Endlich die grosse Biografie des in Kitzbühel geborenen Entdeckers, Alpinisten, Kartografen und Entwicklungshelfers Peter Aufschnaiter.
„Wenn ich jetzt höre, dass er [Heinrich Harrer] ein Buch herausbringt, ohne mich mit einer Zeile davon zu verständigen, so überrascht mich das nicht. Fixigkeit und vollkommene Skrupellosigkeit sind seine Stärke. Ich weiβ, dass es bei früheren Reiseberichten vorgekommen ist, dass zwei Teilnehmer je ein Buch schrieben. In diesem Falle ist es anders, seit Jahren ist das Publikum in verschiedenen Ländern darauf vorbereitet, und was immer für ein Buch als erstes herauskommt, so wird dieses Absatz finden und keine weitere Variante zu dem Thema mehr.“
Wie wahr, was da Peter Aufschnaiter am 6. Mai 1952 an Paul Bauer geschrieben hat! 1952 kam Heinrich Harrers Buch „Sieben Jahre in Tibet – Mein Leben am Hof des Dalai Lama“ heraus. Es beschreibt die Flucht Harrers und seines Begleiters Aufschnaiter aus einem britischen Internierungslager in Indien im Jahre 1944 nach Tibet, den Aufenthalt in der Hauptstadt Lhasa und die tibetische Kultur vor dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee in Tibet im Jahr 1950. „Sieben Jahre in Tibet“ wurde in 53 Sprachen übersetzt. Gegen diesen Welterfolg und so weltberühmten Verfasser hatte Peter Aufschnaiter (1899–1973) keine Chance. Aber nun ist seine Biografie erschienen: „Er ging voraus nach Lhasa“, verfasst von Nicholas Mailänder unter Mitarbeit von Otto Kompatscher.
Wovon Heinrich Harrer in seinen „Sieben Jahre in Tibet“ erzählt, hat ein anderer noch viel intensiver erlebt: Der Kopf und die treibende Kraft hinter diesem aufsehenerregenden Abenteuer war eigentlich sein Kompagnon Peter Aufschnaiter – ein Tibetkenner, der auch sein restliches Leben dem Studium, der Entwicklungshilfe und seiner Liebe zu Tibet und Nepal und den dortigen Menschen widmete. Höchste Zeit also, dass auch er zu Wort kommt. Aufschnaiter hat viel geschrieben über seine Reisen, seine Arbeit und Studien als Entdecker, Bergsteiger, Kartograf und Entwicklungshelfer; daraus wird fleissig zitiert in der gut 400seitigen Biografie. Aber auch Passagen aus seinen Briefen werden wiedergegeben, oft an seinen Freund und ehemaligen Vorgesetzten Paul Bauer, eine „zentrale Figur des nationalsozialistischen Sportwesens“ (Wikipedia). Er hatte Aufschnaiter 1936 mit der Geschäftsführung der neu gegründeten Deutschen Himalaja Stiftung bedacht. Mit Verwunderung nimmt man zur Kenntnis, dass im Briefwechsel zwischen den beiden nach 1945 die Verbrechen des Naziregimes nicht zu Wort kommen; freilich nicht bei Bauer, der zeitlebens ein Nazi blieb, als bei Aufschnaiter, der sich bei seinen Einsätzen in Indien, Nepal und Tibet engagiert für die Menschen einsetzte.
Vom 11. Mai bis 21. Juni 1954 bereiste Peter Aufschnaiter das nahe der tibetischen Grenze gelegene, noch weitgehend unerforschte Tsum-Tal. Seiner Mutter schrieb er: „Ich war von Kathmandu aus 42 Tage unterwegs, mit nur zwei Rasttagen, dabei habe ich auch mehrere Berge bestiegen, aber keine hohen.“ Und: „Das Haus, in dem ich früher in Kathmandu fast ein Jahr hindurch so nett wohnte, war tatsächlich für mich reserviert geblieben. Die dort hinterlassenen Sachen waren unversehrt, und ich habe sie dann nach Delhi gebracht.“
Das Nachwort zur Biografie von Peter Aufschnaiter schrieb Martina Wernsdörfer, Kuratorin am Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Im VMZ wird seit 1976 der grösste Teil des ethnografischen Erbes von Aufschnaiter bewahrt. Und dort wird bis im Herbst 2019 diese Ausstellung gezeigt: „Karte – Spur – Begegnung. Die Tibet-Sammlungen von Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter“. Warum aber kommt da Harrer vor Aufschnaiter? Denn letzterer ging ja voraus nach Lhasa.
Nicholas Mailänder, unter Mitarbeit von Otto Kompatscher: Er ging voraus nach Lhasa. Peter Aufschnaiter. Die Biographie. Tyrolia-Verlag, Innsbruck 2019; € 30.-
Karte – Spur – Begegnung. Die Tibet-Sammlungen von Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter. Ausstellung im Völkerkundemuseum Zürich (bis 8. September 2019); www.musethno.uzh.ch/de/ausstellungen/Karte–Spur–Begegnung.html