In Gipfelbücher schreiben wir eher mit Bleistift als mit Tinte; Heinz Prantl hat sein informatives und heiteres «Gipfelbuch» aber wohl eher auf dem Computer verfasst. Zum Blättern, Lesen, Nachschlagen, wie ein richtiges Gipfelbuch halt. Mit Tinte dagegen zeichnet und beschreibt Martial Leiter seine Tintenberge – bekannt auch durch seine beissende Politkunst.
„Acht Tausender: Die Acht Tausender liegen auf dem als Qualitätsweg zertifizierten Goldsteig im Bayerischen Wald und sind so etwas wie der Skoda unter den Sammelobjekten. Das stört Sie aber nicht im Geringsten, denn für den kleinen Zirkel teuer ausstaffierten Extremisten haben Sie als Gelegenheitswanderer nur ein müdes Lächeln übrig. Entsprechend haben Sie auch Ihre Ziele niedriger gesteckt und bescheiden sich mit ein paar schönen Tagen an der frischen Luft. Nervenkitzel haben Sie schon genug, wenn Ihre Kinder an der Hangkante des Fuchsweges herumturnen. Ihre Skatfreunde wird es zwar nicht gerade vor Ehrfurcht umhauen, wenn Sie von den Acht Tausendern erzählen, aber zumindest ist das Preis-Leistungs-Verhältnis unschlagbar.
Die Objekte: Mühlriegel (1080 Meter), Ödriegel (1156 m), Schwarzeck (1238 m), Reischfleck (1140 m), Heugstatt (1261 m), Enzian (1285 m), Kleiner Arber (1384 m), Großer Arber (1456 m).“
Mon Dieu, also mit diesen Gipfelnamen können Sie in der Skatrunde, beim Clubessen oder am Montag Morgen nicht wirklich punkten! „Auf welchem Gipfel warst am Wochenende?“ „Auf Reischfleck und Heugstatt!“ Enzian wäre wahrscheinlich schon besser, weil man da einen Ansatzpunkt hätte: die Blume (oder der Schnaps) als Berg. Und: Kleiner und Großer Arber, das liesse natürlich aufhorchen, unabhängig der bescheidenen Höhe. Beim Grossen und Kleinen Mythen fragte auch niemand nach der Höhe, beim grossen und kleinen Piz Buin ebenfalls nicht. Beim Kleinen Matterhorn schon eher, beim grossen wiederum nicht…
Die Acht Tausender im Bayerischen Wald fand ich im „Gipfelbuch“ von Dominik Prantl, Redaktor der „Süddeutschen Zeitung“, zuständig für die Berg- und Skithemen des Reiseteils. In einem handlichen, 320seitigen Buch mit einem hübschen Einband in Filz-Optik hat er ein Sammelsurium von Facts & Figures zu den Bergen der Welt, zum Bergsteigen und Bergsein, zu Seil und Pickel zusammengetragen. Sauber geordnet in acht Kapiteln von den ersten Schritten über das steile Gehen bis zum Gipfel und schliesslich zum Runterkommen, aufgeteilt in 131 Unterkapitel, davon ein paar teilweise das gleiche Thema behandeln. Das Gipfel Sammeln zum Beispiel, wie die Achttausender oder eben die Acht Tausender.
Fakten, Infos, Details, Meinungen, Anleitungen, Tipps, Listen, Hintergründe, Überraschendes, längst Bekanntes: zum Schmunzeln, zum Beherzigen, zum drüber Lesen, zum Nachschlagen. Bei einer solchen Vielfalt haben sich natürlich auch Fehler eingeschlichen, wie bei den Matterhörnern der Welt: Da erheben sich viel mehr als die zehn aufgelisteten; wie bei der Routenübersicht in der Eigernordwand – aber wer hat da überhaupt noch den Überblick? Hilfreich und hinterhältig das Kapitel zu den Lügen: „Das schaffst du locker“ heisst laut Prantl nämlich nicht „kein Problem für dich“, sondern „Keine Ahnung, ob du das locker schaffst. Aber die Tour ist mir zu schwer, um sie alleine zu gehen.“ Und so finden sich noch manche Erklärungen in diesem Gipfelbuch. Doch gerade dieses Stichwort fehlt im Register, obwohl sich Anleitungen finden, was man in dieses so besondere Buch eintragen könnte und was Bergsportler darin schon gekritzelt haben. Die Geschichte des Gipfelbuches, das so etwas wie ein hochgestiegenes Hotel- oder Hüttenbuch ist und die Flaschen ersetzt hat, welche die Alpinisten zuoberst austranken und dann mit Zetteln oder Visitenkärtchen füllten, diese Geschichte wird leider nicht erzählt. Ich würde sie nämlich auch gerne ausführlich hören.
Ich tröste mich mit andern Stichworten. Zum Beispiel mit Kunstwerken. Unter dem Stichwort Formen lese ich da: „Der Schweizer Künstler Heinz Julen hatte schon diverse ungewöhnliche Ideen. So skizzierte er einst eine Pyramide, mit deren Hilfe das Klein Matterhorn (3883 m) um 120 Meter aufgestockt und so künstlich in einen Viertausender verwandelt werden sollte. Auch bei seinem Projekt Bergwürfel stehen Formen im Vordergrund. Dabei wirft er Metallkuben mit einer Seitenlänge von 30 Zentimetern von verschiedenen Gipfeln wie dem Matterhorn. Julen interessiert sich besonders für die dabei an den Würfeln durch den Felskontakt auftretenden Deformationen. Die Nachricht für die Nachwelt: Es lebe der Künstler – und die Inszenierung der Berge.“
Apropos Künstler & Berge: Heute Samstag, 25.8.2012, 17 Uhr, findet in der Galerie de l’Hôtel de Ville in Yverdon-les-Bains die Vernissage zur Ausstellung von Martial Leiter statt: „Montagnes d’encre“. Was für ein bezeichnender Titel: Tintenberge – Berge aus Tinte, mit Tinte. Gezeichnet, gemalt. Und manchmal auch beschrieben.
Dominik Prantl: Gipfelbuch, Süddeutsche Zeitung Edition, München 2012, € 19.90. Zugleich ist noch das kleinere, in den Rucksack passende Gipfellogbuch erhältlich, das als persönliches Gipfel- bzw. Tourenbuch dient; € 9.90. Dazu gibt es einen Wettbewerb; mehr unter www.dasgipfelbuch.de
Martial Leiter: Montagnes d’encre. Ausstellung in der Galerie de l’Hôtel de Ville von Yverdon-les-Bains, Dienstag bis Sonntag, 14 bis 18 Uhr, www.expo-hdv.ch