Es herbstelt

Wenn die Schatten länger werden, die Vögel stummer und die Murmeli dicker: dann ist es Herbst. Wo aber war der Sommer? © Annette Frommherz p10201491

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Er wollte nicht länger bleiben. Eigentlich hatte sich der Sommer schon mittendrin davongeschlichen, klammheimlich, sozusagen auf französisch verabschiedet. Und meinte, wir hätten es nicht bemerkt. Heimlifeiss, würde mein Vater sagen, heimlifeiss ist der Sommer verreist und hat uns sitzengelassen, ohne dass wir die neue Badehose wirklich oft hätten vorzeigen können. Aber was solls. Unsereins reibt sich die Hände, was man als Kampfgeist einstufen kann oder ganz einfach, weil der Morgen bitterkalt ist, vor allem hier in Sedrun, wo wir Herbsttage geniessen, wie es farbenfroher kaum eine Jahreszeit besser schafft. Im Schatten aber liegt hinterhältig der Frost. Weiss und still bitten die Matten, die Sonne möge ihnen die Decke wärmen, während der Südgrat des Cavardiras – mein Liebster hat ihn kürzlich erklettert – sich bereits im zaghaften Sonnenlicht zeigt.
Unsere Bikes lassen wir nochmals so richtig über Wurzeln und Steine flitzen, bevor sie im Keller den Winter überstehen müssen. Vor dem ersten richtigen Frühlingstag wird mich keine Ausfahrt mehr reizen, auch wenn damit nur vage angedeutet ist, wann ein Frühlingstag auch einer ist. Früher galt, den Lieblingsrock und die weissen Kniesocken anziehen zu dürfen, sobald am Morgen kein Raureif mehr über den Wiesen lag, und das war noch immer genug an Kälte um die nackten Beine und unter dem dünnen Stoff. Heute ist mir wohler in Sportkleidung, da fühle ich mich konditionell gleich in einer stabileren Lage. Obwohl: das kann sträflich täuschen, denn wie wir den Anstieg zur Alp in Angriff nehmen, ist die Realität schnell vor Ort und meine Oberschenkel schwer wie Blei. Das Outfit, muss ich mir einmal mehr eingestehen, macht noch keinen Sportler aus.
Die Rinder haben dieser Tage bereits den ersten Schnee gesehen. Vor zwei Wochen lagen hier fünfzig Zentimeter Schnee, man kann es sich nur schwer vorstellen. In Schattenmulden bleiben hartnäckig ein paar beweisende weisse Flecken. Nachmittags wird der Nachbar vor seinem Garten sagen, hart sei das Leben hier nicht. Die Älpler weiter oben hätten es viel schwieriger mit den steilen Hängen und den abschüssigen Grasstellen. Der Sommer, ja, der Sommer, sagt der alte Mann, und schaut auf den abgeräumten Gartenplatz, den Sommer, den habe man ihnen gestohlen, heuer, das lasse sich nicht mehr aufholen, viel zu nass sei der gewesen, und im September dann diese paar Hitzetage, das sei doch nicht normal, mit 25 Grad, auf dieser Höhe, wohin das noch führe. Ich weiss es auch nicht. Mir war der Sommer auch zu kurz, aber das ist er mir immer.

Ein Gedanke zu „Es herbstelt

  1. Hallo Anette
    ich schätze Deine „Post“ immer wieder. So positiv und präzise formulierte Gedanken und Beobachtungen liest mann heute nur mehr selten in den Printmedien. Mich freut auch besonders, dass, wie ich aus Deinen Ausführungen entnehme, es Euch so gut geht.
    Liebe Grüsse
    Rolf Weber

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