Wandern ist der neue Megatrend. Lesen und aufbrechen lautet der Tagesbefehl, oder gleich mit dem Autor selber auf Wanderlesung. Oder gestützt vom Zivildienstler treppab im Altersheim wie der Spaziergänger Zbinden.
„Just in Mürren, genauer am Allmendhubel, soll sich folgende Begebenheit zugetragen haben: Feuz und Gertsch, zwei bodenständige Bergbauern, sitzen vor der Alphütte und geniessen, wie könnte es anders sein, die Aussicht. Spaziert ein Tourist heran und fragt im Vorbeigehen: „Grüzi, is das hier der Wech zum Schilthorn?“ Feuz und Gertsch schauen sich gegenseitig an und schweigen. Der Tourist versucht es noch einmal: „Hello, is this the way to the Schilthorn?“ Sich wiederum schweigend anschauend, geben Feuz und Gertsch keine Antwort. „Bonjour“, versucht es der Wanderer nun auf Französischen, „est-ce le chemin pour le Schilthorn?“ Doch Feuz und Gertsch verweigern erneut jegliche Auskunft. Kopfschüttelnd und entmutigt zieht der Tourist weiter. Wie er aus dem Blickfeld der zwei Wortkargen entschwindet, sagt Feuz zu Gertsch: „Wohl, wohl, der Mann spricht drei Fremdsprachen.“ Meint Gertsch: „Aber genützt hat es ihm trotzdem nichts.“
Längst tempi passati.“
Hoffen wir doch! Obwohl es schon noch vorkommen soll, dass man im Oberland einem Mürggu wie Feuz oder Gertsch begegnet… Doch zum Glück gibt es Wegweiser mit Wanderzielen und Gehzeiten drauf. So heisst das neue Wanderlesebuch von René P. Moor: „Gehzeiten“. Der am Nordrand des Berner Oberlandes wohnende Wanderer nimmt uns auf 48 Spaziergänge, Wanderungen und Schneeschuhtouren in der Schweiz mit, darunter auf ein 16-tägiges Trekking vom Thunersee in die Ajoie. Der neunte Ausflug, betitelt mit „Von Allmens Ungemach“, berichtet ebenfalls vom Ungemach des Touristen, der das Schilthorn besteigen wollte. So hoch hinauf jagt Moor die Leser nicht, sondern bringt sie von Mürren via Grütschalp nach Isenfluh: 4 Std., 11.5 km, 430 m Auf- und 980 m Abstieg. Diese Zahlen finden wir hinten im Anhang, inklusive Angaben zum Routenverlauf, den wir am besten mit Hilfe der Landeskarte oder Wegweiser nachvollziehen; natürlich könnten wir auch Einheimische fragen…
Oder, vierte Möglichkeit: Wir gehen gleich mit dem Autor wandern. Am Samstag, 13. November 2010, führt er im Raum Schwarzenburg – St. Antoni seine erste Wanderlesung durch. Die einfache Tour dauert rund drei Stunden; unterwegs liest René P. Moor aus seinen Wanderlesebüchern „Schritt für Schritt“ und „Gehzeiten“. Anmeldung bis am 11.11.10 unter 033 333 83 35 oder info@wanderwerk.ch. Die Teilnahme ist kostenlos.
Weitere Möglichkeit: sitzend lesend wandern. Ein Wanderlesebuch fordert dazu ja geradezu heraus. Ein weiteres gleichfalls: „Spaziergänger Zbinden“. Darin erzählt Christoph Simon vom rüstigen, 87-jährigen, mitteilsamen Altersheimbewohner und Altlehrer Lukas Zbinden, der am Arm eines türkischstämmigen Zivildienstleistenden Stockwerk um Stockwerk hinabgeht, diesem sein Leben, unter anderem mit der über alles geliebten Emilie, ausbreitet, mit andern Bewohner spricht und immer wieder über seine grosse Leidenschaft räsoniert: das Spazieren. Auf Seite 57 steht da – aber das soll keineswegs die mürrischen Wortkargen vom Allmendhubel entschuldigen: „Ein Grossteil unseres Erlebens ertrinkt in Worten. Zuweilen ertappe ich mich beim ketzerischen Gedanken, dass man die Zeit, die man zum Erzählen von Spaziergängen investiert, besser nutzen könnte, indem man weitere macht.“
René P. Moor: Gehzeiten. Ein Wanderlesebuch. Edition Wanderwerk, Burgistein 2010, Fr. 30.-
Christoph Simon: Spaziergänger Zbinden. bilgerverlag, Zürich 2010, Fr. 34.-