Let’s Talk about Mountains

Der 2744 Meter hohe Paektusan ist einer heiligsten Berge der Welt. Er steht (auch) im Zentrum einer Ausstellung in Bern und eines Buches zu Nordkorea. Auf keinen Fall verpassen.

«Vom 1363 Meter hohen Gipfel hat man einen atemberaubenden Blick auf die umliegende voralpine Bergwelt. In rund 20 Kilometer Ferne ist das Blau des Meeres zu sehen. Die Vögel singen, kein Autolärm ist zu hören. Der Region rund um den Berg Taehwa wohnt ein ihr eigener Zauber inne. Diesem Reiz werden jedoch nur wenige Personen im Laufe ihres Lebens erliegen. Denn die Region befindet sich an der Ostküste Nordkoreas – ein Land, in das sich westliche Touristen kaum verirren. Nach den Vorstellungen der Machthaber in Pjöngjang soll sich dieser Umstand jedoch ändern. Das Gebiet rund um die am Ostmeer, das in Japan als Japanisches Meer bezeichnet wird, gelegene Küstenstadt Wonsan soll zu einer Touristendestination auf Weltklasseniveau ausgebaut werden. So lauten die kühnen Träume der nordkoreanischen Politikelite.»

So leitet Matthias Müller, Asien-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, seinen Beitrag zu einem der spannendsten und überraschendsten Bergbücher ein, die mir je begegnet sind. Der Beitrag „Hoch hinaus. Wie Nordkorea mit einer pittoresken Bergwelt und Traumstränden um die Gunst internationaler Touristen buhlt“ findet sich in der Begleitpublikationen zu einer ebenso ungewöhnlichen Ausstellung im Alpinen Museum der Schweiz in Bern, die heute Samstag, 27. März 2021, ihren Vorhang hebt: „Let’s Talk about Mountains. Eine filmische Annäherung an Nordkorea.“

„Es war das langwierigste und schwierigste Projekt, das wir je angepackt haben, aber es hat sich gelohnt», sagen die Ausstellungsmacher Beat Hächler (Direktor Alpines Museum der Schweiz, Bern) und Gian Suhner (Filmemacher und Regisseur Chur/Berlin) im Rückblick. Nordkorea gilt als eines der unzugänglichsten Länder der Welt, sein Ruf ist schlecht. Totalitärer Führerstaat, Menschenrechtsverletzungen, Ernährungskrisen und militärische Drohgebärden – das sind nur einige der häufigsten Assoziationen beim Stichwort „Nordkorea“. Weniger deutlich ist das Bild, wie es den rund 25,5 Millionen Nordkoreanerinnen und Nordkoreanern tatsächlich geht und wie sie über ihre Welt denken. Und ebenso wenig wissen wir, wie das Land aussieht: ein Land voller Berge (wie die Schweiz), deren Abbildungen auch im Alltag eine wichtige Rolle spielen (wie bei uns). Deshalb der gelungene Versuch, sich dem Land über die Berge zu nähern, so über den Paektusan (2744 m): der höchste Berg der koreanischen Halbinsel und der Berg der Berge Nordkoreas. Zehntausende Bewohner des Landes pilgern jährlich auf den „Heiligen Berg der Revolution“.

Ein Filmteam des Alpinen Museums der Schweiz bereiste in der kurzen Phase des innerkoreanischen Tauwetters 2018/19 Nordkorea. Davon erzählen die filmischen Mikrogeschichten erzählen in der Ausstellung. „Die Filmbilder kommentieren nicht, aber selbstverständlich suchen wir die aktive Vertiefung und Auseinandersetzung“, sagt Beat Hächler, der Kurator von „Let’s Talk about Mountains“. Im letzten Ausstellungsraum können die Besucherinnen und Besucher ihre Kommentare und Fragen deponieren. Diese werden regelmässig veröffentlicht und mit Expertinnen und Experten diskutiert. Und die 200seitige reich bebilderte Begleitpublikation bietet Hintergrundwissen – ein idealer Begleiter für die Ausstellung, aber auch ohne diese ein höchst interessantes Werk über Berge und Menschen. Mit ganz starken Fotos und Texten von westlichen und östlichen Autoren. Da sieht man zum Beispiel auf Seite 185 ein casual gekleidetes Paar beim Bewundern und Fotografieren des Kuryong-Wasserfalls im Kumgangsan-Nationalpark – rötliche Granitfluchten, die an das Yosemite Valley erinnern. Auf einer glatt geschliffenen Felsplatte entdeckt man koreanische Schriftzeichen, die vielleicht dem Staat und seiner Herrscher-Dynastie huldigen. Aber bevor wir nun den Kopf schütteln über die politische Vereinnahmung von Bergen, sollten wir an das Mount Rushmore National Memorial mit den monumentalen Porträtköpfen von vier US-Präsidenten denken oder an das Suworow-Denkmal im Granit der Schöllenenschlucht.

Am Schluss des Textteils von „Let’s Talk about Mountains“ ist das Gedicht „Winter“ der in der Schweiz lebenden südkoreanischen Schriftstellerin Elisa Shua Dusapin abgedruckt. Die erste und letzte Strophe lautet so:

Auf den Höhen, den Himmel zerreissend,
Der steile Fels,
Des Berges atemberaubende Unendlichkeit,
Fällt langsam Schnee.

Let’s Talk about Mountains. ISBN 978-3-9520873-9-8. Alpines Museum der Schweiz, Bern 2020, Fr. 14.-

Die Ausstellung „Let’s Talk about Mountains. Eine filmische Annäherung an Nordkorea“ im Alpinen Museum der Schweiz in Bern dauert bis zum 3. Juli 2022. Sie wird von einem vielfältigen Veranstaltungsprogramm begleitet. Dieses entstand in Kooperation mit dem Kunstmuseum Bern, das von 30. April bis 5. September 2021 „Grenzgänge – Nord- und südkoreanische Kunst aus der Sammlung Sigg“ zeigt. Weitere Veranstaltungen sind in Zusammenarbeit mit dem Kino Rex Bern und der Asia Society Switzerland geplant.
www.alpinesmuseum.ch/de/ausstellungen/let-s-talk-about-mountains

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