Bergkrimis

Das Gebirg ist gefährlich. Das haben inzwischen auch die Schreibtischtäter gemerkt. Man kann ja nicht immer den letzten «Tatort» nacherzählen. So ist nun der Krimitsumami auch über die heile Welt der Felsen und Firne hereingebrochen. Gelegentlich grüsst auch Louis Trenker vom Herrgottschrofen herab, der alte Alpenschattengott.

„Der Hang war verspurt. Der Schnee zu unregelmäβigen Haufen aufgeworfen, aber kalt und noch nicht schwer, und an keiner Stelle kam der Dreck durch. Kreuther fuhr vor, setzte einige Schwünge auf die steile Piste und wartete weiter unten auf Daniela. Sie erwies sich als geübte Fahrerin, die mit den Schneeverhältnissen gut zurechtkam. Ihr Atem ging schnell, und sie lächelt sogar, als sie neben Kreuther zum Stehen kam. Es hatte seinen eigenen Reiz, bei Vollmond Ski zu fahren, am Berg unterm Sternenzelt, und die Nacht so kalt und klar.
Was ihrer beider Aufmerksamkeit entgangen war, wie sie auf den See geschaut hatten und auf München ganz oben im Norden, das war die Wolkenwand, die von Südwesten kam. Eben jetzt, als Kreuther am Waldrand entlang fuhr, wo der Schnee am besten war, schob sie sich unversehens vor den Mond, und es wurde dunkel.“

Und wie es dunkel wurde! Schlimmer noch, wie es für eine dritte Person schon ewig dunkel geworden war. Für eine vierte ebenfalls bald im Buch „Schwarze Piste“ von Andreas Föhr. Auch Kreuther und Daniela, wenn sie denn überhaupt die nächtliche Abfahrt von einem Skiberg in den bayerischen Voralpen überleben werden, dürften noch in die eine oder andere (lebens)gefährliche Situationen kurven. So will es schliesslich der Kriminalroman. Ohne Leiche im Schnee, im Keller oder anderswo wär’s ja wirklich nur halb so spannend. Ein paar Krimis, wo Firn und Fels eine Rolle spielen, wenn manchmal auch nur am (Wald)rand, möchte ich vorstellen.

Lassen wir die Skischuhe noch grad angeschnallt. In „Steirerkind“ wird der Cheftrainer des österreichischen Herrenskiteams zwei Tage vor der Beginn der Alpinen Ski-WM in Schladming unter der Eisdecke des Steierischen Bodensees gefunden. Ein hochaktueller Krimi also, was Termin und Tatort(e) betrifft. Zum Glück jedoch nicht hinsichtlich Toter und Täter. Und auch auf anderer Ebene weisst Claudia Rossbacher Realität und Fiktion auseinanderzuhalten. „Hätte nicht ein Schweizer, sondern der um Haaresbreite zweitplatzierte Österreicher, WM-Gold geholt, wäre dieser Tag makellos gewesen“, schreibt sie auf S. 235. Wahrscheinlich war ich am 9. Februar 2013 und an den folgenden Tagen heftig am Skikrimis lesen, denn von einem Abfahrtssieg der Schweizer Skirennfahrer habe ich nichts mitbekommen… Gewannen sie in Schladming überhaupt eine Medaille?

„Chiffren im Schnee“ sind das, geheime Zeichen. So lautet der Titel von Katharina Berlingers Roman, der in einem Grand Hotel in der Schweizer Alpen am Vorabend des Ersten Weltkrieges angesiedelt ist. Eine halbe Tote zu Beginn, ein richtiger auf S. 174: Das Buch ist mehr Hotel- als Spionageroman. Hauptfiguren sind die schweizerische Gouvernante Anna und der englische Grandseigneur Christian, die sich … na, das verrate ich nicht. Auf S. 160 erzählt Anna von einem echten Bergkrimi: „Im letzten Frühjahr stieg hier ein junger Herr aus Boston ab und verschwand ein paar Tage später spurlos. Er war alleine ohne Bergführer unterwegs, der Alpenclub hat lange nach ihm gesucht, aber da war nichts zu machen. So etwas kommt vor, im Frühling gehen viele Lawinen nieder. Aber dann setzte sich irgendein Schreiberling in Amerika in den Kopf, dass der junge Mann von Bergführern absichtlich in die Irre geführt, ausgeraubt und ermordet wurde. Und dass viele in den Bergen verschwundene Fremde auf das Konto dieser Bande gehen sollen.“

Wollen wir davon mehr lesen? Wohl kaum. Auf den zweiten Fall von Tobs Thanner hingegen sind wir gespannt. Sein erster Fall im Bergkrimi „Abgrund“ von Stefan König, womit auch der Rother Verlag in die kriminalistische Belletristik eingestiegen ist, hat mit den Bergen nur am Rande etwas zu tun. Im Prolog passiert zwar ein Mord auf einer Bergtour, doch im weiteren Verlauf des Buches wird höchstens zum Vergnügen und nicht zum Vernichten geklettert, hauptsächlich im Wettersteingebirge. Hübsch übrigens, dass der neue Detektiv seine Berufskollegen aus Königs früheren Bergkrimis trifft, auf dem Jubiläumsgrat zur Zugspitze.

Am Nordrand des Wettersteingebirges liegt Garmisch-Partenkirchen, und oberhalb davon steht der Herrgottschrofen, ein „gut zwanzig Meter hoher Felsklotz mit senkrechter Wand, den die letzte Eiszeit hier liegen gelassen hatte. An den Wochenende tummelten sich Familien auf der Wieser vor dem Schrofen und picknickten, und ein paar Kids nutzten die Senkrechte als Klettergarten.“ Nach diesem Felsen heisst der neue Kriminalroman von Marc Ritter, eine saftige, witzige, mörderische Story um den „Immersportort“ Garmisch-Partenkirchen, um Winter- und Sommertourismus ganz allgemein, um Dorffürsten, die sich aufführen wie Kaiser, um die verschwundene und nun als Knochenüberreste aufgetauchte Schwester einer einst gefeierten Eisläuferin, um eine russische Blondine, die vom Herrgottschrofen gestossen wird, um eine wundervolle Gerichtsmedizinerin und um den etwas gar neugierigen Journalisten Karl-Heinz Hartinger.

Platzhirsche, Garmisch und Bayern: Darum geht es auch im neuen Krimi von Nicola Förg, worin wieder die etwas ungleichen Polizistinnen Irmi Mangold und Kathi Reindl ermitteln. Wer hat die im politischen Sinne grüne Jägerin ermordet? Ihr ehemaliger Geliebter? Ein Jäger, der die Rehe lieber auf dem Teller als nur im Wald hat? Wichtig für die Aufklärung des Mordes ist das Tagebuch, das bei der Toten gefunden wird: Es beinhaltet Aufzeichnungen eines Schwabenkindes, also eines armen Bergbauernkindes, das von zu Hause fortgejagt wurde, um sich zu verdingen; in unserem Fall ein Mädchen. Auszug: „Seit wir die Letzten sind, gehen wir den kürzeren Weg übers Hornbachjoch. Ich fürchte mich immer unter den Höllhörnern. Der Herr Pfarrer hat gesagt, der Teufel hause in den Zacken. Und dass wir beten müssten am Joch und uns bekreuzigen und einen Rosenkranz sprechen. Der Herr Pfarrer ist ein Knatterle, hat die Johanna gesagt, so was darf man aber doch nicht über einen Kirchenmann sagen. Wenn der Herr Pfarrer wüsste, dass wir uns immer nur ganz kurz bekreuzigt und nie einen Rosenkranz gebetet haben… Aber der Herr Pfarrer weiβ ja nicht, wie eisig kalt es ist im Sturm droben am Joch.“

Ums Jagen – und Gejagtwerden – in den Salzburger Bergen dreht sich „Jagablut“ von Ines Eberl: „Manchmal dauert die Pirsch nur Stunden, manchmal mehrere Wochen. Aber zuweilen dauert sie auch ein ganzes Leben lang.“ Ein spannender Dorfroman im besten Sinne, mit der aus Wien stammenden Ärztin Emma Canisius im Mittelpunkt. „Schöne Geschichte“, sagt sie zu einer Erzählung der alten Hansi, die allerdings auch Dreck am Stecken hat. Aber wer schon nicht? Da nützt auch der hoch aufgetürmte Schnee vor dem Gasthof Zur Alten Post nichts. Der verdeckt höchstens alte Spuren – und wartet gleichzeitig mit frischen auf.

Schnee? Davon hatten wir doch jetzt mehr als genug. Aber was, wenn in „Schattengott“ von Uli Paulus die erst seit einigen Monaten bei der Kantonspolizei Graubünden arbeitende Sabina Lindemann im zehnten Kapitel auf Skitour am Piz Beverin geht, um ihren Kopf zu lüften. Da gehen wir natürlich mit und erholen uns ebenfalls kurz vom Fall mit drei verschwundenen jungen Frauen. Eine heikle und vor allem tragische Angelegenheit, die Sabina immer mehr beschäftigt – und plötzlich zu sehr sogar. Die Via mala wird wieder einmal zum bösen Weg.

Silvio hat ihn noch vor sich. Genauer: hinter sich. Denn weit würde er nicht mehr kommen im Schneesturm auf dem Tödi oben. „Tod am Tödi“ nennt Emil Zopfi folgerichtig seine Kriminalgeschichte aus dem Glarnerland, eine von 18 Stories, welche die Krimiautorinnen Mitra Devi und Petra Ivanov in den Reader „Mord in Switzerland“ aufgenommen haben. Schaurige Geschichten passieren da, nicht nur in den Högern, auch an der Zürcher Goldküste oder am Rheinfall. Die Schweiz ist halt ein mörderisches Pflaster. Insbesondere vom 17. bis 24. April 2013, wenn die Criminale, das grösste Krimi-Festival Europas, zum ersten Mal hierzulande stattfindet. 240 Krimiautorinnen und -autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nehmen die Städte Bern, Thun, Burgdorf und Solothurn in Beschlag. Nebst über 70 Krimi-Lesungen an abwechslungsreichen Tatorten bietet die 27. Criminale ein breites Rahmenprogramm, das kriminelle und – dank der Komplizenschaft der Polizei – auch kriminalistische Einblicke bietet. Detailprogramm auf www.die-criminale.de. Viel Spass! Aber immer schön aufpassen, insbesondere dann, wenn’s dunkel wird.

Andreas Föhr: Schwarze Piste. Knaur Verlag, 2012, Fr. 21.90.
Claudia Rossbacher: Steirerkind. Gmeiner Verlag, 2013, Fr. 14.90.
Katharina Berlinger: Chiffren im Schnee. Emons Verlag, 2012, Fr. 16.40.
Stefan König: Abgrund. Tobs Thanners erster Fall. Rother Verlag, 2013, Fr. 17.90.
Marc Ritter: Herrgottschrofen. Piper Verlag, April 2013, Fr. 14.90.
Nicola Förg: Platzhirsch. Pendo Verlag, 2013, Fr. 21.90.
Ines Eberl: Jagablut. Emons Verlag, 2012, Fr. 14.90.
Uli Paulus: Schattengott. Emons Verlag, 2013, 14.90.
Emil Zopfi: Tod am Tödi, in: Mitra Devi & Petra Ivanov (Hrsg.): Mord in Switzerland. Appenzeller Verlag, 2013, Fr. 28.-

Ein Gedanke zu „Bergkrimis

  1. Vielen Dank für die Kurzbesprechung. Die Geschichte mit dem verschwundenen Amerikaner beruht auf zum Teil auf wahren Begebenheiten. Mörderische Bergführer gab es (so hoffe ich doch schwer) keine, wohl aber eine entsprechende Räuberpistole im American Weekly, einem Blatt das bezeichnenderweise von William Randolph Hearst herausgegeben wurde.

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