Määhh, ich habe Hunger! Ich stehe hier alleine, vor mir der Abgrund, und ich weiss nicht wohin! Mää-hää, wo bist du, Mam? © Annette Frommherz
Sie haben mich eingekreist. Zwei Männer, ich kenne nur einen davon. Das ist der Älpler, hat Mam gesagt. Aber jetzt ist sie fort. Ich stehe vor diesem Absatz, die Steine sind rutschig, meine Beine zittern. Ich kann nicht weiter, weiter vorne ist nichts mehr. „Bliib stah, gopferteckel, susch bisch dune!“ Der Mensch, nicht der Älpler, der andere, der macht ein böses Gesicht, es ist ganz rot. Und er keucht. Wenn nur Mam jetzt da wäre, määhh! Bleib immer schön in meiner Nähe, hat sie mir beigebracht, die Hänge des Vorder Glärnisch sind steil, mäh, und das ist gefährlich, mein Kind.
Als die Sonne ganz oben am Himmel stand, haben sie 392 unserer Schafe weggetrieben. Das hat mir Mam erklärt. Ich weiss nicht, wie viele das sind, aber schon eine ganze Menge. Mam stand mit mir und den zwei weissen Schafen, die mit den schwarzen Köpfen, etwas abseits, weil da die Kräuter so fein schmeckten. Sagte Mam, ich habe ja nur getrunken. Und dann sind sie plötzlich weggesprungen, und ich hinterher. Die Geröllhalde hinunter, so schnell konnte ich gar nicht springen. Und dann waren sie weg, määhh, einfach weg! Ich habe hinterher geschrieen, aber es hat nichts genützt.
Jetzt stehen diese Menschen um mich, der Älpler und der andere, und packen mich. Ich kann gar nichts tun, määhh. „Chum, nimms in Rucksack, da gahts steil abe und dä Wäg isch lang.“ Nur mein Kopf bleibt im Freien. Es schaukelt. Der Mensch riecht nach Mensch, und ein bisschen nach etwas anderem. Es schlägt schnell in mir, ich kann fast nicht atmen. Mam, wo bist du? Määhh!
Wie wir endlich bei einer Hütte ankommen, sitzen da noch mehr Menschen, ganz verschiedene, und einer steht auf und nimmt mich endlich heraus. Er drückt mich an sich und streicht mir über das Fell. Immer wieder. Das tut gut. Es schlägt nicht mehr so schnell in mir. Der Mensch riecht etwas streng, aber ich darf mich auf seinem Schoss ausbreiten. Den Hund, der mich von vorne bis hinten leckt, den kenne ich, der rennt sonst immer ganz aufgeregt um uns Schafe herum. Jetzt stehen wir zusammen im Gras und sind schon fast Freunde.
Jeder will mich streicheln, dabei will ich nur zu Mam. Und mä-hää, ich habe Hu-unger! „Mir müend d’Muetter go sueche.“ Der Mensch trägt mich bald über die steile Böschung hinauf, die Glöcklein klingeln immer lauter. Die braunen Schafe schauen kurz vom Grasen auf, dann fressen sie weiter. Mam ist heller, ich weiss nicht so genau, wie hell, aber sie riecht so, wie sie muss.
Määhh! Jetzt höre ich sie. Mää-hää! rufe ich ihr zu. Und nun rieche ich sie! Ich komme, Mam, ich komme, mää-hää!
Mit freundlicher Genehmigung der Menschen, des Hundes und des Lamms.
wie schön! E so e speziell Berg Gschicht und eerscht no mit passende Bilder.. Danke Annette 🙂 Herz erfrischend.