Grosser Mythen

Aufs Matterhorn der Wanderer. Wenn die Finger schmerzen, treten die Füsse in Aktion.

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Es ist der Tag der Schulreisen und der wandernden Rentner. «Was für ein cooles T-shirt», sagt ein Junge aus einer Klasse, die mir auf dem Mythenweg im Gänsemarsch entgegenkommt.
«Willst du es haben?»
«Klar, wir tauschen.» Er zieht sein eigenes aus, doch leider ist es zu klein.
Abstieg vom Grossen Mythen, zum ersten Mal war ich da oben. Ein Berg mit einer Beiz zuoberst am Gipfel, das war bisher noch nie ein Ziel. Doch meine Hand schmerzt so scheusslich, dass Klettern kaum mehr Spass macht. Karpaltunnelsyndrom nennt sich das. Soll häufig vorkommen bei Kletterern, bei Frauen allerdings dreimal häufiger. Und zudem soll ich ja ein Buch verfassen über die Mythen, zum 150-Jahr-Jubiläum der Mythenfreunde, die eben diesen Weg unterhalten. In gleichmässiger Steigung in den Fels gehauen und mit Ketten perfekt gesichert. Früher gab es reichlich Tote auf der Totenplangg, durch die der alte Weg führte.
Angenehmer Aufstieg trotz der Hitze. Grüezi, grüezi, da sind Kolonnen unterwegs. Rüstige Rentner, Wanderstöcke scheinen für sie eiserne Pflicht. So als ob die Verlängerung der Arme – die uns wieder zu Vierfüsslern macht – auch eine Verlängerung des Lebens bewirken könnte. Mag ja sein, dass die glitzernden und klickernden Wanderstöcke zu Bewegung anregen, und damit selbstverständlich die Gesundheit der älteren Generation fördern und die Krankenkosten senken. Also kein schlechtes Wort mehr über Wanderstöcke!
Als stockloser Rentner hüpfe ich zu Tal, beschwingt vom Gipfelerlebnis mit Nussgipfel und Kaffee und atemberaubendem Rund- und Tiefblick. Zwischendurch versperrt mir ein Stockbewehrter den Weg, grimmig entschlossen keinen Zentimeter zu weichen, obwohl ich offensichtlich schneller bin. Ich lasse ihn getrost ziehen, ich will ja beim Überholen nicht auch noch ausrutschen und den Hang hinunterkollern. Es ist wirklich erstaunlich, dass dieses spektakuläre freistehende Felsenhorn nicht durch eine Seilbahn erschlossen bzw. erschlossert worden ist – und dass es trotzdem die Massen anzieht. Dank den Mythenfreunden! Da toleriere ich sogar die Beiz auf dem Gipfel – und dass die Nussgipfel auf dem Gipfel frisch sind, ist doch eine Sensation. Sozusagen der Gipfel ist das. Auf dem Säntis und andern Destinationen gibt’s ja nur Abgepacktes (stelle ich mir vor).
Der Mythenweg hat übrigens 44 Kehren und sie sind nummeriert. Das enthebt mich sogar dem ewigen Tick, bei jedem Weg die Kehren und bei jeder Treppe die Stufen zu zählen. Warum eigentlich, frage ich mich im Abstieg, und es kommt mir in den Sinn, dass ich einst die Idee hatte, Mathematik zu studieren. Und so lese ich auch auf diesem Weg etwas aus meinem Leben, das längst vergangen und vergessen war. Vielleicht ist das der tiefere Sinn des Wanderns, nebst der körperlichen Bewegung und all den andern Eindrücken und Einfällen, die man so mit sich nach Hause trägt.

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