Dieses klare Licht in den Bergen

Bergführer und Buchhändlerin, der Schweigsame und die Belesene. Ob das gut kommt? Berg und Liebe ist offenbar auch hochliterarisch wieder ein Thema geworden.

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Bei der Flégère haben wir uns noch einen Moment auf einen Felsen gesetzt, um schweigend die Landschaft zu betrachten, bevor wir zur Seilbahn gingen. Der Abend senkte sich allmählich herab, uns gegenüber nahmen die Aiguilles langsam warme Töne an.
Schliesslich brach ich das Schweigen.
«Pierre?»
      «Ja?»
      «Ist der Grépon eigentlich sehr schwierig?»

Der Bergführer Pierre hat die Buchhändlerin Marion aus ihrer Welt heraus in seine genommen. Ob das gut kommt? Ja. Wenigstens zu Beginn. Wenn Pierre seine Schweigsamkeit überwindet, wenn Marion den Rucksack voller gelesener Bergbücher im Tal unten lässt. In ihrer Buchhandlung in der Rue Vallot in Chamonix geht sie voran, am Grépon und auf dem Glacier de Talèfre er. Dann versuchen sie, gemeinsam zu gehen. Und heiraten. Wie einst Jean-Estéril Charlet und Isabella Straton, welche sich nach der Wintererstbesteigung des Mont Blanc anno 1876 das Jawort gaben.
Der französische Wissenschaftshistoriker Jean-Philippe Mégnin hat einen kleinen, feinen Liebes(berg)roman geschrieben (125 Seiten), der im letzten Jahr in Frankreich herauskam und seit ein paar Tagen auf Deutsch vorliegt. Ich begann ihn gestern Abend zu lesen, draussen auf der Terrasse mit der letzten Sommerwärme. Als es dunkel und herbstlich kalt wurde, wechselte ich aufs Sofa, inklusive Decke. Ähnlich ergeht es Marion und Pierre.
Jean-Philippe Mégnin zeichnet in seinem Debutroman eine erwachende und erlöschende Liebe mit prägnanten, knappen Strichen – aus der Sicht der Frau. Eine Art Tagebuch also. Hineingewoben ist die Geschichte der Eltern von Pierre, die am Mont Blanc sterben, er bei einer Rettungsaktion, sie auf der Suche nach ihm (und sich selbst). Und dann gibt der Bossons-Gletscher eine Leiche frei.
Etwas gar schattig finde ich den deutschen Titel „Dieses klare Licht in den Bergen“. Vieldeutiger und gleichzeitig präziser ist der Originaltitel „La Voie Marion“. Er nimmt die Struktur des Romans auf und gibt die Route, den Wegverlauf an: im Leben, unten wie oben, am Berg wie im Buch. Für welchen (Aus)weg sich Marion wohl entscheidet?
Jean-Philippe Mégnin: Dieses klare Licht in den Bergen. Nagel & Kimche, München 2011, Fr. 18.90.

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