Vier Männer am Berg: im Fels, im Eis, im Schotter, im Schnee und im Erlengebüsch. Im Kopf die Frage: Wieviel Risiko und warum? Ein Bergfilm ohne Heldenpathos und übertriebene Dramatik. Unter dem gleichen Titel ein Buch über die Geschichte einer Faszination – ein Klassiker bereits, der in jede Bergbibliothek gehört.
„Es isch chalt, es isch grüsig, es isch windig, aber eigentli isch es voll geil.“
Sagt Dani Arnold auf dem Gipfel des Gross Ruchen (3138 m) in den östlichen Urner Alpen, nach einer winterlichen Durchsteigung der Nordwand bei ziemlich misslichen Bedingungen – der Föhn begann früher zu wüten als vorgesehen. Der 29-jährige Urner Profibergsteiger ist einer der vier Hauptfiguren in einem 93-minütigen Dokumentarfilm, der am 13. Februar 14 im Kino anläuft. Der Basler Matthias Affolter porträtiert darin vier Extrembergsteiger und Bergführer aus vier Generationen. Mit dem 41 Jahre alten Berner Familienvater Stefan Siegrist gehen wir auf (gipfellose) Expedition zum Makalu-Westpfeiler, mit dem 60-jährigen Waadtländer Jacques Grandjean suchen wir fast vergeblich Kristalle in brüchigem Fels vergessener Wände, während der Berner Werner Munter auch noch mit 72 Jahren in wilden Winkeln des Val d’Hérens nach neuen Wegen sucht. „Da mache mir e chlyni Erschtbegehig“, sagt der weissbärtige Lawinenpapst und Risikophilosoph.
Wieviel Risiko braucht das Leben? Das ist eine der Fragen, denen dieser dichte, starke, packende, doch nicht laute Film nachklettert, auf verschiedenen Routen, im Föhnsturm und Höhenlager, aber auch zu Hause bei den Protagonisten. „Jede het sys Milchbüechli, u we ds‘Milchbüechli voll isch, de lösche d’Liechter us“, glaubt Siegrist. „Das chame gar nid gross beiiflusse.“ Oder doch? Die Antworten zur Leidenschaft (am) Berg fallen unterschiedlich aus. Nicht jeder der vier Alpinisten geht gleich mit dem Risiko um. Aber alle sind weit gegangen, und gehen es noch. Nicht loslassen können, sich an den letzten Erlen festhalten, sagt Munter. Das wolle er. Das Abenteuer via Leinwand genüge ihm nicht. Was uns aber nicht davon abhalten sollte, diese vier Männer im Schnee, Eis und Fels – und im Kino zu erleben. „Berge im Kopf“ heisst der Film.
Und so heisst auch das Buch von Robert Macfarlane, dass vor neun Jahren auf Deutsch erschienen ist. Darin geht der schottische Autor den Gründen, warum es die Bergsportler immer wieder auf die Berge zieht, in einer abwechslungsreichen Kombination von Alpin-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte nach. Macfarlane schrieb nun aber keine Geschichte des Bergsteigens, sondern eine Geschichte der Vorstellungen davon. Berge im Kopf eben. Dabei holt er weit aus und zurück, und genau das macht das Buch so spannend. Natürlich verarbeitet Macfarlane vor allem die englischsprachige Literatur, aber die Engländer gehörten halt auch zu den Ersten, welche die Landschaft und die Berge anders wahrzunehmen begannen als Gras, Geröll und Gletscher. „Mountains of the Mind“ war in England ein (berg)literarisches Ereignis.
„Der Everest hat die steilsten Grate und die furchtbarsten Abgründe, die ich je gesehen habe“, schrieb George Mallory seiner Frau Ruth im engen Zelt nach einem mühsamen Tag auf seiner ersten Expedition zum höchsten Berg der Erde im Jahre 1921. „Liebling – ich kann dir nicht beschreiben, wie sehr er von mir Besitz ergriffen hat.“ So sehr, wir wissen es, dass Mallory drei Jahre später dort oben für immer blieb, am Dach der Welt. Ruth hatte ihn nicht zurückhalten können.
Robert Macfarlane: Berge im Kopf. Die Geschichte einer Faszination. AS Verlag, Zürich 2005, Fr. 19.90.
Alle Infos zum Film „Berge im Kopf“ von Matthias Affolter unter www.berge-im-kopf.ch und www.montagnes-en-tete.ch.
Und: Stephan Siegrist hat seine neue Vortragstour zu Kirgistan-Kashmir-Himalaya-Patagonien gestartet; Infos und Vorverkauf bei www.explora.ch.