Gischterwäng

Humorvolle Bergbücher lassen sich an zwei Kletterhänden abzählen. Am Weltbuchtag greifen wir lachend zum jüngsten.

«Wenn ich darunter leide, in der Gesellschaft zu wenig Ansehen zu geniessen, besteige ich den Mount Everest und schreibe anschliessend ein Buch darüber. Das haben schon viele getan. Auf einen Schlag werden mich alle bewundern. Das Buch wird vielleicht niemand lesen, aber alle denken sich: Wow, der hats weit gebracht und hat auch noch ein Buch darüber geschrieben!»

So steil steigt der Kletterführer «Gischterwäng» von Tinu Schwarz und Röfe Maler ein. Mit ihnen und ihrem Werk feiern wir heute den Welttag des Buches und des Urheberrechts. Seit 1995 ist der 23. April «ein von der UNESCO weltweit eingerichteter Aktionstag für das Lesen, für Bücher, für die Kultur des geschriebenen Wortes und auch für die Rechte ihrer Autoren», heisst es auf Wikipedia. «Das Datum des 23. April geht zurück auf den Georgstag. Es bezieht sich auf die katalanische Tradition, zum Namenstag des Volksheiligen St. Georg Rosen und Bücher zu verschenken.» Wir bleiben auf Empfang und klettern weiter durchs Vorwort:

«Wir jedoch haben kein Geld, um den Everest zu besteigen, also suchen wir etwas anderes. Warum nicht etwas Grosses im Sportklettern vollbringen? Aber was? Eine Erstbegehung in der Eigernordwand? Geht nicht, das Routennetz ist leider bereits zu dicht und alle anderen berühmten Wände sind erschlossen. Dann aber entdecken wir eines schönen Herbsttages die grosse Felsenfluh Gischterwäng! Noch kein Kletterer hat hier je geklettert. Die einsamen Felsen warten darauf, von uns erschlossen zu werden. Ein Traum wird wahr! Eroberungsgefühle steigen auf, Erstbegehungsfieber liegt in der Luft. In Gedanken reihen wir uns bereits in die Liste der grossen Kletterpioniere ein. Jetzt haben wir ein grosses Ziel: Wir wollen die Kletterwelt zum Staunen bringen! Wollen die schönsten aller Routen erstbegehen. Wollen ein Buch darüber schreiben und in die Klettergeschichte eingehen.»

Das ist den beiden Bernern und Neo-Autoren gelungen. Wie sie übrigens wirklich heissen, kennt nur eine Handvoll Leute. Wichtiger ist, dass ihr Buch in die Geschichte der Bergliteratur eingehen wird. Denn humorvolle Bergbücher lassen sich an zwei Kletterhänden abzählen. Bereits beim Lesen der Legende zum Cover der erste Lacher: «Tinu S. im erfolglosen dreiundvierzigsten Versuch der Route ‹Pech und Penis› 8c+.» Erst recht dann beim Aufklappen der Übersichtskarte, die einem Ausschnitt der Landeskarte täuschend ähnlich ist. Aber diese Namen im Ängistirntal und Schluckhalstal! Härdöpfelstock, Eierstock und Schlagstock, Schnuddersee, Eiterbibeli und Hosebislerquell lassen nur bedingt Vorfreude aufkommen, die «über 90 Top-Routen im bestem Sediment-Polyporphyr» auch wirklich zu klettern. Leider bzw. zum Glück gibt es die Anstiege «No es Löffeli Adrenalin füre Moudi», «Das ist mir Schuppe» und «Fliegenlandeplatz» wohl nur in diesem Kletterführer. Darin wird wirklich alles – vom Naturschutz und Geologie über Unterkünfte und Fahrplan bis zu Routeninfos, Fotos und Reklamen – höchst amüsant und ziemlich schräg behandelt und beschrieben, und das Seite für Seite, Satz für Satz und Bild für Bild. Ein Meisterwerk, fürs Klettervolk sicher noch um eine Seillänge mehr, aber gerade das Kapitel zur Alpingeschichte des Ängistirntals wird auch Flachwanderer und Hochlandtouristinnen begeistern. Wer schon etwas schnuppern will, gibt www.gischterwaeng.ch oder auch https://egopoint.ch/ ein. Aber vorher klettern wir noch zum Ausstieg der Einleitung:

«Unsere Gischterwäng ist unser kleiner Everest. Und wenn wir nicht unverzüglich mit der Erschliessung beginnen, kommen andere und schnappen uns alles weg. So konzentrierten wir unser gesamtes Engagement in den letzten Jahren auf die Gischterwäng. Und nun ist alles fertig. Wir haben es geschafft. Stolz präsentieren wir hier unseren Kletterführer!»

Tinu Schwarz, Röfe Maler: Gischterwäng. Kletterführer. Topo.Verlag, Frenkendorf 2024. Fr 27.-

Auf ins Tessin!

An Ostern in den Süden, auch wenn der Wetterbericht für Ascona nicht unbedingt sonnig ist? Gehört offenbar alljährlich dazu, muss aber nicht unbedingt sein. Wer trotzdem Tessinluft schnuppern möchte: Hier vier neue, ganz unterschiedliche Bücher zum Ticino.

«Die heutige Etappe hält ein Schlemmermenü bereit: sieben aneinandergereihte Dreitausender, die man grösstenteils über Grate erreicht. Diese und die gestrige Teilstrecke der Via Crio bilden das Herzstück der Route, von hier aus zieht sie sich nach Süden und nach Norden. Zusammen mit der neuen Verbindung von der Capanna Adula zum Rifugio Scaradra sind das die wichtigsten neuen Möglichkeiten, die das Trekking bietet.
Auch ihren Namen hat die Via Alta Crio von hier: crio kommt von griechisch kyros, ‹Kälte, Frost, Eis›. Auf Eis werden wir auf der heutigen Etappe stossen, ohne es begehen zu müssen, während je nach Fortschreiten der Jahreszeit noch Schnee liegen könnte.»

Auf dem jüngsten und höchsten Tessiner Höhenweg liegt an Ostern natürlich noch viel zu viel Schnee, an Pfingsten wohl immer noch. Doch mit dem grossartigen Bildbandführer «Via Alta Crio. Sfiorando i ghiacci a fil di cresta/Auf Graten und in eisigen Höhen» von Marco Volken (Foto) und Cindy Fogliani (Text) können wir schon mal diese neue Herausforderung für Alpinwanderer auf der Alpensüdseite hautnah erleben. Insbesondere die 250 Farbfotos zeigen uns, wie schön und streng das Trekking von der Capanna Brogoldone hoch oberhalb Bellinzona bis zum Lukmanierpass sein wird. Die in mehrjähriger Arbeit erstellte und im Herbst 2023  eröffnete Via Alta Crio geht über den schier unbegehbaren Rücken zwischen Riviera und Valle di Blenio im Westen und Val Calanca im Osten: gut 100 km, zahlreiche Pässe und dreizehn Gipfel – der höchste ist der Puntone dei Fraciòn (3202 m), zehn Hütten, wobei das Bivacco Piano delle Parete extra für die neue Via altissima erstellt wurde. Die Hütte ziert auch das Cover des 270seitigen Buches, das zum Mitnehmen zu schwer und gross ist. Die technischen Infos und die Kartenausschnitte finden sich ebenfalls hier: www.viacrio.ch.

Auf der fünften Etappe der Via Alta Crio kommt man beim Abstieg zur Capanna Adula UTOE am Laghetto dei Cadabi vorbei, auf der neunten beim Abstieg zur Capanna Bovarina am Lago Retico. Beide Bergseen hat Daniele Maini in seinen Führer «Meraviglie d’acqua tra le vette. Escursioni tra i laghetti alpini del Ticino» aufgenommen. Er beschreibt 29 Wanderungen zu Bergseen im nördlichen Tessin. Viele schöne Fotos machen gluschtig auf die Seetouren – bloss fehlt eine vom Baden! So bietet zum Beispiel der Lago d’Alzasca mit der gleichnamigen Hütte in der Nähe ein wein-see-liges Erlebnis par excellence. Und: Die Navigation im Buch fällt so leicht wie das Gehen auf überwucherten Tessiner Pfaden. Zudem ist die Luftbildkarte gewöhnungsbedürftig, die touristischen Angaben zu Anreise und Unterkunft sind etwas mager. Aber auf www.capanneti.ch/de findet man ja die nötigen Angaben. Zum Beispiel zur Capanna Pian di Crest am Südfuss des Basòdino; am 6. Juli 2025 findet das Fest zum 40. Jahrestag dieser Hütte der Società Alpinistica Valmaggese statt.

Wer dort mehr als feiern und baden (in den beiden Laghetti d’Antabia) möchte, schlägt «Tessin Rock» von Egon Bernasconi auf: «Piano delle Creste ist definitiv einer der faszinierendsten Orte in den Tessiner Bergen.» Der Autor stellt in seinem Führer insgesamt 98 Klettergärten im Tessin vor, insbesondere im Locarnese und im Valle Maggia (inklusive den Seitentälern), aber auch im Raum Bellinzona sowie im Sottoceneri. Also eher kurze Routen und nicht die hohen Kletterwände wie am Poncione d’Alnasca im Val Verzasca. In der ersten Auflage von 2021 waren es noch 69 Klettergärten gewesen. Die Zunahme zeigt einmal mehr, dass das Tessin definitiv viel mehr zu bieten hat als lauschige Grotti rund um den Lago di Lugano, als die überfüllte Promenade von Ascona oder den Ponte dei Salti in Lavertezzo.

Und was machen wir, wenn die Verhältnisse nicht zum Wandern, Klettern und Baden einladen, weder in der sogenannten Sonnenstube noch zuhause? Ganz einfach: Wir lesen in der Stube ein Buch – zum Tessin selbstverständlich. Mein Vorschlag: Die Erzählungen von Christian E. Besimo in «Das schweigende Tal. Eine Spurensuche». Der erste Teil ist mit «Suchen» überschrieben, der zweite mit «Finden». Mit dem Tal ist das Val Verzasca gemeint, die Hauptfigur heisst Matteo. Die Erzählung «Fährtensuche» beginnt so:

«Matteo hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die verbliebenen Spuren der grossartigen alpinen Kulturlandschaft im südlichen Tal zu dokumentieren und so vor der Vergessenheit zu bewahren. Mit dem Verfall der Maien- und Alpsiedlungen verschwanden auch die Saumwege. Die Wälder eroberten sehr rasch zurück, was sich die Menschen über Jahrhunderte mühevoll und unter Einsatz ihres Lebens erkämpft hatten. Es war ein Wettlauf mit der Zeit

Marco Volken (Foto), Cindy Fogliani (Text): Via Alta Crio. Sfiorando i ghiacci a fil di cresta/Auf Graten und in eisigen Höhen. Salvioni Edizioni, Bellinzona 2024. Fr. 50.-

Daniele Maini: Meraviglie d’acqua tra le vette. Escursioni tra i laghetti alpini del Ticino. Fontana Edizioni, Pregassona 2025. Fr. 39.-

Egon Bernasconi: Tessin Rock. Klettergärten. Locarnese, Valle Maggia, Bellinzona, Moesano, Riviera mit Val di Blenio, Sottoceneri, Leventina. Versante Sud Edizioni, Milano 2024. € 38,00.

Christian E. Besimo: Das schweigende Tal. Eine Spurensuche. Erzählungen. Verlag edition bücherlese, Luzern 2025. Fr. 30.-

Vollständige Beschreibung des Schweizerlandes

Ein ziemlich verkanntes und verblüffendes Lexikon aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

«Eiger, der äussere und innere, zwei hohe Felskolosse im A. Interlachen des K. Bern. Der erste, oder der eigentliche Eiger, von dem sich nordwestl. die Wengeren-Scheideck herabsenkt, ragt 12,220 F. ü .M. empor. Der zweite, oder der Mönch, steht südl. hinter ihm, auf der Grenzscheide von Bern und Wallis. Er ist 12,000 F. ü. M. (…) Beide Eiger können erstiegen werden.»

Was für eine kühne Aussage im letzten Satz! Wären diese Besteigungen wirklich durchgeführt worden, müsste die (alpinistische) Geschichte der beiden berühmten Berner Oberländer Gipfel umgeschrieben werden. Der bemerkenswerte Eintrag zu Eiger und Mönch findet sich in diesem Werk mit dem etwas langen Titel: «Vollständige Beschreibung des Schweizerlandes. Oder geographisch-statistisches Hand-Lexikon über alle in gesammter Eidsgenossenschaft befindlichen Kantone, Bezirke, Kreise, Aemter, sowie aller Städte, Flecken, Dörfer, Schlösser, Klöster, auch aller Berge, Thäler, Seen, Flüsse, Bäche und Heilquellen, nach alphabetischer Ordnung.» Und weiter steht da: «Herausgegeben im Verein mit Vaterlandsfreunden von Markus Lutz, Pfarrer in Läufelfingen, im Kanton Basel». Vor mir liegt die «zweite, durchaus umgearbeitete und viel vermehrte Auflage». Sie erschien in fünf Bänden bei Heinrich Remigius Sauerländer in Aarau von 1827 bis 1835; die erste Auflage datiert von 1822.

Die drei ersten Bände (mit 480, 503 und 536 Seiten) umfassen die lexikalischen Einträge von A wie «Aa, die, heißen eine Menge Bäche und ansehnliche Bergwasser in der Schweiz» bis Z wie «Zynikon, kl. Ort in der Pfarre Elgg, im zürch. A. Winterthur». Am Schluss der Bände stehen je ein paar Seiten mit Nachträgen, Verbesserungen und Zusätzen. Solche enthält ebenfalls Band 4 (mit 304 Seiten); zudem steht dort ein «topographisch-statistischer Abriß des Herzogthums Savoyen» sowie ein «neuer und vollständiger Wegweiser durch die schweizerische Eidsgenossenschaft und die benachbarten Länder». Da erfährt man zum Beispiel, wie weit der Weg von Aarau nach Aarburg ist, nämlich 3 Stunden und 5/12 Minunten (das sind, laut Erklärung, 25 Min.), und zwar auf der großen Strasse über Olten; eine Abkürzung wird erwähnt: «Der Fußweg von der Kapelle bei Starrkirch ist 10 Minuten näher, als die Straße über Olten.» Band 5 (mit 475 Seiten) ist der Supplement-Band mit neuen, ergänzten und korrigierten Einträgen von A wie Aare bis Z wie Zyfen, inkl. zwölf Seiten Nachtrag.

Ein Wort zum Autor: Markus Lutz (1772–1835) war ein reformierter Schweizer Theologe, Historiker und Schriftsteller. Von 1798 bis zu seinem Tod 1835 wirkte er als Pfarrer in Läufelfingen. Er war Gründungsmitglied der Schweizerischen Geschichtsforschenden Gesellschaft, Mitglied der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft und Inspektor der Schule Rothenfluh. Neben historisch-geografischen Werken wie «Basel und seine Umgebungen neu beschrieben, um Eingeborene und Fremde zu orientieren» (1814) oder eben «Geographisch-Statistisches Hand-Lexikon der Schweiz» verfasste er Schulbücher. Das Erstaunliche ist, dass gerade sein Hand-Lexikon mit vielen Einträgen zu Bergen in der alten Führerliteratur nicht Eingang fand. Der zweite Band des «Hochgebirgsführer durch die Berner Alpen» von Coolidge/Dübi glänzt mit gut sechs Seiten Bibliographie inkl. Rebmann von 1620, Gruner von 1760 und Coxe von 1789, aber den Lutz sucht man vergeblich. Wenn ich selbst seine «Vollständige Beschreibung des Schweizerlandes» früher gekannt hätte, wäre in meine Bücher und Artikel sicher das eine oder andere Lutz’sche Zitat eingeflossen. Dass es dank Peter und Eva vom Schlossberg in Thun nun Teil meiner Bibliothek wurde, davon konnte ich ja nicht träumen, da ich von ihm schlicht nichts wusste.

Nach dieser etwas langen Einleitung noch kurz ein paar besondere Einträge. Zum Beispiel zum «Abendberg, der, ein bewohnter Berg über der Lütschenenfluh, oben am Thunersee im berner A. Interlachen. Auf seinem Gipfel, das Schiffli genannt, der ohne alle Gefahr erstiegen werden kann, hat man eine sehr reizende Aussicht.» Oder zur Blümlisalp: «…ist noch niemals erstiegen worden, obgleich der Zugang eben nicht besonders gefahrdrohend ist.» Das Matterhorn bzw. der Mont Cervin wird nur nebenbei erwähnt im Zusammenhang mit dem Matterjoch und seinen grossen Eisfeldern, über «die ein im Sommer selbst für die Maulthiere und Pferde gangbarer Pfad von Zermatt nach Breuil in 10 St.» führt. Der Moléson hingegen wird mit 21 Zeilen beschrieben, der Niesen mit 14 – wie die beiden Eiger. In Band 5 erfahren wir dann die nötige Korrektur: «Es ist nicht gewiß, daß die beiden Eiger erstiegen werden können, wenigstens hat sie, so viel bekannt ist, noch nie jemand erstiegen.» Und zum Niesen noch diesen Zusatz: «Die höchste Kuppe des Niesen ist sehr spitzzulaufend, so daß kaum 6 oder 7 Personen dicht zusammen gedrängt darauf stehen können.»

Hier können die Werke von Markus Lutz heruntergeladen werden: www.e-rara.ch/search/quick?query=markus+lutz

Alle «Bücher der Woche» unter: www.bergliteratur.ch

Darum Berge

Ein starkes Ausstellungsbuch und zwei besondere Ausstellungen in München. Dazu ein Berggeschichtsfestival in Grenoble. On se voit, an der Isère oder Isar.

«Sich auspowern» oder «sich spüren» – Körperlichkeit gilt mittlerweile als ein zentrales Element des Bergsportes. Die Erfahrung des eigenen Körpers kann intensiv und vielseitig sein und verschiedenste Formen annehmen: das Spüren von Wind, Wärme oder Kälte; das Ausstoßen von Glücksgefühlen, wenn die Anspannung nachlässt; der äußerste Kraftaufwand, um über eine Kletterstelle zu kommen; die letzten Meter vor dem Ziel (und der damit verbundenen Ruhepause); oder eben auch der gleichmäßige Rhythmus der Bewegungen, sei es beim Biken, Wandern, Klettern oder Skifahren – am intensivsten, wenn sich der sogenannte Flow einstellt und wir nur im «Hier und Jetzt» sind. Zusammengefasst etwas, was gesucht wird und meist etwas Außeralltägliches bietet.

So der Einstieg von Max Wagner, Ausstellungsmacher und Sammlungsleiter im Alpinen Museum in München, ins Kapitel «Körper» des neuen Begleitbuches zur Dauerausstellung «Darum Berge». Diese ausgezeichnete Publikation behandelt mit klugen Beiträgen und erfrischenden Illustrationen die Themen Abenteuer, Körper, Leistung, Natur und Gemeinschaft. Und ebenso tiefsinnig wie überraschend ist die am 7. März 2024 eröffnete Dauerausstellung im gediegen renovierten Alpinen Museum auf der Isarinsel. Sie stellt nicht nur Kostbarkeiten von legendären Alpinisten und Touren aus, sondern zeigt auch fein nebenbei und umfassend, was Bergsport ausmacht und ausmachen kann. Das Begleitbuch kostet nur 16 Euro; ich kenne kein anderes Bergbuch, das für so wenig Geld so viel bietet.

Am besten kauft man „Darum Berge“ im Museum des Deutschen Alpenvereins. Und zwar möglichst noch bis Anfang Juni 2025. Warum?
– Erstens ist München immer eine Reise wert; der direkte SBB-Zug von Zürich braucht nur dreieinhalb Stunden.
– Zweitens ist das Alpine Museum an der Isar mit seiner Dauerausstellung wirklich sehr besuchenswert; ein sonniges Café gibt‘s auch.
– Drittens ist noch bis zum 30. August 2026 die Sonderausstellung «Zukunft Alpen. Die Klimaerwärmung» zu sehen. Auch wenn man einige Fakten der menschgemachten Veränderungen in den Alpen sicher kennt: Wenn man die Folgen unseres Tun so geballt und so clever aufbereitet präsentiert bekommt, wird man das eigene bergsportliche Tun bestimmt kritisch betrachten und vielleicht bzw. hoffentlich überdenken und anpassen.
– Viertens zeigt das Italienische Kulturinstitut München bis Anfang Juni 2025 die Ausstellung «Va‘ Sentiero – Ein Blick über 8000 km». Sie bietet eine neue Perspektive auf die italienischen Gebirge und dokumentiert die dreijährige Expedition auf dem Sentiero Italia, dem längsten Wanderweg der Welt. Zwischen 2019 und 2021 hat das Team von Va’ Sentiero den gesamten Sentiero Italia erwandert – ein rotes Band durch ganz Italien. Von Friaul-Julisch Venetien durch den Alpenbogen nach Ligurien, durch den Apennin hinab nach Kalabrien, hinüber nach Sizilien und zuletzt noch durch Sardinien. Ein ständiges Auf und Ab über genau 7887 Kilometer.

– Und fünftens wechseln wir von einer Alpenstadt in eine andere, und zwar in die grösste mitten in den Alpen: Grenoble. Warum gerade jetzt? Vom 11. bis 13. April 25 findet dort das «1er festival d’histoire de la montagne» statt. Ein reichhaltiges Programm zum Thema «Expériences». Wir sehen uns, an der Isar oder Isère! Beide Alpenflüsse sind übrigens fast gleich lang: 292 km der deutsche, 286 km der französische.

Friederike Kaiser, Max Wagner (Red.): Darum Berge. Begleitbuch zur Dauerausstellung. Herausgegeben vom Alpinen Museum des Deutschen Alpenvereins. München 2024. € 16,00.

Alpines Museum München. Dauerausstellung «Darum Berge». Viele Veranstaltungen, so am 9. April 2025 Krimilesung mit Nicola Förgs „Verdammte Weiber» (mehr dazu hier: https://bergliteratur.ch/skiende/). Die Sonderausstellung «Zukunft Alpen. Die Klimaerwärmung» läuft noch bis zum 30. August 2026. www.alpenverein.de/museum

Das Istituto Italiano di Cultura di Monaco di Baviera zeigt bis zum 6. Juni 2025 die Ausstellung «Va‘ Sentiero – Ein Blick über 8000 km». Vernissage am 3. April um 19 Uhr. https://iicmonaco.esteri.it/de/gli_eventi/calendario/va-sentiero-ein-blick-ueber-8-000-km/

Alles zum «1er festival d’histoire de la montagne» vom 11. bis 13. April 2025 in Grenoble hier: www.auvergnerhonealpes-tourisme.com/fiches/1er-festival-dhistoire-de-la-montagne-experiences/

Skiende

Zum Abschluss der Skisaison mit alpinem Weltcup in Sun Valley und Freestyle-WM in St. Moritz ein skihistorisches Werk und ein Krimi, darin der Skisport kurz mitspielt.

«Könnte man nicht auf das Skifahren verzichten?», meinte Luise. «Auf das Beschneien? Diesen ganzen Kram? Man kann ja trotzdem nett im Winter urlauben.»
Cocis Blick besagte, dass man eher auf Essen, Trinken oder Sex verzichten konnte. «Schneeschuhwandern ist ja nett. Winterwandern auch, aber das rockt nicht! Es geht nicht zuletzt darum, junge Menschen an diesen Sport zu binden. Er bietet frische Luft, Bewegungskoordination, aber auch Spaß und eine gewisse Geschwindigkeit, ein Team in einem Skiclub und erfordert die Disziplin, auch mal früh aufzustehen – all das vereint der Skisport.»

Engagierte Diskussion um den Skisport unter grossen und kleinen Anhängern, an einem gemütlichen Abend in einer Stube im Allgäu. Mit dabei die frisch pensionierte Kommissarin Irmi Mangold, ihr Noch-Freund Fridtjof, die Nachbarin Luise und das spätere Opfer eines Einbruchs in den nicht genügend zugefrorenen Grüntensee. Die Zukunft des Skisports ist ein Nebenthema unter anderen im 16. Irmi-Mangold-Krimi von Nicola Förg. Der Titel «Verdammte Weiber» spielt nicht nur auf die ski-enthusiastische Journalistin Coci an, sondern auch auf die deutsche Fotografin und Autorin Ilse Schneider-Lengyel; in ihrem Haus am Bannwaldsee im Allgäu fand im September 1947 das Gründungstreffen der Gruppe 47 statt. Viel Sport und Kultur also im neuen Mangold-Förg-Krimi. Aber keine Angst: Ermittelt wird auch.

Gross recherchiert wurde ebenfalls in diesem Buch: «Shared tracks. Skiing in Austria and Switzerland in culture and society». Österreich und die Schweiz verstehen sich als «Skinationen». Die beiden Nachbarländer teilen sich die Alpen als Erlebnis- und Kulturraum, der bestimmte Identitäten und Bedeutungen schafft. Aus kultur- und sozialgeschichtlicher Sicht haben viele Entwicklungen im Skisport parallel stattgefunden. Die wissenschaftliche Forschung und die breite Öffentlichkeit wissen jedoch nur wenig über die andere Seite. Der von Thomas Busset und Andreas Praher herausgegebene Band will und wird dies ändern. Vorwort, Einführung und die zwölf Kapitel (alles in englischer Sprache!) beleuchten die politischen und sozialen Rahmenbedingungen des Skisports in beiden Ländern und zeichnen die historischen Beziehungen zwischen ihnen über die Grenzen hinweg nach. Die Geschichte des Skisports in Österreich und der Schweiz ist in vielen Fällen eine Geschichte von «shared tracks».

Aber auch von Spuren gegeneinander. Denken wir nur an die Weltcup-Rennen im alpinen Skilauf. Im Winter 2024/25, der Ende März im us-amerikanischen Sun Valley zu Ende geht, waren die Männer ganz klar die Schnelleren. Bei den Frauen war die Dominanz nicht so markant. Am besten fuhren die Italienerinnen. Mehr über den italienischen und natürlich französischen Skisport und die Geschichte dazu hoffentlich im nächsten Winter.  

Nico Förg: Verdammte Weiber. Ein Irmi-Mangold-Krimi. Piper Verlag, München 2025. € 17,00.

Thomas Busset, Andreas Praher (eds.): Shared tracks. Skiing in Austria and Switzerland in culture and society. With a Preface by Jon Mathieu. Éditions CIES, Collection Réflexions sportives. Neuchâtel 2025. Fr. 30.- https://shop.cies.ch/ch/fr/accueil/60-shared-tracks-skiing-in-austria-and-switzerland-in-culture-and-society.html

Anti Gravity

Am Donnerstag, 20. März 2025 um 10.01 Uhr, endete der Winter und der astronomische Frühling begann. Grund genug, den Blick in einen grossartigen, eiskalten Bildband zu werfen.

«Für die Eiger-Nordwand habe ich 2 Stunden und 28 Minuten gebraucht. Für diese 40 Meter hier jedoch fast 4 Stunden! Die Route war extrem herausfordernd: etwa 10 Meter überhängend und voller losen Gesteins. Das größte Problem war jedoch das Wetter. Starker Wind und lebensbedrohliche Temperaturen! Nach einer kalten Nacht im Schneebiwak schätzte ich unsere Chancen auf den Gipfel äußerst gering ein, aber wir wollten es trotzdem versuchen. Wir haben alles gegeben, gekämpft, sind gestürzt und immer wieder weitergeklettert. Den Gipfel der Tarantellen haben wir uns am Ende mehr als verdient.»

Diese Tarantellen beziehen sich nicht auf den süditalienischen Volkstanz, sondern bezeichnen eine spektakuläre Felsformation auf einer 400 Meter hohen Anhöhe auf Spitzbergen in der Arktis. Der Gipfel, der an einen riesigen Backenzahn mit zwei Löchern erinnert, wird auch Drei Masken-Berg genannt. Auf dem letzten doppelseitigen Foto im Bildband «Anti Gravity» steht Dani Arnold in orangefarbener Mammut-Jacke und Siegerpose zuoberst auf dem eisverkrusteten Felsgebilde, im tiefblauen Himmel zeichnen sich Schneefahnen ab. Verdammt kühl und cool.

Vom Februar 2020 bis April 2024 waren der Urner Profikletterer Dani Arnold und der Südtiroler Profifotograf Thomas Monsorno mit Freunden in vier verschiedenen Gegenden unterwegs, wo es zur Winterszeit besonders eindrücklich und besonders kalt ist: Baikalsee in Russland, Egilsstadir und Akureyri auf Island, Mangistau und Bogdanovich Glacier in Kasachstan sowie Spitzbergen. Sie waren dort, um zu klettern – und um zu fotografieren. Fotos der Klettereien, aber noch mehr der Reise, der Begegnung mit Einheimischen, der Landschaft. Starke, überraschende, ungewöhnliche Bilder. Sie machen nicht unbedingt Lust darauf, dort bergsportliche Aktivitäten auszuüben, eher dann schon, mal dorthin zu gehen, vielleicht in einer anderen Jahreszeit… Vor allem aber macht es Spass, zum Frühlingsbeginn an der Wärme zu sitzen und schwerelos durch den Fotoband «Anti Gravity» zu reisen.

Thomas Monsorno (Fotos), Dani Arnold, Thomas Monsorno, Benjamin Monsorno (Text): Anti Gravity. Deutsch und Englisch. Eigenverlag, 2024. ISBN 978-88-045157-8-7. Fr. 79.- www.daniarnold.ch/shop-artikel/p/anti-gravity

Böse Pfade

Fünf Krimis aus drei Gebirgen, wo Berge und Bergsport oft eine (verhängnisvolle) Rolle spielen. Aber nicht unbedingt vor Ort lesen…

«Camille hatte sich die ‹Échelles de la Mort› vor ein paar Tagen mit Léonie angesehen. Damals war es nur ein Fluchtweg für den Notfall gewesen. Keine von ihnen hatte daran geglaubt, dass er eintreten würde. Camille hatte sich den Weg eingeprägt. Die Todesleitern waren früher Teil eines Pfades gewesen, der meist von Schmugglern benutzt wurde, die ihre Ware in die Schweiz schaffen wollten. Heute waren es im Felsen verankerte Gitterrosttreppen, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Via Ferrata etwas weiter östlich.»

Die Todesleitern im Doubs-Canyon sind wie geschaffen für einen Krimi. Christof Gasser taucht mit «Spiegelberg» tief in die Topografie und die Geschichte des Jura ein. Die Spiegelberg-Ruine liegt oben auf dem gezackten Kamm der Sommêtres, einem der klassischen Klettergebiete im Jurabogen. Das Refuge des Sommêtres wiederum ist eine immer offene Selbstversorgungshütte der Groupe des Alpinistes de Franche-Montagne mit Kochmöglichkeit, etwa 12 Schlafplätzen und ein paar Decken – aber den Krimi dort oben lesen, ich weiss nicht… Dann schon lieber im Berggasthaus Aescher-Wildkirchli im Alpstein. Dumm ist nur, dass man in diesem mittlerweile weltberühmten Gasthaus kaum noch Platz findet, weder am Tisch noch im Lager. Aber den Touristenhorden ausweichen kann lebensgefährlich werden:

«Anstatt den Pfad Richtung Äscher zu nehmen, entschied Max, Schutz bei dem Fels zu suchen. Abstruse Gedanken verhinderten eine Beurteilung der Lage. Panik machte sich breit. Er, der Selbstsichere, hatte plötzlich Angst. Er malte sich die schrecklichsten Szenarien aus. Vor Erschöpfung würde er abstürzen.»

Zur Beruhigung: Das tut Max von Wirth nicht. Natürlich nicht, als Hauptfigur zusammen mit Federica Hardegger in einer der Krimireihen von Silvia Götschi. Aber der Einheimische Heini Manser stürzt in «Alpstein» ab, beim Abstieg vom Aescher zum Seealpsee, ausgerechnet am Tag seiner Hochzeit, ausgerechnet er, ein erfahrener Bergsteiger. Tja, wenn nachgeholfen wird, kann es auch jemanden treffen, der mit Seil und Karabiner umgehen kann. Insbesondere dann, wenn es noch einen Bergunfall von früher zu rächen gibt. Also wachsam sein beim Wandern und Bergsteigen im Säntis-Gebirge. Im Bündner Oberland selbstverständlich ebenfalls. Auch wenn das Gipfelziel gut ist:

«Es war ein stundenlanger Aufstieg gewesen, der sie alle gefordert hatte. Selbst für den Hund waren ein, zwei Stellen eine Herausforderung gewesen. Doch die Belohnung hatte sie alle Mühen vergessen lassen. Der Blick über die Surselva, über all diese Gipfel, auf denen das Licht hinunterzufließen schien, und darüber der endlose Himmel. Matti hatte Emilia erklärt, dass es einen ‹guten› und einen ‹bösen› Fess gibt. Den ‹guten› hatten sie erklommen, und auf den ‹bösen› könnten sie blicken. Diese mächtige, abweisende Felsnadel, die ein paar Meter über den guten hinausragt. Und doch war er bezwungen worden.»

Nun, bezwingen lassen sich die Gipfel nicht, ob gut oder böse. Besteigen aber schon, auch erstbesteigen. Auf dem Cover von «Eiskalte Surselva» von Regine Imholz steht im Vordergrund ein frisch verschneiter Felsturm hoch oberhalb der Vorderrheinschlucht – ob da mal schon jemand oben stand? Oben auf dem Baumwipfelpfad «Senda dil Dragun» bei Laax müssen zwei junge Frauen gestanden haben, mitten im Schneesturm. Dann fand man ihre Leichen am Fuss dieses Pfades. War es ein Unfall, war es Mord? Genau diese Frage stellen sich auch Gabriel Santonini und Sophie Mortagne. Die beiden sollen für eine beträchtliche Summe zwei japanische Kletterer beseitigen, die an der Aiguille du Dru eine neue Route eröffnen wollen.

«Vingt-quatre heures avant le départ annoncé et programmé des Indiens, Sophie et moi descendons du premier train matinal dans la gare du Montenvers déjà bien remplie des touristes. Vacaniers, alpinistes et randonneurs veulent profiter du dernier sursaut de beau temps inattendue d’une arrière-saison exceptionnelle.
Pour nous, le moment est grave. Nous somme préparés, équipés et fixés sur notre objectif comme un commando des chasseurs alpins en mission.»

Ob Gabriel und Sophie – in ihrem Nachnamen verbirgt sich der Tod – die böse Mission umsetzen können, sei hier nicht verraten. Ein Krimi lebt ja hoffentlich von der Spannung, Seite für Seite. Diese Hoffnung erfüllt Peter D. Mason mit «Destins mortels à Chamonix» aufs Beste, Seite für Seite; es sind 173, das Buch hat also noch Platz in einem vollen Rucksack, wenn man von Montanvers zum Refuge de la Charpoua oder von Le Noirmont zum Refuge de Sommêtres geht. Mehr Seiten, weniger Spannung, aber ein Gasthaus als wichtigen Ausgangspunkt bietet der Thriller «Der Pfad» von Megan Miranda. Er spielt im fiktiven Ort Cutter’s Pass in North Carolina – der Name erinnert an «Cutter’s Way – Keine Gnade», ein US-amerikanisches Filmdrama aus dem Jahr 1981. Im Buch verschwinden insgesamt sieben Personen auf dem Appalachian Trail, die Ich-Erzählerin Abby, Angestellte im Gasthaus, geht den Geheimnissen auf den Grund:

«Wir boten Wanderstöcke an der Rezeption an, sorgten dafür, dass jeder von dem mangelnden Handyempfang wusste. Wir wiesen die Leute an, mit mindestens einer weiteren Person zusammen zu gehen, genug Essen und Wasser mitzunehmen und auf dem Weg zu bleiben. Wir boten sogar kostenlos geführte Wanderungen an.
Das alles, um unsere Gäste zu schützen.
Wir erinnerten sie daran, dass die Todesursache Nummer eins Unfälle bei Extremwetter waren, was allerdings nur passieren konnte, wenn man einen Fehler machte oder sich verirrte.
Wir erwähnten weder die zweit- noch die dritthäufigste Ursache.»

Christof Gasser: Spiegelberg. Emons Verlag, Köln 2024. € 18,00.
Silvia Götschi: Alpstein. Emons Verlag, Köln 2024. € 20,00.
Regine Imholz: Eiskalte Surselva. Emons Verlag, Köln 2024. € 16,00.
Peter D. Mason: Destins mortels à Chamonix. Éditions Guérin, Chamonix 2023. € 15,00.
Megan Miranda: Der Pfad. Penguin Verlag, München 2024. € 16,00.

Frauen auf Spitzbergen

Zwei Bücher, die von den ersten Frauen auf Spitzbergen und den Reisen dorthin erzählen: der Tatsachenroman über die Norwegerin Wanny Woldstad und der Reisebericht der Pariserin Léonie d’Aunet.

– Alors, que-ce que vous racontez dans votre carnet?
– J’ai écrit : «Aujourd’hui, le 16 février 1933, nous avons aperçu le soleil pour la première fois de l’année. C’était très agréable.»
En effet, ça l’était. Il a été heureux de partager ce moment avec elle. L’an dernier, il ne se rappelle plus où il était, si c’était ici ou à Hyttevika.

Das letzte Winterhalbjahr, das hatte Anders Saeterdal mit anderen Trappern verbracht, auf Spitzbergen oben, von einer Hütte zur nächsten, mit den Schlitten und Hunden, anfangs der Saison, wenn das Wasser noch nicht gefroren war, auch mal mit dem Kajak. Immer auf der Jagd nach Polarfüchsen, Robben und manchmal auch Eisbären. Immer auf der Jagd nach halbwegs gutem Wetter oder auf der Flucht vor dem wirklich bösen. Immer auf der Jagd nach Nachschub zum Essen, für sich und die Hunde. Eine verdammt raue Männerwelt, monatelang ohne Sonne. Aber immer in der Hoffnung, im Frühling mit vielen Pelzen zurück nach Tromsø in Nordnorwegen zu kommen.

Doch der Winter 1932/33 war anders, ganz anders. Also eigentlich schon gleich, das mit der Jagd und dem meist schrecklichen Wetter. Neu war, dass ihn die junge Witwe Wanny Woldstad aus Tromsø begleitete. Eine Frau dort oben in Spitzbergen, das verstand niemand in Tromsø. Anders Saeterdal eigentlich auch nicht, zu Beginn jedenfalls. Wanny allerdings verstand das Handwerk, draussen und drinnen. Und langsam erwärmte sich der Trapper für die ungewöhnliche Trapperin, fast so, wie die kostbaren Blaufuchsfelle warm geben. Wenn die Polarfüchse denn in die Fallen getappt waren.

«La femme au renard bleu» heisst der Tatsachenroman der Tasmanierin Robyn Mundy. Der Titel der Originalausgabe, «Cold Coast», gefällt (mir) insofern weniger, als im Buch die Kapitel mit Wanny Woldstad abwechseln mit solchen, die aus der Sicht einer Polarfüchsin geschrieben sind. Somit abwechslungsweise Hoffnung beim Lesen, dass Wanny bei der Jagd erfolgreich ist, aber bitte natürlich nicht mit dieser Füchsin.

Wanny Woldstad (1893–1959) war die erste Trapperin auf Spitzbergen. Aber nicht die erste Frau. Diese Ehre gebührt der Französin Léonie d’Aunet (1820–1879). Auch sie musste darum kämpfen, dass sie auf Spitzbergen mitgenommen wurde, nämlich auf eine wissenschaftliche Expedition im Jahre 1839. Sie schaffte es, weil sie ihren zukünftigen Ehemann, den Maler François-Auguste Biard, von dieser Reise zur Erforschung des Arktischen Ozeans überzeugen konnte. Zu jener Zeit waren Kunstmaler noch gesucht, um Reisen bildlich festzuhalten. Ihre Bedingung für die Überzeugungsarbeit: Sie kommt als einzige Frau mit.

Die Reise führte auf dem Land- und Seeweg von Paris über Amsterdam, Hamburg und Kopenhagen nach Trondheim an der norwegischen Küste und via Nordkap weiter nach Spitzbergen, wo sich die Arktis-Pionierin bitterer Kälte und grosser Gefahr aussetzte, um Zauber und Schrecken des ewigen Eises zu erleben und zu beschreiben. Noch strapaziöser ist die Rückreise durch Lappland an die Ostsee, und über Stockholm, Berlin und Mulhouse ging’s zurück nach Paris. Ihre Eindrücke hielt Léonie d’Aunet pointiert und voller Esprit in Notizen und Briefen an ihren Bruder fest. Erst über zehn Jahre später, nach einer verhängnisvollen Affäre mit Victor Hugo, für die sie mit einer Haftstrafe bezahlen musste, entstand daraus der aussergewöhnliche Bericht «Reise einer Frau in die Arktis». Er liegt nun im mareverlag auf Deutsch in einer sehr eleganten Ausgabe mit Schuber vor. Ausschnitt vom Aufenthalt auf Spitzbergen:

Zwei oder drei Tage lang quälte mich der Gedanke an eine mögliche Überwinterung; anscheinend war ich nicht die Einzige an Bord, mir darüber Sorgen zu machen, und so erfuhr ich davon:
Eines Morgens saß ich gerade, in einen riesigen Pelzmantel verkrochen, still auf einer Kanone, abwechselnd den Himmel, das Meer und ihre wundersamen Erscheinungsformen betrachtend, als inmitten einer kleinen Gruppe von Matrosen mein Name fiel und mich aufmerken ließ. Die ersten Worte, die ich hörte, waren folgende:
«Was für eine Idee, eine Frau mitzunehmen! Sind Expeditionen wie diese etwa Vergnügungsreisen für Frauen?»
«Ah, das ist wohl wahr», sagte ein anderer, «und sollten wir in den hübschen Kristallen hier feststecken, wie du’s eben erklärt hast, dann können wir sicher sein, dass sie die Erste sein wird, die sich verabschiedet.»

Robyn Mundy: La femme au renard bleu. Éditions Paulsen, Paris 2024, € 24,00; Cold Coast. Hardie Grant Publishing Group, 2022, Fr. 30.-

Léonie d’Aunet: Reise einer Frau in die Arktis. Mit einem Nachwort von Kristina Maidt-Zinke. mareverlag, Hamburg 2024, € 34,00; Voyage d’une femme au Spitzberg. Hachette, Paris 1854; Babel, Terres d’aventure N° 149, Fr. 14.20.

Mountain Style & Repair

Ein dick illustriertes Buch, das die Geschichte, den Vintage-Stil und das visuelle Erbe der britischen Outdoor-Bekleidungsmarken feiert. Dazu passt bestens «Repair» im Fundbüro für Erinnerungen im ALPS.

«I am unusually long from shoulders to top of head + need plenty of allowance made in hood of windproof.»

Diese Angaben zum ungewöhnlichen Abstand zwischen Schultern und Scheitel des Kopfes notierte Edmund Hillary auf eine Papierseite, auf der seine Körpermassen eingezeichnet sind. Solche Angaben waren nötig, um die Bergkleider der Teilnehmer an der britischen Everest-Expedition von 1953 zu fertigen. Am 29. May erreichten Hillary und Tenzing Norgay als erste Menschen den höchsten Berg der Welt. Dort oben braucht es schon die passende Ausrüstung bzw. Jacke. Aber nicht nur dort, sondern überhaupt beim Bergsport. Erst recht in Grossbritannien; die Insel ist ja nicht bekannt für zu viel Sonnenschein, man denke nur an die winterlichen Verhältnisse am Ben Nevis.

Mit der Everest-Erstbesteigung beginnt ein aussergewöhnliches Bergbuch, das die Geschichte, den Vintage-Stil und das visuelle Erbe der britischen Outdoor-Bekleidungsmarken festhält: «Mountain Style: British Outdoor Clothing 1953–2000». Henry Iddon und Max Leonard schildern, wie die Outdoor-Bekleidung zu boomen begann, und das mit vielen vorzüglichen Illustrationen (Stilleben mit den Oberkleidern, auch Detailaufnahmen; Actionfotos, beispielsweise der berühmte Joe Simpson im Kopfstand auf der Ama Dablam; Reklamen). Was Wanderer und Kletterer trugen, entwickelte sich von Wollpullovern, Army Surplus und Baumwolle oder Tweed zu hochtechnischer Spezialkleidung. Hauptverantwortlich dafür war eine kleine Gruppe von Alpinisten, die die Produkte, die sie brauchten, nicht kaufen konnten und deshalb beschlossen, sie selbst herzustellen. Damit war der Grundstein für die globalen Marken gelegt, die man heute kennt: Berghaus, Craghoppers, Karrimor, Mountain Equipment, Rab, Sprayway und andere. Britische Outdoor-Bekleidung wird nach wie vor in harten Verhältnissen getragen, ist aber inzwischen auch allgegenwärtig – sie ist gleichermassen bei Wanderern, alltäglichen Hundespaziergängern und Liebhabern von Vintage-Kleidung im Osten Londons, in Manchesters Northern Quarter oder in Tokio zu sehen. «The interesting point about modern mountaineering clothing is that it is smart enough to wear in Mayfair, too», lesen wir auf Seite 177. Nun, einige Kleider werden allerdings heute wohl weder am Berg noch im Berliner Popup-Store getragen: die mutig farbigen Jacken und Hosen der 1980er und 1900er Jahre, ganz zu schweigen von den gestreiften Kletterleggins! Aber den halb blauen, halb grüngelben Montane Sirocco Windbreaker von 1999 würde ich sofort überziehen.

Auf den Seiten 38/39 in «Mountain Style» ist die grüne Alpcan Daunenjacke abgebildet, die Mike Westmacott während der Everest-Expedition von 1953 trug; das gleiche Modell trugen auch Hillary sowie George Band bei der Erstbesteigung des Kangchenjunga 1955. Mikes Jacke ist an mehreren Stellen mit braunem Scotch geflickt. Wer am Berg unterwegs ist, muss ja auch reparieren können. Darum geht es in «Repair» im Fundbüro für Erinnerungen im ALPS: «Ob Konsumkritik, Nachhaltigkeitsgedanke oder Lifestyle – wir schauen, was hinter dem Trend des Reparierens steckt und was er für den Bergsport bedeutet. Im Fundbüro für Erinnerungen sehen Sie, dass Pflegen und Reparieren Teil der Geschichte des Bergsports sind. Was gilt es beim Flicken von Outdoormaterial zu beachten? Und welche Geschichten stecken hinter den reparierten und kaputten Objekten?» Viele Veranstaltungen begleiten diese partizipative Ausstellung im Alpinen Museum der Schweiz in Bern. Passend zum Thema: die beiden Secondhand-Bergsportläden 2nd Peak in Bern und Zürich. Sicher finde ich dort eine coole Bergjacke mit genügend grosser Kapuze.

Henry Iddon & Max Leonard: Mountain Style: British Outdoor Clothing 1953–2000. Isola Press, London 2024. Fr. 74.70 www.pizbube.ch

Repair: Fundbüro für Erinnerungen im ALPS, dem Alpinen Museum in Bern; bis Januar 2026. https://alps.museum/ausstellungen/repair. Die nächste Verantstaltung am Samstag, 5. März von 13 bis 17 Uhr: Upcycling für alle. Aus Alt wird Neu! Studierende der Pädagogischen Hochschule Bern sind während vier Stunden vor Ort und upcyclen gemeinsam mit dir gebrauchtes Outdoormaterial. Für Material und kreative Ideen ist gesorgt.

Secondhand-Outdoorshop: 2nd Peak Läden in Bern und Zürich. https://2ndpeak.ch/

Der Maler in der Natur

Zwei dicke, reich illustrierte und wissenschaftliche Bücher über Maler, welche die oft gebirgige Natur abbilden, und über das Sammeln dieser Bilder. Entdeckungsreisen auf dem Sofa.

«Auf meiner letzten Reise durch die herrlichen Thäler des Bisthums Basel fand ich an einem Tage an drey verschiedenen Stellen der Birs Zeichner sitzen, welche die herrlichen Wasserfälle dieses Fluss und die umliegenden romantischen Gegenden studierten. Die Liebhaber der Kunst sind in der Schweiz nicht weniger zahlreich, als die Künstler selbst: und unter diesen gibt es viele durchreisende Auslaender, die nicht leicht verfehlen, in einem mit den reichsten und seltensten Naturgemaelden bereicherten Lande zu zeichnen.»

Das notierte der deutsche Gartenhistoriker und Philosophieprofessor Christian Cay Lorenz Hirschfeld in seinen 1785 in Kiel publizierten «Neue Briefe über die Schweiz». Und just darum geht es im Buch, in dem ich dieses Zitat in der Einleitung fand: «Der Maler in der Natur. Zur Schweizer Landschaftsmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts» von David Schmidhauser, Kurator für die Kunst des 18. bis 20. Jahrhunderts am Kunstmuseum Winterthur. Er zeichnet anhand bisher kaum erforschter Künstler wie Conrad Meyer, Felix Meyer oder Wilhelm Stettler ein neues Bild der Rolle des Malers in der Natur und seiner Tätigkeiten, sei es an der Staffelei oder mit dem Zeichnungsblatt auf den Knien. Die künstlerische Arbeit in der freien Natur unterscheidet sich ja wesentlich von der Studiopraxis, denken wir nur an die schlechten Weg- und überraschenden Wetterverhältnisse. Das reich illustrierte Buch wirft einen erfrischend neuen Blick auf die Freilichtmalerei. Quellen- und Literaturverzeichnis, Anmerkungen und Personenregister runden die gewichtige Studie ab. «Ein Muss für jede Bibliothek mit Büchern zu Kunst und Darstellung der Landschaft!», fand zu Recht die Bücherrundschau.

Das gilt auch für «Voyager et s’en souvenir. L’appropriation visuelle et matérielle de la Suisse et des Alpes par voyageurs anglais» der Kunsthistorikerin und Museologin Danijela Bucher. Im 18. Jahrhundert begannen die ersten englischen Alpenreisenden, Drucke zu erwerben, die von einer Gruppe von Künstlern hergestellt wurden, die als Schweizer Kleinmeister bekannt waren. Tausende von Drucken, die die Touristen nach England mitbrachten und die nun in den Sammlungen des National Trust, der British Library und des British Museum zu finden sind. Danijela Bucher untersucht die Verbreitung von Schweizer Bildern in England und die materielle Form, in der sie seit dem 18. Jahrhundert gesammelt, transportiert und aufbewahrt wurden, und beleuchtet, welche Drucke die Reisenden bevorzugten und welches Interesse sie an ihnen hatten. Mit dabei sind William Windham, einer der Entdecker von Chamonix, und Albert Smith, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner Montblanc-Show in London Entscheidendes zum neuen Bergsport beitrug. Vorgestellt werden ebenfalls Jane Parminter and Mary Parminter, die 1786 die erste Frauenbesteigung des Mont Buet machten und die das wundervolle, 16-eckige Cottage A la Ronde in der Grafschaft Devon erbauen liessen, darin die Souvenirs von ihren Reisen aufbewahrt sind; https://en.wikipedia.org/wiki/A_la_Ronde. Im Treppenaufgang hängt, erst beim Abstieg sichtbar, der Stich «Vue du principalle Borne du Champs de Bataille de Nefelts» von H.S. Schmitz aus dem Jahre 1789. Danijela Bucher vermutet, dass die Cousinen Parminter das Bild nicht wegen des langweiligen Schlachtfeldes von Näfels im Vordergrund gekauft und nach Hause mitgenommen haben, sondern wegen der gut erkennbaren Glarner Berglandschaft mit Vorder Glärnisch, Vrenelisgärtli, Wiggis und Rautispitz. Die gebirgige Schweiz ist eben auch an Linth und Birs erleb- und malbar.

David Schmidhauser: Der Maler in der Natur. Zur Schweizer Landschaftsmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Hirmer Verlag, München 2024. Fr. 55.- www.kmw.ch/produkt/der-maler-in-der-natur/

Danijela Bucher: Voyager et s’en souvenir. L’appropriation visuelle et matérielle de la Suisse et des Alpes par voyageurs anglais. Sorbonne université presses, Paris 2023. € 35,00.