Humorvolle Bergbücher lassen sich an zwei Kletterhänden abzählen. Am Weltbuchtag greifen wir lachend zum jüngsten.
«Wenn ich darunter leide, in der Gesellschaft zu wenig Ansehen zu geniessen, besteige ich den Mount Everest und schreibe anschliessend ein Buch darüber. Das haben schon viele getan. Auf einen Schlag werden mich alle bewundern. Das Buch wird vielleicht niemand lesen, aber alle denken sich: Wow, der hats weit gebracht und hat auch noch ein Buch darüber geschrieben!»
So steil steigt der Kletterführer «Gischterwäng» von Tinu Schwarz und Röfe Maler ein. Mit ihnen und ihrem Werk feiern wir heute den Welttag des Buches und des Urheberrechts. Seit 1995 ist der 23. April «ein von der UNESCO weltweit eingerichteter Aktionstag für das Lesen, für Bücher, für die Kultur des geschriebenen Wortes und auch für die Rechte ihrer Autoren», heisst es auf Wikipedia. «Das Datum des 23. April geht zurück auf den Georgstag. Es bezieht sich auf die katalanische Tradition, zum Namenstag des Volksheiligen St. Georg Rosen und Bücher zu verschenken.» Wir bleiben auf Empfang und klettern weiter durchs Vorwort:
«Wir jedoch haben kein Geld, um den Everest zu besteigen, also suchen wir etwas anderes. Warum nicht etwas Grosses im Sportklettern vollbringen? Aber was? Eine Erstbegehung in der Eigernordwand? Geht nicht, das Routennetz ist leider bereits zu dicht und alle anderen berühmten Wände sind erschlossen. Dann aber entdecken wir eines schönen Herbsttages die grosse Felsenfluh Gischterwäng! Noch kein Kletterer hat hier je geklettert. Die einsamen Felsen warten darauf, von uns erschlossen zu werden. Ein Traum wird wahr! Eroberungsgefühle steigen auf, Erstbegehungsfieber liegt in der Luft. In Gedanken reihen wir uns bereits in die Liste der grossen Kletterpioniere ein. Jetzt haben wir ein grosses Ziel: Wir wollen die Kletterwelt zum Staunen bringen! Wollen die schönsten aller Routen erstbegehen. Wollen ein Buch darüber schreiben und in die Klettergeschichte eingehen.»
Das ist den beiden Bernern und Neo-Autoren gelungen. Wie sie übrigens wirklich heissen, kennt nur eine Handvoll Leute. Wichtiger ist, dass ihr Buch in die Geschichte der Bergliteratur eingehen wird. Denn humorvolle Bergbücher lassen sich an zwei Kletterhänden abzählen. Bereits beim Lesen der Legende zum Cover der erste Lacher: «Tinu S. im erfolglosen dreiundvierzigsten Versuch der Route ‹Pech und Penis› 8c+.» Erst recht dann beim Aufklappen der Übersichtskarte, die einem Ausschnitt der Landeskarte täuschend ähnlich ist. Aber diese Namen im Ängistirntal und Schluckhalstal! Härdöpfelstock, Eierstock und Schlagstock, Schnuddersee, Eiterbibeli und Hosebislerquell lassen nur bedingt Vorfreude aufkommen, die «über 90 Top-Routen im bestem Sediment-Polyporphyr» auch wirklich zu klettern. Leider bzw. zum Glück gibt es die Anstiege «No es Löffeli Adrenalin füre Moudi», «Das ist mir Schuppe» und «Fliegenlandeplatz» wohl nur in diesem Kletterführer. Darin wird wirklich alles – vom Naturschutz und Geologie über Unterkünfte und Fahrplan bis zu Routeninfos, Fotos und Reklamen – höchst amüsant und ziemlich schräg behandelt und beschrieben, und das Seite für Seite, Satz für Satz und Bild für Bild. Ein Meisterwerk, fürs Klettervolk sicher noch um eine Seillänge mehr, aber gerade das Kapitel zur Alpingeschichte des Ängistirntals wird auch Flachwanderer und Hochlandtouristinnen begeistern. Wer schon etwas schnuppern will, gibt www.gischterwaeng.ch oder auch https://egopoint.ch/ ein. Aber vorher klettern wir noch zum Ausstieg der Einleitung:
«Unsere Gischterwäng ist unser kleiner Everest. Und wenn wir nicht unverzüglich mit der Erschliessung beginnen, kommen andere und schnappen uns alles weg. So konzentrierten wir unser gesamtes Engagement in den letzten Jahren auf die Gischterwäng. Und nun ist alles fertig. Wir haben es geschafft. Stolz präsentieren wir hier unseren Kletterführer!»
Tinu Schwarz, Röfe Maler: Gischterwäng. Kletterführer. Topo.Verlag, Frenkendorf 2024. Fr 27.-