Erlebnis Steilfels – auch für Nicht-Kletterer. Aber Schwindelfreiheit ist ein Muss. Ausser beim Lesen.
«Klettersteig Britannia: gut gemachter Steig, clever dem festen Fels angepasst, nicht zu viel Eisen, so dass man immer noch nach Tritten und Griffen im Fels suchen muss, spektakuläre Szenerie mit Gletscherwelt zwischen Strahlhorn und Allalinhorn, mit Tiefblick auf Mattmarksee, mit Ausgesetztsein direkt oberhalb der Britanniahütte. Doch dieser Abstieg: zuerst noch einigermassen gäbig über Fels und Gras, aber dann mühsamst im Moränenschutt und Geröll – das Aufatmen ist gross, wenn man den guten Weg zur Hütte erreicht hat, bloss fehlen dann noch knapp 100 Höhenmeter dorthin…»
Soweit meine Einschätzung der jüngsten, am 3. Juli 2021 eingeweihten Via ferrata der Schweiz. Genau heute vor einer Woche haben wir den Klettersteig Britannia gemacht, bei wunderbarem Wetter, obwohl es beim Anmarsch von der Mittelstation Morenia ob Saas-Fee ins Egginerjoch nur kurz getröpfelt hat. In der aktualisierten Auflage von 2021 des Führers „Die Klettersteige der Schweiz“ fehlt diese hochalpine Via ferrata halt. Aber die Autorenseilschaft Anker-Hüsler werden ihn in die nächste Auflage aufnehmen, wann immer diese herauskommen wird. In der aktuellen werden erstmals zwei tierische Eisenwege vorgestellt: der hochalpine auf die Adlerflüe oberhalb der Turtmannhütte im Oberwallis und der auch für Jungvögel geeignete Klettersteig Adlerhorst beim Arnisee im Urner Reusstal. Kurz: Drei ganz unterschiedliche Vie ferrate für diejenigen, die in der Schweiz gut gesichert die Vertikale erleben wollen.
Wer eisenhaltige Luft im Ausland schnuppern möchte, darf zu zwei neuen Publikationen greifen. So zu „Via ferrata de France“ von Jocelyn Chavy und Philippe Royer. Sie stellen 150 Klettersteige zwischen Vogesen und Pyrenäen, Cantal und Corse, mit Schwergewicht natürlich auf den Alpen zwischen Léman und Méditerranée. Genaue touristische und klettertechnische Angaben, ergänzt mit spektakulären Fotos, machen aus diesem handlichen Führer ein unverzichtbares Werkzeug, la grande nation auf besondere (berg)sportliche Art zu entdecken. Vier französische Anlagen enthält übrigens auch der helvetische Führer; in Österreich, Liechtenstein und Italien schlägt er ebenfalls grenznahe Klettersteige vor. Eugen, gibt es grad nördlich des Rheins eigentlich keinen Klettersteig?
Eine eigentliche Klettersteigreise kann man mit „Dolomiten ohne Grenzen. Der Grenzen verbindende Klettersteighöhenweg der Dolomiten“ von Daniel Rogger unternehmen. Dieser Weg verbindet, ausgehend vom Kreuzbergpass in Südtirol, in neun anspruchsvollen Tagesetappen zwölf Klettersteige und siebzehn Hütten, quert Staats- und Sprachgrenzen. Wer nach den 125 Kilo- und 12‘000 Höhenmetern noch Zeit und Armkraft hat, wird südlich der berühmten Drei Zinnen eine weitere dreitägige Runde einlegen. Immer präsent auf diesem Via ferrata-Trekking ist der Erste Weltkrieg; der Rundweg wurde 100 Jahre nach Kriegsende mit Hilfe eines EU-Projekts als Klettersteig Friedensweg eröffnet. Führer und beiliegende Karte wiegen nur 250 Gramm; da läge die Mitnahme eines Klettersteig-Romans vielleicht drin.
1935 erschien im Philipp Reclam jun. Verlag in Leipzig Gustav Renkers Alpenroman „Fünf Männer bauen einen Weg“. Und zwar auf den Jôf di Montasio (2754 m), den zweithöchsten Gipfel der Julischen Alpen. Einfach geht das nicht, Schwierigkeiten menschlicher und technischer Art türmen sich. Aber am Schluss ist der Weg fertig, „und draußen im Lande italienischer und deutscher Zunge schreiben die Zeitungen von der wundervoll kühnen Anlage, die über Abgründe und Schluchten hinweg einen sicheren Pfad zur Spitze darstelle. Sie streiten auch wieder darüber, ob ein solcher Weg den Berg entweihe oder nicht.“
Daniel Anker, Eugen E. Hüsler: Die Klettersteige der Schweiz. AT Verlag, Aarau 2021. Fr. 34.90.
Jocelyn Chavy, Philippe Royer: Via ferrata de France. Éditions Glénat, Grenoble 2021. E 17.90.
Daniel Rogger: Dolomiten ohne Grenzen. Der Grenzen verbindende Klettersteighöhenweg der Dolomiten. Edizioni Versante Sud, Milano 2020. € 19.50.