In der Efeugrotte

Ein einzigartiges Klettergebiet in Finale, gut für Schatten an heissen Tagen. Mit kalten Fingern an den senkrechten Fels geklammert – wie Efeu.

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Mit Stirnlampen ausgerüstet klimmen wir über schmieriges Blockwerk höher, ziehen uns an vergammelten Fixseilen über Steilstufen hinauf. Rutschig und lehmig der Grund, die Höhle wird enger, dunkler, Platzangst kündigt sich an. Herzklopfen. Am Ende wird der Schacht so eng, dass wir die Rucksäcke und den Seilsack vor uns her schieben. Um eine Kante und dann stehen wir im Licht in einem gewaltigen Schacht, zwanzig Meter Durchmesser vielleicht, fast kreisrund, dreissig Meter über uns der Rand, von Gebüsch bekränzt. Tropfstein und senkrechter löchriger Kalk. Hier klettern?
«Da non perdere», steht im Führer. Die «Grotta dell’ Edera», die Efeugrotte also. Auf der einen Seite ein riesiges Fenster, Sintersäulen, Verschneidungen, Überhänge. Es ist kalt, draussen Sonne, wolkenloser Himmel über uns. Zu heiss zum Klettern an der Sonne, haben die Kollegen befunden. Mögen ja wohl recht haben. Es ist doch immer zu heiss oder zu kalt. Besonders bei so kleingriffigem löchrigem steilem Fels. Kaltstart ohne Aufwärmen in die Senkrechte. Ich bin froh, steigt der Freund vor. Es ist eine Erleichterung, wenn die Expressschlingen schon hängen und man weiss, dass es irgendwie geht. Auf halber Höhe ein schmales Band, rasten, in die Hände hauchen, die Finger sind schon klamm. Wärmen auch nicht auf beim Weiterklettern, denn die Griffe sind nun wirklich winzig, der Fels eisig, obwohl schon die Sonne in diesen Teil der Grotte scheint. Irgendwie schaffe ich es dann doch zur Umlenkung. Die zweite Route geht dann schon ganz gut.
«Da non perdere.» Die Grotte, eine gewaltige Doline eigentlich, ist auch ohne Klettern sehenswert. In einem der riesigen Fenster taucht eine Gruppe Jugendlicher auf, die staunen, schauen, wie unsere Freaks locker durch die Überhänge turnen. Italiener, Franzosen und wir, ein kleines Europa hat sich schon versammelt auf diesem winzigen versteckten Fleck Erde. Einst vielleicht Unterschlupf für Partisanen oder heimlich Verliebte? Ein wunderbares Volkslied fällt mir ein, ein Lied über versteckte Liebe aus dem Mugello bei Florenz. Die Liebe ist wie Efeu, wo sie sich anklammert, stirbt sie. So hat sich mein Herz an dich geklammert.
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L’amore è come l’ellera,
dove s’attacca muore
così così il mio cuore
mi s’è attaccato a te.
Nun, heute ist meine Liebe weit weg. Statt an ihr Herz, klammere ich mich an den kalten Fels. Im Mugello waren wir einst und es war ein so blauer Frühling wie heute. Auf dem Rückweg von jener Reise kamen wir zum ersten Mal nach Finale, doch an Klettern in diesen Felsen dachten wir noch nicht. So kreuzen sich unsere eigenen Wege immer wieder, die Wege von heute und jene von Gestern, Vorgestern. Die Liebe ist geblieben, auch jene zum Fels. Oh, wenn er nur nicht so kalt wäre, heute.

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