Todesfalle am Col Collon

Wer in guter Gesellschaft im Nebel auf einem Gletscher verenden möchte, nimmt sich am besten den Col Collon im Wallis vor, möglichst ohne GPS oder Kompass. Einst scheint das ein wahrer Hochgebirgsfriedhof für verirrte Wanderer gewesen zu sein. Aber auch in Zürich sind nicht alle Routen so einfach zu finden – Leichen werden hier allerdings schneller entsorgt.

„Der Gletscherpass des Col de Colon, der die Verbindung zwischen dem Val d’Hérens und dem Val Pelline vermittelt, ist ein längst bekannter Übergang. Ja, es soll dieser Pass ehemals die grosse Strasse für den Viehhandel aus dem Eringerthale nach Italien gewesen sein, sich aber durch die Zunahme der Gletscher bedeutend verschlechtert haben. (…)
Von Touristen scheint dieser Pass erst in neuerer Zeit begangen worden sein. Der erste war wohl Hr. Godeffroy, der in Begleit des Hirten von Arolla im Jahr 1838 den Pass überschritten hat. Als im August 1842 die Herren Professoren Forbes und Studer von Val Pelline über den Col de Colon nach Evolena reisten, fanden sie auf ihrem Weg über den Gletscher den halbverwesten Leichnam eines noch ganz bekleideten Mannes, der wahrscheinlich im Spätherbst vom Sturm überwältigt worden war; etwas weiterhin lagen die Spuren eines andern Opfers, dann trafen sie die Ueberreste von zwei Gemsen und nahe dabei die vollständigen Knochen eines Mannes an. Als der Verfasser dieser Schrift im Jahr 1852 mit Hrn. Prof. Ulrich den Col de Colon passirte, sahen sie ebenfalls im Schnee Knochen von verunglückten Männern liegen.“

Dieser Col Collon (3069 m) zwischen dem Kanton Wallis und der Region Aosta muss ja ein richtiges Leichenfeld gewesen sein! Warum wohl all diese Toten, die Gottlieb Studer im zweiten Band seines Standardwerkes „Ueber Eis und Schnee. Die höchsten Gipfel der Schweiz und die Geschichte ihrer Besteigung“ aus dem Jahre 1870 erwähnt? Vorstoss der Gletscher, Unkenntnis der Route, Einbruch schlechten Wetters? Bestimmt vor allem letzteres. Davor warnt auch Mark Zahel in seinem jüngst erschienenen Rother Wanderführer, der die drei Trekking-Rundtouren Monte Rosa, Matterhorn und Combin vorstellt: „Hochalpiner Übergang, für den gute äuβere Bedingungen, vor allem ausreichende Sicht, nötig sind.“ Deshalb sei der Col Collon bei schlechtem Wetter unbedingt zu meiden. Auf der Landeskarte sind zwar sowohl auf den Geröllfeldern wie auf dem Haut Glacier d‘Arolla Wegspuren eingezeichnet, und nur 50 Minuten unterhalb des Passes wartet das Rifugio Nacamuli auf müde und verunsicherte Wanderer. Doch bei schlechter Sicht sind die Spuren rasch einmal nicht mehr sichtbar. Dann hilft nur noch Hoffen, Beten – oder ein funktionstüchtiges GPS-Gerät. Für Zahels Führer stehen die GPS-Daten zum kostenlosen Download bereit. Und auch mit Höhenmeter, Kompass, Karte und Führer (auf Papier oder digital) sollte man, entsprechende Fähigkeiten mit dem Umgang dieser Hilfsmittel vorausgesetzt, über den Col Collon kommen, einen der acht Pässe auf der Tour Matterhorn.

Wer sich nun für die Geschichte der Führerliteratur interessiert, wird vielleicht am Dienstag, 3. September 2013, den Weg in den Lesesaal der Musikabteilung im fünften Stock des Predigerchors neben der Zentralbibliothek Zürich am Predigerplatz 33 finden. Um 12.15 beginnt nämlich mein Vortrag „Vom Bericht zum Topo“, in dem ich Routen von den ersten Reiseberichten und Reiseführern bis zum Topoguide und iPath skizzieren werde. Der Eintritt ist gratis. Aber wie gesagt: Zuerst muss man diesen Lesesaal finden und ersteigen. Deshalb hier noch die Koordinaten des Eingangs: 2.683.609/1.247.600 bzw. 08°32’44.5’’O, 47°22’26.1’N.

Mark Zahel: Walliser Alpen. Die groβen Trekking-Runden. Tour Monte Rosa, Tour Matterhorn, Tour des Combins. Rother Wanderführer, 2013, Fr. 24.90.
Daniel Anker: Der Reiseführer-Berg: Vom Bericht zum Topo, in: Anker (Hrsg.): Titlis – Spielplatz der Schweiz. AS Verlag, Zürich 2001, Fr. 54.-
Daniel Stettler: Vom Itinerar zum Topoguide. Reise-, Touren-, Wander- und Kletterführer als Orientierungsmittel für Bergsportler, in: Bergwelten. Die Zentralbibliothek des Schweizer Alpen-Club SAC. Begleitschrift zur Ausstellung im Predigerchor der Zentralbibliothek Zürich. SAC-Verlag/ZB Zürich, 2013, Fr. 15.- Die Ausstellung ist nur noch bis zum 7. September zu sehen.

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