Kluckers Welt

Während einer Herbstwoche mit Tango und Wandern im Fextal erinnern wir uns an den legendären Christian Klucker, einen der bedeutendsten Bergführer aus der Pionierzeit des Alpinismus in der Schweiz.

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«Am 29. September sah ich die blauen Seen meines Engadin wieder und öffnete am Abend die Tür in meinen Bau. Das Fextal trug die gelbroten Farben des Herbstes, und in den Höhen rüstete der Winter sein weißes Kleid.» Ähnlich wie Klucker bei seiner Rückkehr aus Kanada von einer Expedition mit Edward Whymper im Herbst 1901, so erleben wir das Fextal in diesen Tagen. Die melancholische Klarheit der Herbstfarben – die Lärchen noch fast grün – Neuschnee auf den Gipfeln von Piz Fora und Piz Tremoggia im Talabschluss. Auf einem Höhenweg wandernd sehen wir tief unter uns in der Ebene von Fex Platta Kluckers «Bau». Ich kenne das kleine Steinhaus mit Anbau, mit Scraffitti verziert, an dessen einer Tür noch die geschmiedeten Initialen CK zu lesen sind. Drinnen noch Kluckers Werkstatt, Hobelbank und Werkzeug, die Stube getäfert mit alten Stabellen, einem Korbstuhl, in den Kammern alte Bettgestelle aus Holz, so als hätte er erst gestern und nicht vor 88 Jahren sein Haus verlassen, ohne Mantel im tiefsten Winter, um in Sils Maria eine Weihnachtsfeier von Schülern zu besuchen. Schwer sein Atem an jenem Tag, im Waldhaus ruhte er kurz, dann schritt er weiter hinab ins Dorf, doch nach einer Tasse Tee in einem Restaurant holte ihn der Tod ein, der ihn auf 3000 Bergtouren verschont hatte. Herzversagen. Eine durchaus tragische Figur dieser Klucker. Erschliesser der Bergellerberge, genialer Kletterer und virtuoser Eisgeher – nur mit Pickel Stufen schlagend, Hunderte oft durch die brutal steilen Culoirs der Sciora oder die Nordostwand des Lyskamm. Dreiviertel der Badilekante meisterte er solo in Socken – dreissig Jahre vor der Erstbegehung mit viel Hakeneinsatz, ein Hilfsmittel, das er verachtete. Trotzig behauptete er sich gegen seine Herren, etwa den ehrgeizigen Baron Anton von Rydzewsky, ein «Mehlsack» im Fels. Oder gegen den Alkoholiker und Matterhornpionier Whymper.

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Das «Kluckerhaus» da in der Tiefe bewahrt sein Andenken, dank einer verständnisvollen Besitzerfamilie, die es aus seinem Nachlass erworben und fast im Originalzustand belassen hat – sorgfältig renoviert und gepflegt. (Man kann das Kluckerhaus als Ferienwohnung mieten.) Selbst den kleinen Postschalter halten die Besitzer in Ehren, denn Klucker betreute auch die Postagentur im Tal. In seiner Abwesenheit vertrat ihn eine Frau aus der Nachbarschaft und – es ist ein offenes Geheimnis – gebar dem Junggesellen, der lebenslang einem «Thuner Anneli» aus dem Militärdienst nachtrauerte, – einen Sohn. Tüchtig wie der Vater soll er gewesen sein, sogar Gemeindepräsident von Sils. So schwingen in dieser Landschaft Geschichten, Erinnerungen an Schicksale, an glückliche und melancholische Tage in den Bergen. Wer kann sie lesen in den Häusern, den Wiesen und Wäldern? Wen interessieren sie noch? Wohl kaum unsere Tangofreunde, mit denen wir tanzen im ehrwürdigen Hotel Fex, das zu Kluckers Zeiten in St. Moritz Bad abgebaut und Balken für Balken ins Tal geschafft und an schönster Stelle wieder errichtet worden ist. In seiner Autobiografie verliert er kein Wort darüber – vielleicht gefiel ihm das grosse Hotel nicht, mitten in seinem Tal. Obwohl er vielleicht auch gerne getanzt hätte, der stattliche Mann, der stets gut gekleidet war, selbst auf Klettertouren in Jacke und Schlips. Wir tanzen, und manchmal meinen wir, die Welt stehe still und die Gipfel rund um uns bewegten sich im Takt der Musik.

Christian Klucker: Erinnerungen eines Bergführers. Neuausgabe mit Vorwort von Emil Zopfi. AS Verlag, Zürich 2010

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