Meist sind es die kleinen Dinge, die unser Herz erwärmen. Für einmal war es etwas Grösseres, was Freude bereitete und schwärmen liess. © Annette Frommherz
Der Liebste drängelte, sein neues Bike einzufahren. Nun denn, es war ihm nichts dagegen einzuwenden. Aus Erfahrung weiss ich, wie wichtig es den grossen Buben ist, ihr neues Spielzeug zu testen. Jetzt. Gleich. Sofort. Schon weil ich ein gefühltes Diplom für Herzensangelegenheiten besitze, konnte ich seinen Wunsch unmöglich ausschlagen.
Das Appenzellerland lockte mit seinen sanften Hügeln, die noch immer in einem satten Grün aufwarteten. Uns lächelte der Tag entgegen, als wir von Urnäsch über Gonten Richtung Hundwiler Höhi hielten. Der Herbst trieb es bereits in bunten Farben, nur eine riesige Esche zeigte sich in einem derart frühlingshaften hellen Blätterkleid, dass wir nach der richtigen Jahreszeit Ausschau hielten. Die Gegend machte uns staunen: schön in die Landschaft gesetzt prächtige Höfe mit Fassaden voller Bauernmalerei, auf den Weiden gekonnt verteilt das Braunvieh und die weissen, bärtigen Ziegen. Es sah ganz nach der Sage aus, wonach hier einst ein Riese vorbeigewandert sein soll und aus seinem löchrigen Sack die Bauernhäuser herausfallen liess. Den letzten steilen Rest bergauf zur Höhi mussten wir unsere Räder schieben, worauf Wanderer, die uns entgegenkamen, uns für die Rücksicht lobten und meinten, wir dürften schon fahren.
Dem Wanderer und Biker steht auf der Hundwiler Höhi, wenn nach dem Aufstieg sich Hunger und Durst bemerkbar machen, ein Berggasthaus zur Seite. Wir nahmen in der niederen Stube ein Auge voll von der heimatlichen Innenausstattung. Gehäkelte Spitzen, Streuwürze auf den hölzernen Tischen, blaue Saftkrüge. Perfekt getarnt hinter der Türe entdeckten wir eine Wurlitzer, die kultige Musikbox aus den Zeiten unserer Ahnen, mit der hier wohl seit Jahrzehnten die Vinylplatten aufgelegt wurden. Ein Geldstück einwerfen, eine dieser schwarzen Scheiben wählen, und schon werden sie abgespielt, von James Browns „I feel good“ bis zum Appenzeller Streichquartett mit „Öbe Schtock ond Schtee“. Ein Arbeiter des Lokals war gerade damit beschäftigt, die leeren Harasse zu beigen. Er deutete auf den Kasten und meinte, der sei schon eine Weile defekt. Derjenige, welcher ihn reparieren sollte, laufe eben nicht gerne den Berg hinauf. Der Mann hob seine mageren Schultern etwas in die Höhe und sagte, er könnte das Ding zwar auf den Traktor hieven und hinunterfahren, aber in die Stadt wolle er damit nicht. Und so wird die Jukebox weiterhin hinter der Türe stehen, bis sich jemand ihrer erbarmt.
Mein Liebster weilte indessen gedanklich bei seinem Bike. Er freute sich auf die Abfahrt, die steiler und länger würde als je erträumt. Übermütig schwang er sich auf sein Gefährt. Ich versuchte erst gar nicht, mit seinem Tempo mitzuhalten. Gar manches Mal entschwand er meinem Blickfeld, und mit einem spitzbübischen Lächeln im Gesicht wartete er ein gutes Stück weiter unten auf mich. Bevor es vergessen geht zu erwähnen: Er war zufrieden mit seinem neuen Bike. Mit ihm und mit dem ganzen Tag.