesellschaft für Historische Bergbauforschung (SGHB) und ihre Zeitschrift «Minaria Helvetica»: www.sghb.ch. Zweitens das im Entstehen begriffene Bergbaumuseum von Werner Bellwald und der Stiftung Untergrund Schweiz in Ried bei Blatten im Lötschental: https://kulturexpo.ch/untergrund/ Drittens die Bergwerks-Liste zur Schweiz: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Bergwerken_in_der_Schweiz
Das Jahrbuch der Alpenvereine von Deutschland, Österreich und Südtirol bietet alle Jahre wieder gebirgige Lektüre vom Feinsten. Das Journal des American Alpine Club natürlich ebenfalls; diesmal mit acht Seiten Eigernordwand.
«With our Renaissance route on the Eiger, we want to inspire a rethink and show that here are highquality adventures on our doorstep.»
Schreibt der in Thun lebende Bergführer Silvan Schüpbach in seinem Beitrag «Renaissance. A new route up the Eiger nordwand in pure traditional style» in der aktuellen Ausgabe des «American Alpine Journal». Zusammen mit Peter von Känel eröffnete Schüpbach vom 19. bis 24. August 2023 die neue Linie durch die vielleicht berühmteste Wand der Welt, 1220 Meter hoch, 30 Seillängen, Schwierigkeit bis 7c. Dabei folgten sie ihrem Ideal, keine Bohrhaken zu verwenden. Acht Schlaghaken mussten sie zurücklassen. Der Eiger-Artikel ist der einzige aus den Alpen im AAJ 2024. Das Jahrbuch des American Alpine Club zeichnet sich ja gerade vor allem dadurch aus, dass es neue lange Routen an Gipfeln und Wänden aller Art rund um den Erdball vorstellt. Nicht von ungefähr lautet der Untertitel «The World’s Most Significant Climbs».
Von den Bergen der USA, von Kanada und Mexico in die Anden, via Himalaya und andere Gebirge nach Grönland, Norwegen und Griechenland, dort mit der ersten Durchsteigung der Südostwand des Mt. Kalamos (460 m) auf der Insel Anafi – sieht vielversprechend aus, dieser höchste Monolith in der Ägäis. Wie so viele andere Gipfel in dieser Publikation. Wer ferne Ziele und Herausforderungen sucht, ist hier am richtigen Ort; gilt ebenfalls für Skialpinisten. Wie wär’s mit «Grand descents» an den Tetons in den Rocky Mountains, mit steilen Abfahrten in der Cordillera Quimsa Cruz in Bolivien oder rund um den Dzhirnagaktu Glacier in Kirgistan? Auch in Neuseeland warten weisse Hänge, erst recht in der Antarktis. Dort könnte man jetzt grad rund um die Uhr skifahren und bergsteigen. Einer der vorgestellten Gipfel auf Queen Maud Land ist der Ritschergipfel (2791 m), zu Ehren von Alfred Ritscher, dem Leiter der Deutschen Antarktischen Expedition 1938/39. Eines der damals 87 benannten geografischen und 1952 bzw. 1966 bestätigten geografischen Objekte ist der Mentzelberg, nach Rudolf Mentzel, einflussreicher Wissenschaftspolitiker des Dritten Reiches, Mitglied der NSDAP und SS. Die antarktische Kälte kann auch politisch sein.
Zurück in die Alpen. Das Jahrbuch der Alpenvereine von Deutschland, Österreichisch und Südtirol ist die auflagenstärkte Publikation im deutschsprachigen Bergbuchbereich. Im Zentrum von «BERG 2025» stehen der Dachstein und das Fotografieren. Obwohl er die 3000-Meter-Grenze um ganze fünf Meter verfehlt, mindert das seinen Mythos in keiner Weise: Der Dachstein ist zwar nicht höher, aber grösser als viele anderen Berge Österreichs. Er ist Tourismusmagnet, Wanderparadies und Kletter(steig)dorado, dazu unerschöpfliches Forschungsobjekt und eine nie versiegende Quelle künstlerischer Inspiration.
Die Rubrik BergFokus zeigt ihrerseits: Fotografieren im Gebirge kann Dokumentation oder ambitioniertes Hobby sein, touristische Dienstleistung, Kunst – oder auch die Leistung vorgeblich intelligenter Algorithmen. Mit dabei Robert Bösch und sein fotografisches Lebenswerk; Statements herausragender Bergfotografen zur Fotografie; Kletterfotos, die Geschichte machten; ein Nachdenken über Ideale der Landschaftsfotografie.
Lesenswert im neuen «BERG» die Porträts des Tiroler Bergführers Kuno Rainer, des unverstandenen Bergmalers Carl Brizzi, der österreichischen 8000er-Pionierin Gerlinde Kaltenbrunner und der jüdischen Kletterin Ilse Frischmann, die als junge Frau schwierigste Routen in der Sächsischen Schweiz bewältigte und die tödlichen Schikanen des NS-Staates überlebte. Dazu passt der Beitrag zu Liedern und Liederbüchern der Bergsteiger von der Jugendbewegung bis hinein ins Dritte Reich. Auch in den Alpen kann es leider sehr kalt sein.
The American Alpine Journal 2024. The World’s Most Significant Climbs. AAC, Golden, Colorado 2024. $ 45.00. Erhältlich bei Piz Buch & Berg, www.pizbube.ch.
Zum Heiligen Abend zwei Publikationen zu solchen Bergen.
«Es gibt etliche Berge in Europa, die als ‹heilig› bezeichnet wurden bzw. werden. Konjunktur hatte die Heiligsprechung von Bergen vor allem im Zeitalter des Nationalismus, weil damit auch immer nationalpolitische Markierungen verbunden waren. Ob man die Berge auch im religiösen Sinn als ‹heilig› bezeichnen kann, ist allerdings eine andere Frage.»
So beginnt Jon Mathieu seinen grundsätzlichen Artikel «Gibt es heilige Berge in Europa? Eine einführende Spurensuche» im Maiheft der Monatszeitschrift «Religion & Gesellschaft in Ost und West», das sich Heiligen Bergen in Europa widmet. Mathieu, emeritierter Titularprofessor für Geschichte mit Schwerpunkt Neuzeit an der Universität Luzern und bekannt als Gebirgsforscher und Historiker der Alpen, kennt sich bestens aus mit diesen besonderen Bergen; über sie schrieb er das Buch «Mount Sacred» (https://bergliteratur.ch/heilige-und-geheimnisvolle-berge/). In seinem Heftbeitrag geht er eingehend ein auf den Monveso di Forzo (3322 m) im Gran Paradiso Nationalpark, den elf Männer und eine Frau am 9. September 2021 heilig sprechen wollten, und zwar in Anlehnung an den Machapuchare in Nepal, den Kailash in Tibet und den Uluru in Australien. Die Heiligsprechung sollte die Leute anhalten, freiwillig auf die Besteigung des Monveso di Forza zu verzichten und darüber zu reflektieren. Bis jetzt kam es noch nicht soweit. Fazit von Mathieu: «Selbst wenn die ‹Laienheiligkeit› des Monveso di Forza einen offiziellen Charakter erhält, bleibt weiterhin die Frage offen, durch welches spirituelle Angebot sie gefüllt wird.»
Die anderen Beiträge im zurückhaltend illustrierten Heft befassen sich mit heiliger Infrastruktur im Gotthard-Raum, ausgehend von zwei vergessenen Schweizer Literaten; mit dem Triglav (2864 m), der weit mehr als Sloweniens höchster Gipfel ist; mit dem Lovćen ob der Bucht von Kotor und seinem Ostgipfel Jezerski (1657 m), in dessen Gipfelbauten sich die Konflikte um die montenegrinische Identität spiegeln; mit dem Heiligengrab auf dem Tomorr (2415 m) in Albanien, das seit Jahrhunderten von Pilgern besucht wird; mit dem Athos (2033 m) in der gleichnamigen autonomen Mönchsrepublik in Griechenland, dem heiligen Berg der Orthodoxie; und zuletzt noch mit zwei Fünftausendern am Rand von Europa, dem Ararat und dem Elbrus. Immer sehr fundierte Beiträge auf nur 32 Seiten. Und dabei auch einen feinen Kontrast zu Weihnachten setzend: weniger ist mehr.
Eher grad umgekehrt der Bildband «Europas Heilige Berge. Sehnsuchtsorte voller Stille und Faszination» von Bernd Ritschel (Foto und Text), Nina Ruhland (Text). Allein beim Untertitel tauchen Fragen: Der Triglav, der mit «endlosen Staus» aufwartet, als stiller Berg? Auch von Gipfelstürmern überrannt wird der Pilatus (2119 m) und der Sveti Jure (1762 m) in Kroatien, allerdings mehr von Bahn- bzw. Auto- und Radfahrern. Vesuv und Ätna sind auch ohne Touristen nicht wirklich stille Berge. Ob sie auch heilig sind, kommt immer auf die Definition an. 22 europäische, als heilig bezeichnete Berge stellt das Buch mit vielen, oft doppelseitigen Fotos und kurzen Texten vor: Vom Watzmann und Gamskogel in den Ostalpen über Olymp, Tomorr und Monviso (auf dem Cover und auf der Rückseite!) bis zum Donon in den Vogesen und Dovrefiell in Norwegen. Warum der Eiger auch dabei ist, bleibt nebelhaft; er ist doch viel eher ein unheiliger Berg.
Gestern aber besuchte ich wenigstens dem Namen nach eine ganz heilige Anhöhe: den Allerheiligenberg im Solothurner Jura, die ehemalige solothurnische Höhenklinik auf rund 880 Meter am Sonnenhang einer Jurafalte. Sonne gab es keine, eine heisse Ovo ebenfalls nicht in der geschlossenen Bergwirtschaft, dafür frischen Nassschnee und zuletzt noch Regen. Am Ende der Tour erwärmte ich mich in der Kapelle des heiligen Laurentius in Rickenbach.
In diesem Sinne: fröhlich Heiligen Abend!
Heilige Berge. Zeitschrift Religion & Gesellschaft in Ost und West, Nr. 5/2024. Herausgegeben von Forum RGOW, Zürich. Fr. 15.- sekretariat@rgow.eu
Bernd Ritschel (Foto und Text), Nina Ruhland (Text): Europas Heilige Berge. Sehnsuchtsorte voller Stille und Faszination. Knesebeck Verlag, München 2024. Fr. 46.80
Sieben Kriminalromane und eine Krimigeschichte feiern das Matterhorn, einmal auch von Süden. Fiebern und frieren Sie mit!
Stille Nacht, mörderische Nacht. Ein Weihnachtskrimi
Sehnsüchtig sah Clothilde zum Matterhorn, dessen Gipfel von dichten Wolken umhüllt war. Noch bis vor zwanzig Jahren war sie mit Maxim an den Hängen der Furggen Ski gefahren, und er hatte ihr von der eindrücklichen Pendelbahn Plan Maison erzählt, die im März 1993 aufgrund eines nächtlichen Eissturms den Betrieb unerwartet hatte einstellen müssen. Ach, wie schön waren doch die Tage mit Maxim gewesen.
Maxim ist tot. Und Clothilde auch. Am Heiligabend jedenfalls. Am 24. Dezember wird Clothilde Anthamatten von Winterstern (82) blutüberströmt und tot im Schnee vor ihrer herrschaftlichen Villa auf der Riffelalp oberhalb von Zermatt aufgefunden. Die Verdächtigen: ihre gesamte Verwandtschaft, die im Laufe der Adventszeit angereist ist. Welcher der 24 Gäste wollte die reiche Witwe aus dem Weg räumen? Während das abgelegene Anwesen mit Blick auf das Matterhorn langsam im Schnee versinkt, begibt sich Anna, die liebste Enkelin der Verstorbenen, auf Mörderjagd in der eigenen Familie. Am Heiligabend selbst und zugleich rückwärts in der Adventszeit, vom 23. bis zum 1. Dezember. Clothilde erinnert sich am 18. Dezember an die Skitage mit Maxim rund um die Cima di Furggen. Geschickt inszeniert Silvia Götschi in «Stille Nacht, mörderische Nacht. Ein Weihnachtskrimi»das kriminalistische Rätsel um einen verschlossenen Raum in der weissen Scheinidylle auf der Riffelalp.
Schneegestöber am Matterhorn
Irgendwann stand das Fahrzeug gänzlich schräg, so steil ging es aufwärts. Kant musste sich festhalten und kam dennoch nicht umhin, das Alpenpanorama zu bewundern. Der Schnee ließ Berg und Tal taghell erscheinen. Und das Matterhorn glänzte im Mondlicht. Es war unwirklich schön, wie ein Gemälde, das sich Kant nie aufhängen würde.
Etwas schräg ist ebenfalls die weihnachtliche Krimigeschichte «Schneegestöber am Matterhorn» von Alexander Oetker im Band «Mehr Mord im Chalet». Gustav Kant, Privatdetektiv aus Berlin, gewinnt eine Reise nach Zermatt zur Weihnachtszeit und hilft dann den Pfarrer suchen, der ausgerechnet zur Mitternachtsmesse in der Zermatter Kirche nicht auftaucht. Mit Kants Antrieb wird herausgefunden, dass sich der Geistliche wohl auf der Riffelalp versteckt, worauf ihn die Suchmannschaft mit einem Pistenfahrzeug holen geht. Zu Silvester ist Kant aber zurück in seiner Stammkneipe im leicht verschneiten Berlin. Das Matterhorn seinerseits kommt als weisses Pulver in Marcel Huwylers Geschichte «Ihr Kinderlein kokset» vor, während Beat Grossrieders «Chlausbesuch am Züriberg» mit einem ganz andern Stoff für Zoff in der Familie sorgt.
Mord im Grand Hotel Matterhorn
Das Foto reihte Mette neben die anderen auf dem Tisch. Von außen würde es aussehen wie zwei Damen, die sich eine Bildergeschichte anschauten. «Das ist der alte Sessellift, sehen Sie? Er fährt hinauf zum Hungerberg. Und von da kann man zu einer Felsspalte hochsteigen, wo man bis zum Matterhorn sehen kann. Zweimal im Jahr, sagen die Hiesigen. Ich halte es für eine Touristenmär, aber meine Mutter hat es geglaubt.»
Mit dem Matterhorn lässt sich alles besser verkaufen, das wissen wir. Mit dem berühmten Namen warb auch ein Hotel in Oberwald im Goms. Dort stranden nicht nur die rüstige Rentnerin Libby Andersch und ihr elfjähriger Nachbarsjunge Noah, die mit dem Glacier Express nach Zermatt reisen wollen, bis ein Schneesturm die Weiterfahrt verhindert. Mit ihnen gestrandet ist eine Filmcrew, die kurzerhand umdisponiert und statt in einem exquisiten Belle-Époque-Haus im verlassenen Hotel dreht. Bis die Hauptdarstellerin Gwendolin mit gebrochenem Genick im Foyer liegt.«Mord im Grand Hotel Matterhorn» von Gabriela Kasperski ist ein zweites «locked room mystery», angereichert um Geschichten vom stillgelegten Skigebiet Hungerberg. Allerdings wurde ich nicht richtig satt mit diesem Matterhorn-Krimi.
Murder at the Matterhorn
«The one to the right is the Monte Rosa. You can ski up there on the glacier all year round. The rocky one to the left is what the Italians call the Cervino. You and I probably know it better by its Swiss German name, the Matterhorn.» Seeing comprehension spread across my face, Julian continued. «We normally see pictures of it from the Swiss side in Zermatt. It’s the reason we’re here.» «You’re here for a mountain?» «We believe that the Matterhorn is used by extra-terrestrial visitors either as a navigation point or maybe it has some other, more important significance.»
Sicher hat das Matterhorn noch eine andere, wichtigere Bedeutung denn als Orientierungspunkt für ausserirdische Besucher. Aber darum geht es nicht im Gespräch zwischen dem einhemischen Julian und dem englischen Privatdetektiv in «Murder at the Matterhorn. An Armstrong and Oscar Cozy Mystery» von T.A. Williams. Im fünften Band der Serie schickt der Autor seinen Helden mit Hund Oscar aus der Toskana, wo sie normalerweise Verbrechen aufdecken, ins Valtournenche. Ort des Geschehens ist ein hochgelegener Campingplatz von UFO-Enthusiasten. Als Dan Armstrong ankommt, ist ein Mitglied der Gruppe bereits tot. Einige aus der Gruppe vermuten eine Entführung durch Außerirdische, aber Dan ist sich sicher, dass sich der Mörder im Tal am Fusse des Cervino umtreibt. Insofern verspricht der Titel zu viel, genauer wäre «Murder in the Matterhorn Valley» oder gar «Murder in the Cervino Valley», doch «Mord am Matterhorn» liest (und verkauft) sich halt stärker.
Gornerschlucht – Hoffmanns Tode
Nora hob ihr Glas. «Also, prost, ihr beiden, und auf eine erfolgreiche Matterhorn-Tour! Wann soll es denn losgehen?» «Ja, ab morgen gilt es ernst. Nachmittags steigen wir zur Hörnlihütte hinauf und treffen dort die zwei Bergführer.» «Ja, genügt denn einer allein nicht, um euch zwei auf den Gipfel zu führen?» «Eben nicht. Es ist Vorschrift, dass am Matterhorn kein Führer mehr als eine Person übernehmen darf. Es wird zwar saumässig teuer so, aber wer unbedingt aufs Matterhorn will, muss eben schon etwas investieren…»
Ob die beiden Bayern Helmut und Rainer den Matterhorn-Gipfel erreichen, erfahren wir nicht. Sie sind ja auch nur Nebenfiguren im digitalen Alpenkrimi «Gornerschlucht» von Urs W. Käser. Die Stadtberner Gemeinderätin Nora von Graffenried hingegen – ob verwandt mit Noch-Stadtpräsident Alec von Graffenried erfahren wir ebenfalls nicht… – gehört zu den Verdächtigen im Mordfall Daniel Vontobel, der in der Gornerschlucht erschlagen gefunden wurde und der Nora mit Nacktfotos erpresst hatte. Doch Vontobels Ehefrau hatte auch ein Motiv, den üblen Mann loszuwerden. Die Zermatter Polizei holt Kommissarin Elena Eyer aus Brig zu Hilfe. Kann sie sich einen Weg durch das Dickicht an Indizien und Zeugenaussagen bahnen? Ein klassischer Krimi à la Agathe Christie, mit netten Nebengeschichten zum Matterhorn-Jubiläum (150 Jahre Erstbesteigung), zu Bergblumen und Heuschrecken. Käsers zweiter Zermatt-Krimi «Hoffmanns Tode», mit dem Matterhorn auf dem Cover und der gleichen zackigen Kommissarin am erfolgreichen Ermitteln, klettert auch in die Höhe: mit der Bahn auf den Gornergrat, am Seil aufs Rimpfischhorn und im Traum des Zermatter Polizisten Paul Pfamatter aufs Matterhorn.
Tödliche Freundschaft
Eine weitere halbe Stunde später kamen sie an eine fast senkrechte Wand und Christoph blieb abrupt stehen. «So, hier zeigt sich, dass ihr das Seil nicht umsonst hochgetragen habt.» Er bedeutete seiner Gruppe, sich untereinander mit Seilen und Karabinerhaken zu verbinden. «Die Schutzhaken im Felsen habe ich selbst verankert, deshalb weiß ich, dass ich mich darauf verlassen kann.»
Der Bergführer Christoph wohl schon, nur wir Leser und Leserinnen nicht. Denn was Julian Letsche im Krimi «Tödliche Freundschaft» am Hörnligrat textlich verankert hat, ist einfach falsch. Erstens wird bei der ersten fast senkrechten Wand des Grates, unweit oberhalb der Hörnlihütte, angeseilt, nicht erst hoch oben am Grat. Zweitens trägt der Bergführer das Seil, nicht die geführte Person. Und drittens hat der Führer nur eine am Seil, nicht drei Personen (geplant waren sogar sieben!). Viertens stimmen die alpintechnischen Begriffe nicht (Schutzhaken, Anseilen mit Karabinern). Zudem sind die kriminalistischen Aspekte in diesem Roman noch brüchiger als die Felsen in der Ostwand des Matterhorns (es ziert natürlich das Titelbild). Und sechstens ist die ganze Geschichte um die Matterhorn-Aspiranten und ihre alten bzw. neuen Partnerinnen schlicht schlecht. Froh ist man einzig darum, dass jene den Gipfel nicht erreichen – und wir Leser und Leserinnen wohl nicht die letzte Seite.
Matterhorn
Marina’s eyes climbed the wall as if tracking something beyond them. “Listen.” Will heard it too. A low, ominous rumbling. The sound grew louder, more distinct. In seconds, il hardened into a steady, rhythmic pounding. A helicopter. Will dropped his rucksack to the floor, opened a compartment and pulled out a pistol. A Glock 19. It had belonged to his father. He moved to the door, chambering a round. “Put on your ruck.” Marina zipped up her parka and threw the pack onto her shoulder. “Ready”. Will opened the door and stepped outside onto the narrow concrete band surrounding the Solvay Hut. The hut, a single-room log cabin at an altitude of 13,200 feet, was perched on a shelf of ancient rock half-way up the Hörnli Ridge of the Matterhorn.
Ein steiler Einstieg! Jedenfalls beginnt die Leseprobe des Thrillers «Matterhorn» von Christoph Reich mit dem Solvaybiwak (4003 m) am Hörnligrat, wohin es Marina und Will verschlagen hat, ein Liebespaar, ja sogar Eltern einer kleinen Tochter, was er aber offenbar nicht wusste. Doch allzu viel Zeit bleibt ihm nicht, sich darüber mit Marina zu freuen. Denn im Helikopter sitzen nicht Rettungsleute, sondern Schützen, und das Drama nimmt seinen Lauf. Weiter geht es mit dem Klappentext: «Robbie Steinhardt führt ein friedliches Leben. In einem kleinen Alpendorf hütet er sein Vieh, kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten und denkt nicht an sein früheres Leben und die Familie und die Geliebte, die er zurückgelassen hat – damals, als er Mac Dekker von der CIA war. Doch als er erfährt, dass sein Sohn Will in seinen Fußstapfen gestorben ist, braucht er Antworten. Welcher Auftrag führte Will in die alpinen Höhen (und eben zum Matterhorn!), und warum ist Ilya Ivashka auf demselben Weg? Ilya – sein enger Freund, sein Rivale in der Liebe. Ilya, der Mac den Verrat anhängte und ihn untertauchen ließ.» Muss ich lesen.
Was ich, jedenfalls in Sachen Matterhorn, nicht unbedingt lesen musste, ist der Jugendkrimi «Delitto ad alta quota» von Daniela Morelli (Mondadori Libri, Milano 2023). Auf dem Cover das Matterhorn, doch wo dieser «giallo per regazzi» angesiedelt ist, fand ich nicht heraus. Ganz sicher aber weder in Zermatt noch in Breuil-Cervinia.
Alexander Oetker: Schneegestöber am Matterhorn, in: Miriam Kunz (Hg.): Mehr Mord im Chalet. Weihnachtliche Krimigeschichten aus der Schweiz. Atlantis Verlag/Kampa Verlag, Zürich 2023. Fr. 23.90.
Gabriela Kasperski: Mord im Grand Hotel Matterhorn. Oktopus by Kampa, Zürich 2024. Fr. 21.90.
T.A. Williams: Murder at the Matterhorn. An Armstrong and Oscar Cozy Mystery. Boldwood Books 2023. € 27.80.
Urs W. Käser: Gornerschlucht. Alpenkrimi. XOXO-Verlag, 2021. Hoffmanns Tode. Books on Demand, 2021.
Vier Bildbände, die gut unter den Weihnachtsbaum passen.
«Ich versuche mir vorzustellen, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich damals nicht weggezogen wäre. Würde mir das Dorf auch so viel bedeuten wie als Emigrant in den USA? Oder würde ich bedauern, dass ich geblieben wäre? Die Schule in Vrin wurde 2014 geschlossen, mangels Schülerinnen und Schüler.»
Schreibt Verner Soler in der Legende zu seinem Bild der Mehrzweckhalle von Vrin. 1990 reiste der in diesem Bündner Bergdorf aufgewachsene Primarlehrer nach Los Angeles. Aus geplanten sechs Monaten Aufenthalt wurden mehr als 30 Jahre. Soler studierte in Kalifornien Fotografie und Werbegestaltung, gründete eine neue Familie und wurde Creative Director bei Saatchi & Saatchi, wo er Kampagnen für Weltmarken wie Toyota verantwortet. Trotzdem – oder vielleicht: deshalb – zieht es ihn immer wieder zurück in das Dorf seiner Kindheit und Jugend, wo seine alte Familie bis heute lebt. Die Kamera hat der Fotograf mit dabei, um Szenen (s)einer Heimat festzuhalten. Nun hat Verner Soler zusammen mit der Chasa Editura Rumantscha einen ganz aussergewöhnlichen Bildband geschaffen, dessen Originalität sich allein schon im dreisprachigen Untertitel offenbart: «Vrin. Home through an Emigrant’s Lens. Flüchtige Heimat. Bandunar e mai schar dar.» Da ist im Englischen der emigrierte Sohn, der sein altes Zuhause fotografiert. Die Heimat, vor der er vielleicht geflohen ist, die ihn aber einholt; wenn sie denn nicht abhanden kommt, nicht nur ihm, sondern auch den Menschen, die im Dorf (am Ende eines Seitentales im Bündner Oberland) geblieben sind. Und im Romanischen – in Vrin spricht man einen lokalen Dialekt von Sursilvan – bedeutet der Untertitel: verlassen und niemals geben lassen. So verhält es sich auch mit den Legenden zu den 153 grossen und grossartigen Fotos von Soler: Man sollte sie immer in den drei Sprachen lesen, nun ja, wenigstens in zwei. Denn oft erzählt der Emigrant verschiedene Geschichten. Aber bei den beiden Fotos der Hände seiner Mutter, aufgenommen 2010 und 2020, lauten sie gleich: Am Schluss steht «They are love. Sie haben geliebt. Els han carezau.» Man wird «Vrin» immer wieder zur Hand nehmen, gerade auch im Klimawandel, wenn noch mehr Abwanderung aus Bergdörfern droht. Bandunar e mai schar dar. Von Ilanz, der ersten Stadt am Rhein, braucht das Postauto bloss 46 Minuten ans Ende der Val Lumnezia.
Wir bleiben in den Bergen, reisen in ein anderes Dorf am Ende eines Tales, aber nicht am Ende der Welt. Denn dieses Dorf gehört zu den berühmtesten Tourismusorten der Welt. Die Position verdankt es dem auffälligen Berg hinter der Siedlung, und dem Mann, der 1854 das dortige Gasthaus mit zwölf Betten kaufte und dann die Gunst der triumphalen Tragödie nutzte, als von den sieben Erstbesteigern des Matterhorns am 14. Juli 1865 nur drei lebend nach Zermatt zurückkehrten. Sein Name: Alexander Seiler, gelernter Seifensieder aus Blitzingen im Goms. Bei seinem Tod im Jahre 1891 umfasste das Seilersche Hotelimperium neun Hotels mit über 1000 Betten und 700 Angestellten. Stephan Seiler, Urenkel des Hotelgründers, verfasste mit «Die Seiler-Saga. Eine Hoteliersfamilie prägt den Tourismus im Oberwallis» eine reichhaltig illustrierte Familien- und Hotelbiographie. Perfekte Lektüre, um mit dem Glacier-Express von Ilanz bzw. Disentis nach Zermatt zu reisen.
Dörfer am Ende eines Bergtales sind besondere Orte. Was als Sackgasse erscheint, kann auch eine Erweiterung des Horizonts sein. In Vrin eine agrar-ökonomische, kulturelle und soziale, mit dem Werk von Verner Soler. In Zermatt eine touristische, mit dem Buch von Stephan Seiler. Und in Saas-Fee eine in Sachen Baum und Bau. Im Ort am Fuss von Täschhorn und Dom ist der Bildband «Lärchengold und Gletscherweiss. Die Lärche – Lichtbaum der Berge» hauptsächlich angesiedelt. 2012 erschien er zum ersten Mal, glänzend zum «Europäischen Jahr der Lärche». Diese kenne ich nicht. Die Zweitauflage besticht visuell durch die 155 Fotos von Thomas Andenmatten. Einerseits frühlingsgrüne und herbstgoldene Lärchen in der Natur, vor allem als Vordergrund zu den hohen Schneebergen rund um das Saastal. Andererseits Häuser und Ställe aus Lärchenholz, seit Jahrhunderten verzahnt der Witterung trotzend. Luzius Theler geht als textlicher Hauptförster voran, gefolgt von 33 Autorinnen und Autoren. Eine bunte und spannende Mischung zum wohl wichtigsten und schönsten Baum des Wallis. Dort stellt die Lärche 29 Prozent des Holzvorrates, in der gesamten Schweiz nur fünf Prozent an der bewaldeten Fläche.
Eindrückliche Bäume und Wälder ebenfalls im Bildband «Les plus belles montagnes d’Europe. Une nature préservée». 2023 erschien er bei Frederking & Thaler, für die französische Ausgabe wurden ein paar ostalpine Gipfel durch französische ersetzt, mais bien-sûr. Geblieben ist eine fotografische Ode an eine fragile und geschützte Natur, vom Alpenbogen bis zu den Fjorden Norwegens und vom Ätna bis zu den Vulkanen der Azoren, über Island, Santorin, den Kaukasus. Die prächtigen Fotos von Stefan Hefele und Daniel Kordan illustrieren die gebirgige Majestät des europäischen Kontinents, der mit vielen verschiedenen Reliefs gespickt ist. All diese Landschaften kann man in diesem Buch nicht nur betrachten, sondern auch «lesen» lernen. Leider helfen die Bildlegenden nicht immer mit bei der Lektüre. Zu oft steht nicht, was zu sehen ist. Da fehlen Namen, ja manchmal gar die Gipfel, von denen die Rede ist, wie beim Snaefellsjökull (1446 m) ganz im Westen von Island. Für mich vielleicht besser so: Im Juni 1989 versuchte ich mit Eva Feller diesen verlockend gletscherweissen Vulkan zu besteigen, in dem Jules Verne seine «Reise zum Mittelpunkt der Erde» startet, allein das Wetter spielte nicht mit. Anders jedoch bei der Pedra Longa (128 m), einem der Wahrzeichen an der Ostküste Sardiniens; auf Seite 220 geht die Sonne neben dieser im Bildband namenlosen Felsnadel unter. Im Oktober 2001 stand ich gleich zweimal oben, zuerst alleine, dann mit Beat Hächler, damals noch nicht Direktor von ALPS Alpines Museum der Schweiz. Dort findet am 11. Dezember die Veranstaltung «Im Fluss – Dans le courant» statt; sie ist ausgebucht. Aber der internationale Tag der Berge kommt wieder, so sicher wie Weihnachten…
Verner Soler: Vrin. Home through an Emigrant’s Lens. Flüchtige Heimat. Bandunar e mai schar dar. Chasa Editura Rumantscha, Cuera/Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2024. Fr. 45.-
Stephan Seiler: Die Seiler-Saga. Eine Hoteliersfamilie prägt den Tourismus im Oberwallis. Hier und Jetzt Verlag, Zürich 2024. Fr. 59.-
Luzius Theler (Haupttext), Thomas Andenmatten (Fotos): Lärchengold und Gletscherweiss. Die Lärche – Lichtbaum der Berge. Weber Verlag, Thun-Gwatt 2024. Fr. 49.-
Stefan Hefele, Daniel Kordan (photos), Eugen E. Hüsler (texte): Les plus belles montagnes d’Europe. Une nature préservée. Éditions Glénat, Grenoble 2024. € 40,00.
Einer, der einen sehr weiten Überblick über die alpine Bücherwelt hat, ist Jacques Perret aus Chambéry. Sein zweibändiger «Guide des livres sur la montagne et l’alpinisme» von 1997 ist bzw. war ein wichtiges Referenzwerk. 2011 hat ihm Perret einen grandios illustrierten Katalog folgen lassen, der unter dem Titel „Regards sur les Alpes“ hundert aussergewöhnlich schöne und markante Bücher über die Alpen vorstellt. Seit 2022 liegt der «Guides des livres» in einer dreibändigen Neuauflage vor: DAS Bergbuch der Bergbücher.
«On ne lit pas le Perret. On le consulte, on y flâne, on s’y promène, dénichant à chaque page des informations, des précisions, des anecdotes inattendues.»
Wenn man ihn denn hat, den Perret. Den alten, zweibändigen von 1997. Und den neuen, dreibändigen von 2022. Den «Guide des livres sur la montagne et l’alpinisme (1492-2021)» von Jacques Perret. Der bekannte französische Alpinismushistoriker Yves Ballu schrieb das Préface de la deuxième édition. Seit vier Tagen steht diese (endlich) in meiner Bergbüchersammlung, mit der Nummer 29 hors commerce und signiert vom Autor. Ein schönes, dickes und schweres Weihnachtsgeschenk.
Nochmals Ballu im Vorwort zur zweiten Auflage: «Une nouvelle édition très largement ‹revue et augmentée› pour employer une formule consacrée: trois tomes au lieu de deux, 8600 références au lieu de 4950, 2400 notices biographiques au lieu de 950, pour une total de plus de 2250 pages!» Und ein Gewicht von 4350 Gramm. Allein das Porto von Frankreich nach Bern belief sich auf 40 Euro; es wäre fast günstiger gewesen, die drei Bände in Paris zu holen…
Nun liegt also das Referenzwerk zur alpinen Literatur vor einem, und man nimmt einen der Bände in die Hand, beginnt zu blättern, stösst zufällig auf den Walliser Ingenieur und Geologen Ignaz Venetz (1788–1850), einen der Väter der Eiszeit-Theorie. In der ersten Ausgabe des Perret-Führers fehlte er, in der zweiten finden sich neben biografischen Angaben zwei Broschüren von Venetz, beide „très rare“, mit den Signaturen 4432-B und 4432-C. Perret behielt nämlich die alte Signatur bei, so dass für neu aufgenommene Werke zusätzlich ein Buchstabe zur vierstelligen Zahl gesetzt wurde. Buch 4432 ist «Les Croix des Alpes» von VENDÔME (Henriette de Belgique, duchesse de), «un superbe album illustré sur les Croix des Alpes. Peu courant et recherché», erschienen 1937. Buch 4432-A stammt von VÉNÉON (Jean) und heisst «In memoriam: Tschingel» (1892): eine Biographie der berühmten Hündin von W.A.B. Coolidge, die bei zahlreichen (Erst-)besteigungen dabei war. Die Signaturen 4432-B und 4432-C erhielten ja die Broschüren von Venetz, weshalb «La dent du piment» und «Les Hallucinés» von VENNIN (Thomas) jetzt unter 4432-D und 4432-E aufgenommen wurden. Tout est clair?
Im dritten Band der zweiten Ausgabe finden sich hinten der «Index des titres» in alphabetischer Reihenfolge und der «Index géographique». Beim Stichwort «Piz Badile» sind 12 Bücher aufgelistet, darunter dasjenige von Marco Volken; beim «Eiger» 34, darunter nur dasjenige von Rainer Rettner, das auch in französischer Übersetzung erschienen ist. Ankers «Eiger, théâtre du vertige» fehlt in dieser Liste, kommt aber sonst schon vor, ja sogar in der Einführung zur neuen alpinen Literatur.
Natürlich treten bei einem solch gross angelegten Werk immer Lücken auf. Warum von Emil Zopfi nur seine Tödi-Monographie aufgenommen wurde, diejenigen zu Glärnisch, Churfirsten und Mythen jedoch nicht, bleibt ein Geheimnis. Lägen sie auch auf Französisch vor, fehlten sie kaum. Aber auch in dieser Sprache gibt es Absenzen: Die Gebrüder Remy schrieben drei wichtige Bücher zur alpinistischen Geschichte von Argentine, Gastlosen und Jura, doch nur «Les Miroirs de l’Argentine» sind dabei. Aufmerksam hingegen, dass Perret darauf hinweist, dass Claude und Yves Remy 2016 den Albert Mountain Award erhielten.
Ein Hinweis noch für Sammler: Den «Index des collections» hat Jacques Perret für die zweite Auflage seines Führers der Bücher über die Berge und den Alpinismus nicht weitergeführt. Einerseits gibt es ja abgeschlossene Sammlungen wie «Les 100 plus belles courses», die Gaston Rébuffat für die Éditions Denoël betreute; als 27. und letzter Band kam 1990 «L’Oberland bernois à ski» heraus. Andererseits werden andere Bergbuchreihen laufend fortgeführt – und neu gestartet. Die Arbeit an einer dritten Auflage des «Guide des livres sur la montagne et l’alpinisme» geht einem also nicht aus. Doch in den nächsten Jahrzehnten und überhaupt konsultieren wir die zweite.
Jacques Perret: Guide des livres sur la montagne et l’alpinisme (1492-2021). Librairie Giraud-Badin, 2022. 3 Bände. www.giraud-badin.com. Verfügbar in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern.
Der Winter zeigte sich letzte Woche auch in tieferen Lagen. Grund genug, auf Publikationen zum Schnee und auf eine elegante Ausstellung zum Wintersport hinzuweisen.
– Wir haben ein schönes Zimmer, wir haben gut gegessen und wir haben Skier unter den Füßen. Herz, was begehrst du mehr? – Eine rasante Abfahrt!
Kurzer Dialog zwischen Tante Daisy und Onkel Gustav in «Spaß im Schnee» im Sonderband 30 von «Lustiges Taschenbuch» mit dem Titel «Frohes Fest in Entenhausen». Der Band enthält zehn Episoden, wovon fünf deutsche Erstveröffentlichungen zum Thema «Entenhausen im Schnee». Natürlich kann Donald Duck nicht zulassen, dass Gustav seiner Daisy genau dann den Hof macht, wie er seinen eingebundenen Fuss zu Hause kurieren muss. Aber von wegen! Er verfolgt die beiden auf besonderen Ski mit Steuerung, was nicht gut kommt, selbstverständlich nicht. Doch auch Daisy bekommt das Skifahren nicht wirklich. Die letzte Szene zeigt sie und Donald, wie sie vor einem Skigeschäft panisch Reissaus nehmen.
Dabei kann man auf Schnee und Ski so elegant und rasant unterwegs sein wie am vergangenen Donnerstag Abend nach dem heftigen Schneefall bis in die Niederungen. In der Berner Länggasse jedenfalls flitzten Langläufer skatend über die weissen Strassen. Dass der viele Schnee den öffentlichen und privaten Verkehr hingegen gehörig bremste, ist eine andere Geschichte.
Bremsen tut Clément Noël erst nach der Zieldurchfahrt. Und dort stellt der Franzose oft die Bestzeit auf. Der Slalom-Olympiasieger von Peking gewann die beiden ersten Slaloms der neuen Weltcup-Saison. Von Noël findet sich ein Porträt im fünften Band der Publikation «Ski français», die sich der «Compétition» widmet. Da geht es um berühmte und vergessene französische Skistars wie Jean-Claude Killy oder Carole Montillet, um Skirennen im Zeitalter des Klimawandels, um 100 Jahre Skilauf in Frankreich von Chamonix 1924 mit den ersten olympischen Winterspielen bis heute. Im Band 6, der im Januar 2025 erscheinen wird, komm die „Innovation“ zur Sprache. Wer sich für die früheren Ausgaben interessiert, wird hier fündig: https://bergliteratur.ch/vom-avant-ski-zum-apres-lift-neue-skibuecher-und-mehr/ und https://bergliteratur.ch/schneebuecher-zum-fruehlingsbeginn/.
Onkel Donald kennt man, seine Neffen Tick, Trick und Track ebenfalls. Auch von Pingu – freilich nicht im (Schnee-)Reich von Walt Disney angesiedelt – wird man schon gehört haben. Aber kaum von Pingo. Beide sind in der Kälte zuhause. Der erste ist der junge Pinguin Pingu in der gleichnamigen, schweizerisch-britischen Knetanimation-Trickfilmserie; oft spielt auch die kleine Schwester Pinga mit. Pingo ist ein im Permafrost entstandener Erdhügel; der Ibyuk Pingo in den kanadischen Northwest Territories misst 49 Meter in der Höhe. Er ist abgebildet in «Schnee und Eis. Eine Entdeckungsreise zu gefrorenen Welten» – nur eine der vielen Sehenswürdigkeiten im Sachbuch von Jürg Alean und Michael Hambrey. Sie führen uns in neun Kapiteln zu Reif und Hagel, Gletscher und Eisbergen, Eis auf Meeren und Flüssen, Permafrost und Eishöhlen (zum Beispiel im Jura). Immer anschaulich geordnet mit jeweils drei Verben, wie mit „erstarren, ausbreiten, verschwinden“ bei den Eiszeitgletschern. Immer illustriert mit aussagekräftigen Fotos und Illustrationen, unterstützt von genauen Legenden.
Meteorologisch beginnt der Winter am kommenden Sonntag. Noch bis zum Sonntag, 15. Dezember 2024, ist im Musée Bolle in Morges die Ausstellung «Sports d’hiver à la belle époque» von Carlo Pellegrini (1866–1937) zu sehen. Pellegrini stammt aus in Ablese in Norditalien. Er liess sich zum Maler und Illustrator ausbilden und arbeitete ab 1900 als künstlerischer Berater im Genfer Verlagshaus Vouga & Co, einem der ersten grossen Postkartenverlage. Pellegrini seinerseits wurde durch Plakate und Postkarten bekannt, die Schweizer Landschaften sowie die winterlichen Aktivitäten der Urlauber zeigen. Anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1912 in Stockholm nahm Carlo Pellegrini am ersten Wettbewerb für Kunst und Literatur teil; er gewann die Goldmedaille in der Kategorie Malerei mit seinem Werk «Wintersport». Die Ausstellung in Morges zeigt zahlreiche Originalpostkarten, einige Aquarelle sowie als Wandbild die Vergrösserung eines faltbaren Tourismusprospektes, den Pellegrini für Adelboden schuf. Zudem wird kurz auf die Geschichte der Postkarte und ihre Blütezeit in den 1920er Jahren eingegangen, und als Leihgabe des Schweizer Skimuseums in Le Boéchet gibt es zahlreiche Gegenstände aus der damaligen Zeit wie Ski und Schlitten zu entdecken. Kurz, eine winterliche Reise nach Morges lohnt sich. Und wenn sich dann am Ufer des Léman das verschneite Panorama vom Moléson bis zu den Voirons entfaltet, mit dem Mont Blanc als Höhepunkt, wird einem warm ums Herz.
Ski français. Tome 5: Compétition; tome 6: Innovation. Éditions Glénat, Grenoble 2024/25. Je € 20,00.
Jürg Alean, Michael Hambrey: Schnee und Eis. Eine Entdeckungsreise zu gefrorenen Welten. Haupt Verlag, Bern 2024. Fr 44.-
Carlo Pellegrini: Sports d’hiver à la belle époque. Musée Bolle an der Rue Louis-de-Savoie 73-75 in Morges. Offen Mi bis So, 14 bis 17 Uhr. https://museebolle.ch/
Zwei neue Kataloge mit kostbaren Bergüchern und -bildern.
«Aus grünen Wiesengründen schwingt es sich [das Wetterhorn] als gewaltiger, vielfach zerrissener Felscoloss in steilen Hängen zu bedeutender Höhe empor, um mit schimmernden Schneefeldern und glänzenden Firnkegeln sich zu überdachen. Zu welcher Tages- und Jahreszeit man es auch immer betrachten mag, stets bietet es eigenthümliche Schönheiten, ob in leisem Dufte bläulich verschwimmend, ob scharf in allen seinen Theilen ausgeprägt, und jede Beleuchtung, vom blendenden Strahle der Sonne bis zum blassen Lichte des Mondes, verleiht ihm einen besonderen Zauber.»
Das schreibt Christoph Aeby, Professor für Anatomie und Anthropologie in Bern, im Buch «Das Hochgebirge von Grindelwald. Naturbilder aus der Schweizerischen Alpenwelt». Es liest sich so frisch, als wäre es gestern erschienen und nicht 1865 im Verlag von Karl Baedeker in Koblenz. Als Verfasser des mit einem farbigen Panorama, neun Holzschnitten und mit einer topographischen, von Rudolf Leuzinger gestochenen 1:50‘000er Karte ausgestatteten Werkes zeichnen Aeby, Edmund von Fellenberg, Bergbauingenieur und SAC-Mitbegründer in Bern, sowie Rudolf Gerwer, Pfarrer in Grindelwald. Sieben der zehn Kapitel verfasste Aeby, so auch die Berichte über die Besteigung des Wetterhorns am 29. Juli 1863 und über die Umrundung der Wetterhörner vom 12. bis 15. August 1863.
Am 28. Juli reist Aeby von Bern nach Grindelwald und eilt mit den Führern Christian Gertsch und Hans Baumann der Gruppe nach, die vor ihm nach Gleckstein aufgebrochen ist. Ausführlich und mustergültig beschreibt er den Weg dorthin. In der Nacht kommen die drei Alpinisten zur Biwakhöhle von Gleckstein, wo sie Aeby’s Freund Gerwer, Karl Baedeker aus Koblenz und Theodor Beck, der Bruder des berühmtem Hochgebirgsfotografen Jules Beck, mit ihren Grindelwaldführern Christen Bohren, Christen und Peter Michel treffen. Am 29. Juli klettern die neun Alpinisten, schon bald einmal durchs Seil verbunden, über oft brüchige Felsen («rechts und links flogen die oft faustgrossen und noch grösseren Felsstücke an den Köpfen vorbei») in den Wettersattel hinauf, wo sie Rucksäcke deponieren; «nur eine kleine Flasche mit Rum hatte die Ehre uns zu begleiten» – und eine Fahne, um sie eine Stunde später in den Gipfelfirn zu setzen. Nochmals Aeby, als sie ganz oben sind: «Das erste Geschäft bestand darin, der übrigen Menschheit durch Aufziehen der mitgebrachten Fahne den glücklichen Ausgang unseres Unternehmens zu verkünden. Es war ein eigenes Gefühl, hier oben in der freien Luft zu sitzen. Wie auf hoher Thurmspitze schwebte man über dem Lande. Unter den Füssen hinweg schien die Schneefläche in’s Nichts zu zerfliessen und diese scheinbare Bewegung nach unten erhöhte den Eindruck, als schwebe man im weiten Aethermeer.»
Lesenswert, nicht wahr? Kaufenswert vielleicht auch. Gut, nicht ganz billig. Aber Weihnachten steht ja vor der Tür. Wer nun also ein besonderes Bergbuch erwerben oder schenken möchte, wird im neuen Katalog von Harteveld Rare Books von Fribourg sicher fündig, das nötige Klein- bzw. Grossgeld vorausgesetzt. Im Katalog Nr. 283 steht der erste Teil der grossartigen Sammlung von Peter Ernst Obergfell (1940 – 2023) zum Verkauf, knapp 300 kostbare, alte Bücher und Panoramen zur Schweiz, den Bergen, dem Bergsteigen, dem Badewesen, der Kunst. Unter 100 Franken gibt’s kaum etwas, über 1000 einiges. «Die Wanderungen in der Gletscher» (1843) von Georg Hoffmann kosten 350 Fr., das «Das Hochgebirge von Grindelwald» 550 Fr., «Poles and Tales; or English vagabondism in Switzerland, in the summer of 1854» 1500 Fr., was aber gar nicht soo teuer ist, weil bis jetzt nur dieses eine Exemplar bekannt ist. Und das macht die Kataloge von Harteveld studierenswert: Weil man da seltene Bergbücher findet. Wenn sie dann noch in der Nationalbibliothek in Bern oder in der Zentralbibliothek des Schweizer Alpen-Clubs stehen bzw. stehen werden, tant mieux.
Wenn von Katalogen die Rede ist, sei noch auf den neuesten, gestern verschickten von John Mitchel Fine Paintings hingewiesen. Er enthält die Yosemite-Gemälde von James Hart Dyke, die in den letzten beiden Jahren entstand sind. Einzigartig, dieses Tal in Kalifornien mit seinen beiden berühmtesten Gipfeln El Capitan und Half Dome. Nun kongenial festgehalten mit Ölfarbe. Hoffentlich malt James Hart Dyke auch mal das Wetterhorn.