Skiende

Zum Abschluss der Skisaison mit alpinem Weltcup in Sun Valley und Freestyle-WM in St. Moritz ein skihistorisches Werk und ein Krimi, darin der Skisport kurz mitspielt.

«Könnte man nicht auf das Skifahren verzichten?», meinte Luise. «Auf das Beschneien? Diesen ganzen Kram? Man kann ja trotzdem nett im Winter urlauben.»
Cocis Blick besagte, dass man eher auf Essen, Trinken oder Sex verzichten konnte. «Schneeschuhwandern ist ja nett. Winterwandern auch, aber das rockt nicht! Es geht nicht zuletzt darum, junge Menschen an diesen Sport zu binden. Er bietet frische Luft, Bewegungskoordination, aber auch Spaß und eine gewisse Geschwindigkeit, ein Team in einem Skiclub und erfordert die Disziplin, auch mal früh aufzustehen – all das vereint der Skisport.»

Engagierte Diskussion um den Skisport unter grossen und kleinen Anhängern, an einem gemütlichen Abend in einer Stube im Allgäu. Mit dabei die frisch pensionierte Kommissarin Irmi Mangold, ihr Noch-Freund Fridtjof, die Nachbarin Luise und das spätere Opfer eines Einbruchs in den nicht genügend zugefrorenen Grüntensee. Die Zukunft des Skisports ist ein Nebenthema unter anderen im 16. Irmi-Mangold-Krimi von Nicola Förg. Der Titel «Verdammte Weiber» spielt nicht nur auf die ski-enthusiastische Journalistin Coci an, sondern auch auf die deutsche Fotografin und Autorin Ilse Schneider-Lengyel; in ihrem Haus am Bannwaldsee im Allgäu fand im September 1947 das Gründungstreffen der Gruppe 47 statt. Viel Sport und Kultur also im neuen Mangold-Förg-Krimi. Aber keine Angst: Ermittelt wird auch.

Gross recherchiert wurde ebenfalls in diesem Buch: «Shared tracks. Skiing in Austria and Switzerland in culture and society». Österreich und die Schweiz verstehen sich als «Skinationen». Die beiden Nachbarländer teilen sich die Alpen als Erlebnis- und Kulturraum, der bestimmte Identitäten und Bedeutungen schafft. Aus kultur- und sozialgeschichtlicher Sicht haben viele Entwicklungen im Skisport parallel stattgefunden. Die wissenschaftliche Forschung und die breite Öffentlichkeit wissen jedoch nur wenig über die andere Seite. Der von Thomas Busset und Andreas Praher herausgegebene Band will und wird dies ändern. Vorwort, Einführung und die zwölf Kapitel (alles in englischer Sprache!) beleuchten die politischen und sozialen Rahmenbedingungen des Skisports in beiden Ländern und zeichnen die historischen Beziehungen zwischen ihnen über die Grenzen hinweg nach. Die Geschichte des Skisports in Österreich und der Schweiz ist in vielen Fällen eine Geschichte von «shared tracks».

Aber auch von Spuren gegeneinander. Denken wir nur an die Weltcup-Rennen im alpinen Skilauf. Im Winter 2024/25, der Ende März im us-amerikanischen Sun Valley zu Ende geht, waren die Männer ganz klar die Schnelleren. Bei den Frauen war die Dominanz nicht so markant. Am besten fuhren die Italienerinnen. Mehr über den italienischen und natürlich französischen Skisport und die Geschichte dazu hoffentlich im nächsten Winter.  

Nico Förg: Verdammte Weiber. Ein Irmi-Mangold-Krimi. Piper Verlag, München 2025. € 17,00.

Thomas Busset, Andreas Praher (eds.): Shared tracks. Skiing in Austria and Switzerland in culture and society. With a Preface by Jon Mathieu. Éditions CIES, Collection Réflexions sportives. Neuchâtel 2025. Fr. 30.- https://shop.cies.ch/ch/fr/accueil/60-shared-tracks-skiing-in-austria-and-switzerland-in-culture-and-society.html

Anti Gravity

Am Donnerstag, 20. März 2025 um 10.01 Uhr, endete der Winter und der astronomische Frühling begann. Grund genug, den Blick in einen grossartigen, eiskalten Bildband zu werfen.

«Für die Eiger-Nordwand habe ich 2 Stunden und 28 Minuten gebraucht. Für diese 40 Meter hier jedoch fast 4 Stunden! Die Route war extrem herausfordernd: etwa 10 Meter überhängend und voller losen Gesteins. Das größte Problem war jedoch das Wetter. Starker Wind und lebensbedrohliche Temperaturen! Nach einer kalten Nacht im Schneebiwak schätzte ich unsere Chancen auf den Gipfel äußerst gering ein, aber wir wollten es trotzdem versuchen. Wir haben alles gegeben, gekämpft, sind gestürzt und immer wieder weitergeklettert. Den Gipfel der Tarantellen haben wir uns am Ende mehr als verdient.»

Diese Tarantellen beziehen sich nicht auf den süditalienischen Volkstanz, sondern bezeichnen eine spektakuläre Felsformation auf einer 400 Meter hohen Anhöhe auf Spitzbergen in der Arktis. Der Gipfel, der an einen riesigen Backenzahn mit zwei Löchern erinnert, wird auch Drei Masken-Berg genannt. Auf dem letzten doppelseitigen Foto im Bildband «Anti Gravity» steht Dani Arnold in orangefarbener Mammut-Jacke und Siegerpose zuoberst auf dem eisverkrusteten Felsgebilde, im tiefblauen Himmel zeichnen sich Schneefahnen ab. Verdammt kühl und cool.

Vom Februar 2020 bis April 2024 waren der Urner Profikletterer Dani Arnold und der Südtiroler Profifotograf Thomas Monsorno mit Freunden in vier verschiedenen Gegenden unterwegs, wo es zur Winterszeit besonders eindrücklich und besonders kalt ist: Baikalsee in Russland, Egilsstadir und Akureyri auf Island, Mangistau und Bogdanovich Glacier in Kasachstan sowie Spitzbergen. Sie waren dort, um zu klettern – und um zu fotografieren. Fotos der Klettereien, aber noch mehr der Reise, der Begegnung mit Einheimischen, der Landschaft. Starke, überraschende, ungewöhnliche Bilder. Sie machen nicht unbedingt Lust darauf, dort bergsportliche Aktivitäten auszuüben, eher dann schon, mal dorthin zu gehen, vielleicht in einer anderen Jahreszeit… Vor allem aber macht es Spass, zum Frühlingsbeginn an der Wärme zu sitzen und schwerelos durch den Fotoband «Anti Gravity» zu reisen.

Thomas Monsorno (Fotos), Dani Arnold, Thomas Monsorno, Benjamin Monsorno (Text): Anti Gravity. Deutsch und Englisch. Eigenverlag, 2024. ISBN 978-88-045157-8-7. Fr. 79.- www.daniarnold.ch/shop-artikel/p/anti-gravity

Böse Pfade

Fünf Krimis aus drei Gebirgen, wo Berge und Bergsport oft eine (verhängnisvolle) Rolle spielen. Aber nicht unbedingt vor Ort lesen…

«Camille hatte sich die ‹Échelles de la Mort› vor ein paar Tagen mit Léonie angesehen. Damals war es nur ein Fluchtweg für den Notfall gewesen. Keine von ihnen hatte daran geglaubt, dass er eintreten würde. Camille hatte sich den Weg eingeprägt. Die Todesleitern waren früher Teil eines Pfades gewesen, der meist von Schmugglern benutzt wurde, die ihre Ware in die Schweiz schaffen wollten. Heute waren es im Felsen verankerte Gitterrosttreppen, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Via Ferrata etwas weiter östlich.»

Die Todesleitern im Doubs-Canyon sind wie geschaffen für einen Krimi. Christof Gasser taucht mit «Spiegelberg» tief in die Topografie und die Geschichte des Jura ein. Die Spiegelberg-Ruine liegt oben auf dem gezackten Kamm der Sommêtres, einem der klassischen Klettergebiete im Jurabogen. Das Refuge des Sommêtres wiederum ist eine immer offene Selbstversorgungshütte der Groupe des Alpinistes de Franche-Montagne mit Kochmöglichkeit, etwa 12 Schlafplätzen und ein paar Decken – aber den Krimi dort oben lesen, ich weiss nicht… Dann schon lieber im Berggasthaus Aescher-Wildkirchli im Alpstein. Dumm ist nur, dass man in diesem mittlerweile weltberühmten Gasthaus kaum noch Platz findet, weder am Tisch noch im Lager. Aber den Touristenhorden ausweichen kann lebensgefährlich werden:

«Anstatt den Pfad Richtung Äscher zu nehmen, entschied Max, Schutz bei dem Fels zu suchen. Abstruse Gedanken verhinderten eine Beurteilung der Lage. Panik machte sich breit. Er, der Selbstsichere, hatte plötzlich Angst. Er malte sich die schrecklichsten Szenarien aus. Vor Erschöpfung würde er abstürzen.»

Zur Beruhigung: Das tut Max von Wirth nicht. Natürlich nicht, als Hauptfigur zusammen mit Federica Hardegger in einer der Krimireihen von Silvia Götschi. Aber der Einheimische Heini Manser stürzt in «Alpstein» ab, beim Abstieg vom Aescher zum Seealpsee, ausgerechnet am Tag seiner Hochzeit, ausgerechnet er, ein erfahrener Bergsteiger. Tja, wenn nachgeholfen wird, kann es auch jemanden treffen, der mit Seil und Karabiner umgehen kann. Insbesondere dann, wenn es noch einen Bergunfall von früher zu rächen gibt. Also wachsam sein beim Wandern und Bergsteigen im Säntis-Gebirge. Im Bündner Oberland selbstverständlich ebenfalls. Auch wenn das Gipfelziel gut ist:

«Es war ein stundenlanger Aufstieg gewesen, der sie alle gefordert hatte. Selbst für den Hund waren ein, zwei Stellen eine Herausforderung gewesen. Doch die Belohnung hatte sie alle Mühen vergessen lassen. Der Blick über die Surselva, über all diese Gipfel, auf denen das Licht hinunterzufließen schien, und darüber der endlose Himmel. Matti hatte Emilia erklärt, dass es einen ‹guten› und einen ‹bösen› Fess gibt. Den ‹guten› hatten sie erklommen, und auf den ‹bösen› könnten sie blicken. Diese mächtige, abweisende Felsnadel, die ein paar Meter über den guten hinausragt. Und doch war er bezwungen worden.»

Nun, bezwingen lassen sich die Gipfel nicht, ob gut oder böse. Besteigen aber schon, auch erstbesteigen. Auf dem Cover von «Eiskalte Surselva» von Regine Imholz steht im Vordergrund ein frisch verschneiter Felsturm hoch oberhalb der Vorderrheinschlucht – ob da mal schon jemand oben stand? Oben auf dem Baumwipfelpfad «Senda dil Dragun» bei Laax müssen zwei junge Frauen gestanden haben, mitten im Schneesturm. Dann fand man ihre Leichen am Fuss dieses Pfades. War es ein Unfall, war es Mord? Genau diese Frage stellen sich auch Gabriel Santonini und Sophie Mortagne. Die beiden sollen für eine beträchtliche Summe zwei japanische Kletterer beseitigen, die an der Aiguille du Dru eine neue Route eröffnen wollen.

«Vingt-quatre heures avant le départ annoncé et programmé des Indiens, Sophie et moi descendons du premier train matinal dans la gare du Montenvers déjà bien remplie des touristes. Vacaniers, alpinistes et randonneurs veulent profiter du dernier sursaut de beau temps inattendue d’une arrière-saison exceptionnelle.
Pour nous, le moment est grave. Nous somme préparés, équipés et fixés sur notre objectif comme un commando des chasseurs alpins en mission.»

Ob Gabriel und Sophie – in ihrem Nachnamen verbirgt sich der Tod – die böse Mission umsetzen können, sei hier nicht verraten. Ein Krimi lebt ja hoffentlich von der Spannung, Seite für Seite. Diese Hoffnung erfüllt Peter D. Mason mit «Destins mortels à Chamonix» aufs Beste, Seite für Seite; es sind 173, das Buch hat also noch Platz in einem vollen Rucksack, wenn man von Montanvers zum Refuge de la Charpoua oder von Le Noirmont zum Refuge de Sommêtres geht. Mehr Seiten, weniger Spannung, aber ein Gasthaus als wichtigen Ausgangspunkt bietet der Thriller «Der Pfad» von Megan Miranda. Er spielt im fiktiven Ort Cutter’s Pass in North Carolina – der Name erinnert an «Cutter’s Way – Keine Gnade», ein US-amerikanisches Filmdrama aus dem Jahr 1981. Im Buch verschwinden insgesamt sieben Personen auf dem Appalachian Trail, die Ich-Erzählerin Abby, Angestellte im Gasthaus, geht den Geheimnissen auf den Grund:

«Wir boten Wanderstöcke an der Rezeption an, sorgten dafür, dass jeder von dem mangelnden Handyempfang wusste. Wir wiesen die Leute an, mit mindestens einer weiteren Person zusammen zu gehen, genug Essen und Wasser mitzunehmen und auf dem Weg zu bleiben. Wir boten sogar kostenlos geführte Wanderungen an.
Das alles, um unsere Gäste zu schützen.
Wir erinnerten sie daran, dass die Todesursache Nummer eins Unfälle bei Extremwetter waren, was allerdings nur passieren konnte, wenn man einen Fehler machte oder sich verirrte.
Wir erwähnten weder die zweit- noch die dritthäufigste Ursache.»

Christof Gasser: Spiegelberg. Emons Verlag, Köln 2024. € 18,00.
Silvia Götschi: Alpstein. Emons Verlag, Köln 2024. € 20,00.
Regine Imholz: Eiskalte Surselva. Emons Verlag, Köln 2024. € 16,00.
Peter D. Mason: Destins mortels à Chamonix. Éditions Guérin, Chamonix 2023. € 15,00.
Megan Miranda: Der Pfad. Penguin Verlag, München 2024. € 16,00.

Frauen auf Spitzbergen

Zwei Bücher, die von den ersten Frauen auf Spitzbergen und den Reisen dorthin erzählen: der Tatsachenroman über die Norwegerin Wanny Woldstad und der Reisebericht der Pariserin Léonie d’Aunet.

– Alors, que-ce que vous racontez dans votre carnet?
– J’ai écrit : «Aujourd’hui, le 16 février 1933, nous avons aperçu le soleil pour la première fois de l’année. C’était très agréable.»
En effet, ça l’était. Il a été heureux de partager ce moment avec elle. L’an dernier, il ne se rappelle plus où il était, si c’était ici ou à Hyttevika.

Das letzte Winterhalbjahr, das hatte Anders Saeterdal mit anderen Trappern verbracht, auf Spitzbergen oben, von einer Hütte zur nächsten, mit den Schlitten und Hunden, anfangs der Saison, wenn das Wasser noch nicht gefroren war, auch mal mit dem Kajak. Immer auf der Jagd nach Polarfüchsen, Robben und manchmal auch Eisbären. Immer auf der Jagd nach halbwegs gutem Wetter oder auf der Flucht vor dem wirklich bösen. Immer auf der Jagd nach Nachschub zum Essen, für sich und die Hunde. Eine verdammt raue Männerwelt, monatelang ohne Sonne. Aber immer in der Hoffnung, im Frühling mit vielen Pelzen zurück nach Tromsø in Nordnorwegen zu kommen.

Doch der Winter 1932/33 war anders, ganz anders. Also eigentlich schon gleich, das mit der Jagd und dem meist schrecklichen Wetter. Neu war, dass ihn die junge Witwe Wanny Woldstad aus Tromsø begleitete. Eine Frau dort oben in Spitzbergen, das verstand niemand in Tromsø. Anders Saeterdal eigentlich auch nicht, zu Beginn jedenfalls. Wanny allerdings verstand das Handwerk, draussen und drinnen. Und langsam erwärmte sich der Trapper für die ungewöhnliche Trapperin, fast so, wie die kostbaren Blaufuchsfelle warm geben. Wenn die Polarfüchse denn in die Fallen getappt waren.

«La femme au renard bleu» heisst der Tatsachenroman der Tasmanierin Robyn Mundy. Der Titel der Originalausgabe, «Cold Coast», gefällt (mir) insofern weniger, als im Buch die Kapitel mit Wanny Woldstad abwechseln mit solchen, die aus der Sicht einer Polarfüchsin geschrieben sind. Somit abwechslungsweise Hoffnung beim Lesen, dass Wanny bei der Jagd erfolgreich ist, aber bitte natürlich nicht mit dieser Füchsin.

Wanny Woldstad (1893–1959) war die erste Trapperin auf Spitzbergen. Aber nicht die erste Frau. Diese Ehre gebührt der Französin Léonie d’Aunet (1820–1879). Auch sie musste darum kämpfen, dass sie auf Spitzbergen mitgenommen wurde, nämlich auf eine wissenschaftliche Expedition im Jahre 1839. Sie schaffte es, weil sie ihren zukünftigen Ehemann, den Maler François-Auguste Biard, von dieser Reise zur Erforschung des Arktischen Ozeans überzeugen konnte. Zu jener Zeit waren Kunstmaler noch gesucht, um Reisen bildlich festzuhalten. Ihre Bedingung für die Überzeugungsarbeit: Sie kommt als einzige Frau mit.

Die Reise führte auf dem Land- und Seeweg von Paris über Amsterdam, Hamburg und Kopenhagen nach Trondheim an der norwegischen Küste und via Nordkap weiter nach Spitzbergen, wo sich die Arktis-Pionierin bitterer Kälte und grosser Gefahr aussetzte, um Zauber und Schrecken des ewigen Eises zu erleben und zu beschreiben. Noch strapaziöser ist die Rückreise durch Lappland an die Ostsee, und über Stockholm, Berlin und Mulhouse ging’s zurück nach Paris. Ihre Eindrücke hielt Léonie d’Aunet pointiert und voller Esprit in Notizen und Briefen an ihren Bruder fest. Erst über zehn Jahre später, nach einer verhängnisvollen Affäre mit Victor Hugo, für die sie mit einer Haftstrafe bezahlen musste, entstand daraus der aussergewöhnliche Bericht «Reise einer Frau in die Arktis». Er liegt nun im mareverlag auf Deutsch in einer sehr eleganten Ausgabe mit Schuber vor. Ausschnitt vom Aufenthalt auf Spitzbergen:

Zwei oder drei Tage lang quälte mich der Gedanke an eine mögliche Überwinterung; anscheinend war ich nicht die Einzige an Bord, mir darüber Sorgen zu machen, und so erfuhr ich davon:
Eines Morgens saß ich gerade, in einen riesigen Pelzmantel verkrochen, still auf einer Kanone, abwechselnd den Himmel, das Meer und ihre wundersamen Erscheinungsformen betrachtend, als inmitten einer kleinen Gruppe von Matrosen mein Name fiel und mich aufmerken ließ. Die ersten Worte, die ich hörte, waren folgende:
«Was für eine Idee, eine Frau mitzunehmen! Sind Expeditionen wie diese etwa Vergnügungsreisen für Frauen?»
«Ah, das ist wohl wahr», sagte ein anderer, «und sollten wir in den hübschen Kristallen hier feststecken, wie du’s eben erklärt hast, dann können wir sicher sein, dass sie die Erste sein wird, die sich verabschiedet.»

Robyn Mundy: La femme au renard bleu. Éditions Paulsen, Paris 2024, € 24,00; Cold Coast. Hardie Grant Publishing Group, 2022, Fr. 30.-

Léonie d’Aunet: Reise einer Frau in die Arktis. Mit einem Nachwort von Kristina Maidt-Zinke. mareverlag, Hamburg 2024, € 34,00; Voyage d’une femme au Spitzberg. Hachette, Paris 1854; Babel, Terres d’aventure N° 149, Fr. 14.20.

Mountain Style & Repair

Ein dick illustriertes Buch, das die Geschichte, den Vintage-Stil und das visuelle Erbe der britischen Outdoor-Bekleidungsmarken feiert. Dazu passt bestens «Repair» im Fundbüro für Erinnerungen im ALPS.

«I am unusually long from shoulders to top of head + need plenty of allowance made in hood of windproof.»

Diese Angaben zum ungewöhnlichen Abstand zwischen Schultern und Scheitel des Kopfes notierte Edmund Hillary auf eine Papierseite, auf der seine Körpermassen eingezeichnet sind. Solche Angaben waren nötig, um die Bergkleider der Teilnehmer an der britischen Everest-Expedition von 1953 zu fertigen. Am 29. May erreichten Hillary und Tenzing Norgay als erste Menschen den höchsten Berg der Welt. Dort oben braucht es schon die passende Ausrüstung bzw. Jacke. Aber nicht nur dort, sondern überhaupt beim Bergsport. Erst recht in Grossbritannien; die Insel ist ja nicht bekannt für zu viel Sonnenschein, man denke nur an die winterlichen Verhältnisse am Ben Nevis.

Mit der Everest-Erstbesteigung beginnt ein aussergewöhnliches Bergbuch, das die Geschichte, den Vintage-Stil und das visuelle Erbe der britischen Outdoor-Bekleidungsmarken festhält: «Mountain Style: British Outdoor Clothing 1953–2000». Henry Iddon und Max Leonard schildern, wie die Outdoor-Bekleidung zu boomen begann, und das mit vielen vorzüglichen Illustrationen (Stilleben mit den Oberkleidern, auch Detailaufnahmen; Actionfotos, beispielsweise der berühmte Joe Simpson im Kopfstand auf der Ama Dablam; Reklamen). Was Wanderer und Kletterer trugen, entwickelte sich von Wollpullovern, Army Surplus und Baumwolle oder Tweed zu hochtechnischer Spezialkleidung. Hauptverantwortlich dafür war eine kleine Gruppe von Alpinisten, die die Produkte, die sie brauchten, nicht kaufen konnten und deshalb beschlossen, sie selbst herzustellen. Damit war der Grundstein für die globalen Marken gelegt, die man heute kennt: Berghaus, Craghoppers, Karrimor, Mountain Equipment, Rab, Sprayway und andere. Britische Outdoor-Bekleidung wird nach wie vor in harten Verhältnissen getragen, ist aber inzwischen auch allgegenwärtig – sie ist gleichermassen bei Wanderern, alltäglichen Hundespaziergängern und Liebhabern von Vintage-Kleidung im Osten Londons, in Manchesters Northern Quarter oder in Tokio zu sehen. «The interesting point about modern mountaineering clothing is that it is smart enough to wear in Mayfair, too», lesen wir auf Seite 177. Nun, einige Kleider werden allerdings heute wohl weder am Berg noch im Berliner Popup-Store getragen: die mutig farbigen Jacken und Hosen der 1980er und 1900er Jahre, ganz zu schweigen von den gestreiften Kletterleggins! Aber den halb blauen, halb grüngelben Montane Sirocco Windbreaker von 1999 würde ich sofort überziehen.

Auf den Seiten 38/39 in «Mountain Style» ist die grüne Alpcan Daunenjacke abgebildet, die Mike Westmacott während der Everest-Expedition von 1953 trug; das gleiche Modell trugen auch Hillary sowie George Band bei der Erstbesteigung des Kangchenjunga 1955. Mikes Jacke ist an mehreren Stellen mit braunem Scotch geflickt. Wer am Berg unterwegs ist, muss ja auch reparieren können. Darum geht es in «Repair» im Fundbüro für Erinnerungen im ALPS: «Ob Konsumkritik, Nachhaltigkeitsgedanke oder Lifestyle – wir schauen, was hinter dem Trend des Reparierens steckt und was er für den Bergsport bedeutet. Im Fundbüro für Erinnerungen sehen Sie, dass Pflegen und Reparieren Teil der Geschichte des Bergsports sind. Was gilt es beim Flicken von Outdoormaterial zu beachten? Und welche Geschichten stecken hinter den reparierten und kaputten Objekten?» Viele Veranstaltungen begleiten diese partizipative Ausstellung im Alpinen Museum der Schweiz in Bern. Passend zum Thema: die beiden Secondhand-Bergsportläden 2nd Peak in Bern und Zürich. Sicher finde ich dort eine coole Bergjacke mit genügend grosser Kapuze.

Henry Iddon & Max Leonard: Mountain Style: British Outdoor Clothing 1953–2000. Isola Press, London 2024. Fr. 74.70 www.pizbube.ch

Repair: Fundbüro für Erinnerungen im ALPS, dem Alpinen Museum in Bern; bis Januar 2026. https://alps.museum/ausstellungen/repair. Die nächste Verantstaltung am Samstag, 5. März von 13 bis 17 Uhr: Upcycling für alle. Aus Alt wird Neu! Studierende der Pädagogischen Hochschule Bern sind während vier Stunden vor Ort und upcyclen gemeinsam mit dir gebrauchtes Outdoormaterial. Für Material und kreative Ideen ist gesorgt.

Secondhand-Outdoorshop: 2nd Peak Läden in Bern und Zürich. https://2ndpeak.ch/

Der Maler in der Natur

Zwei dicke, reich illustrierte und wissenschaftliche Bücher über Maler, welche die oft gebirgige Natur abbilden, und über das Sammeln dieser Bilder. Entdeckungsreisen auf dem Sofa.

«Auf meiner letzten Reise durch die herrlichen Thäler des Bisthums Basel fand ich an einem Tage an drey verschiedenen Stellen der Birs Zeichner sitzen, welche die herrlichen Wasserfälle dieses Fluss und die umliegenden romantischen Gegenden studierten. Die Liebhaber der Kunst sind in der Schweiz nicht weniger zahlreich, als die Künstler selbst: und unter diesen gibt es viele durchreisende Auslaender, die nicht leicht verfehlen, in einem mit den reichsten und seltensten Naturgemaelden bereicherten Lande zu zeichnen.»

Das notierte der deutsche Gartenhistoriker und Philosophieprofessor Christian Cay Lorenz Hirschfeld in seinen 1785 in Kiel publizierten «Neue Briefe über die Schweiz». Und just darum geht es im Buch, in dem ich dieses Zitat in der Einleitung fand: «Der Maler in der Natur. Zur Schweizer Landschaftsmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts» von David Schmidhauser, Kurator für die Kunst des 18. bis 20. Jahrhunderts am Kunstmuseum Winterthur. Er zeichnet anhand bisher kaum erforschter Künstler wie Conrad Meyer, Felix Meyer oder Wilhelm Stettler ein neues Bild der Rolle des Malers in der Natur und seiner Tätigkeiten, sei es an der Staffelei oder mit dem Zeichnungsblatt auf den Knien. Die künstlerische Arbeit in der freien Natur unterscheidet sich ja wesentlich von der Studiopraxis, denken wir nur an die schlechten Weg- und überraschenden Wetterverhältnisse. Das reich illustrierte Buch wirft einen erfrischend neuen Blick auf die Freilichtmalerei. Quellen- und Literaturverzeichnis, Anmerkungen und Personenregister runden die gewichtige Studie ab. «Ein Muss für jede Bibliothek mit Büchern zu Kunst und Darstellung der Landschaft!», fand zu Recht die Bücherrundschau.

Das gilt auch für «Voyager et s’en souvenir. L’appropriation visuelle et matérielle de la Suisse et des Alpes par voyageurs anglais» der Kunsthistorikerin und Museologin Danijela Bucher. Im 18. Jahrhundert begannen die ersten englischen Alpenreisenden, Drucke zu erwerben, die von einer Gruppe von Künstlern hergestellt wurden, die als Schweizer Kleinmeister bekannt waren. Tausende von Drucken, die die Touristen nach England mitbrachten und die nun in den Sammlungen des National Trust, der British Library und des British Museum zu finden sind. Danijela Bucher untersucht die Verbreitung von Schweizer Bildern in England und die materielle Form, in der sie seit dem 18. Jahrhundert gesammelt, transportiert und aufbewahrt wurden, und beleuchtet, welche Drucke die Reisenden bevorzugten und welches Interesse sie an ihnen hatten. Mit dabei sind William Windham, einer der Entdecker von Chamonix, und Albert Smith, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner Montblanc-Show in London Entscheidendes zum neuen Bergsport beitrug. Vorgestellt werden ebenfalls Jane Parminter and Mary Parminter, die 1786 die erste Frauenbesteigung des Mont Buet machten und die das wundervolle, 16-eckige Cottage A la Ronde in der Grafschaft Devon erbauen liessen, darin die Souvenirs von ihren Reisen aufbewahrt sind; https://en.wikipedia.org/wiki/A_la_Ronde. Im Treppenaufgang hängt, erst beim Abstieg sichtbar, der Stich «Vue du principalle Borne du Champs de Bataille de Nefelts» von H.S. Schmitz aus dem Jahre 1789. Danijela Bucher vermutet, dass die Cousinen Parminter das Bild nicht wegen des langweiligen Schlachtfeldes von Näfels im Vordergrund gekauft und nach Hause mitgenommen haben, sondern wegen der gut erkennbaren Glarner Berglandschaft mit Vorder Glärnisch, Vrenelisgärtli, Wiggis und Rautispitz. Die gebirgige Schweiz ist eben auch an Linth und Birs erleb- und malbar.

David Schmidhauser: Der Maler in der Natur. Zur Schweizer Landschaftsmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Hirmer Verlag, München 2024. Fr. 55.- www.kmw.ch/produkt/der-maler-in-der-natur/

Danijela Bucher: Voyager et s’en souvenir. L’appropriation visuelle et matérielle de la Suisse et des Alpes par voyageurs anglais. Sorbonne université presses, Paris 2023. € 35,00.

Skitouren Romandie, Aostatal und Alpen überhaupt

Vier neue Skitourenführer. Mal sehr steil, mal mehrtägig, mal vor allem italienisch, mal mehr französisch. Aber immer verlockend, wenn man einigermassen sicher auf den Brettern steht, die die Welt bedeuten.

«Die Tourenauswahl in diesem Buch ist letztlich rein subjektiv und soll einen Querschnitt über die Alpen bieten. Die ‹schönste› Tour ist im Zweifelsfalle meist die gerade erlebte Tour – oder die nächste auf der Bucket-List!
Die Freude am Aufstieg an einem sonnigen Tag. Das mühelose Gleiten im glitzernden Pulverschnee. Die alpine Herausforderung und das Risikomanagement machen für uns das Erlebnis Skialpinismus aus. Wir wünschen allen Lesern unvergessliche Stunden in den schönsten Steilhängen der Alpen.»

Recht hat er, der Marius Schwager, im Vorwort seines jüngsten Buches. Die Einschätzungen gelten natürlich auch für Skitouren, auf denen alpine Herausforderungen und Risikomanagement keine grosse Rolle spielen. Auf den Abfahrten, die er im Bildbandführer «45° – Skialpinismus. Steilwandklassiker der Alpen» präsentiert, tun sie das hingegen schon. Für Eiger-Westflanke, Matterhorn-Ostwand oder Fletschhorn-Nordwand, um drei der vierzehn steilen Abfahrten in den Schweizer Alpen zu nennen, braucht es mehr als sonniges Wetter und pulvrigen Schnee. Wer die skitechnischen und alpinistischen Fähigkeiten mitbringt, um in 45 bis 50 Grad steilem Gelände sicher zu kurven, wird in Schwagers Buch ein paar ganz grosse und stotzige Ziele zwischen Dachstein und Monte Argentera finden. Nur schade, dass die Legenden zu den oft schwindelerregenden Fotos meistens fehlen, wie auch die Routenlinien in den gezeichneten Gipfelansichten. Die technischen Angaben zu Steilheit, Schwierigkeit, Exposition etc. finden sich; wenn bekannt, ebenfalls die Namen der Erstbefahrer. Ein Name taucht am häufigsten auf: Heini Holzer. Der Südtiroler, der über 100 Steilabfahrten als Erster machte, kam am 4. Juli 1977 bei der Abfahrt durch die Nordostwand des Piz Roseg ums Leben. Der ins Buch aufgenommene Canale Holzer am Sass Pordoi «ist das klassische skialpinistische Couloir schlechthin».

Wir ziehen unsere Spuren weiterhin in Italien, nun aber in seinen Westalpen, genauer im Valle d’Aosta, dem Tal mit den höchsten (und schönsten?) Bergen der Alpen. Mit steilen Hängen ebenfalls, aber diesmal sollen es vor allem Skitouren sein, bei denen ein Sturz drinliegen darf. In der Nordost- bzw. Südostwand der Grivola, je beschrieben in «45°», wäre ein solcher ja fatal. Deborah Bionaz und Ilaria Sonatore stellen in «Scialpinismo in Valle d’Aosta» 101 Skitouren in diesem grossartigen Tal ennet der Schweiz vor. Mehrere Skiziele liegen auf der gemeinsamen Grenze, wie Tête Blanche de By, Tête du Filon oder Trauma des Boucs (3263 m). Wohl noch nie gehört, nicht wahr? Liegen alle in den Walliser Alpen, wie die Punta Zumstein und die Punta Gnifetti, Nummer drei und vier der höchsten Gipfel der Schweiz; Tour 57 besucht gleich beide.

Die Walliser Alpen erheben sich bekanntlich südlich der Rhone. Die Gipfel nördlich von ihr gehören zu den Berner und Waadtländer Alpen. Stephanie Heiduk (Text) und Udo Laber (Fotos) haben in «Skitourenerlebnis Schweiz. 24 Mehrtagestouren und über 100 Gipfel» die Zweitagestour von Anzère über das Wildhorn in die Lenk auch zu den Walliser Alpen gezählt. Aber wir lassen uns durch diese falsche Einordnung nicht stören. Und geniessen vom Sex Rouge die Aussicht auf Walliser Alpen gegenüber. Das Autorenduo stellt je drei mehrtägige Skitourenfahrten in diesen Alpen und im Tessin, je vier in den Glarner Alpen und in der Zentralschweiz und je fünf in den Berner und Bündner Alpen vor. Die längste führt über 78 Kilometer aus dem Puschlav ins Oberengadin. Nur gerade ein Vorschlag ist blau eingestuft, drei Tourenrunden haben die Schwierigkeit rot, der Rest ist schwarz.

Schwarz ist definitiv ebenfalls Route 37 auf den Combin de Grafeneire (4313 m) im Führer «Les Alpes de la Romandie. 150 randonnées à ski magnifiques». Georges Sanga beschreibt mit allem Drum und Dran 19 Touren in den Freiburger, 31 in den Waadtländer und 7 in den Berner Alpen sowie 65 in den Bergen links der Rhone, also im Chablais, im Montblanc-Massiv und in den Walliser Alpen, immer mit Fotos, auf denen die Routen eingezeichnet sind. Dem oben erwähnten Sex Rouge oberhalb von Anzère gab Sanga das Prädikat «Super Choix». Worauf warten wir noch? En route, mes amis!

Marius Schwager: 45° Skialpinismus. Steilwandklassiker der Alpen. Die 45 schönsten steilen Abfahrten der Alpen. Verlag Mountain Moments, Reilingen 2024. € 39,00. www.mountainmoments.de

Deborah Bionaz, Ilaria Sonatore: Scialpinismo in Valle d’Aosta. 101 itinerari: dai super classici ai più ricercati. Versante Sud Edizioni, Milano 2024. € 37,00. Auch in einer englischen Übersetzung erhältlich: Ski Mountaineering in the Aosta Valley. 101 itineraries: from the super classics to the most sought after.

Stephanie Heiduk (Text), Udo Laber (Fotos und GPS-Tracks): Skitourenerlebnis Schweiz. 24 Mehrtagestouren und über 100 Gipfel. Bergverlag Rother, München 2025. Fr. 41.90.

Georges Sanga: Les Alpes de la Romandie. 150 randonnées à ski magnifiques. Weber Verlag, Thoune/Gwatt 2024. Fr. 59.-, SAC-Mitglieder 49.-

8000er und 4000er

Zwei Bildbände über das Besteigen einer genau bestimmten Anzahl Gipfel. Alle 14 Achttausender für die schweizerisch-französisch-kanadische Alpinistin Sophie Lavaud. Alle 82 Alpenviertausender für die berner-oberländischen Gleitschirm-Bergsteiger Chrigel Maurer und Peter von Känel.

«Die Wolkenbasis steigt, und wir können oberhalb der Täschhütte erstmals auf 4000 m aufdrehen. Wir gleiten am Feechopf vorbei und landen unterhalb des Rimpfischsattels auf 3650 m. Die Schirme deponieren wir auf dem Sattel und stehen wenig später auf dem Rimpfischhorn. Ein kurzer Flug bringt uns vom Schirmdepot an den Fuss des Strahlhorns, und kurz darauf stehen wir auch auf diesem Gipfel. Diebisch freuen wir uns über diesen Magic Move, sind wir doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ersten, die am gleich Tag das Finsteraarhorn, das Rimpfischhorn und das Strahlhorn besteigen – notabene mit Tourenskis und ohne motorisierte Unterstützung. Unterhalb des Strahlhorns machen wir uns flugbereit. Wir nutzen den NW-Wind, um mit den Skis an unseren Füssen zum Gipfel hochzukiten, und fliegen anschliessend bei schönem Abendlicht und einem breiten Grinsen im Gesicht zur Monte Rosa-Hütte, wo wir gerade noch rechtzeitig zum Abendessen landen.»

In «xPeaks. Neue Wege auf alte Berge» erzählt Peter von Känel aus Frutigen frisch und frech, wie er zusammen mit Chrigel Maurer aus Adelboden im Sommer 2024 in nur 51 Tagen alle 82 Viertausender ausschliesslich zu Fuss, mit Ski und per Schirm besucht und bestiegen hat. Die Seilschaft zwischen Bergsteigen und Gleitschirmfliegen ermöglichte verblüffende und ausgesprochen elegante Touren – wenn man so gut fliegen und klettern kann wie die beiden nicht mehr ganz jungen Berner Oberländer. Die Fotos, pendelnd zwischen erhaben und ergötzlich, bereichern das Buch. In seinem Anhang findet sich die Übersicht, wie Maurer und von Känel zwischen Piz Bernina und Barre des Écrins hin und her geflogen sind. Manchmal auch bei turbulentem Wetter.

«Dans le mauvais temps, nous atteignons les pentes sommitales, raides, engagées. Depuis plusieurs heures, nous évoluons sans cordes fixes.
Quelques dizaines de mètres sous le sommet, nous croisons Kristin. Elle me serre dans ses bras. L’émotion m’envahit. ‹You are so close from summit, your fourteen peaks! Congratulations, dear Sophie!› Moment de joie furtif, mais il faut poursuivre jusqu’en haut malgré le blizzard.
Nanga Parbat, 8126 mètres, 26 juin 2023. Quelques photos, un selfie, une accolade avec Sangay, un point GPS. Cinq minutes, dix minutes? Guère plus, nous sommes préoccupés par la descente.»

Auf vierzehn mit «Le carnet de Sophie» überschriebenen Seiten erzählt die bei Genf wohnende Alpinistin Sophie Lavaud besondere Momente ihrer Besteigungen der vierzehn Achttausender. Am 11. Mai 2012 stand sie auf ihrem ersten 8000er, dem Sishapangma, dummerweise nur auf dem Mittelgipfel (8013 m) und nicht auf dem Hauptgipfel (8027 m); letzteren bestieg sie am 26. April 2023. Zwei Monate später dann der Nanga Parbat. Damit wurde Sophie Lavaud «le premier Français (également première Suissesse et le premier Canadien) à fouler la cime des plus hautes sommets de la Terre». Das lesen wir auf der Rückseite des Buches «Les quatorze 8000 de Sophie Lavaud». Sie ist nämlich Schweizerin, Französin und Kanadierin. Der erste Schweizer auf allen 8000ern war Erhard Loretan; für Frankreich und Kanada ist Sophie Lavaud aber die erste Person, die dieses grosse Ziel geschafft hat. Der gemeinsam mit François Damilano geschaffene Bildband – der Bergführer und Filmer aus Chamonix begleitete sie auf drei Expeditionen – blickt zurück auf ihre Besteigungen, auf die alpinistische Geschichte dieser so sehr attraktiven Berge und stellt die Normalrouten vor.

Ein sehr hohes Ziel, die 14 Achttausender. Vielleicht doch eher die 82 Viertausender der Alpen. Wie wär‘s jedoch mit den 15 Vierzehntausendern Kaliforniens oder den 282 Dreitausendern von Schottland? Bei beiden geht es allerdings um Fuss und nicht um Meter: Sie müssen höher als 14‘000 ft (= 4267 m) bzw. 3000 ft (= 914 m) sein. So oder so viel Spass beim Gipfelsturm!

Peter von Känel: xPeaks. Neue Wege auf alte Berge. Edition Filidor, Reichenbach 2024. Fr. 48.-

François Damilano, Sophie Lavaud: Les quatorze 8000 de Sophie Lavaud. Éditions Glénat, Grenoble 2024. € 36,00.

Schneegeschichten

Bücher und Begegnungen mit dem flüchtigen Element Schnee. Sich warm anziehen, bitte!

«Ich erreiche die Alp von Rodomont Derrière. Aus einem breiten Schornstein steigt Qualm auf und sagt mir, dass die Käser an ihren Kesseln stehen. Kein Hund bellt. Richtung Gstaad erkenne ich das Weiß des Palace Hotels und die von Skiliften wie von Reißverschlüssen durchzogenen Wälder. Ich laufe wieder querfeldein. Den Kuhfladen ausweichend, steige ich dem Plateau des einstigen Adlerhorstes entgegen, jener Stelle, an der Springers Chalet gestanden hat.»

Ausschnitt aus «Ein Sonntag in den Bergen» des Genfer Schriftstellers Daniel de Roulet. In diesem 2006 erstmals auf Französisch und Deutsch veröffentlichten Bericht erzählt er, wie er am 5. Januar 1975 zornig und blind das Chalet von Axel Springer auf dem Gipfel von Rodomont Derrière (1857 m) oberhalb von Rougemont im Pays d’Enhaut abgefackelt hat. Jahre später, aber nun im Hochsommer, zog es de Roulet zurück an den Ort der Untat und findet ein paar kümmerliche Überreste, an denen eine Kupfertafel mit dem Bild des Schweizer Nationalheiligen Niklaus von der Flüe und einem zweisprachigen, schwer verständlichen Zitat angebracht ist. Nun ist eine Neuauflage dieses Berichts erschienen, der nicht nur die Beweggründe für das Abfackeln nachvollziehbar macht, sondern der ebenfalls eine Ski(tour)geschichte ist. Im Nachwort zur Neuauflage schreibt de Roulet, wie unterschiedlich «Un dimanche à la montagne» in Frankreich und Deutschland bzw. in der Schweiz aufgenommen wurde. Seine Verleger mussten 2006 beteuern, «der Autor habe nicht vorgehabt, sich mittels dieses Buchs zu bereichern, vielmehr habe er sein Honorar den Feuerwehrleuten zukommen lassen, die durch seine damalige Brandstiftung mitten in den Nacht aufgescheucht worden seien.» Mehr noch: Mit seinem Geständnis habe er 2006 die Gemeinde Rougemont von einem Fluch erlöst. Mehr sei hier nicht verraten.

«Um den See herum war es zu flach, um zu fahren. Stille umgab Lena, während sie am Ufer entlangging, lediglich das Geräusch ihrer Stöcke, die sich rhythmisch in den Schnee gruben, war zu hören. Winterkind, das sie war, liebte sie normalerweise die Stille, die den Winter für sie so besonders machte. Nur der Schnee, der alles zudeckte und alle Geräusche dämpfte, vermochte diese Art von Ruhe hervorzubringen. Heute aber war sie zu unruhig, um ihre Wanderung durch die Winterlandschaft zu genießen. Vor ihrem geistigen Auge spulte sich bereits die Rettungsaktion ab.»

Lena Veith ist Leiterin der Bergwacht im fiktiven Ort Bichlbrunn unweit von Garmisch-Partenkirchen – und Hauptperson in der Trilogie «Die Bergwacht» von Sophie Zach; so das Pseudonym einer Autorin von Krimis, Liebes- und historischen Romanen. Die beiden ersten Bände habe ich vorgestellt: https://bergliteratur.ch/gipfelsturm-und-liebe/. Im dritten Band, «Schneetreiben», muss Lena mit ihren Leuten und alleine Folgendes retten: einen verunglückten Gleitschirmflieger, steckengebliebene Gondelbahnfahrer, im tief verschneiten und fast unzugänglichen Gelände sich verirrte Jugendliche, ein Mädchen und seinen Hund, die von einer grossen, wegen Abholzen des Schutzwaldes niedergegangenen Lawine verschüttet wurden, dazu ihre Tante Res, die ganz alleine oben auf einem Berg haust – und ihre Liebe zum Ranger Ben Fellner. Wenn das nur ein Happyend gibt!

Der Abend kommt von weit gegangen
durch den verschneiten, leisen Tann.
Dann preßt er seine Winterwangen
an alle Fenster lauschend an.

So beginnt ein winterliches Gedicht von Rainer Maria Rilke (1875–1926); 2025 und 2026 sind Rilke-Jahre. Das Gedicht fand ich neben ein paar anderen im Bildband «Winterreise. Deutschland in der kalten Jahreszeit». Nein, diese Publikation steht nicht für die politische Stimmung im Nachbarsland, die gar eiskalt werden könnte. Alexandra Schlüter nimmt uns mit auf eine sonnige und auch neblige, idyllische und positive Reise durch ein verschneites Deutschland – wie schön und geheimnisvoll, die Sächsische Schweiz, die Hallig Oland in der Nordsee, der Lusen (1373 m) im Bayerischen Wald oder die Lüneburger Heide, wo die Sachbuchautorin wohnt, in Weiss. Und wenn wir vielleicht grad keine Zeit finden, nach St. Märgen im Hochschwarzwald oder an den Schönberger Strand an der Ostsee zu reisen: lesen geht immer, beispielsweise das Gedicht «Wenn es Winter wird» von Christian Morgenstern.

Apropos lesen und reisen. Und gehen und fahren im Schnee. Vom 28. bis 31. Januar 2025 findet im Montafon ein Hemingway-Revival statt. Ernest Hemingway verbrachte mit Frau, Geliebten und Schriftstellerkollegen John Dos Passos zwei Winter (1924/25 und 1925/26) in Schruns; mehr dazu hier: www.montafon.at/hemingway. In «Paris, ein Fest fürs Leben» gedenkt der skifahrender Nobelpreisträger jener Zeit:

«Ich erinnere mich, wie der Schnee auf der Straße zum Dorf knirschte, wenn wir mit unseren Skiern und Skistöcken auf den Schultern in der Kälte nach Hause gingen, wie wir nach den Lichtern ausschauten und dann schließlich die Häuser sahen und wie jeder auf der Straße ‹Grüß Gott› sagte.»

Daniel de Roulet: Ein Sonntag in den Bergen. Ein Bericht. Neuauflage mit einem Nachwort des Autors. Limmat Verlag, Zürich 2025. Fr. 30.-

Sophie Zach: Die Bergwacht. Band 3: Schneetreiben. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2025. € 13,00.

Alexandra Schlüter: Winterreise. Deutschland in der kalten Jahreszeit. Prestel Verlag, München. € 36,00.

Grenzen

Drei Bücher, die sich mit ganz unterschiedlichen Grenzen befassen. Quer durch Köpfe, Körper und Kooperationen. Vom Fextal via Disentis, Gotthard und Kandersteg bis zur Eisernen Hand bei Basel.

Madrisa schütz mit Deinen Scharen
Dies Haus vor Unbill und Gefahren
Lenk weise der Lawinen Weg
Und schirm des Thales Flur und Steg

Rot bemalter Hausspruch im Ortsteil Klosters-Platz aus dem späten 19. Jahrhundert, abgebildet im Buch «Grenzgänge – Religion und die Alpen», und zwar im Kapitel «Die wilde Bergfee im Freizeitparadies. Inszenierungen von Madrisa im Wandel der Zeit», das Mitherausgeberin Anna-Katharina Höpflinger verfasst hat. Eines der 19 Kapitel in einem rundum faszinierenden und überzeugenden Buch, das viel weiter und tiefer geht, als der Untertitel vermuten lässt. Klar, da befassen sich die Autoren und Autorinnen mit Gipfelkreuzen, mit Glockengeläut gegen Unwettergefahren und mit drei sakralen Bauten in der Val Lavizzara, mit der Geopolitik der Religion im Alpenraum im 16. bis 19. Jahrhundert, ja mit der buddhistischen Gemeinschaft im italienischen Bergdorf Bordo. Aber auch die Religion des Tunnels wird ausgeleuchtet, die Alpenromane von Charles-Ferdinand Ramuz wie «Derborence» und das epochale Epos «Die Alpen» von Albrecht von Haller werden neu beleuchtet, die Belle Epoque Woche in Kandersteg und die Passionsspiele im Oberammergau stehen im Scheinwerferlicht.

Das Buch «Grenzgänge – Religion und die Alpen», Resultat eines inter- und transdisziplinären Forschungsprojekt, besticht durch ein frisches Wechselspiel zwischen dichten Texten, den starken Fotos von Marco Volken und – dank QR-Codes zugänglichen – Musikkompositionen von Darija Andovska und Matthias Arter, gespielt vom Ensemble pre-art soloists. Kurz: Da werden die unterschiedlichsten Grenzen gezogen und überschritten, nachvollziehbar nicht zuletzt dank der aufklappbaren Übersicht, darin die Verbindungen zwischen den Themen und zwischen Grenoble und Salzburg sichtbar werden.

Das Thema Grenze an einem genau bestimmten Gebiet und von ganz spezieller Art im 550seitigen Buch «Grenz-Erfahrungen. Schmuggel und Flüchtlingsbewegungen im Fextal und Bergell 1930-1948». Die Staatsgrenze Schweiz-Italien war das Terrain, das es damals zu kontrollieren, zu verteidigen, zu überwinden galt, oft unter Todesgefahr, aus verschiedenen Lebensnotwendigkeiten. Wir hoffen und leiden mit den Grenzwächtern, Schmugglern und Flüchtenden, mit der lokalen Grenzbevölkerung ebenfalls. Mit Zeitzeugenberichten, bisher unbekannten Grenzwachtdokumenten und vielen Fotos sowie Kartenausschnitten veranschaulichen die Kultur- und Literaturwissenschaftler Mirella Carbone und Joachim Jung eindrücklich die Ambivalenzen, die Grenzen innenwohnen. Ein wichtiges Buch aus den Bergen.

Die Grenze an Ort und Stelle markieren und festlegen: Dafür sorgen Grenzsteine seit jeher. Sie bestimmen aber nicht nur den Verlauf, sondern erzählen auch Geschichte(n) mit den Wappen, den Jahreszahlen, ja den Nummern. Der Ingenieur und Historiker Olivier Cavaleri kennt sich mit den Grenzmarkierungen zwischen der Schweiz und ihren Nachbarsländern bestens aus. Auf bergliteratur.ch wurden seine Publikationen immer wieder vorgestellt, zuletzt «Histoire de bornes. La frontière entre le canton du Jura et la France. Balades – découvertes – histoire». Nun ist der Band zu einer eher kurzen Grenze erschienen, nämlich zu derjenigen zwischen Basel-Stadt und Deutschland. «Grenzsteine. Die Grenze zwischen Basel und Deutschland. Wanderungen – Geschichte» stellt mit viel Hintergrund fünf Wanderrouten zwischen Kleinhünigen und Grenzach vor. Besonders interessant ist dabei die Eiserne Hand, ein 1,7 Kilometer langes und maximal 300 Meter breites Landstück der Schweiz, das seit fast 500 Jahren nach Deutschland hineinreicht. Die Grüne Grenze an der Eisernen Hand war in der Vergangenheit Schauplatz vieler Flüchtlings- und Schmuggelvorkommnisse, wie auch während der Corona-Pandemie. Kurz vor der mit mehreren Grenzsteinen markierten Spitze der Eisernen Hand entdeckt man an einer Buche ein halb im Stamm verschlungenes Schild:

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GRENZE
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Anna-Katharina Höpflinger, Daria Pezzoli-Olgiati, Boris Previšić, Marco Volken (Hg.): Grenzgänge – Religion und die Alpen. Theologischer Verlag Zürich, 2024. Fr. 28.80. www.kulturen-der-alpen.ch

Am Donnerstag, 23. Januar 2025, präsentiert das Urner Institut Kulturen der Alpen um 19 Uhr im Zeughaus Altdorf seine Publikation «Grenzgänge. Religion und die Alpen». https://www.kulturen-der-alpen.ch/fileadmin/Bilder/News/Grenzgaenge._Religion_und_die_Alpen/_KDA_Buchpraesentation_Grenzgaenge_2025.pdf

Mirella Carbone, Joachim Jung: Grenz-Erfahrungen. Schmuggel und Flüchtlingsbewegungen im Fextal und Bergell 1930-1948. Institut für Kulturforschung Graubünden, Hier und Jetzt Verlag, Zürich 2024. Fr. 49.-

Olivier Cavaleri: Grenzsteine. Die Grenze zwischen Basel und Deutschland. Wanderungen – Geschichte. BoD, Norderstedt 2024. € 36,00. info@grenzsteine.ch