Berge versetzen

Das frisch renovierte Alpine Museum der Schweiz in Bern versetzt in der ersten Ausstellung Berge. Walliser Rebbergbauern machen das schon seit Jahrhunderten: Sie terrassierten sonnige Hänge. An beiden Orten kann man aus erhöhter Lage die Welt der Dinge überblicken. Eine Hang- und Auslegeordnung. Den Bergwein Heida gibt es übrigens auch in Bern, im neuen Museumsrestaurant las alps. Santé!

„Die Bergbauern wussten sich zu helfen, indem sie den Abhang unterbrachen. Wenn er vorher gleichmässig abschüssig war, so haben sie ihn jetzt gestuft, wie eine Treppe abwechselnd in senkrechte und waagrechte Flächen eingeteilt. Sie haben nach und nach, im Laufe der Jahrhunderte, ihre kleinen Felder übereinander gestaffelt, und ihre kleinen viereckigen Rebgärten, die mit einem Ende über dem Abhang hängen, emporgebaut. (…) Und von oben welcher Ausblick: Wenn ihr auf dem Rande dieser Terrassen steht, die so seltsam schmal und seltsam steil übereinander getürmt sind, seht ihr zunächst, gleich unter euch, ein Mäuerchen aus ungemörtelten Steinen oder eine künstlich gebaute Fläche; weiterhin entzieht sich schon der Abhang dem Blick und das Land tut sich auf. Ihr schwebt über dem Abgrund.“

So beschrieb der Waadtländer Schriftsteller Charles Ferdinand Ramuz in seinem unverwechselbaren Stil die Walliser Terrassenlandschaften für den Bildband „Wallis“, mit Fotos des Baslers Titus Burckhardt, 1943 in der Reihe „Das Volkserbe der Schweiz“ als Band 2 erschienen. Den letzten zitierten Satz hat nun der Schaffhauser Raimund Rodewald, Leiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, übernommen als Titel für sein Buch, das Geschichte und Gegenwart dieser Terrassenlandschaften beschreibt und festhält. Ein poetischer Titel, ein faszinierendes Buch, eine eindrückliche Landschaft: Ihr schwebt über dem Abgrund – vous êtes déportés au-dessus de vide.

Genau so ist, wenn man im Walliser Rhonetal einen Schritt weg vom Talboden Richtung Waadtländer und Berner Alpen macht. Dahin, wo Cornalin und Petite Arvine wachsen. Rund 1500 Hektaren Rebland mit geschätzten 3000 Kilometer Mauern sind terrassiert. Bewässert häufig durch Suonen, französisch Bisses: Lebensadern im Wallis, die zugleich ein Wandererlebnis ermöglichen wie nirgends sonst in der Schweiz. Gerade jetzt, wo der Haut de Cry und die Piste de l’Ours in Veysonnaz weiterhin weiss leuchten, die Terrassen aber noch nicht grün behangen sind, so dass man gut sieht, wie der Abhang versetzt wurde in waagrechte und senkrechte Flächen. Eine Durchsichtigkeit sag ich Euch – magnifique! En route, mes amis!

Beispielsweise am Rande von Sion. Da können drei Wasserwege zu einer unvergesslich, unvergleichlich langen Tour durch terrassierte Weinberge verbunden werden. Zuerst auf der Bisse de Clavau, die an ihrem Ende durch einen der steilsten Rebberg des Wallis führt, den Clos du Château: Schier senkrecht oberhalb der Rhone gedeihen hier auf heissen, schiefrigen Böden wunderbare Weine. Von Endpunkt in Pont de la Sionne bringt uns das Postauto nach Grimisuat, und die Bisse de Lentine am Rande der Hauptstadt zum Erholungsgebiet des Lac du Mont d’Orge. Genau so heisst die dritte Suone, die quer durch den Südhang dieses Stadtberges verläuft, zwei Kilometer lang Hitze, Rebstöcke, Kakteen und das Rauschen des Verkehrs unten. In Pont de la Morge hat uns der Alltag wieder ganz eingeholt. Entlang der drei Bisses, die auch gut einzeln genossen werden können, stehen übrigens zweisprachige Infotafeln – etwas lernen beim Laufen schadet ja nicht.

Lernen beim Laufen, oder einfach nur Gehen und Geniessen: Das ist ab heute Freitag, 30.3. 10 Uhr, neu an einem ganz besonderen Ort in Bern möglich, auf einer Terrasse hoch oberhalb der Aare und gegenüber dem Hotel Bellevue und dem Bundeshaus. Das gänzlich umgebaute Alpine Museum der Schweiz, abgekürzt ALPS, eröffnet unter neuer Leitung seine Pforten und seine erste Ausstellung: „Berge versetzen. Eine Auslegeordnung“. Seit über 100 Jahren sammelt das Museum Brillen und Berggemälde, Hüttenbücher und Hornschlitten, dies und das. Jetzt zeigt es auf zwei Stockwerken eine einzigartige Auswahl von über 1200 Objekten. Angeordnet in Reih und Glied wie die Terrassen im Wallis, durchnummeriert und arrangiert, erlebbar und begehbar von einem Holzsteg, auf dem man über den Dingen schwebt.

Und zugleich wird im Biwak, dem Ausstellungslabor des ALPS, das 20m2 grosse Berner Oberland-Relief auf eine Art inszeniert, wie wir die Berge wohl noch selten gesehen und gehört haben: als interaktive Klangskulptur. Sozusagen eine moderne Terrassierung der Wahrnehmung der Berge.

Raimund Rodewald: Ihr schwebt über dem Abgrund. Die Walliser Terrassenlandschaften. Entstehung – Entwicklung – Wahrnehmung. Rotten Verlag, Visp 2011, Fr. 39.–

„Berge versetzen. Eine Auslegeordnung“: Alpines Museum der Schweiz am Helvetiaplatz in Bern, offen Di – So, 10 – 17 Uhr, www.alpinesmuseum.ch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert