Die Naturforschenden

Das waren noch Zeiten, als Wissenschaft noch Abenteuer war! Zum Beispiel die Durchquerung Grönlands auf Ski. Wozu? Die Frage sei nicht erlaubt, da Wissenschaft wertfrei, heisst es, getrieben allein durch die Neugier der Forscher/-innen auf der Suche nach Wissen über die Welt. Zwei Bücher erzählen vom Abenteuer Naturwissenschaft, einst und hier und jetzt.

Cover Naturforschende

 „In Grönland ist bei einer Bergbesteigung das erste – eine lange Ruderfahrt. So sehr greifen dort Meer und Land ineinander. Und selbstverständlich gilt es, daβ immer Zelte und Proviant für mehrere Tage mitgeführt werden, auch wenn man am gleichen Tag zurückzukehren vorhat. Das Wetter, die Entfernungen, die Strömungen, eventuell die Eisverhältnisse sind dort oben so unbestimmt; alles ist ‚Imara‘ d.i. ‚Vielleicht‘. ‚Imara‘ kann als Motto alles Reisens in Grönland gelten.“

Meint der Schweizer Meteorologe, Geophysiker und Arktisreisende Alfred de Quervain (1879–1927) in seinem Teil des Berichts „Fjord-, Berg- und Schneeschuhfahrten in Grönland“, den er gemeinsam mit Augst Stolberg verfasst hat und der 1911 in der „Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins“ erschienen ist. Für einen Naturforschenden dürfte dieses „Imara“ natürlich nicht ganz einfach zu akzeptieren gewesen sein, möchten sie doch felsenfeste, gesicherte Tatsachen und nicht unfassbare Eisberge finden und darüber publizieren. De Quervain führte 1909 und 1912 Grönlandexpeditionen durch. Insbesondere die Überquerung des mittelgrönländischen Inlandeises 1912 machte ihn auch ausserhalb der Wissenschaft bekannt. Dabei sorgte nicht bloss der sportliche Aspekt einer solchen Parforceleistung für Schlagzeilen, sondern auch der wissenschaftliche. Trotz widrigsten Witterungsverhältnissen wurden täglich Messungen vorgenommen. Eine bekannte Aufnahme zeigt de Quervain, wie er neben Schlitten und Hunden steht und einen Windmesser in die Höhe hält, ähnlich einem Alpinisten den Pickel beim Gipfelerfolg. Dieses Foto schmückt nun das Titelbild eines faszinierenden Buches, das sich der Geschichte der Naturwissenschaften in der Schweiz annimmt.

In „Die Naturforschenden. Auf der Suche nach Wissen über die Schweiz und die Welt, 1800-2015“ berichten die Herausgeber Patrick Kupper und Bernhard C. Schär mit ihren Autoren über die Schweiz als Wissenschaftsnation. Im Auftrag der Akademie der Naturwissenschaften, die am 6. Oktober 1815 in Genf gegründet worden war, erzählen 15 Historiker und Historikerinnen Geschichten aus 200 Jahre Naturwissenschaften: von der Entstehung des Meteorologie über die Zürcher Rassenforschung bis zu SystemsX, dem Netzwerk des Systembiologen. Da ist Jean de Charpentier, Salinendirektor von Bex, der in seinem epochalen Werk „Essai sur les glaciers et sur le terrain erratique du bassin du Rhône“ von 1841 die eiszeitliche Vergletscherung der Schweiz beweisen konnte, jedoch von Louis Agassiz um Ruhm und Ehre gebracht wurde. Da sind Hedi Fritz-Niggli mit der Strahlenbiologie und Robert Haefeli mit der Polarforschung, die sich während des Kalten Krieges mit ganz besonderen Problemen zu beschäftigen hatten. Und da ist Alfred de Quervain, der nicht nur als Grönlandforscher gewürdigt wird, sondern auch als Initiant des Schweizerischen Erbebendienstes sowie der hochalpinen Forschungsstation auf dem Jungfraujoch. Er freute ihn ungemein, dass der jährlich vergebene Nachwuchsförderpreis auf dem Gebiet der Polar- und Höhenforschung „Prix de Quervain“ heisst. Am kommenden Donnerstag wird er im Alpinen Museum der Schweiz überreicht. Ganz sicher.

Patrick Kupper, Bernhard C. Schär (Hg.): Die Naturforschenden. Auf der Suche nach Wissen über die Schweiz und die Welt, 1800-2015. Hier und Jetzt Verlag, Baden 2015, Fr. 49.- www.hierundjetzt.ch <http://www.hierundjetzt.ch>

Stefan Kern: Alfred de Quervain. Erforscher physikalischer Extreme und Überquerer des grönländischen Inlandeises. Polararchiv Schweiz, Zürich 2013, Fr. 20.- http://polararchiv.blogspot.ch

Am 5. November 2015 findet von 18 bis 20.30 im Alpinen Museum der Schweiz in Bern die Verleihung des Prix de Quervain 2015 für Polar- und Höhenforschung durch die Schweizerische Kommission für Polar- und Höhenforschung und die Schweizerische Kommission für die hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch statt. Die Veranstaltung ist öffentlich und kostenlos.

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