Wieder mal ein neues Klettergebiet entdeckt – und einem alten Kletterfreund begegnet. Vom Zufall, das Leben regiert.
Notstand herrscht an diesem frischen Frühlingsmorgen. Wo klettern? Die Galerie ist wieder mal geschlossen, Bauarbeiten. Und da wir auf OeV angewiesen sind und höher oben noch Schnee liegt, ist die Auswahl an erreichbaren Felsen einigermassen beschränkt. Da fällt uns ein, dass Barbara in der Kletterhalle mal was von Albbruck erzählte, super Fels, super Gebiet. Schliesslich war sie mal auf dem Cerro Torre und kennt sich aus.
Albbruck, nie gehört. Googeln, ach ja, ist ja nicht so weit, und der Fels nur eine Viertelstunde vom Bahnhof. Aber ennet der Grenze im Euroland, das heisst, Ticket per Internet lösen. Ein fast unlösbares Unterfangen, aber nach einigem Ärger fährt das Papier mit dem Code aus dem Drucker. Wir sind unterwegs. Umsteigen, umsteigen, umsteigen. In Waldshut gibt’s einen netten deutschen Kaffee, von den berühmten Tieffliegern hören wir nichts. Jenseits des Rheins dampft das AKW Leibstadt. Dann Albbruck. Wir schaffen die Viertelstunde entlang der Albtalstrasse sogar ohne überfahren zu werden, dann finden wir den «Single Trail» und steigen ab in sicheres Gelände unter den Felsen. Wie wir später erfahren heissen sie Wasserschlossfluh. Weiter talaus gibs auch noch einen Erikafels. Eisenhartes, rötliches, kristallines Gestein. Die Griffe glatt und kantig, gute Haken und Umlenkungen. Die Routen angeschrieben. Trotz Wochentag sind wir nicht allein, an Wochenenden geht hier offenbar die Post ab. Unten am Ufer der Alb, die gemütlich vor sich hin rauscht, gibt’s einen Grillplatz, Buchen und Tannen spenden Schatten, die Strasse hört man nicht. Durch dieses idyllische Albtal werden wir später mal wandern, nehmen wir uns vor, tief in den Südschwarzwald hinein. Vorerst mal Klettern. Das lässt sich gut an, der Fels erinnert uns an den Battert bei Baden Baden und der Battert erinnert uns an Gerd, mit dem wir vor Ururzeiten dort kletterten. Noch mit Bergschuhen und strikt per «Sie». So war das damals. Ja, dem Gerd werden wir schreiben, er wohnt ja nicht weit.
Und dann biegen wir um eine Kante und da steht ein älterer Herr mit schütterem Haar und sichert eine Kletterin und sieht von hinten exakt genau gleich aus wie wir den Gerd in Erinnerung haben.
«Hallo», rufe ich. Und der Gerd dreht sich um, staunt mich an. Es ist nicht zu glauben, es ist der Gerd leibhaftig und munter und dann lachen wir uns was und erzählen ein bisschen von heute und von früher. Vor vierundvierzig Jahren war er sozusagen mein Kletterlehrling am Battert und hat auch die Leidenschaft geerbt. Wie wir ist er zum ersten Mal an diesen Felsen, es ist wohl mehr als Zufall, dass wir uns begegnen, es ist eine Art Fügung. Was fügt sich da? Das wissen wir nicht, so ist das halt mit den Zufällen und Fügungen. Sie sie sind die geheimen Marionettenfäden, die unser Leben bestimmen. Aber wir wollen nicht hirnen, lieber klettern wir. Da bietet sich gerade eine schöne Kante an, die mit «Old Boy 6+» angeschrieben ist. Also hoch, wir sind ja Old Boys.
Ein steiler Einstieg, Aufleger, dann schöne Griffe und Tritte und Sonne, ein Genuss. Auch Gerd packt sie an, wir winken und knipsen ein Bildchen.
Auf der Heimfahrt mischen wir uns unter die Rentner, die sich mit den Taschen und Tüten abschleppen, die sie in Waldshut vollgepackt haben, günstig, günstig, dieses Euroland. Wir kippen ein Bier und wundern uns noch immer über den wundersamen Zufall und die schönen Kletterfelsen, die wir für uns entdeckt haben.