Mord im Alpenglühen

Das grosse Buch zum Schweizer Krimi. Und zwei neue Bergkrimis mit dem leider aktuellen Titel „Endstation“.

«Der Bergkrimi ist ein Kriminalroman, der in den Bergen spielt, an sich nichts Aussergewöhnliches in einem Alpenland. Bergromane enthalten generell häufig dramatische Ereignisse (Naturkatastrophen) und ungeplantes Ableben (Unfälle?), was die Grenze zwischen Bergromanen und Bergkrimis unscharf macht. Der Spezialist für diese Art von Literatur ist Daniel Anker, und er betreibt einen Blog/Newsletter: www.bergliteratur.ch.»

Danke Paul! Der Eintrag zum Bergkrimi findet sich unter „Sachartikel“ in einem Buch mit einem gnadenlos schönen Titel: „Mord im Alpenglühen“. Darin befasst sich Paul Ott, der als Paul Lascaux selbst Krimis schreibt, auf 347 Seiten mit dem Schweizer Kriminalroman und seiner Geschichte und Gegenwart. Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über die Schweizer Kriminalliteratur von den Verbrechensberichten und Gerichtsreportagen im 19. Jahrhundert bis zur heutigen Vielfalt des Kriminalromans. Der Autor zeigt Entwicklungslinien auf und beschreibt Werke von bekannten oder vergessenen Verfasserinnen und Verfassern aus allen Sprachregionen der Schweiz. Die Bibliografie enthält über 2000 Werktitel und biografische Angaben, von „Meurtres en sérail“ (2002) des seit 1995 in Genf lebenden Algeriers Charaf Abdessemed bis zum „Mord im Blauen Bähnli“ (1998) des Berners Thomas Zwygart.

„Mord im Alpenglühen“ ist erstmals 2005 aufgelegt worden. Nun hat Paul Ott sein Opus magnum überarbeitet und erweitert. Und das war eine Heidenbüez, boomt doch der Schweizer Krimi in den letzten Jahren gewaltig. Allein von Silvia Götschi zum Beispiel sind seit 2010 neunzehn Titel erschienen – „Jakobshorn“ und „Mattawald“ habe ich hier je vorgestellt. Ebenfalls den zweiten Krimi von Marc Voltenauer: „Qui a tué Heidi?“ Sein Erstling „Le dragon du Muveran“ tönt mehr nach Bergkrimi, ist es aber nicht. Dass bei diesem kriminalliterarischen Ausstoss dem Chronisten und Sammler Ott der eine oder andere, insbesondere jüngst erschienene Titel durch die Lappen gegangen ist, versteht sich. Aber dass Paul bei Emil Zopfi, dem Gründer von www.bergliteratur.ch, ausgerechnet dessen dritter Bergkrimi, „Finale“ aus dem Jahr 2010, vergessen hat! Nobody is perfect. Im Krimi erst recht nicht…

Doch nun vom Sachbuch zur Sache. Zwei im letzten Jahr erschienene Deutschschweizer Krimis, die ich je in meine Bergkrimisammlung aufnehme, führen zu einer Endstation. Diejenige von Lorenz Müller endet am Gotthard und drüben in der Leventina – als das Buch erschien, konnte man ja nicht wissen, dass dies seit ein paar Wochen eine Realität ist. Ein Mann verschwindet spurlos – und wird Monate später auf einer Strasse im Gebirge gefunden. Sein Bruder Daniel macht sich auf die Suche und wird bald selbst gejagt. „Direkt unter ihm lag die Bergstation der Standseilbahn im Felsen, und sein Blick folgte der Bahntrasse bis hinunter ins Tal.“ Plötzlich hört er das Brummen eines Automotors.

Bei Gian Maria Calonder – unter diesem Namen veröffentlicht Tim Krohn Krimis um den Polizisten Massimo Capaul – liegt die Endstation im Engadin. Die Fahrt mit der berühmten Albulabahn bereitet allerdings Probleme, nicht für ihn, sondern für einen Arbeiter im Albulatunnel. Kurz darauf kommt ein zweiter ums Leben, und Capaul muss teils zu Fuss Nachforschungen anstellen. „Der Marsch die Val Bever hinab wurde zäh. Die Landschaft war hinreiβend, die Lärchen verloren bereits ihre Nadeln und färbten die Waldhänge und Wiesen bronzefarben. Doch es war kalt geworden, er fror und schwitzte zugleich, auβerdem schmerzte der Zeh.“

Kein erfreuliches Alpenglühen also. Apropos Mord in diesem: Das Titelbild von Paul Otts Buch zeigt eine verpixelte Version des Umschlages zur zweiten Auflage von Friedrich Glausers „Wachtmeister Studer“ von 1939, mit dem unvergesslichen Heinrich Gretler im Fokus. Seit 1979 steht dieser Kriminalroman in meinem Büchergestell, mehrfach gelesen. Noch nie habe ich mich aber gefragt, ob die Alpen darin auch vorkommen. Auf Seite 76, am Anfang des Kapitels zum Interieur der Familie Witschi, werde ich fündig:

«Das Haus stand abseits auf einer Anhöhe, inmitten einer kleinen Wohnkolonie, aber es war älter als die Bauten, die es umgaben. Die Ladentüre war neben der Eingangstüre, links; daneben lag eine Art offener Veranda, an deren Hinterwand sich ein gemalter See vor Schneebergen ausbreitete, und die Schneeberge waren rosa, wie wässeriges Himbeereis. Ueber der Türe prangte in verschnörkelter Schrift der Spruch:
Grüβ Gott, tritt ein, bring Glück herein!
Unter den Fenstern des ersten Stockes in blauer Farbe der Name des Hauses:
„Alpenruh“.»

Paul Ott: Mord im Alpenglühen. Der Schweizer Kriminalroman – Geschichte und Gegenwart. Chronos Verlag, Zürich 2020, Fr. 38.-
Lorenz Müller: Endstation Gotthard. Emons Verlag, Köln 2019, Fr. 20.-
Gian Maria Calonder: Endstation Engadin. Ein Mord für Massimo Capaul. Kampa Verlag, Zürich 2019, Fr. 22.-

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