Es gibt Routen, die klettert man wegen ihres schönen Namens. Golden Lady gehört gewiss dazu, bietet aber noch einiges mehr.
Grau hängt die Wolkendecke über dem Rian Cornei. Kühler Herbsttag. Eigentlich ideal zum Klettern. Nur das Grau drückt ein wenig auf die Stimmung. Da steh ich nun, ich armer Tor, und seile mich an. Schon vor der Abfahrt in Zürich habe ich mit dem Gedanken gespielt. Golden Lady, ob ich die noch schaffe? 6b+, ziemlich steil. Und dann der Ausstieg … Ein bisschen schrumpfe ich, nach einem Blick nach oben, ein bisschen zögere ich noch, anzupacken. Noch ein Schluck Wasser. Nochmals alle Espressschlingen richtig an den Gürtel gehängt. Sitzt der Knoten? Bist du bereit? Alles ok? Meine Partnerin schenkt mir ein Lächeln, kürzlich haben wir unsere messingene Hochzeit gefeiert, die goldene ist in Reichweite. Aber solche Gedanken seien mir im Augenblick fern, denn nur der zählt. Und schon gehts’s los. Was soll ich erzählen? Die Route ist ja eigentlich fair, es gibt immer mal wieder einen grossen guten schönen Griff, gerade im letzten Augenblick. Einmal hilft auch noch die Bodentruppe, rechts soll ich hoch. Uh, das sieht steil aus, was soll ich mit diese winzigen Dellen im glatten Grau? Aber nichts hilft, da musst du hinauf. Und dann kommt ja wieder der rettende Griff. Und der Ausstieg, nach einem kleinen knorrigen Bäumchen. Hinaus auf die kleingriffige Platte und hoffen, dass die Schuhspitzen dort draussen im Nichts nicht rutschen. Tun sie nicht. Ich bin am Top.
Am Abend treffe ich in Finalborgo im neuen Kletterladen Marco Tommasini, genannt Thomas, den Autor des Kletterführers «Finale climbing» vom Verlag Versante Sud. Ich kaufe ihm sein Werk ab, er signiert es mit Widmung. Eigentlich brauche ich den Führer nicht, aber Marco ist einfach so freundlich und bescheiden, hat hunderte von Routen eingerichtet oder saniert. Das Buch ist viel zu dick für einen Kletterführer, dafür enthält es nicht nur akribische Beschreibungen der Routen (… viel Ausdauer… im Ausstieg schwieriger, weil nicht gleich ersichtlicher Zug…), sondern auch Porträts der Pioniere des Kletterns in Finale. Golden Lady ist eine Route von Fulvio Balbi, einem gelernten Schweisser aus Genua. «Ein äusserst freundlicher, umgänglicher und liebenswerter Mensch.» Seit ich das weiss, ist mir die Goldene Lady noch lieber geworden. Und noch was: Marco stuft sie als 6c ein. Mir schwillt der Kamm. Es hat sich doch gelohnt, den eigentlich überflüssigen und ziemlich teuren Kletterführer zu kaufen.