Drei neue Bücher zu alten Hotels. Zwei auch zum Anschauen, eines nur zum Lesen. Im Grand Hotel Giessbach oder im Kurhaus Bergün.
«Der Haupteingang befand sich sonderbarerweise im ersten Stocke und konnte über eine wuchtige Außentreppe erreicht werden. ‹Herzlich willkommen im Grandhotel Giessbach, liebe Kongressteilnehmer›, begrüßte der Concierge Carl und zwei weitere Männer bei der Rezeption, nachdem sie sich hatten einschreiben lassen. Er bot ihnen an, sie auf dem Anwesen herumzuführen. Noch im Vestibül erklärte er: ‹Das Grandhotel – also das Haupthaus, in dem Sie sich gerade befinden – wurde 1875 vom Berner Architekten Edouard Davinet erbaut. 1884 wurde es als eines der ersten seiner Art mit elektrischer Beleuchtung ausgerüstet. Bestimmt haben Sie das Kraftwerksgebäude an der Ländte bemerkt.›
‹Nicht schlecht, der Bunker›, kommentiert einer der beiden Herren.»
Wirklich nicht, das Grandhotel Giessbach neben dem wild daher rauschenden Giessbach, der in zwölf oder vierzehn Kaskaden in den Brienzersee hinunterfällt. Im Führer „Die schönsten Hotels der Schweiz“ (2020) des Schweizer Heimatschutzes heisst es zum Belle-Époque-Palast in unvergleichlicher Lage: „Vom gefragtesten Hotelarchitekten seiner Zeit entworfen, bot das Hotel der Haute Société am Ende des 19. Jahrhunderts allen erdenklichen Komfort – bis zur hauseigenen Drahtseilbahn. Als der Glanz des Hotels verblasst war und in den 1970er-Jahren gar der Abbruch drohte, leitete Franz Weber mit der Stiftung Giessbach eine landesweite Sammelaktion ein. 1984 konnte das gerettete Bauwerk wiedereröffnet werden.“ Nun sitzen wir dort auf Terrasse mit Blick auf die Giessbachfälle und schlagen den historischen Thriller „Grand Hotel Giessbach“ von Phil Brutschi auf. Ein Nachmittag dürfte allerdings kaum reichen, um die 464 Seiten zu lesen, die sich um einen geheimnisvollen Kongress im Mai 1910 drehen. Stürmisch geht es zu und her, hinter verschlossenen Türen, im Keller, am Wasser, auf dem Aussichtshügel ob Hotel, in den Schlafzimmern. Einige der Kongressteilnehmer schmieden nämlich ein Komplott, das Europa bis ins Mark erschüttern könnte, während Carl eigentlich nur sein neuartiges Elektromobil präsentieren möchte. Und dann ist da noch Amanda, die meist auftragshalber die Männer verführt, aber nicht verhindern kann, dass Mitwisser im tödlichen Giessbach landen. Dass sein schöner Bau an dieser wirklich einzigartigen Lage dermassen von unschönen Machenschaften missbraucht werden würde, hätte sich Monsieur Davinet nie träumen lassen. Sein Denkmal steht beim Grandhotel Giessbach.
Horace Edouard Davinet also, geboren 1839 in Pont-d’Ain im Département Ain, gestorben 1922 in Bern. Zusammen mit seinem Schwager Friedrich Studer führte er ein erfolgreiches Architekturbüro in Interlaken, dessen Führung er bald übernahm. Bauten wie das Hotel Beau-Rivage in Interlaken, das Hotel Giessbach natürlich, der Kursaal Heiden, das Hotel Schreiber auf Rigi Kulm (in seinem Folgebau feierte ich vor ein paar Jahren meinen 50. Geburtstag – aber das nur nebenbei): Sie waren und sind Zeugen des grossen Schaffens von Davinet. Daneben engagierte er sich in der Planung des Kirchenfeldquartiers in Bern und baute vor allem dort einige schöne Villen. Die 1889-1889 erstellte Villa für Professor Michaud befindet sich aber an der Erlachstrasse 17 in der vorderen Länggasse in Bern; seitdem ich an der Freiestrasse wohne, der Fortsetzung der Erlachstrasse, bin ich tausende Male an diesem prächtigen rötlichen Gebäude mit dem charakteristischen oktogonalen Eckturm vorbeigegangen und –gefahren, habe es oftmals auch angeschaut. Aber jetzt sehe ich es mit ganz anderen Augen und Kenntnissen. Dank der Architekturhistorikerin Alexandra Ecclesia und ihrem grundlegenden Werk „Horace Edouard Davinet 1839–1922. Hotelarchitekt und Städteplaner“.
Druckfrisch ist ein zweites Buch aus dem Hier und Jetzt Verlag: „Kurhaus Bergün. Der Traum vom Grand Hotel“ von Giaco Schiesser (Hg.), Roland Flückiger-Seiler, Corina Lanfranchi und Ralph Feiner (Fotografie). Der Optimismus der Erbauer des 1906 eröffneten Kurhauses Bergün war grenzenlos. Derjenige der aktuellen Betreiber ist es auch. In den 115 Jahren dazwischen erlebte das Haus eine wechselvolle und oft schwierige Geschichte. Vom Grandhotel an der Albula-Bahnlinie von Chur nach St. Moritz zur günstigen Ferienunterkunft für Familien, mit dem Brand von 1949 als Zäsur. Und schliesslich die 2002 realisierte und bis heute funktionierende Vision eines Ferienwohnungs-Hotel. Die Autoren erzählen das Auf und Ab des Jugendstil-Juwels und betten die Geschichte ein in grössere touristische und gesellschaftliche Zusammenhänge. Da geht es um die berühmte Bob- und Schlittelbahn von Preda nach Bergün, um Ferien in der Schweiz von 1930 bis 1960, um Interieurs aus Indochina. Und dann sind da die Interviews und Porträts von Einheimischen und Auswärtigen, die im und mit dem Kurhaus Bergün einen Teil ihres Lebens verbrachten: „Das ist genau der Ort, den ich suche“, sagt Anna-Katharina Gasser, die entscheidend bei der Wiederauferstehung des Kurhauses dabei war.
Mit solch gut und schön gemachten Büchern finden wir auch solche Orte, zuhause auf dem Sofa, aber noch besser auf der Fahrt ins Grand Hotel: nach Bergün mit der Rhätischen Bahn, nach Giessbach mit dem 1914 erbauten Schaufelraddampfer Lötschberg.
Phil Brutschi: Grand Hotel Giessbach. Historischer Roman. Emons Verlag, Köln 2021, € 14.-
Alexandra Ecclesia: Horace Edouard Davinet 1839–1922. Hotelarchitekt und Städteplaner. Hier und Jetzt Verlag, Zürich 2021. Fr. 49.-
Giaco Schiesser (Hg.), Roland Flückiger-Seiler, Corina Lanfranchi, Ralph Feiner (Fotografie): Kurhaus Bergün. Der Traum vom Grand Hotel. Hier und Jetzt Verlag, Zürich 2021. Fr. 49.- Vernissage: Donnerstag, 16. September, 18.30 im Bündner Kunstmuseum.