Die Berghotellerie der Schweiz befindet sich im Jammertal, vor allem seit die Höhe des Frankenkurses den fremden Touristen den Kurs auf die Höhen der Schweizer Alpen verdirbt. Das war nicht immer so, wie ein Blick in die grosse Geschichte der alpinen Hotellerie zeigt, die einst mit Pioniertaten glänzte. Glänzend entwickeln sich jedoch die einfachen Unterkünfte im Alpenraum, Hüttenferien mit Oma und Kind sind in. Der ultimative Führer dazu hat es schon zu 10 Auflagen geschafft!
„The Hospice of the Grimsel stands about 800 feet below the summit of the Pass. Berne being a Protestant canton there is no religious community attached to the establishment, which has long been, for all practical purposes, an inn. It is a rough, strong, rock building, with few windows, and looks like a gaol, a Spanish monastery, or a hospital for the insane. Its entourage is the most dreary in all Switzerland. On all sides and above it is frowned upon by shapeless mountains, covered with ice and snow. Its elevation above the sea is more than 7000 feet, and the peaks rise above to the height of another thousand.
Within the building, however, everything is neat and comfortable; there are a little library, enriched chiefly by English travellers, with some good books, a well-furnished refectory and abundant table, eighty beds or more, and everything in excellent order.“
Brauchen wir mehr, wenn wir in den Bergen unterwegs sind und übernachten wollen bzw. müssen? Ein starkes Haus, eine gemütliche Speisekammer, ein Bett, schön sauber, wohl geordnet, und wenn noch ein paar gute Bücher greifbar sind oder heute kostenloses WLAN: tant mieux! Da stört es gewiss nicht, dass nur wenige Fenster sind, zumal draussen ohnehin öde Berglandschaft vorherrscht. Klar, grad an ein Gefängnis oder ein Irrenhaus müsste die Herberge im Gebirge nicht erinnern, aber lieber ein Dach über dem Kopf als keines. Fand offenbar schon der zweite Band der „Bogues’s Guides for Travellers“, der „Switzerland and Savoy“ beschrieb. Eine seltener Reiseführer, nicht so wohlbekannt und –benützt wie Baedeker, Ebel, Joanne oder Murray. Als er 1857 in London erschien, war das Bereisen der Schweiz schon ziemlich en vogue – und wurde es immer mehr. Da waren die Touristen auf Hotels und Häuser angewiesen, nicht nur an der Grimsel, auch in Zermatt und Arolla, auf dem Faulhorn und dem Säntis. Die Reisenden sind es immer noch, die Fenster sind inzwischen einfach zahlreicher und grösser geworden, vielleicht weil man grad diese scheinbar leere, wilde Natur betrachten will, mit vollem Bauch vom sicheren, komfortablen Hort aus.
Wo wurde in den Schweiz die erste elektrische Anlage fest installiert? Im Juli 1879 im St. Moritzer Hotel Engadiner Hof, heute Kulm. Im welchem Hotel wurden zum ersten Mal Toilletten mit Wasserspülung eingebaut? 1847 im Hôtel des Bergues in Genf; 26 Jahre beförderte dort erstmals ein Lift die noblen Gäste und ihr umfangreiches Gepäck. Die grossen Hotels, die der Schweiz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu touristischem Weltruhm und eigenem Wohlstand verhalfen, setzten nicht nur architektonische Akzente in schöne Landschaften, sondern waren oft auch technische Vorreiter von heute ganz alltäglichen Einrichtungen. Diese Entwicklungen beleuchtete der Architekturhistoriker Roland Flückiger-Seiler in zwei vor gut zehn Jahren erschienenen Bänden zur schweizerischen Hotelgeschichte zwischen 1830 und 1920: „Hotelträume zwischen Gletschern und Palmen“ und „Hotelpaläste zwischen Traum und Wirklichkeit“. Nun ist vor ein paar Tagen der lang erwartete dritte Band erschienen, der wiederum mit faszinierendem Bildmaterial brilliert: „Berghotels zwischen Alpweide und Gipfelkreuz. Alpiner Tourismus und Hotelbau 1830-1920“. Ein Prachtswerk, das einerseits einen vorzüglichen Überblick über die ersten Hotels in den Schweizer Alpen gibt, andererseits mit vielen spannenden Geschichten aufwartet: zu katholischen Pfarrherren als bedeutende Förderer des Fremdenverkehrs, zur Distanz zwischen Bauernhäusern und Hotelbauten, zu Grand Hotels, die sich so nannten, aber nicht so aussahen, zu Bergbahnen als Motoren der touristischen Entwicklung. Nur bei alpinistischen Themen herrscht nicht überall „excellent order“. Die Register zu Personen und Orten machen den Bildband zum unverzichtbaren Nachschlagwerk für alle, die sich für die Hotel- und Tourismusgeschichte der Schweiz interessieren.
Suchen Sie also noch eine Bleibe für die nächsten Ferien im Lande? Sonnig, aussichtsreich, ruhig, nicht zu gross und nicht zu teuer. Wie wärs mit der Capanna Borgna, wunderbar auf einer Terrasse gut 1700 Meter oberhalb des Lago Maggiore gelegen? Eine ehemalige Alphütte aus Stein, die in eine Hütte für Bergwanderer verwandelt wurde. 27 Plätze mit Decken (aber ohne Duvets), Kochgelegenheit, Wasser und Licht sind vorhanden, Handyempfang ist garantiert, eine Flasche Merlot meistens zu finden: Was braucht es mehr? Einen Führer natürlich, der solch gemütliche und nützliche Unterkünfte auflistet und mit allen (überlebens)wichtigen Infos zeigt und beschreibt, von Anreise und Anmarsch über Schlüsseldepot und Mail/Internet-Adresse bis zu Bezahlungsmöglichkeit mit Kreditkarten und hüttennahen Klettergärten für Kinder. „Hütten der Schweizer Alpen“ vom bewährten Autorenduo Kundert-Volken ist so ein unentbehrliches Werk für Gebirgstouristen aller Art: vorbildlich aufgemacht, klar strukturiert. Die eben erschienene zehnte Auflage stellt 345 Hütten und Biwakschachteln vor – alles Ziele für solche, die ein bisschen höher hinaus wollen. Bis hinauf gegen die „shapeless mountains, covered with ice and snow“, und noch weiter zum Matterhorn, wo die neue Hörnlihütte am 14. Juli eingeweiht werden wird. Nur nebenbei: 1857, als „Switzerland and Savoy“ von David Bogue herauskam, begannen die Versuche, das „obelisk-like Matterhorn“ zu besteigen.
Roland Flückiger-Seiler: Berghotels zwischen Alpweide und Gipfelkreuz. Alpiner Tourismus und Hotelbau 1830-1920. Hier und Jetzt Verlag, Baden 2015, Fr. 89.-
Remo Kundert/Marco Volken: Hütten der Schweizer Alpen. 10. vollständig überarbeitete Auflage. SAC Verlag, Bern 2015, Fr. 48.-, für SAC-Mitglieder 39.-
Buchvernissage von Berghotels zwischen Alpweide und Gipfelkreuz am Donnerstag, 4. Juni, um 19 Uhr im Alpinen Museum der Schweiz am Helvetiaplatz in Bern.