Alle Farben des Schnees

Agelika Overaths Tagebuch eines Jahres in Sent im Unterengadin. Ankommen, Abfahren, Kopf- und Fussfassen am Fuss des Piz Pisoc.

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„Morgenglanz, hätte Goethe gesagt. Ein blauer Dunst, ein Schleier, die Ostwand des Piz Pisoc schimmert schneeig hindurch. Wie eine Inszenierung. Solo für einen Berg.“

Eintrag vom 13. Februar. Heute vor einem Jahr. Verfasst von der deutschen Reporterin, Literaturkritikerin und Dozentin Angelika Overath, 1957 in Karlsruhe geboren, seit Juli 2007 in Sent im Unterengadin wohnhaft, zusammen mit ihrem Mann und dem jüngeren Sohn. Nun hat sie ihre Erfahrungen als Aus- bzw. Einwanderin  niedergeschrieben und im Senter Tagebuch herausgebracht: „Alle Farben des Schnees“. Ein sehr schöner Titel.

„Ich sitze auf dem Balkon und schaue auf die Berge. Das Notebook auf dem runden Blechtisch. Der Schnee läuft in Adern das Felsgestein hinunter. Weißes Blut. Sommerschnee. Oben auf den Graten Glanz. Das bläuliche Licht, das rosa Licht auf den letzten Schneefeldern. Eine leichte rosa Wolke über dem Schneegipfel des Piz Pisoc. Das Wetter bleibt also gut. Wieso fahren wir nach Amerika?“ Eintrag vom 24. Juni 2010. Ja, wieso fährt man fort, wenn der Piz Pisoc so vertrauens-, so heimatvoll glänzt? Arbeit natürlich, Gastvorlesungen, mal näher, mal weiter weg.

Vom Ankommen und Abfahren handelt Overaths Buch. Vom Fuss- und Kopffassen in einer Welt, die zuerst nur zufälliger Ferienort war, dann Feriendomizil, schliesslich Wohnort und Heimat. Irgendwo im Tagebuch, welches das Jahr zwischen den 1. Septembern 2009 bis 2010 umfasst, fragt die Mutter ihren Sohn nach dem richtigen romanischen Ausdruck. Denn der Junge spricht schon bald fliessend die Sprache seiner Schul- und Dorfkollegen, während sich Angelika nur mit Mühe und Fleiss in die neue Muttersprache Vallader vortastet und hineinschreibt.

Die „Sprache der Berge“ hingegen (so ihr leicht veralteter Ausdruck) beherrscht Angelika Overath. So frisch und glitzernd wie Neuschnee. In Sent so gut wie drüben am Piz Pisoc.

Angelika Overath: Alle Farben des Schnees. Senter Tagebuch. Luchterhand Literaturverlag, München 2010, Fr. 29.90

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