Im Winter sollen die Nordhänge mit über dreissig Grad Neigung gemieden werden. Aber in einem Lawinenkurs ist es exakt dieses steile Gelände, das genauer unter die Lupe genommen werden soll. An flachen Stellen lernt man nichts. © Annette Frommherz
Von Schwachschicht und Gleitschicht ist an diesem Tag die Rede, und das Wort Altschneeproblem mausert sich gar zum absoluten Renner. Unser Bergführer hat die Gruppe in die Prättigauer Heuberge gebracht, wo das vorhandene Wissen erweitert und vertieft werden soll. Man kann nie genug hören von Schneemustern, Spontanlawinen und Schneebrettern.
Im Infomail an die Kursteilnehmer hatte der Bergführer verlauten lassen: „Diese Saison hat bis jetzt ganz klar aufgezeigt, dass man nicht nur mit rechnerischen und theoretischen Methoden unterwegs sein kann, sondern auch den eigenen Verstand, das richtige Wissen und die Erfahrung walten lassen sollte.“ Mit Kopf und Bauch unterwegs sein, heisst dies für mich. Planen zu Hause, Wetterbericht und Lawinenbulletin studieren, und vor Ort die aktuelle Situation sichten und einschätzen. Seit Weihnachten sind alleine in unserem Land zwölf Tote in Lawinenniedergängen zu beklagen. Sämtliche Unfälle ereigneten sich in der Gefahrenstufe drei und vier – also erheblich und gross – und in Hangneigungen zwischen 35 und 45 Grad. Das Risiko für Tourengänger ist nicht zu unterschätzen. Ich habe grossen Respekt; vor der Natur sowieso, vor den Schneeverhältnissen je länger je mehr.
Unser Bergführer lässt jeden eigens spuren, denn, so sagt er, wer immer im Vorgespurten laufe, spüre den Schnee und damit die Begebenheiten nicht. Wir schätzen die Hangneigungen von weitem und beurteilen sie mit dem Näherkommen nochmals neu. Wir suchen die Mulden und betrachten den Schnee, wie er vom Wind seitlich verfrachtet worden ist und nun als bizarres Gebilde vor uns liegt. Im steilen Gelände mit Sicht auf den Glattwang schaufelt unser Bergführer einen Schneeblock frei, damit er uns die Schichten erklären kann. Es ist erstaunlich, wie wenig Erschütterung es braucht, um die oberste Schicht des Blockes ins Rutschen zu bringen. Neuschnee und Wind sind zwei Faktoren, die eine Lawine bilden können. Schnee, der vom Wind verblasen wird, kann sich in windgeschützten Mulden ablagern und so einen gefährlichen Triebschneesack bilden. Dies und vieles mehr wird uns in Mutter Natur vor Augen geführt. Es zeigt sich aber auch: Der wichtigste Faktor ist der Mensch, denn neunzig Prozent aller Lawinen lösen die Berggänger selber aus.
Aus gutem Grund bin ich ein weiteres Mal am Kurs gewesen: Ich möchte noch die eine oder andere Skitour unternehmen und abends gesund heimkehren. Ein Restrisiko bleibt. Aber wir können es so gering als möglich halten.
Treffend erzählt Annette. Es hat mich gar am Rücken geschaudert. Lawinen lassen sich einfach besser in Worten als Tabellen erfassen. Oder anders ausgedrückt: Gute Lawinentheorie ist eigentlich nie nur Theorie.