Sennenkutteli trägt man heute öfters im Tal als auf den Alpen. Ein Augenschein abseits geteerter Alpstrassen.
Der Aufstieg ist hart, tausend steile Meter. Nach einem Passübergang öffnet sich ein Tal, versteckt hinter einem Felsgrat. Im flachen Grund blüht ein Meer von Greiskraut und Wollgras, hinter den Felsblöcken eines alten Bergsturzes stehen die einfachen Hütten einer Alp. Auf einem Felsblock weht die Kantonsfahne. Das Vieh lagert im Schatten einer Senke bei einem Teich, ein paar Rinder entdecken wir hoch in den Hängen unter Felswänden.
Wir setzen uns an einen Tisch bei den Hütten, ein Schild bietet Alpkäse an, an der Wand trocknen Käsetücher. Alpen, wo gekäst wird, sind selten geworden. Auf diese führt nicht einmal eine Fahrstrasse.
Eine junge Frau taucht auf, stiefelt zum Schweinepferch, treibt die Tiere mit dem Besen in den Stall. «Damit sie nicht Sonnenbrand bekommen», ruft sie in Hochdeutsch. Sie ist schlank und blond, trägt Shorts aus Jeansstoff und ein schwarzes Leibchen. Dann verschwindet sie in der Hütte, kommt zurück mit einem Krug Eistee. «Wir haben keine Preise hier, gebt, was ihr wollt.» Dann wischt sie den Vorplatz sauber. Da muss der Senn keine Käselaiber in den Dreck legen, wie in der Sage, damit seine Geliebte mit feinen Schuhen zur Alphütte gelangen kann. Und seine arme Mutter später mit Jauche überschütten, wenn sie sein Techtelmechtel stört. Es war einmal. Vielleicht liegt jene Alp begraben unter den Felsblöcken eines alten Bergsturzes neben den Hütten.
«Tschüss», winkt uns die moderne Alpknechtin zu. Jessica heisst sie und stammt aus Schweden. Eine von vielen Ausländerinnen und Ausländern, die unsere Alpen in Schwung halten, nebst Aussteigern, Unterländern, rüstigen Rentnern und Managern in der Burnout-Therapie. Es gibt auch noch auch Einheimische, wie der junge Senn in der Nachbaralp, der nichtmal einen Batzen will für das Getränk, das er uns offeriert. «Also ein Bier hat es noch immer gegeben auf der Alp.» Das habe schon sein Vater gesagt, und daran halte er sich. Auch ein «Gelieger» für verspätete Touristen sei immer vorhanden. Ein hübscher Schwarzhaariger mit Bärtchen, grünem T-shirt und Sporthosen mit vielen Taschen. Im Winter Schlosser unten im Tal.
Hier wird nicht mehr gekäst, die Milch rauscht per Pipeline ins Tal. Mit der Nachbaralp habe man ein gutes Verhältnis, man helfe sich gegenseitig, etwa beim Hagen in den Steilhängen. Ja, ja, die Jessica kenne er, sagt er, und lächelt.
Der Umsatz an Hirthemden mit eingestickten Edelweiss sei dieses Jahr mächtig in die Höhe geschossen, erfahren wir später aus dem Radio. Wegen dem Eidgenössischen in Burgdorf. Zehntausende verkleiden sich für den Megaevent als Sennen, schauen den bösen Buben zu, die sich im Sägemehl um einen Muni balgen und eine Million Sponsorengeld, die auf den Schwingerkönig warten. Unspunnen war einmal. 1805 wohl noch mit echten Sennen.
Lieber Emil
Nun sah ich Jessica auf Deinem Bergblog. Es ist eine schöne Schilderung. Ich hörte an der Buch Vernissage, als Du von dieser Begegnung erzählt hast, deswegen mein „Minikrimi“.
Mit herzlichen Grüssen
Isolde