Ein 8000er-Buch mit einem atemberaubenden Titel: Ich hab ein Rad in Kathmandu. Viel Spass beim Mitradeln!
«An diesen Moment erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Es war wohl im Januar, vor ziemlich genau 20 Jahren. Ein Föhntag, blauer Himmel, einzelne Linsenwolken. Die Stadt Bern leuchtete. Ich hatte es in meiner Wohnung in der Wyttenbachstrasse nicht mehr ausgehalten und war zu einem Spaziergang aufgebrochen, was auf den Krücken anstrengend war und lange dauerte. Vom Breitenrain humpelte ich am Kursaal vorbei in Richtung Aare. Als ich über die Kornhausbrücke den Fluss überquerte, standen sie direkt vor mir: Eiger, Mönch und Jungfrau, das Dreigestirn der Berner Alpen. Auf ihre Gipfel hatte ich es noch nicht geschafft, obwohl ich in den beiden vergangenen Jahren, seit ich als Journalistin in der Schweiz arbeitete, einige große Bergtouren unternommen hatte mit den vielen netten Menschen, die ich in dieser Zeit kennengelernt hatte.»
Was für ein Auftakt einer Biografie, die uns von der Kornhausbrücke in Bern über zahlreiche Abgründe und Höhepunkte hinweg bis auf den Everest und darüber hinaus mitnimmt. Mit „Ganz unten und ganz oben“ ist das erste Kapitel treffend überschrieben im Buch „Ich hab ein Rad in Kathmandu. Mein Leben mit den Achttausendern“, verfasst von Billi Bierling zusammen mit Karin Steinbach. Beide Frauen wurden vor gut fünfzig Jahren in Bayern geboren, beide haben heute ebenfalls den Schweizer Pass, und beide arbeiten (auch) als Alpinjournalistinnen. Ein Dreamteam also, das hier den Lebenslauf dieser Barbara Susanne Bierling erzählt, der damals, als sie über die Kornhausbrücke humpelte, ein für alle Mal klar wurde, „dass es mich in die Berge zog“.
Seit 2004 arbeitet Billi Bierling für die von der legendären Elizabeth Hawley gegründeten Himalayan Database in Kathmandu, sammelt Details zu Besteigungen von Expeditionen aus allen Ländern der Erde und trifft dafür alle, die Rang und Namen haben. Billi Bierling gilt als die Expertin für das Höhenbergsteigen im Himalaya; in der Database sind heute 469 Gipfel zwischen 6500 und 8848 Metern klassifiziert. So nebenbei hat sie selbst sechs der 14 Achttausender bestiegen, so am 21. Mai 2009 den Everest über die Südroute von nepalesischer Seite. Die erste Deutsche auf dem höchsten Gipfel der Welt, Hannelose Schmatz, hatte 1979 den Aufstieg über diese Route geschafft, kam aber beim Abstieg ums Leben.
Zugleich ist Billi Bierling aber ebenfalls für die Humanitäre Hilfe der Schweiz weltweit unterwegs an den globalen Krisenherden, begegnet dort Menschen und ihren Erfahrungen, Erfolgen und Schicksalen – ganz aktuell auch in der Ukraine, insbesondere in Kyiv. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer bevorzugen diese Schreibweise für die Hauptstadt, weil sich „Kiew“ vom Russischen ableitet. Verdienstvoll also, wenn Bergbücher nicht nur vom freiwilligen Überleben in menschenfeindlichen Gebirgen und Felsen berichten, sondern auch vom täglichen Überleben in Umständen, die Menschen mit Gewalt oder Geringschätzung verursacht haben.
Anschaulich und vielschichtig, wie Billi (mit Karin) von Extremalpinisten und Flüchtlingen, von der Arbeit beim Swiss Radio International in Bern und von derjenigen mit der Himalayan Database erzählt, vom Einsatz für Menschen in Kriegs- und Katastrophengebieten, vom Leben in Nepal und der sich wandelnden Bedeutung der Sherpas. Und sie blickt hinter die Kulissen des Höhenbergsteigens, beispielweise mit dem italienischen Höhenbergsteiger und Helikopterpiloten Simone Moro bei einem Kaffee im Marriott Hotel in Kathmandu im Frühling 2022: „Stell dir vor, manche Leute waren bereits im Everest-Basislager und merkten erst da, dass sie keine oder nicht die richtigen Expeditionsbergschuhe dabeihatten. Ich besorgte verschiedene Modelle und Größen und flog sie ins Basislager. Dort wurde anprobiert, ich kassierte und flog wieder zurück.“ Einmal brachte er mit seinem Heli gar zwölf Pizzas von Kathmandu ins Basislager. Billi Bierling holt sich die Pizzas selbst, mit dem Rad. Und wenn es sein muss(te), auch mit Krücken.
Billi Bierling mit Karin Steinbach: Ich hab ein Rad in Kathmandu. Mein Leben mit den Achttausendern. Mit einem Vorwort von Gerlinde Kaltenbrunner. Tyrolia Verlag, Innsbruck 2023. € 28,00.
Vortrag und Buchpräsentation mit den beiden Autorinnen am Freitag, 31. März 2023, 18.30 Uhr, im Alpinen Museum der Schweiz in Bern. Eintritt Fr. 15.-; Tickets können direkt an der Abendkasse bezogen werden, kein Vorverkauf.