Felix Ortlieb

Felix Ortlieb, Glarner Sportkletterpionier, Fotograf, Autor und Künstler.

felix2006

Er erinnert sich nicht mehr, wann er den Glärnisch zum ersten Mal bestiegen hat. In früher Jugend muss das gewesen sein. Schliesslich ist er in Schwanden aufgewachsen, am Fuss des Massivs, Blick stets nach oben. Doch nicht der Gipfel zog ihn an, sondern der Pfeiler, der am Ostgrat des Vrenelisgärtli lotrecht abstürzt, 180 Meter. Das Höchtor. Niemand hatte sich bisher auch nur in Gedanken an diesen Absturz gewagt. Er träumte davon. Vielleicht schon in der Schulbank, die ihn hart drückte. Er war Legastheniker, stand mit den Wörtern auf Kriegsfuss. Er wusste: Eines Tages klettere ich dort hinauf, tanze über diese Himmelsleiter auf einem Pfad, den noch kein Mensch gegangen ist.

«Man muss sich Ziele setzen», sagt er noch heute. Zwanzig Jahre nachdem er es geschafft hat. Ein Tanz war es zwar nicht gewesen. Eher ein Krampf: Löcher für über dreissig Bohrhaken von Hand mit dem Kronenbohrer in den Fels meisseln. Angst vor dem Wetterumschlag. Da und dort brüchiges Gestein. Aber er hat es geschafft. Bisher hat die Route noch niemand wiederholt.

«Klettern schafft Selbstvertrauen», sagt Felix Ortlieb, der Kletterer, der Künstler, der Fotograf, der Dichter. Gelernter Spengler, im Hauptberuf Musterbauer für Elektroapparate bei der «Therma» in Schwanden. Von der Erstbegehung des Höchtors zehre er noch heute, sagt er. Schaut immer wieder hinauf. «Es war ein Fixpunkt im Leben.» Die Faszination, ein Stück Welt zu betreten, wo noch niemand zuvor war. Tritte, auf die noch kein Fuss sich gesetzt, Griffe, die keine Hand gepackt hatte.

Er sah sich um in der Welt. Bestieg den Elbrus im Kaukasus. Kletterte im Sandstein der Pfalz in Deutschland, in Südfrankreich, in den USA, wo er vom Boulder bis zum Bigwall die neuen Techniken und Entwicklungen kennenlernte und heim ins Glarnerland brachte. «Clean climbing» war in den Achtzigerjahren angesagt. Der Kletterer soll im Fels keine Spuren hinterlassen, die Klemmkeile und Friends, mit denen er sichert, soll er sauber entfernen. Nichtmal einen Tupfer Magnesia soll die gewachsene Natur verunstalten und den Nachfolgenden den Weg weisen. Klettern, das Abenteuer, für jeden wieder Neuland.

In diesem Stil erschloss Felix einige Routen an der gelben Kalkwand unter dem Fürberg nördlich der Glärnischhütte. Die psychisch anspruchsvolle und steile Kletterei faszinierte ihn, doch kaum jemand wiederholte die Anstiege. Ende der Achtzigerjahre änderte der Trend. Die Akkubohrmaschine kam auf und erleichterte das Einrichten von Routen gewaltig. «Ich kannte die professionell eingerichteten französischen Klettergebiete und sagte mir, das können wir hier auch machen, das Potential ist vorhanden.»

Felix war inzwischen verheiratet, Vater von zwei Buben geworden, verlegte sich nun unter anderem auf das professionelle Einrichten von Routen und Klettergärten. In den Jägerstöcken am Urnerboden. Auf der «Galerie» über dem Walensee. Und vor allem auf der Mettmenalp, mit herrlichem Blick zum Glärnisch. Die Urgesteinsklötze im Widerstein unter dem Gandstock rüstete er mit hunderten von Bohrhaken zu einem Eldorado des Sport-, Familien- und Plaisirkletterns aus. Eine Arbeit, für die ihm der Lohn vor allem die Freude der tausenden von Menschen ist, die seine Routen klettern und seine Haken klippen. Eine soziale Spielart des modernen Klettersports, die jedoch jemanden voraussetzt, der die interessanten Routen entdeckt und die «Dreckarbeit» des Einrichtens leistet: bohren und Fels putzen. Nur wenige tun das so uneigennützig und bescheiden wie Felix.

«Geben und Nehmen ist meine Idee vom Klettern», sagt er. Deshalb macht er seine Routen und Entdeckungen publik, und dabei zeigt sich schon der Künstler. Den Führer «Klettern im Glarnerland», den er im Selbstverlag herausgibt, hat er von Hand gezeichnet und geschrieben, in einem ausdruckvollen, starken Strich. Die Routenskizzen gehören zur Auseinandersetzung mit dem Stein, und er will, dass das die Kletterer spüren, die sein Büchlein in die Hand nehmen. Es soll sein eigenes intensives Erleben vermitteln: das Gefühl der Freiheit, das den Kletterer beseelt, «von innen heraus».

In ähnlicher Form verlegt er auch seine Gedichte, die oft seine Auseinandersetzung mit dem Fels, dem Berg, der Natur widerspiegeln, und die er mit einfachen Strichzeichungen illustriert. «Ich höre die überhörte Stille», notiert er in der Glärnischhütte, die er im Sommer 1988 mit seiner Frau Ursi Zweifel aushilfsweise bewirtet. Ab dieser Zeit saniert er auch einige der Kletterrouten in der Umgebung mit soliden Bohr- und Standhaken. Erschliesst auch einfache Anstiege im dritten und vierten Schwierigkeitsgrad, geeignet für Einsteiger, die nicht nur an den Plastikgriffen der Halle brillieren wollen, sondern sich auch ins alpinem Gelände wagen, wo man die Route finden, sauber sichern, auf Steinschlag und das Wetter achten muss. Wo Klettern wieder zum Naturerlebnis wird. Auch klassische Routen wie den Westgrat des Ruchen rüstet er mit sicheren Standhaken aus.

Dass der Glärnisch bloss ein Schutthaufen sei, zum Klettern ungeeignet, hat Felix mit seiner Arbeit als Erschliesser moderner Routen längst widerlegt. «Hier wäre noch Potential für ein kleines Verdon.» Felspotential ist vorhanden, ein Marktpotential für die Glärnischhütte sind die neuen Routen noch kaum. Der Zustieg ist für viele Sportkletterfreaks zu lang. Ausser für jene, die das Aussergewöhnliche, das Abenteuer, die Stille suchen. Wie Felix selbst.

Auch Ungewöhnliches versucht er. Zum Beispiel an der «Gilbi», einem Felsporn unterhalb von Alp Leuggelen an der Ostflanke des Glärnisch. Jahrelang rauften sich die Glarner Kletterer durch den überhängenden, glatten und da und dort brüchigen Fels hinauf. Felix beschaffte sich alte Pflastersteine von der Klausenstrasse und schraubte sie als Kunstgriffe an die natürliche Wand und richtete so eine tolle Kunstroute im Freien ein. Eine kreative Idee, die den Puristen des «Clean climbing» gewiss die Haare zu Berge treiben würde, kämen sie da vorbei.

Aus der Bergerfahrung wächst auch seine Kunst. Ein weisses Blatt gestalten ist so etwas wie eine Erstbesteigung, denn auch da entsteht etwas Neues, noch nie Dagewesenes. «Ein leeres weisses Blatt ist für mich eine noch grössere Herausforderung als der Fels, der ja bereits eine Struktur hat, Risse und Leisten, Griffe und Tritte.»

Malen und Schreiben bedeutet ihm Abenteuer, eine «Entdeckung von mir selber». Den Berg in sich selber entdecken ist Selbsterfahrung wie Klettern. Ein leeres Blatt kann auch Angst machen: Schaffe ich das überhaupt? Oder muss ich aufgeben? Dabei bildet er nicht die Wirklichkeit ab, das leistet er mit der Fotokamera besser. Beim Malen und Schreiben versucht er «herauszufinden, was geblieben ist». Er lässt dem Prozess der Gestaltung den Lauf, lässt Formen, Farben und Wörter zusammenspielen und so entsteht das Neue. Reduktion interessiert ihn vor allem, das Erfassen eines Eindrucks, einer Stimmung in wenigen Strichen oder Wörtern. Ein Gletscherfloh auf dem Glärnischfirn beispielsweise, winzig im Raum schwebend, der Horizont nur eine leichte Linie. Dazu das Gedicht: «… und ich frage mich nach dem Sinn des Lebens/ eigenartig/ hätte ich meine Sinne nicht/ würde ich nicht danach fragen.» Aus dem Jungen, der mit den Wörtern kämpfte, ist ein Wortkünstler geworden. Aus dem jungen Kletterer, der sich in mühseliger Arbeit am Höchtor hinaufkämpfte, ein brillanter Freikletterer.

Schliesslich erinnert er sich doch noch an seine erste Glärnischbesteigung. Nicht an den Aufstieg, nicht den Gipfel, sondern an den Abstieg. Die steilen Hänge unter der Hütte waren mit dürrem Gras bedeckt. Sein Begleiter und er rutschten auf dem Hosenboden hinunter, bequem und schnell. Erst zuunterst bemerkten sie, dass sie ihre Hosen zerrissen hatten.

Aus: Zopfi, Emil: Glärnisch, Rosen auf Vrenelis Gärtli. AS Verlag, Zürich 2004

Jenny Ruedi, Ortlieb Felix: GLclimbs. Klettern in den Glarneralpen. Eigenverlag 2009. Ergänzungen unter www.vkl.ch

Klettergeschichten von Felix Ortlieb: http://www.vkl.ch/cms/index.php?klettergeschichten

images

Ein Gedanke zu „Felix Ortlieb

  1. ciao felix
    bin nach der suche nach einigen Kletterbilder und ein text über den klettergarten widerstein und kärpf. möchte auf unserer neuen homepage das klettern besser herausheben. kannst du mir dabei behilflich sein?
    herzlichen dank zum voraus!
    gruäss hermi luchsinger

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert