Der tote Bergsteiger vom Walensee

An der Strasse von Weesen nach Betlis haben wir uns oft gewundert über die Gedenktafel, die hoch an einer Felswand hängt. Wer ist dieser A. Raillard vom SAC Basel, der am 1. September 1889 hier in der Nähe tödlich verunglückte. Eine Recherche.

Er müsse noch von seinen lieben Bergen Abschied nehmen, sagte der Fabrikant und Bergsteiger August Raillard aus Basel zu seiner Famile, als er sich am Morgen des 1. September 1889 in Weesen verabschiedete, um einen «Spaziergang» zu unternehmen. Aufs Mittagessen wollte er wieder zurück sein. Er schritt rüstig dem Ufer des Walensees entlang Richtung Betlis. Zwei Tage zuvor hatte der 68-jährige von Weesen aus den Speer bestiegen, 1500 Höhenmeter in viereinhalb Stunden, eine beachtliche Leistung.
Raillard war ein erfahrener Bergsteiger. Als junger Ehemann hatte er mit fünfundzwanzig seine erste Alpentour unternommen, später Gipfel wie Wetterhorn, Finsteraarhorn und Aletschhorn bestiegen. Am 6. September 1863 glückte ihm mit Begleitern und Führern die Erstbesteigung des Bifertenstocks, im Jahr darauf die dritte Besteigung der Grossen Windgälle. Am 19. April 1863 war er dabei, als im Bahnhofbüffet Olten «35 schweizerische Berg- und Gletscherfahrer» den Schweizer Alpen-Club gründeten. Er war auch Mitbegründer, Säckelmeister und zeitweise Obmann der Sektion Basel.
Aufs Mittagessen kehrte Raillard nicht zurück. Die Familie war beunruhigt, man begann zu suchen. Ein Ingenieur Simon, auf Durchreise in Weesen, machte sich abends zehn Uhr nochmals auf die Suche und kehrte erst nachts drei Uhr zurück – ohne Bescheid. Erst am folgenden Abend entdeckte eine Dame von einem Boot aus in einer Rinne «etwas liegen». Bei einem «Sturzbach», vermutlich dem Rombach, fand man den Toten «am Fuss einer 250 Meter hohen Felswand». Simon und August Raillards Sohn bargen die Leiche. Im Protokoll der Sektion Basel vom 13. September steht: «Die Stelle, wo der Sturz erfolgte, ist völlig gefahrlos und da ja jeder Gedanke an Waghalsigkeit ausgeschlossen werden darf, ist es nach den Angaben des Arztes sehr wahrscheinlich, dass ein Schwindelanfall stattgefunden hat.»
Am 15. November beschloss die Sektion nach einem Augenschein vor Ort, in nächster Nähe der Absturzstelle ein Denkmal in Form einer Zinktafel anzubringen.
Der Weg, den August Raillard damals ging, ist möglicherweise jener, der dem Unterhalt des 1907/09 gebauten Kleinkraftwerks Muslen dient, heute aber für Wanderer gesperrt ist.
Am 3. Januar 1890 gedachte die Sektion Basel dem verunglückten Mitglied in einem Vortrag «August Raillard als Klubist und Bergsteiger», der auch als Broschüre gedruckt wurde. Zum Schluss heisst es: «Dem von uns genommenen Freunde aber wollen wir ein liebendes und gutes Andenken bewahren, er bleibe uns ein leuchtendes Vorbild, nicht nur eines tüchtigen Bergsteigers und Klubisten, sondern auch eines gemüthvollen und treuen Gesellschafters und Vereinsgenossen.»
Inzwischen sind Generationen von Wanderern und Spaziergängern an der Tafel vorbeigekommen und haben sich über das Schicksal des längst vergessenen A. Raillard Gedanken gemacht – darunter auch der Schriftsteller Franz Hohler in seinem Buch «52 Wanderungen». Zum Glück hat die Sektion Basel ihre alten Protokolle und Schriften aufbewahrt, so dass die kleine Recherche zum Ziel, zu diesem Blog und einem Eintrag auf Wikipedia geführt hat.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert