Aarehöger. Vom Aargrat zum Acheberg

Der neue Wanderführer von Daniel Anker stellt erstmals Gipfeltouren an der Aare vor, von der Quelle durch die Kantone Bern, Solothurn und Aargau bis zur Mündung in den Rhein.

«Beim Anstieg zum Acheberg dann die Idee: ein Buch über die Aaregipfel, vom Oberaarhorn bis zum Acheberg, inkl. Belpberg etc.»

Das notierte ich am 28. Dezember 2022 in mein 38. Tourenbuch. Jetzt liegt das Buch vor: «Aarehöger» heisst es. Am Donnerstag, 21. November 2024, findet die Vernissage statt, im Alpinen Museum ALPS in Bern, von 18 bis 20 Uhr.

Vor knapp zwei Jahren war ich von Tegerfelden über Petersbuck, Hörndli, Ämmeribuck und Acheberg nach Klingnau im untersten Aaretal gewandert. «Und was sehe ich beim Abstieg nach Klingnau: die Berner Alpen in der Ferne und doch ganz nah im Ausschnitt des Tafeljuras, den die Aare geschaffen hat. Überraschend und grossartig. Vielleicht gar kein Zufall…» Jedenfalls der Start zu einer Wandererkundungsreise entlang der Aare, von der Quelle am Oberaargletscher bis zur Mündung in den Rhein bei Koblenz. Wo die wasserreichere Aare ihren Namen verliert. 288 Flusskilometer, 200 wanderbare Gipfel: Es gibt im Durchschnitt rund alle anderthalb Kilometer ein Aareberg – eine verborgene Fluh, eine verratene Burg, einen vergessenen Grat, einen erschlossenen Gipfel, einen erfreulichen Hügel. Kurz: ein Aarehoger, der besucht werden kann.

«Breit und wasserreich strömt die grüne Aare einher.» Das notierte Kurt Marti 1990 in «Högerland. Ein Fußgängerbuch.» Natürlich ging ich auch immer wieder der schönen, grünen Aare nach. Aber mehr eben noch auf die Höger links und rechts von ihr. Mit dabei im so entstandenen Wanderbuch sind Klassiker wie der Niesen, der Belpberg natürlich und die Hasenmatt im Solothurner Jura, unbekannte Ziele wie der Vesuv ob Thun, der Eiau-Hoger am Wohlensee und der Scherzberg bei Habsburg. Insgesamt sind es 35 Gipfeltouren im Berner Oberland, 16 im Mittelland zwischen Thun und Aarau, 19 im Jura der Kantone Bern, Solothurn und Aargau. Mal ein Spazier- und mal ein luftiger Gang, mal ein Waldweg und mal ein Geröllfeld, oft auch im Winter und mal nur im Sommer. Aber immer mit Blick auf den Fluss, der gut zwei Fünftel der ganzen Schweiz entwässert. Einfach aareabwärts ein Höhepunkt nach dem anderen, nun präsentiert mit vielen Geschichten, farbigen Fotos und allen (wander-)touristischen Infos.

Nun wartet ein zusätzlicher Höhepunkt: die Buchvorstellung von «Aarehöger“ im ALPS oberhalb der Aare in Bern. Nach der Vorstellung meines 50. Buches gibt es ein Apéro, mit Aarewasser-Käse, Dauerwürste, hausgemachtem Zopf und Cuvée «va bene» von der Rebbau Spiez Genossenschaft. Denn: «Nur aperölen ist schöner als wandern», so die Bildlegende auf Seite 231.

Daniel Anker: Aarehöger. Vom Aargrat zum Acheberg. 70 Gipfelwanderungen am grössten Fluss der Schweiz. AS Verlag, Zürich 2024. Fr. 42.80

Vernissage «Aarehöger», Donnerstag, 21. November 2024, im Alpinen Museum ALPS in Bern, 18 bis 20 Uhr; Türöffnung um 17.30. https://alps.museum/veranstaltungen/buchvernissage-aarehoger. Eintritt gratis, Anmeldung erwünscht: anker@sunrise.ch.

Einsame Bergspitze in Dortmund

Wintersport im Ruhrgebiet? Aber sicher! Mit einer Ausstellung zum Thema Après-Lift im berühmten Dortmunder U. Und mit der längsten Skihalle der Welt.

«Lost Ski Area Projects (LSAP) bezeichnen Forschungsprojekte, die sich mit stillgelegten und verlassenen Skigebieten befassen. Häufig bleiben in diesen Skigebieten die abgestellten Liftanlagen und geschlossenen Bergrestaurants für Jahre stehen. Dieser Anblick kann etwas Gespenstisches wie etwas wundersam Schönes an sich haben. Viele solcher Lost Places haben einen jahrzehntelangen Prozess durchlaufen: Sie sind mit großen Visionen geschaffen worden, oft sehr persönlichen Träumen entsprungen. Sie haben intensive Planungs- und Aufbauphasen, Krisen und Rettungsversuche hinter sich, bis schließlich die Entscheidung fiel, sie stillzulegen. Das gilt für verlassene Skigebiete in der Schweiz wie für Zechen und Stahlwerke im Ruhrgebiet.»

So begrüsste Dr. Nora Becker die Gäste an der Eröffnung der Ausstellung «Einsame Bergspitze. Lost Places in den Alpen und ihre Menschen» auf der Hochschuletage im Dortmunder U. Die gemeinsam mit Prof. Christoph Schuck vom Institut für Philosophie und Politikwissenschaft der Technischen Universität Dortmund kuratierte Ausstellung zeigt stillgelegte Skigebiete in der Schweiz und rückt dabei die vom Strukturwandel betroffenen Menschen in den Mittelpunkt.

Das Team von Schuck hat in einer Datenbank alle je dokumentierten Skigebiete und einzeln stehenden Tallifte in der Schweiz erfasst – über 40 Prozent sind mittlerweile verschwunden. Gründe dafür sind neben dem Klimawandel auch ein rückläufiger Wintersport-Trend und mangelnde Rentabilität. Wissenschaftlich begleitet wurde die Konzeption der Ausstellung durch das Seminar «Politik und öffentlicher Raum: Einsamkeit und Strukturwandel», in dem sich Studierende mit möglichen Darstellungsformen für das Thema Einsamkeit auseinandergesetzt haben. Zu sehen sind in der Ausstellung unter anderem auch Exponate des Alpinen Museums der Schweiz; ALPS zeigte im Winter 2022/23 «Après-Lift. Skiberge im Wandel». Jetzt sind die einsamen Skiberge also in der Metropole des Ruhrgebietes zu erleben, und das noch bis am Sonntag, 24. November 2024.

Was lesen wir auf der Reise nach Dortmund? Zwei Empfehlungen. Erstens «Das Erbe der Alpen. Was unsere Bergwelt bedroht und warum wir sie retten müssen» von Felix Neureuther. Skifahren konnte er wie kaum ein anderer deutschen Rennläufer. Nun kurvt er zusammen mit Michael Ruhland ebenso elegant und engagiert durch die schwierige und bedrohte Gegenwart der Alpen und zeigt, was besser werden könnte – ja muss. Dazu besuchte Neureuther viele Fachpersonen, um mit ihnen Gespräche zu führen, so beispielsweise zum Thema, ob es nachhaltiges Skifahren überhaupt geben kann. Ausschnitt: «Ich treffe mich Anfang Dezember mit Michael Pröttel am Hausberg in Garmisch-Partenkirchen. Pröttel ist Autor für verschiedene Bergmagazine, selbst leidenschaftlicher Skitourengeher und engagiert sich seit vielen Jahren für die Umweltschutzorganisation ‹Mountain Wilderness› Zuletzt mit einer Aktion an der Talstation des Hausbergliftes, wo er und seine Mitstreiter mit Lebensmittelfarbe in der Nacht ein Peacezeichen auf die Skipiste sprühten, um in den Zeiten der Energie- und Klimakrise ein Mahnmal gegen die Energieverschwendung durch Schneekanonen zu setzen Bis zu 40 Millionen Kilowatt stunden Strom könnten in einer Wintersaison eingespart wer den, wenn nur die bayerischen Skigebiete auf das Beschneien verzichteten Das entspricht in etwa dem Jahresverbrauch von 25 000 Bundesbürgern Als ich ihn auf die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Skisports für meine Heimatgemeinde anspreche, zieht er einen Vergleich, der noch lange in mir nachhallt. ‹Wie bei der Kohle in Nordrhein-Westfalen geht es in vielen Wintersportorten um einen tiefgreifenden Strukturwandel. Skifahren unterhalb von 1500 Metern hat auch mit Schneekanonen keine dauerhafte Chance›, sagt Pröttel und ich weiß, dass er einen wichtigen Punkt trifft.»

Und zweitens «Pouvoir et emprise du sport. Pour une histoire croisée du tourisme et du sport depuis le XIXe siècle». In diesem wissenschaftlichen Reader befassen sich 18 Beiträge zum Thema Macht und Einfluss des Sports. Von den englischen Pionieren des alpinen Skisports im Berner Oberland zu den avantgardistischen Touristen, die mit dem Fahrrad die Straßen Europas erkunden; von den ersten Seilbahnen auf den Gipfeln des Engadins zu den Anfängen der Politik der sportlichen Freizeitgestaltung und der Raumplanung zu touristischen Zwecken; von den Hügeln Québecs zu den Meeresküsten des Finistère: Zu Fuss, auf Ski, mit dem Fahrrad oder dem Auto ausgeübt, kreuzen und begegnen sich Sport und Tourismus im Laufe von zwei Jahrhunderten Geschichte. Caterina Franco erläutert die Pläne für Skistationen am Reissbrett in den französischen und italienischen Alpen in der Zwischenkriegszeit; Grégory Quin deckt auf, wie Milliardäre im Oberengadin Skipisten bezahlten. Claude Hauser zeigt, wie schweizerische Skispuren bis in die Laurentian Mountains reichen. Dagegen nimmt sich die Skigeschichte im Ruhrgebiet bescheiden aus. Immerhin: An der Halde Prosperstrasse in Bottrop wurde die längste Skihalle der Welt gebaut. Die gedeckte Kunstschneepiste ist gut 600 Meter lang und knapp 100 Meter hoch – da lässt sich bei -4° bestens carven. Alles Weitere hier: www.alpincenter.com/bottrop/de/skihalle.

Die Ausstellung «Einsame Bergspitze – Lost Places in den Alpen und ihre Menschen» ist bis zum 24. November auf der Hochschuletage im Dortmunder U zu sehen. Die Ausstellung kann zu den Öffnungszeiten des Dortmunder U besichtigt werden; Montags geschlossen. Der Eintritt ist frei. https://dortmunder-u.de/event/einsame-bergspitze-lost-places-in-den-alpen-und-ihre-menschen/

Felix Neureuther: Das Erbe der Alpen. Was unsere Bergwelt bedroht und warum wir sie retten müssen. Gräfe und Unzer Verlag, München 2023. Fr. 35.90.

Claude Hauser, Gil Mayencourt, Sébastien Cala, Anna Amacher Hoppler (Ed.): Pouvoir et emprise du sport. Pour une histoire croisée du tourisme et du sport depuis le XIXe siècle. Editions Alphil, Neuchâtel 2024. Fr. 39.-

Bündner Mordslandschaften

Eine verdammt kluges und spannendes Buch über die Bündner Krimis – und darüber hinaus zu den boomenden Regional- und Destinationskrimis von Algarve bis Zürich.

«Sie fuhren zur Schatzalp hinauf, setzten sich in die Sonne und genossen zu einem würzigen Kaffee die noch viel würzigere Alpenluft und die Sonne, die mild und warm erstrahlte, als ob es dem Frühling und nicht dem Weihnachtsfest entgegen ginge.
Ein paar Schritte führten sie zur Strelaalp hinauf – und unterwegs begegneten sie dem Skisport in fröhlicher Betätigung. Der Skilift zog die Skifahrer einzeln und in Paaren den steilen Hang empor, bis sie auf der Höhe den Blicken entschwanden. Von der Alp herunter aber kamen sie in elegantem Schuß, sodaß der Schnee in zischenden Wolken zerstob. So sausten sie der Anfangsstation des Skiliftes entgegen…»

Zum Auftakt der Skisportsaison (in Sölden) und zum Wechsel auf die Winterzeit ein sonnig passendes Zitat aus einem Roman, von dessen Existenz ich bis vor ein paar Wochen leider nichts wusste. Nun ergänzt das im Antiquariat Buchfink gefundene Exemplar meine Sammlungen von Skiromanen und Bergkrimis aufs Schönste. «Diamanten auf Parsenn» von Paul Altheer (1887-1959) erschien 1942 im Aehren Verlag in Zürich. Altheer war zuerst Journalist, von 1924 bis 1926 Programmleiter und Sprecher bei Radio Zürich. Dann freier Schriftsteller in Davos, später in Zürich. Seine Komödien und Schwänke in Hochdeutsch und Mundart, seine Gedichtsammlungen, Romane und Krimis behandeln, so das «Historische Lexikon der Schweiz», meist humoristisch oder satirisch das politische und gesellschaftliche Leben der Zeit. In «Diamanten auf Parsenn» suchen Privatdetektiv Bob Scholl und sein jugendlicher Helfer Erich nach sieben dieser kostbaren Edelsteinen, wovon mindestens einer in einer Jacke zwischen dem Weissfluhjoch und dem Strelapass verloren ging – und zufällig entdeckt wurde. Allerdings wollen noch andere Leute die Diamanten mit allen Mitteln finden bzw. wieder haben. Und so geht es hin und her zwischen Davos, Zürich und London. Natürlich spielen auch Frauen mit, was wäre schliesslich ein Skiroman ohne Liebesgeschichte? Zumal sich ja gerade die Skiliftbügel zum Anbandeln bestens eignen. Dumm ist nur, dass Bob zuerst überhaupt lernen muss, auf den Ski zu stehen und nicht gleich umzufallen. Doch die Aussicht auf einen gemeinsamen Cocktail in einer Bar an der Sonne entschädigt für alle Mühen, dito die Aussicht auf die weisse Wunderlandschaft von Davos. Und wir Leserinnen und Leser wären gerne mit dabei. Der Krimi als «heimlicher Fremdenführer».

Diese Charakterisierung fand ich in einem druckfrischen Buch, dessen Lektüre um Seiten spannender ist als so mancher Titel in der heutigen Krimiflut: «Mordslandschaften. Der Krimi in Graubünden» von Thomas Barfuss, Senior Researcher am Institut für Kulturforschung Graubünden. Den Anfang macht ein illustrierter Führer durch acht Bündner Krimiregionen, wobei insbesondere auch romanische Krimis vorgestellt werden; diese kennen wir leider nicht – und können sie ja auch nur lesen, wenn sie übersetzt werden. Bei diesem Gang durch die bündnerische Krimilandschaft begegnete ich den «Diamanten auf Parsenn». Teil zwei von «Mordslandschaften» beschreibt hundert Jahre Krimigeschichte, vom frühen Detektivroman in den mondänen Kurorten bis zu den heute boomenden Regionalkrimis. Dazu diese Zahl: Von 2010 bis 2023 wurden rund 90 Krimis mit Bündner Hintergrund publiziert. Man denke nur an all die Titel von Philipp Gurt; mit der ob Pontresina lebenden Bäuerin und Polizistin Corina Costa hat er eine Ermittlerin geschaffen, die halbelegant zwischen Idylle und Hölle pendelt, zum ersten Mal 2023 in «Mord im Bernina Express», in diesem Jahr mit «Die Tote im St. Moritzersee». Wir dürfen gespannt sein, in welcher berühmten touristischen Bündner Destination Corina im dritten Fall landet. Im dritten Teil seines Buches schaut Barfuss hinter die Kulissen des Regionalkrimis, wo sich Detektiv und Tourist als überraschend nahe Verwandte entpuppen. Kurz: «Mordslandschaften» ist eine Fundgrube und ein findiger Forschungsbeitrag zu einem der beliebtesten literarischen Genres. Man muss Graubünden ja nur mit Provence oder Bretagne austauschen…

Wer neben Krimis auch gerne Publikationen über Krimis liest, sollte zudem zum Herbstheft von «L’Alpe» greifen. Die beste alpine Kulturzeitschrift befasst sich mit «crimes et châtiments», also mit Verbrechen und Strafen. Kapitel widmen sich Ötzi, dem «premier cold case alpin», der Hexenjagd gerade in den Alpen, dem Schmuggel natürlich sowie Bergfilmen mit kriminalistischer Handlung. Eine verdammt spannende Ausgabe.

Spannung versprechen auch die Burgdorfer Krimitage vom 1. bis 10. November 2024: www.krimitage.ch/programm-2024/.

Thomas Barfuss: Mordslandschaften. Der Krimi in Graubünden. Chronos Verlag, Zürich 2024. Fr. 29.-

Am Montag, 28.10.2024, 18 bis 19 Uhr, findet in der Kantonsbibliothek Graubünden in Chur folgende Veranstaltung statt: «Diamanten auf Parsenn». Die frühen Jahre des Bündner Krimis. https://www.myswitzerland.com/de-de/erlebnisse/veranstaltungen/diamanten-auf-parsenn-die-fruehen-jahre-des-buendner-krimis/ Eintritt frei. Anmeldung erforderlich: info@kbg.gr.ch.

Crimes et châtiments. L’Alpe, N° 106, automne 2024. Éditions Glénat Grenoble. Fr. 26.-

Val Verzasca

Ein Buch, ein Projekt und eine Ausstellung zur verlorenen Berglandwirtschaft in einem der stotzigsten Täler des Tessins.

«Itinerario affascinante, ma per esperti; piuttosto imboschito nella parte inferiore. Si studi bene il percorso anche dal basso.»

Noch viel wichtiger ist es allerdings, die Wegbeschreibung genau zu lesen und auch die Fotos anzuschauen, wenn wir von Brione Verzasca aus das verlassene Rustico von Gasg schier senkrecht über dem Dorf besuchen wollen. Ein Ort am Ende der Welt, obwohl mitten in diesem berühmten Tal des Tessins gelegen, das im Sommer von Touristen geflutet wird. Doch wird sich wohl kaum jemand dort hinauf verirren; auf der Karte ist ja auch kein Weg eingezeichnet. Deshalb: Genau den Wegverlauf studieren und sicher sein, dass man die Wanderschwierigkeit T5 meistern wird. Aber keine Angst: Es gibt noch viele andere unvergessliche Alptouren im Val Verzasca, leichtere – und schwierigere.

Chiara und Giuseppe Brenna beschreiben sie im dicken Buch „Alpi di Val Verzasca“: insgesamt 157 Routen zu 247 Alpsiedlungen, mit 39 Karten und 738 Fotos. Eine unglaubliche Arbeit, um all diese mutigen Wege und architektonischen Bauten zu dokumentieren, diese so eindrücklichen Zeugen einer verlorenen Agrarwirtschaft. Der Band zu den Alpen im Verzascatal ist der achte in der Reihe „Sui sentieri dei padri“; eine ganz verdienstvolle Reihe, die uns ein Ticino näher bringt, das sich meilenweit vom Lido von Ascona versteckt.

Das Ehepaar Brenna ist nicht allein bei der Erforschung der ehemaligen Berglandwirtschaft im Val Verzasca. Das macht ebenfalls Christian Besimo, der vor 45 Jahren die Initiative Verzasca Etnografica gegründet hat. „Das Ziel von Verzasca Etnografica ist eine möglichst umfassende Bestandesaufnahme noch vorhandener Strukturen der halbnomadischen Vielstufenwirtschaft im Verzascatal. Die dafür aufgebaute Datenbank wird der Forschung und Wirtschaft sowie einem nachhaltigen Tourismus zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise soll der bedrohten Kulturlandschaft ihre Stimme zurückgegeben und Anreize für Projekte geschaffen werden, diese lebendig zu erhalten.“ Das lesen wir hier: www.syntopia-alpina.ch/beitraege/von-alten-wegen-weiden-und-siedlungen-ethnographische-forschung-im-verzascatal. Einen Einblick in die ethnographische Forschung gibt zudem die Ausstellung «Osservare per caprire» im Museo di Val Verzasca in Sonogno. Sie ist noch bis zum 27. Oktober offen, von Dienstag bis Sonntag, 11 bis 16 Uhr. Und dann wieder im Frühling 2025; www.museovalverzasca.ch. April dürfte eine gute Zeit sein, um von Brione Verzasca über Gasg hinauf nach Tenc di Fuori zu gehen bzw. zu kraxeln; einfach bevor die Vegetation überhand nimmt.

Chiara e Giuseppe Brenna: Alpi di Val Verzasca. Collana “Sui sentieri dei padri”, vol. 8. Salvioni Edizioni, Bellinzona 2024, Fr. 45.-

Auf nach der Lenk!

Klein und chic: das Literaturfestival an der Lenk im Simmental. Wir packen den Rucksack mit alter und neuer Bergliteratur.

«Am andern Morgen – leider nicht ganz so früh, wie ich mir’s vorgenommen – ging ich über den Paß der Hahnenmöser nach der Lenk. In der Bundesstadt soll an jenem Julitag und auch noch an den folgenden, wie mir Briefe meldeten, die Hitze beinahe unerträglich gewesen sein. Selbst in dieser Höhe wurde sie mir, besonders später beim Abstieg, ziemlich beschwerlich. Der Aufstieg aber geht, namentlich am Anfang, längere Zeit durch schöne Tannenwaldungen. Und eines auch ist dem führerlosen Wanderer höchst angenehm: wie alle Wege um Adelboden herum ist auch dieser mit Farbe markiert; die farbigen Striche sind bald an Wettertannen, bald an den die Viehweiden absperrenden Zauntürchen oder endlich auf großen Steinen so ausgiebig angebracht, daß es, bei Tageslicht wenigstens, eine Kunst wäre, sich zu verlaufen.»

Wir werden also den Weg in die Lenk finden, am verlängerten Wochenende vom 11. bis 13. Oktober, und unter zu heissen Temperaturen wie einst Joseph Viktor Widmann (1842–1911) werden wir kaum leiden. Seine Wanderung über den Hahnenmoospass ist enthalten im Buch «Du schöne Welt! Neue Fahrten und Wanderungen in der Schweiz und in Italien» (1907). Den Widmann werde ich mitnehmen an meine Eröffnungslesung «Der Wildstrubel ruft» von «LiteratureLenk. Der Röstigraben n’existe pas». Am bilingualen Literaturfestival im Hotel Kreuz an der Lenk im Simmental werden unter anderen ebenfalls auftreten: Angelika Waldis mit «Berghau» (mehr dazu hier: https://bergliteratur.ch/vom-alten-chalet-zum-berghau/) und Fanny Desarzens mit «Galel» (https://bergliteratur.ch/bergromane-von-ruhigen-maennern-und-regen-frauen/).

Im Folgenden vier neue Bergromane, die wir auf der Fahrt an die Lenk lesen könnten. Im ersten fragt die Tochter Suki ihren Vater Norman während des Skiurlaubs im berühmten Hotel Schatzalp oberhalb von Davos beim Après-Ski:

«Also, ich will das jetzt wissen: Was schreibst du gerade für ein Buch? Erzähl ein bisschen.»
«Eins ohne Drogen», antwortete ich spontan. «Oder so gut wie ohne.»
«Um was geht’s dann?», hakte sie nach.
«Darum, wie Thomas Mann seinen Davos-Aufenthalt von der Steuer abgesetzt hat.»
«Häh?», entgegnete sie. «Versteh ich nicht.»
«Um das Ende der Moderne geht’s. Den Abschluss einer Ära. Also unserer gegenwärtigen Lebensweise.»
«Fühl ich nicht so. Kommen wieder Nazis drin vor?»
«Ja», sagte ich.
«Dann verkauft sich’s», sagte Suki. «Heidi oder Nazi, das geht immer.»

Starker Dialog in Norman Ohlers «Der Zauberberg, die ganze Geschichte». Der halbfiktionale Bericht über eine knappe Familienskiwoche in Davos, die der Vater dazu benutzt, um die Tourismus-, Wirtschafts- und Literaturgeschichte des einst unbekannten Ortes in den Bündner Alpen zu recherchieren, insbesondere natürlich diejenigen der Tuberkulose, des berühmtesten Romans, der Erschiessung des Obernazis Gustloff, des WEF und nicht zuletzt des Skifahrens, also des Sportes, dem langsam die Grundlage wegschmilzt. All das ist ja nicht ganz neu, doch elegant formuliert und noch eleganter in den eigenen Urlaub mit Tochter und Freunden eingewoben, dargelegt in sieben Kapiteln und unterlegt mit 14 zeitgenössischen SW-Fotos, Bibliografie und Anmerkungen. Nur im letzten Kapitel, nicht zufällig mit «Schnee» überschrieben wie das tiefgründige «Schnee»-Kapitel in Thomas Manns «Zauberberg», überzeugt das Sich-Fortbewegen nicht Schritt für Schritt – absichtlich vielleicht: Dort ist es die Skitour, die man sich, wie von Mann beschrieben, nicht recht vorstellen kann (aber der Autor stand ja auch nie auf Skis), hier sind es der Steinschlag und das Murmeltier am verschneiten Aufstieg von der Schatzalp zum Strela-Gipfel. Trotzdem: Wer durch den «Zauberberg» von 1924 gestiegen ist, wird denjenigen von 2024 locker mitnehmen; wer nicht, erst recht.

Wir wechseln von einem berühmten Ort zum andern. Dort steht auch ein Zauberberg, vielleicht gar derjenige mit den meisten Klicks überhaupt:

«Die Bahn schlängelte sich durch verschneite Landschaften nach oben und jedes Mal, wenn das Matterhorn ins Blickfeld geriet, wurden Kameras und Handys gezückt. Woran lag es, dass der Berg eine solche Anziehung ausübte, eine Faszination, der auch ich mich nicht entziehen konnte? War es die markante Pyramidenform? Die Unverkennbarkeit?»

Erst recht nicht Oliver, ein junger US-Amerikaner, der im Roman «Wendeschleife» von Regula Portillo mit einem Interrail-Ticket in Europa unterwegs ist. In Bern übernachtet er bei Anna, die in einem Alterspflegeheim arbeitet, gerne reist und Reisenden regelmässig ihr Sofa als Übernachtungsgelegenheit zur Verfügung stellt. Oliver und Anna verstehen sich auf Anhieb gut, doch dann kehrt er von einem Ausflug nach Zermatt nicht mehr zurück. Die Tage verstreichen ohne eine erlösende Nachricht und Annas Sorge um ihn wächst. Was ist geschehen? Anna entschliesst sich dazu, Oliver bei der Polizei als vermisst zu melden. Wir nehmen an der Suche teil, wissen aber eigentlich schon bald, dass er nicht mehr auftauchen wird. Aber war Oliver überhaupt in Zermatt. Um nicht die ganze Geschichte erzählen zu wollen: Er war auf dem Weg zum Matterhorn, mit einer Karte im Massstab 1:300 000. Da kann man sich schon verlaufen. Aber möglichweise wollte er sich auch verschlaufen. Anna kommt Oliver immer näher, zum Glück ebenfalls Samuel.

Was wäre ein Bergroman ohne Liebesgeschichte? Das gilt auch für folgendes Werk. Doch bevor sie passiert, sagt einer der vier Alpinisten, die erstmals die 4000 Meter hohe Wand eines Achttausenders durchsteigen wollten:

«Der Berg mag uns wirklich nicht!»

Es wäre durchaus möglich gewesen, dass keiner von ihnen diesen Satz nach dem Rückzug aus der Wand noch hätte aussprechen können. Gregor war es so ergangen, an einem anderen Gipfel im Himalaya, An einem Höhenödem starb er, im Zelt neben Karl, der Hauptfigur in «Karls Wiederkehr. Ein Bergroman» von Rudolf Alexander Mayr. Ein «poetischer Thriller», wie der Klappentext wegweist, ist das Werk nicht. Doch eine durchaus spannende Story eines Extrembergsteigers (aus dem Tirol), der mit Gebirgswänden und Gegenwind besser zurechtkommt als mit Gefühlen und Geknicktwerden. Kann die Flucht in die Vertikale andauernd die Lösung sein? Theresa hätte eine Wendeschleife sein können. Wenn Karl den Knoten geöffnet bzw. das Öffnen zugelassen hätte.

Oder, um ein anderes Bild aufzunehmen: Sie hätte ihm den Weg über den Berg wohl gewiesen. Hinab ins Tal. «Giú nelle valle» heisst der neue Roman des italienischen alpinen Starautors Paolo Cognetti; vor drei Wochen ist er auch auf Deutsch erschienen. «Unten im Tal» also: In die Lenk steigen wir vom Hahnenmoospass ab, zusammen mit Joseph Viktor:

«Die Aussicht auf das obere Simmental und vor allem auf Weißhorn, Räzligletscher und noch viele andere Berggipfel war überwältigend schön. Dazu der unbeschreiblich reiche Frühlingsblumenflor der Bergwiesen! Nur die Erwägung, beim Hinabsteigen an der glühend heißen, weil der Nachmittagssonne zugewandten Bergfläche würden diese Blumenkinder doch bald verschmachten, hielt mich zurück, ganze Sträuße zu pflücken. Auch von Alpenrosen breche ich nie mehr als eine für den Hut und eine ins Knopfloch, gleichsam die Bescheinigung, ich sei ‹droben› gewesen.»

Josef Viktor Widmann: Du schöne Welt! Wanderungen und Reisen in Italien und der Schweiz. Huber Verlag, Frauenfeld 1907. Neu herausgegeben von René P. Moor. Edition Wanderwerk, Burgistein 2017. Fr. 26.–. Erhältlich bei www.wanderwerk.ch.

Norman Ohler: Der Zauberberg, die ganze Geschichte. Diogenes Verlag, Zürich 2024. Fr. 34.-
Regula Portillo: Wendeschleife. Edition Bücherlese, Luzern 2024. Fr. 28.-
Rudolf Alexander Mayr: Karls Wiederkehr. Ein Bergroman. Tyrolia Verlag, Innsbruck 2024. € 24,00.
Paolo Cognetti: Unten im Tal. Penguin Verlag, München 2024. € 24,00.

LiteratureLenk. Der Röstigraben n’existe pas. 11.-13. Oktober 2024. «Der Wildstrubel ruft»: Daniel Anker liest aus Werken von Peter Bratschi, Helene Eichler, Christoph Frommerz, Thomas M. Hinchliff, Rudolf Jakob Humm, Susy Maync, natürlich Widmann und anderen am Freitag, 11. Oktober, um 16 Uhr im Hotel Kreuz. www.kulturlenk.ch/de/literaturlenk/programm

Albert Mountain Award

Auszeichnung für eine Spitzenalpinistin und Kletterpädagogin, einen Kulturwissenschaftler sowie für Afrikas führende Nichtregierungsorganisation für Berggebiete. Zum dritten Mal findet die öffentliche Verleihung des Albert Mountain Award im ALPS, dem Alpinen Museum der Schweiz, in Bern statt. Passend dazu ist das Buch der King Albert I Memorial Foundation aktualisiert und in neuem Kleid erschienen.

«En revenant d’Italie, je passerai à St-Moritz vers le 30 juin, juillet, et j’espère beaucoup vous revoir à cette occasion. Peut-être aurais-je le temps de faire une course.»

Das schrieb der belgische König Albert I. am 10. Juni 1931 in einem Brief an Walter Amstutz. Die beiden hatten sich im Januar 1929 bei einem Skirennen in Mürren kennengelernt und angefreundet. Von 1929 bis 1938 war Amstutz Kurdirektor von St. Moritz. Im Engadin hatte der 1875 geborene Albert der Erste 1905 zum Bergsteigen und Klettern gefunden, eine Passion, die ihm das Leben kostete. Der König stürzte am 17. Februar 1934 in Marche-les-Dames bei Namur (Belgien) ab. Walter Amstutz seinerseits gründete 1993 die King Albert I Memorial Foundation zu Ehren seines ehemaligen Tourengefährten. Die in Zürich eingetragene Stiftung zeichnet Personen oder Institutionen aus, die sich durch ihre Leistungen in einem Bereich, der mit den Bergen im Zusammenhang steht, herausragende und nachhaltige Verdienste erworben haben. Der Albert Mountain Award wird alle zwei Jahre vergeben. Nun ist es wieder soweit.

Der Albert Mountain Award 2024 geht an die Bündner Spitzenkletterin Nina Caprez, die mit ihrem sozialen Projekt «Andrea» Sport und Unterstützung in ärmste Regionen der Welt bringt, an Werner Bellwald, Schweizer Historiker und Ethnologe, der sich auf die alpine Kulturlandschaft spezialisiert hat und im Lötschental das Sperrmüllmuseum betreibt, sowie an die Nichtregierungsorganisation ARCOS, die den Naturschutz und nachhaltige Entwicklung in der Albertine Rift Region, einer Gebirgsregion Zentralafrikas, fördert.

Am Donnerstag 26. September 2024, ist Nina Caprez für einen Filmabend zu Gast im Alpinen Museum in Bern. 2020 gründete sie mit ihrem Partner, dem Fotografen Jérémy Bernard, das Projekt «Andrea»: Mit einer mobilen Kletterwand reisen die beiden in Lager für Geflüchtete und andere benachteiligte Gebiete und wollen Menschen die Möglichkeit geben Sport zu erleben. Ihr gemeinsamer Film «Andrea. Abenteuer ins Ungewisse» ist eine Art Roadmovie und führt uns in entlegene Bergregionen Marokkos. Der Film zeigt die junge Familie voller Abenteuerdrang und Begeisterung fürs Klettern, offenbart aber auch Ängste, Zweifel und ungeahnte Herausforderungen. Am Freitag stellen die drei PreisträgerInnen ihre Arbeit und Projekte im ALPS vor, gefolgt von der Preisverleihung. Die beiden Veranstaltungen sind öffentlich.

Ein volles Programm also. Das hatte auch le Roi alpiniste im Sommer 1931. Am 24. Juni  hatte der König Brüssel verlassen, um mit Xavier de Hemricourt de Grunne, Generalsekretär des Belgischen Alpenvereins von 1928 bis 1938, unter der Leitung des Bergführers Angelo Dimai in den Dolomiten zu klettern. Die vierte Klettertour war die Roda di Vaèl am 30. Juni. Am 1. Juli kamen Albert I. und de Grunne in St. Moritz an. Am 2. Juli stiegen sie mit Walter Amstutz und Pierre von Schumacher von Maloja zur Capanna del Forno, am nächsten Tag auf die Cima del Largo (3187 m) in den Bergeller Alpen.

Klettern und Engagement: Film und Gespräch mit Nina Caprez im Yehudi Menuhin Forum vis-à-vis ALPS. Do, 26.09.2024, 18.30 Uhr. Eintritt Fr. 20.- https://alps.museum/veranstaltungen/andrea-ein-abenteuer-ins-ungewisse

Verleihung des Albert Mountain Award:  ALPS, Freitag, 27.9.2024. 14 – 16 Uhr: Die PreisträgerInnen 2024 im Gespräch; 16 – 17 Uhr: Apéro mit Spezialitäten aus den Ländern der Award Winners; 17.30 – 18.30: Albert Mountain Award Ceremony. Die Veranstaltung ist gratis. https://alps.museum/veranstaltungen/albert-mountain-award

Weitere Informationen auf www.alps.museum und alle bisherigen PreisträgerInnen auf www.king-albert.ch.

King Albert I Memorial Foundation: 136 seitige, reichhaltig illustrierte Publikation zum belgischen Kletterer und König Albert Ier mit allen Gewinnern des Albert Mountain Award seit 1994. Erhältlich im ALPS für Fr. 20.- (plus Porto) bei raphaela.bigler@alps.museum.

Alle «Bücher der Woche» unter: www.bergliteratur.ch

Mit Sojer am Berg

Am 17. September feierte Reinhold Messner seinen 80. Geburtstag. Natürlich taucht er auch auf im jüngsten Werk des alpinen Starcartoonisten Georg Sojer.

«Die äußerst leistungsfähige und höhenangepasste Gattung des ‹Homo everestus uelimoro extremis› stammt in direkter Linie vom ‹Klassischen Everestbezwinger› (lat. homo everestus hillaris edmundus) ab, wobei die entscheidenden evolutionären Impulse die O2-tolerante Zwischengattung ‹Homo everestus reinholdis› setzte.»

So die Beschreibung des «Extremen Höhenbergsteiger» auf einer der Roten Listen, die der bekannteste deutsche alpine Cartoonist Georg Sojer in «Auf den Berg gekommen!» zwischen seine Zeichnungen gesetzt hat. Andere Listen mit gefährdeten Arten betreffen die Bergsteiger-Kniebundhose (lat. lodera bunderus alpina), die Hüttengaudi oder die Höhlenfledermaus, deren Weiterbestand durch Drytooler gefährdet ist; immer mit Beschreibung und Vorkommen, wie ein Lexikoneintrag sein muss, illustriert selbstverständlich mit einer der charakteristischen Zeichnungen von Schorsch.

Man kennt ihn, den Sojer. Sein Markenzeichen sind die grossen Nasen, «mit ihnen ist er zu einer Institution in der Kletter- und Bergsteigerszene geworden», wie es im Vorwort zu seinem jüngsten Werk heisst. Seine Cartoons finden sich regelmässig in alpinen Zeitschriften wie in Lehrbüchern zu Ausbildung, Bergrettung und Alpinpolizei. Weil es seine Zeichnungen immer auf den Punkt bringen, um was es ging, geht oder gehen sollte, mal nett, mal böse, aber halt treffend, erst recht in unserer Zeit, wo der Bergsport boomt, draussen und drinnen, am Laptop so heftig wie an glatter Wand. Am Schluss des Buches hockt ein cooler Typ am Pult, die eine Hand voll Chips, die rechte am Glas Vino rosso, eine Kippe im Mundwinkel und ein Ohrring mit einem Felshaken, in der Sprechblase die Erkenntnis: «Also diese Tourenplanung am PC ist schone eine praktische Sache: Nach all den Jutiub-Videos, den Gugelmäps-Infos, Wand- und Zustiegsfotos, Erlebnisberichten, Forumsbeiträgen und Echtzeitflügen durch die 3D-Landkarten kenn‘ ich die Tour schon in- und auswendig… da brauch ich überhaupt nicht mehr raus und kann gemütlich ausschlafen!»

Schöne Aussichten, nicht wahr? Für den «Homo everestus uelimoro extremis» sieht es hingegen etwas düster aus, wie Georg Sojer meint: «Er wird sich wohl auf abgelegene Gebiete zurückziehen und, ähnlich dem ‹Yeti› (lat. ursus fatamorganis messneri), nur noch sehr selten zu beobachten sein.»

Georg Sojer: Auf den Berg gekommen! tmms-Verlag, Hergensweiler 2024. Fr. 21.- Erhältlich bei www.pizbube.ch und hier: https://tmms-shop.de/kletterfuehrer/1884-auf-den-berg-gekommen-9783945271865.html

Der Tödi ruft

Am 1. September 1824 wurde der Piz Russein, der höchste Glarner Berg, zum ersten Mal bestiegen. Für die Glarner von der falschen Seite, denn ihr Berg heisst Tödi.

Jedesmol, wenn i de Tödi aaluege
tänk i: E cheibe schöns Bild.
Und mängisch han i sogar s Gfühl,
das en d Wulche schtreichled,
will er so schön isch.
Chönntsch fascht yfersüchtig werde.

In diesem Jahr, und besonders am Sonntag, 1. September 2024, wird der 1954 in Brugg geborene Glarner Dichter Richard Knecht, vielleicht noch eine Spur eifersüchtiger geworden sein. Weil der Tödi nicht nur von Wolken gestreichelt wurde und wird, sondern auch von Texten, Gesängen, Veranstaltungen, Filmen usw. Denn vor 200 Jahren wurde der höchste Glarner Gipfel erstmals bestiegen. Allerdings nicht von der Glarner Seite her, sondern aus dem Bündnerland, wo der Gipfel Piz Russein (3612 m) heisst. Doch lassen wir den Initiator der Besteigung, den Disentiser Klosterbruder Placidus a Spescha, gleich selbst erzählen. Der Erstbesteiger des Rheinwaldhorns und des Oberalpstocks wollte unbedingt auch auf den höchsten Gipfel der Surselva; beim sechsten Mal klappte es, leider nicht für ihn, damals 71 Jahre alt:

«Den 1. des September 1824 wagte ich den noch nie erstiegenen Piz Russein zu ersteigen. Die Gemsjäger aber, die zur Mitersteigung bestellt waren, konnten nicht zeitlich genug versammelt werden, folglich musste das Nachtlager, welches unter dem Crap Glaruna hätte eingenommen werden sollen, um den Aufstieg zu verkürzen, bei der unteren Hütte der Alp Russein von Trons, wo das Vieh lagerte, eingenommen werden. Bei der oberen Hütte der Alp entschloss ich mich zu verbleiben; denn die Ersteigung des Bergs schien mir zu beschwerlich. Demnach schickte ich die Jäger: Placi Curschellas von Trons und Augustin Bisquolm von Disentis dahin und beobachtete ihre Hinreise. Wir – mit mir Carli Cagenard von Trons, mein Diener – sahen ihre Auf- und Abfahrt mit an. Nächst dem Fussglätscher westlich stiegen sie über die Mitte der Felsen des Bergs hin aus, lenkten zur Linken, um dessen westlichen beschneiten Rücken zu erreichen und so gelangten sie auf den Berggiebel um elf Uhr.»

Der Erstbesteigungstext von Placidus a Spescha ist abgedruckt in der neuen, vom Glarner Schriftsteller Perikles Monioudis herausgegebenen Publikation «Mein Tödi. Ein Lesebuch». Und zwar im ersten Beitrag des grossen Tödi-Kenners Emil Zopfi; er heisst «Die Speckschwarte auf dem Piz Russein – Die Erstbesteigung des Tödi, eine rätselhafte Geschichte». Weil die beiden Erstbesteiger auf dem verfirnten Gipfel des Tödi keine Steine zum Bau eines Steinmanns fanden, als Beweis ihrer Besteigung, vergruben sie eine Speckschwarte.

31 Beiträge hat Monioudis in sein Lesebuch aufgenommen, klassische wie von Karl Kraus und Meinrad Inglin, moderne wie von Vreni Stauffacher und Judith Arlt. Gleich anschliessend an Richard Knechts Gedicht «De Tödi» befasst sich der Glarner Claudio Landolt in seinem Originalbeitrag mit der «ChatGPTödi»; Ausschnitt:  

Wer hat den Tödi eigentlich zuerst bestiegen?
– Die Erstbesteigung des Piz Tödi erfolgte am 8. August 1863 durch den Engländer Leslie Stephen und die Schweizer Führer Anton and Johann Gross. Die Gruppe erreichte den Gipfel über die Nordwestflanke des Berges.
Aber wenn wir dieses Jahr die 200-Jahre-Erstbesteigung feiern, müsste doch schon 1824 jemand den Tödi bestiegen haben, nicht?
– Es tut mir leid. Die Erstbesteigung des Piz Tödi fand tatsächlich am 19. August 1863 statt, nicht im Jahr 1824. Somit wäre die Feier zum 200-jährigen Jubiläum der Erstbesteigung im Jahr 2063 und nicht bereits im Jahr 2024.

Perikles Monioudis (Hrsg.): Mein Tödi. Ein Lesebuch. AS Verlag, Ziegelbrücke 2024. Fr. 29.90

Buchvernissage: Samstag, 21. September 2024, 16.00 Uhr, Linthkraft Stiftung an der Klausenstrasse 1 in Linthal. Apéro, Eintritt frei. Alle Veranstaltung und Hintergrundgeschichten zum Tödi-Jubiläum hier: https://glarnerland.ch/de/glarnerland/200-jahre-erstbesteigung-toedi.html

Bertilla Giossi von der Redactura Cuntrasts von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha hat einen ganz starken, zweiteiligen Film zu 200 Jahre Erstbesteigung Tödi gemacht:

https://www.rtr.ch/play/tv/cuntrasts/video/il-toedi-dus-teams—duas-ascensiuns—ina-finamira-part-2?urn=urn:rtr:video:6c60f87c-82c7-4ac5-92d7-e47efa674bd1

https://www.rtr.ch/play/tv/cuntrasts/video/il-toedi-200-onns-primascensiun—istorgia-ed-istorgias-part-1?urn=urn:rtr:video:4f154460-4cdb-4174-8b37-e7215b67497f

Pyrenäenwanderer

Ein Alpenwanderer hat die Pyrenäen entdeckt und durchquert. Nur lesen ist schöner als weitwandern.

«Die sportliche, künstlerische und literarische Bewegung ‹Pyrénéisme› entstand im achtzehnten Jahrhundert und erreichte im neunzehnten ihren Höhepunkt. Laut dem Kunsthistoriker Henri Beraldi bestand das Ideal eines Pyrenäisten darin, gleichzeitig zu klettern, zu schreiben und zu fühlen. Die Bezeichnung ‹Pyrénéisme› verwendete er erstmals 1898 in seinem Werk ‹Cent ans aux Pyrénées›. Die Bewegung gehe auf den elsässischen Geologen, Botaniker und Politiker Louis Ramond de Carbonnières zurück, der 1789 seine ‹Observations faites dans les Pyrénées› veröffentlicht hatte.»

Dass sich ein bekannter Alpenwanderer an den Pyrenäismus anknotet, mag nur auf den ersten Blick erstaunen. Denn wer das berühmteste und bestbesuchte Gebirge Europas wie seinen Rucksack kennt, wird bei der Durchquerung des südeuropäischen Schwestergebirges der Alpen so viel Gemeinsames wie Verschiedenes entdeckt haben. Im Sommer 2023 wanderte Dominik Siegrist durch die Pyrenäen – vom Atlantik bis zum Mittelmeer. Nun liegt sein Buch vor: «Pyrenäenwanderer. Eine dokumentarische Fußreise vom Atlantik zum Mittelmeer».

Dominik Siegrist, Jahrgang 1957, ist Geograf und Landschaftsplaner und wirkte während 30 Jahren als Lehrer, Forscher und Berater im eigenen Beratungsbüro und an der Hochschule für Technik in Rapperswil (heute OST). Weitwanderer ist Siegrist ebenfalls. 1992 wanderte er mit sechs Freunden von Wien nach Nizza: Im Zentrum der intensiven Erkundungsreise zu Fuss unter dem Namen TransALPedes standen die Dokumentation und die Information über die Situation im Alpenraum und die Vernetzung jener Gruppen, Einzelpersonen und Behörden, die sich gegen die fortschreitende Zerstörung des Lebensraums Alpen zur Wehr setzten. 25 Jahre später wiederholte Siegrist die Durchquerung, diesmal hiess sie „whatsalp“. Das Buch dazu publizierte der Haupt Verlag: «Alpenwanderer. Eine dokumentarische Fußreise von Wien nach Nizza». Im Jahr 2021 war Siegrist Mitinitiant der thematischen Weitwanderung «Klimaspuren» durch die ganze Schweiz.

Und jetzt also die Pyrenäen, die 430 km lange Bergkette zwischen Atlantik und Mittelmeer, zwischen Frankreich und Spanien mit dem Kleinstaat Andorra mittendrin. In 80 Tagen wanderte der Alpenwanderer rund 1000 km vom baskischen Donostia zum katalonischen Portbou. Und beschreibt nun eindringlich die so einzigartigen wie vielfältigen Natur- und Kulturlandschaften zwischen den beiden Meeren. Farbfotos zeigen zudem, wie schön und spannend die Pyrenäen sind, ihre Gipfel, die Dörfer, die Wanderwege und überhaupt. Einzig die Vorsatz-Karte dürfte etwas ausführlicher sein, damit man noch besser lesend mitwandern kann. Wer nun aber die Tour als Pyrenäist erleben möchte, wird eine detaillierte Liste der Tagesetappen und Übernachtungsorte von PirPedes auf www.alpenwanderer.ch finden.

Dominik Siegrist: Pyrenäenwanderer. Eine dokumentarische Fußreise vom Atlantik zum Mittelmeer. Haupt Verlag, Bern 2024. Fr. 29.80

Buchvernissagen:
Mittwoch, 11. September 2024, 19.15 Uhr, Haupt Verlag, Falkenplatz 14 in Bern, Eintritt frei, inkl. Apéro; Anmeldung bis zum 5. September 2024 an presse@haupt.ch.
Donnerstag, 12. September 2024, 20.15 Uhr bis 21.45 Uhr, Transa, Europaallee, in 8005 Zürich; Eintritt Fr. 10.-

Von Goethe zu Bratschi

Bücher und Veranstaltungen zum Thema Stadt & Berge. Zum Beispiel am Sonntag, 1. September, mit der Lenk im ALPS in Bern.

«Eben da ich so schrieb, sah ich durch die Schornsteine, dass die Sonne unterging, und ich lief schnell auf die Terrasse hinter dem Münster. Sie war schon untergegangen und an den Schneebergen stand noch das Rot, und der Mond oben darüber, du kennst den Anblick. Adieu.»

«Weisst du, was ich am letzten Sonntag unternommen habe? Ich war draußen vor der Stadt. Dort liegt ein Hügel. Von da habe ich lange hinübergeschaut zu den Bergen, die silberweiß herüberschimmerten. Nein, daß es so was gibt, mußte ich mir immer wieder sagen. Zu Hause habe ich die Berge nie so schön gesehen.»

Die Berge, von der Stadt aus gesehen. Immer wieder ein sehr erfreulicher Anblick. Gerade in Bern. Die hohen Eis- und Felsgipfel am Horizont machen schon was her, von Herbst bis Frühling noch mehr als im Hochsommer, wenn in der Eigernordwand auch das Zweite Eisfeld und die Weisse Spinne einfach schwarz sind.

Das erste Zitat stammt von Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), das zweite von Peter Bratschi (1886–1975). Goethe – am 28. August 2024 wird sein 275. Geburtstag gefeiert – machte auf seiner zweiten Schweizer Reise Mitte Oktober 1779 einen mehrtägigen Zwischenhalt in Bern. In einem Brief an den Darmstädter Schriftsteller Johann Heinrich Merck schilderte er kurz die Tour durchs Berner Oberland und blickte von der Münsterplattform auf die Alpen zurück. Abgedruckt ist der Brief in der zweibändigen Publikation «Goethes Schweizer Reisen». Damit können Goethe-Liebhaber, Schweiz-Reisende und Wanderfreundinnen die Wege des berühmten Dichters durch Helvetien neu erleben. Band I präsentiert seine drei Schweizer Reisen sowie die Rückreise von Italien anno 1788 in chronologischer Reihenfolge und bietet einen genauen Einblick in seine Eindrücke und Erlebnisse. Band II ermöglicht es, Goethes Wegen heute nachzuwandern. In Bern zum Beispiel vom Bahnhof via Münsterplattform zum Rosengarten und dann via Schosshaldenfriedhof, wo es einen künstlichen Hügel mit schönem Alpenblick gibt, und Ougsburgergut zum Zentrum Paul Klee. Zusätzlich zur fein illustrierten Printausgabe im Schmuckschuber steht Interessierten die Website «Goethe in der Schweiz» (www.goethe-schweiz.ch) zur Verfügung. Hier können im Unterkapitel «Reisen» weitere Quellen und Texte eingesehen werden, welche die Edition ergänzen. Dazu gehören insbesondere die Briefe aus der Schweiz, die im Buch nur auszugsweise abgedruckt, aber auf der Website als Ganzes zur Verfügung gestellt sind. Und aktuell wie der runde Geburtstag: Am 24. August 2024 eröffnete Gabriele Boner, die Botschaftsrätin der Deutschen Botschaft in Bern, in Hospental den von Sasso San Gottardo lancierten Themenweg «Mit Goethe am Gotthard».

Goethe war nicht nur Schriftsteller, sondern auch Politiker. Das gilt ebenfalls für den in Matten bei der Lenk geborenen und in Bern verstorbenen Peter Bratschi. Er war Gewerkschafter, SP-Grossrat, Vorstandsmitglied der Radiogenossenschaft Bern und eben Schriftsteller, mit acht Novellen- und Romanbänden, je sechs Gedichtsammlungen und Theaterstücken sowie politischen Schriften. Vom Sonntagsausflug auf den Hügel am Berner Stadtrand erzählt Rosy im Gespräch mit Toni; sie sind die Hauptfiguren in «Nacht über den Bergen. Dramatische Bilderfolge». Die Uraufführung ging am 26. Februar 1934 im Stadttheater Bern über die Bühne. Toni und Rosy suchen das Glück in der Stadt, kehren nach einiger Zeit aber enttäuscht in die Berge zurück: «Es ist eine eigene Sache um die Berge. Die lassen sich nicht wegwerfen wie ein alter Hut.» Peter Bratschi wird eine wichtige Rolle spielen an der Eröffnungslesung «Der Wildstrubel ruft» von «LiteratureLenk. Der Röstigraben n’existe pas». Das erste bilinguale Literaturfestival findet vom 11. bis 13. Oktober 2024 im Hotel Kreuz an der Lenk im Simmental statt; www.kulturlenk.ch/de/literaturlenk/programm

Doch vorher steigt Lenk nach Bern hinab: «Lenk isst und liest. Literarischer Brunch im Restaurant las alps» am Sonntag, 1. September 2024, von 10 bis 14 Uhr. Das ALPS Alpines Museum der Schweiz sorgt in seinem Restaurant für den kulinarischen, die Stiftung Kulturförderung Lenk für den literarischen Genuss. Der Historiker, Schriftsteller und Drehbuchautor Wilfried Meichtry liest gemeinsam mit den Teilnehmenden seiner Schreibwerkstatt. Die je halbstündigen Lesungen finden um 10.45 Uhr und 12 Uhr statt. Das Brunchbuffet inklusive Lesungen kostet Fr. 35.− Hier geht’s zur Anmeldung: https://alps.museum/veranstaltungen/lenk-isst-und-liest. Zur Verdauung empfiehlt sich der Spaziergang durch die renovierten, mit dem Schulthess Gartenpreis 2024 prämierten Englischen Anlagen zum Bärenpark und dann durch die Berner Altstadt zur Münsterplattform.

Margrit Wyder, Barbara Neumann, Robert Steiger (Hg.): Goethes Schweizer Reisen. Band I: Tagebücher, Briefe, Bilder; Band II: 25 Wanderungen. Schwabe Verlag, Basel  2023. Fr. 49.-