Hüttchopf

Einst einsam und ein bisschen unheimlich, ist aus dem schön geformten Nagelfluhhöcker ein Modewanderberg geworden. Ein Augenschein.

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Wandern sei ein Megatrend, habe ich irgendwo gelesen. Wanderbücher noch und noch (auch eines von mir). Wanderstöcke ein Millionengeschäft, so scheint es, vielleicht Ersatzprodukt für die darbende Waffenindustrie. Jedenfalls ziehen der moderne Wandersmann und die Wanderfrau fast ausschliesslich wanderstockbewaffnet ins Feld und in die Hügel. Auch hier und heute – oder hütt. Hüttchopf also, am letzten von den Wetterschurris von DRS 1 befohlenen Wandertag des Jahres.
Es ist ja immer ein eigenartiges Gefühl, durch die Welt der Jugend zu wandern, wo sich doch alles verändert hat, die Strassen, die Wege, die Siedlungen. Gibswil, mein Dorf, das Einfamilienhausgewucher greift ans Herz. Es ist nicht so, wie mein Vater im Chor des Werkmeisterverbandes Wald noch sang: «Die alten Strassen noch, die alten Häuser noch, die alten Freunde aber sind nicht mehr.» Es ist beinahe umgekehrt, die Strassen und Häuser erkenne ich kaum mehr, aber aus dem Autofenster einen alten Mann mit weissem Bart, der einsam übers Feld schreitet: Pius, mein Schulfreund.
Aber ich wollte ja vom Hüttchopf erzählen, wenn es da was zu erzählen gibt. Eine Herbstwanderung eben, man sagt viel «Grüezi», der Boden ist feucht. Am Dürrspitz hat ein Bagger die Erde aufgewühlt, die Waldarbeiten haben scheussliche Wunden hinterlassen. Auf dem Gipfel viel Volk, eine Sitzbank, Kinder. Was von Ferne wie ein Gipfelkreuz aussieht, ist ein Wegweiser, aber irgendwie genauso fehl am Platz. Eine Art multifunktionelles Gipfelsignal, Kreuz und Wegzeichen in einem. Man könnte beinahe ins Sinnieren kommen, aber dazu ist es zu unruhig hier oben. Und die Aussicht kennt man ja.
Ich denke an früher, während wir absteigen. Der Hüttchopf war ein einsamer seltsamer Berg, wir mieden ihn. Seine ebenmässige Form hebt ihn heraus aus all den Zürcher Oberländer Gipfeln, so kahl und gleichförmig, früher glaubten manche Leute, er sei ein erloschener Vulkan. Alles wanderten wir damals ab, Oberegg, Dürrspitz, Scheidegg, Tössstock, Schwarzenberg, Schindelberg, Schnebelhorn, manchmal an einem Tag. Den Hüttchopf bestiegen wir kaum, ich weiss nicht warum, ich erinnere mich an kein einziges Mal. Er lag abseits unserer Trampelpfade und erschien uns etwas langweilig und vielleicht auch etwas unheimlich. Obwohl wir ja wussten, dass er aus Nagelfluh bestand wie der ganze Rest des Oberlandes, nicht aus Lava.
Heute ist der Hüttchopf offensichtlich ein Modewanderberg geworden, auch Bergläufer kommen uns entgegen, stöckelnd und schnaufend und schwitzend, und sogar Leute auf Pferden. Er soll ja auch eine schöne Skitour sein, wir nehmen uns vor, im Winter wiederzukehren, mit Ski und Fellen und dann auch mit Stöcken, also Skistöcken. Auf dem Abstieg am Grat bauen wir eine schöne Feuerstelle, schichten Steine rundum damit der Föhn das Feuer nicht ausbläst, braten Würste, und es ist ein bisschen wie einst.

Ein Gedanke zu „Hüttchopf

  1. Lieber Emil Zopfi
    Der Hüttchopf mag zwar ein Modegipfel sein, aber unter der Woche ist es oft recht einsam dort oben. Als Skiberg ist er nicht sehr interessant (allenfalls die Wiese Richtung Bruederegg oder weiter rechts), viel lohnender ist die Abfahrt vom Dürrspitz über die Oberegg und den Lehberg nach Gibswil. Eine Tagestour wäre Gibswil – Dürrspitz – Scheidegg – Wolfsgrueb – Schwarzenberg und zurück (besser als die in den ‚Alpen‘ beschriebene ‚Tösstaler Haute Route‘).
    Freundliche Grüsse
    Ueli Hürlimann

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