Grenzsteine

Ein Gebiet zu Fuss umrunden hat etwas Beschwörendes: Dass die Grenzen denn nur bleiben wie sie sind. Gerade jetzt in dieser Zeit, wo wieder Grenzen verschoben werden, Steine hin oder her. Also macht euch auf die Socken, umrundet eure Gemeinde, euren Kanton, euer Land! Vielleicht genügt ja auch das Lesen der entsprechenden Wanderführer.

Cover AG

„Die Spannung steigt. Der erste Grenzstein naht. Dort! Ein Monolith von 1764. Eingemeisselt das Berner Wappen. Der Bär von links nach rechts gehend, heraldisch falsch und dennoch Zeugnis geopolitischer Machenschaften aus der Zeit vor dem Wiener Kongress. Der Bär als Grenzsymbol zwischen Aargau und Solothurn. Toleranter Aargau. Schmaler Weg durch den Pfaffentann. Schwere Flocken fallen auf matschigen Boden. Schmal auch die Grenzsteine. Hinüber kurz nach Solothurn. Im Westen dunkler Himmel. Die Sturmfront naht.“

Kurze Passage des ersten Tages der langen Wanderung rund um den Kanton Aargau, die René P. Moor vom 7. Januar 2012 bis zum 3. August 2013 unternommen hat. Nicht an einem Stück, sondern immer wieder, zu verschiedenen Jahreszeiten, mit verschiedenen Leuten, aber immer schön der Reihe nach, und am Schluss noch um die Exklave des Klosters Fahr herum. Insgesamt 383 km, verteilt auf 20 Etappen. Auf der ersten – mit dem ersten Grenzstein – von Aarau nach Olten, 22.9 km, 560 m Aufstieg, 550 m Abstieg, 5 Std. 50 Min. reine Wanderzeit, 8 Grenzüberschreitungen. Lesen geht schneller: 210 Seiten weist das handliche Buch „Aargau rundum. Zu Fuss entlang der Kantonsgrenze“ auf.

Die fussgängerische Umrundung und Erkundung eines Kantons so ziemlich mitten in der Schweiz. Durchschnitt pur. Aber eben doch nicht: Wer mit René wandernd oder lesend unterwegs ist, lernt ein wichtiges Stück Schweiz besser kennen. Denn er schreibt nicht nur über den Weg und die Grenzsteine, sondern schaut über den Wegrand hinaus, stellt bekanntere und völlig unbekannte Sehens- und Wissenswürdigkeiten vor, isst für uns Aargauer Schokolade (Chocolat Frey, die seit 1950 der Migros gehört, mit einem Marktanteil von 35% in der Schweiz), trinkt ein Feldschlösschen und hat immer ein Buch der reichhaltigen Literatur aus diesem Kanton im Rucksack.

Cover GE

Nach Fläche ist der Aargau der zehntgrösste Kanton in der Schweiz, nach Einwohnern aber die Nummer vier. Eine viel höhere Dichte weist ein anderer eidgenössischer Kanton auf, der noch ein bisschen jünger ist als der Aargau mit Geburtsjahr 1803. Es ist der Kanton Genf, der am Wiener Kongress 1815 der Eidgenossenschaft angegliedert wurde, wie Neuenburg und Wallis. Flächenmässig ist Genf der sechstkleinste Kanton, einwohnermässig jedoch der sechstgrösste. Während Aargau an sechs Kantone grenzt und mit dem Rhein an Deutschland, ist Genf fast ganz von Frankreich umgeben und nur auf einem schmalen Stück Land mit dem Kanton Waadt und so mit der Schweiz verbunden. Allerdings liegen auf Waadtländer Grund noch zwei Genfer Exklaven: „De quoi satisfaire l’amateur de bornes le plus exigeant,“, schreibt Olivier Cavaleri in seinem vierten Führer zur „Histoire de bornes“ in der Romandie. Nach der geschichtlichen Erkundung des Grenzverlaufs im Jura neuchâtelois und vaudois sowie zwischen Frankreich und dem Wallis hat sich der welsche Grenzsteinspezialist den Frontières de Genève angenommen. 20 Wanderungen und zahlreiche Exkurse lassen die Herzen der Grenzschlängler höher schlagen. Mit Genf rundum zu Fuss würde ich warten, bis die Sturmfronten durchgezogen sind: Die Promenades franco-suisses sind im späteren Frühling am schönsten.

René P. Moor: Aargau rundum. Zu Fuss entlang der Kantonsgrenze. Edition Wanderwerk, Burgistein 2014, Fr. 26.-. Zu bestellen unter www.wanderwerk.ch

Olivier Cavaleri: Histoire de bornes. Les frontières de Genève. Balades – découvertes – histoire. Editions Slatkine, Genève 2014, Fr. 34.- www.histoiredebornes.ch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert