Bruchharsch möglich

Drei neue Bergromane, in denen Schneeverhältnisse eine vielleicht ungewollte Hauptrolle spielen.

«Weiterzugehen und auf nichts als das Stück Spur direkt vor sich zu schauen; die nächste Kuppe, hinter der die Spur verschwindet und es möglicherweise flacher wir, nur ab und zu in den Blick zu nehmen, weil der Weg bis dorthin noch zu weit ist; vor jedem Schritt zu überprüfen, ob der eine Ski greift und es möglich ist, den anderen anzuheben, und sich darauf zu konzentrieren, dass es genau dieser Schritt ist, der jetzt zählt, und danach der nächste.»

Ein Abschnitt von Seite 47 im Skitourenroman „Hohe Berge“ von Silke Stamm. Die bei Hamburg lebende Autorin beschreibt in sprachlich eigenwilliger Art eine achttägige Skidurchquerung in den Schweizer Alpen durch eine zufällig zusammengefundene Gruppe mit dem Bergführer, vier Kunden und der Erzählerin. Sie tritt allerdings weder als „Sie“ noch als „Ich“ auf, sondern versteckt sich sozusagen im Infinitiv in den Hauptsätzen. Diese Form mit der Grundform des Verbes mag einem passen oder nicht. Wer an dieser Skitour teilnehmen möchte – und Silke Stamm beschreibt die Woche mit unterschiedlicher Team-, Wetter- und Schneedynamik inklusive Hüttengroof und Lawinenabgang harscheisenscharf -, muss da durch, Schritt für Schritt in klar vorgegebener Spur.

«Das Wetter ist prachtvoll: sonnig, aber windig und wolkig genug, um die Hitze noch ertragen zu können. Unser Ziel ist es, Stufen in die Schneepiste zu schlagen. (…) Garrard, Kits und ich bilden mit den besten Sherpas die Vorhut. Wir hauen nicht nur Stufen ins Eis, sondern spannen auch Seile und stecken zur Markierung Fähnchen in den Boden. (…) Nur widerstrebend schlägt Cotterell die Felshaken ein (…). Die Strecke ist technisch zwar nicht anspruchsvoll, besteht aber, wie sich schnell herausstellt, mehr aus Eis als aus Schnee. Und dieses Eis ist hart, viel härter als in den Alpen, weshalb das Hauen der Stufen Schwerstarbeit bedeutet.»

Ein leicht gekürzter Ausschnitt von Seite 137 und 138 im Himalayroman „Schneegrab“ von Michelle Paver. Die in London lebende Autorin beschreibt eine fiktive Expedition von fünf Engländern zum Kangchendzönga (8586 m) im Jahre 1935, auf den Spuren einer gescheiterten Expedition von 1906. Der Roman wird erzählt aus der Perspektive des Arztes Stephen, der nicht nur gegen die Höhe kämpfen muss, sondern auch gegen das Gehabe seines Bruders Kits. So weit, so spannend. Allerdings rutscht man beim Lesen immer wieder aus, sei es auf Schnee, auf Eis, vielleicht auch auf Fels. Und wenn dann die am Kantsch hängenden Eisschelfs beschrieben werden, bleibt man ganz im/am Boden stecken. Vielleicht liegt es auch an der Übersetzung; in einer Schlüsselstelle ist immer von einem Überhang die Rede, der erklettert wird – Aufschwung wäre der richtige Begriff. Dass aber bei der Expedition von 1906 einer der Bergsteiger auf 7000 Metern verletzt und ohne Zelt drei Tag überlebt hat – ich weiss nicht.

«Die Schirauer Südwand ist meistens im Spiel, wenn Menschen verschwinden. Jahrzehntelang galt sie als unbezwingbar, weil sich an ihren schroffen Steilwänden die Sturmwinde brechen und kaum ein Tag vergeht, an dem der 4187 Meter hohe Gipfel nicht in eiskalten, tückischen Nebel gehüllt ist. (…) Nach bereits wenigen eisigen Nächten [im Winter] bildet sich vom Gipfel abwärts ein beinahe durchgehend begehbares Eisfeld aus Lawinenschnee, auf dem man nach oben spazieren kann, wenn man es geschickt anstellt. Der Rest ist natürlich Risiko. Selbst geringe Mengen Neuschnee wachsen dort oben zu einer tödlichen Megalawine heran, und mit Stein- und Eisschlag ist in den Schluchten sowieso permanent zu rechnen. Wenn die Felspassagen nicht gerade brüchig sind, sind sie auf jeden Fall gefroren, was eine vernünftige Absicherung schwierig mach. Im Notfall heißt es dann: klettern mit bloßen Händen.»

Ein leicht gekürzter Abschnitt von Seite 22 im Bergroman „Kaltes Herz fast Eis“ von Michaela Kastel. Die österreichische Autorin erzählt die Geschichte von Alex, der in der Schirauer Südwand unter ungeklärten Umständen ums Leben kam, von seiner Verlobten Caro, die an den Ort reist, von dem aus Alex zu seiner riskanten letzten Tour aufgebrochen ist, und vom Erstbesteiger und Bergretter Samuel, der ein tödliches Geheimnis vor Caro verbirgt. So weit, so spannend. Aber wie schon beim „Schneegrab“: die alpinistischen Beschreibungen sind oft bruchharschig, was die Lektüre verlangsamt. Irgendwie verstehe ich die Widmung, die Michaela Kastel ihrem Krimi vorangestellt hat: „Für meinen Bruder, der zwar keine Bücher liest, aber sehr gerne klettern geht.“

Silke Stamm: Hohe Berge. Berlin Verlag, Berlin 2022. € 22,00.

Michelle Paver: Schneegrab. Piper Verlag, München 2022. € 17,00.

Michaela Kastel: Kaltes Herz fast Eis. Emons Verlag, Köln 2022. € 22,00.

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